Mögliche Verfassungswidrigkeit der Entfernungspauschale Verfahrensrechtliche Hinweise
Kurzinformation Verfahrensrecht Nr. 005 vom
aktualisiert: , und
Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sind seit dem nicht mehr als Werbungskosten/Betriebsausgaben abzugsfähig (sog. „Werkstorprinzip”). Aufgrund einer Härtefallregelung sind entsprechende Kosten pauschal mit 0,30 EUR/Entfernungskilometer lediglich noch ab dem 21. Entfernungskilometer „wie” Werbungskosten/Betriebsausgaben zu berücksichtigen.
Das Niedersächsische Finanzgericht hält die Neuregelung zur Entfernungspauschale (sog. Pendlerpauschale) im Einkommensteuerrecht für verfassungswidrig. Es hat deshalb mit Beschluss vom – Az. 8 K 549/06 – das anhängige Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes ausgesetzt und das Bundesverfassungsgericht (Az.: 2 BvL 1/07) angerufen.
Im Streitfall erzielten die Kläger (Ehegatten) Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit. Für ihre Aufwendungen für Fahrten zur Arbeitsstätte – vom gemeinsamen Wohnort 41 km (Ehemann) bzw. 54 km (Ehefrau) entfernt – beantragen sie jeweils die Eintragung eines Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte für das Jahr 2007 unter Berücksichtigung der vollständigen Entfernung. Das beklagte Finanzamt gewährte den Freibetrag in Anwendung der Neuregelung in § 9 Abs. 2 EStG jedoch lediglich unter Berücksichtigung der Fahrten ab dem 21. Entfernungskilometer.
Nach Auffassung des Niedersächsischen Finanzgerichts ist die Regelung in § 9 Abs. 2 EStG verfassungswidrig. Die Neuregelung verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Dieser werde im Steuerrecht konkretisiert durch das Prinzip der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit und das Gebot der Folgerichtigkeit. Aus dem Prinzip der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit folge, dass in subjektiver und objektiver Hinsicht nur das Nettoeinkommen besteuert werden dürfe (subjektives und objektives Nettoprinzip).
Mit der Streichung des Werbungskostenabzugs für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte verstoße der Gesetzgeber sowohl gegen das subjektive als auch gegen das objektive Nettoprinzip: Die Verletzung des subjektiven Nettoprinzips folge daraus, dass in bestimmten Fällen das verfassungsrechtlich geschützte Existenzminimum besteuert werde. Dabei handele es sich um diejenigen Fälle, in denen bei Ansatz der Aufwendungen als Werbungskosten keine Einkommensteuer anfallen würde, weil das zu versteuernde Einkommen unter den Grundfreibetrag sinke, im umgekehrten Fall, d.h. bei fehlender Abzugsfähigkeit der Kosten, aber Steuer zu entrichten wäre.
Ein Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip liege vor, weil der Gesetzgeber Kosten, die für eine Vielzahl von Steuerpflichtigen zwangsläufig seien, um Arbeitseinkommen erzielen zu können, nicht mehr zum Abzug zulasse. Die in der Gesetzesbegründung angeführte Konsolidierung der öffentlichen Haushalte sei kein sachlich ausreichender Grund für die Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips.
Noch unerledigte Einsprüche ruhen nun kraft Gesetzes gem. § 363 Abs. 2 Satz 2 AO. Hierbei ist zu unterstellen, dass sich die Einspruchsführer auf das o.g. Verfahren beim Bundesverfassungsgericht stützen.
Aussetzung der Vollziehung (z.B. im LSt-Anmeldungsverfahren) ist trotz eines gegenteiligen Beschlusses des Niedersächsischen Finanzgerichts nicht zu gewähren.
Hinweis auf
Link zur Begründungshilfe für die Ablehnung der AdV
Ich bitte, in eventuell anhängigen gerichtlichen Vollziehungsaussetzungsverfahren wegen der Entfernungspauschale vorsorglich für den Fall der Stattgabe die Zulassung der Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zu beantragen (§ 128 Abs. 3 in Verbindung mit § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
Der Einspruch ist in der IT-unterstützten Rechtsbehelfsliste als Massenverfahren zu kennzeichnen Zusätzlich ist in der allgemeinen Notiz „Pendlerpauschale” zu speichern.
Über künftig in einschlägigen Einzelfällen ergehende Entscheidungen der Finanzgerichte (Hauptsacheverfahren sowie Vollziehungsaussetzungsverfahren) bittet die OFD nach den Grundsätzen der Karte 802 vor § 1 FGO zu berichten.
Das Finanzgericht Saarland hat ebenfalls mit Beschluss vom die Frage der Verfassungswidrigkeit der Neuregelung der Entfernungspauschale ab 2007 dem Bundesverfassungsgericht (Az. 2 BvL 2/07) vorgelegt.
Das hingegen entschieden:
Die mit der Einführung des sogenannten Werkstorprinzips vorgenommene Zuordnung der Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zur Privatsphäre ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Insbesondere sind das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und das objektive Nettoprinzip durch die Neuregelung gewahrt.
Bei den Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte handelt es sich nicht um originäre Werbungskosten. Vielmehr war ihre bisherige steuerliche Anerkennung als Werbungskosten als Ausnahme vom Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG und damit als Steuervergünstigung (Subvention) zu werten.
Das das dort anhängige Verfahren im Hinblick auf die anhängigen Verfassungsbeschwerden ausgesetzt. Es hat jedoch grds. festgestellt, dass „die Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG i.d.F. des StÄndG 2007 […] nicht gegen das Grundgesetz” verstößt.
Oberfinanzdirektion Münster v.
Fundstelle(n):
IAAAC-49700