Darlegung einer Divergenz; Gewährung rechtlichen Gehörs; Aktivierung einer Rückgriffsforderung; Schadensersatzansprüche gegen Leitungsorgane
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2; FGO § 96 Abs. 2; FGO § 119 Nr. 3; HGB § 252 Abs. 1 Nr. 4
Instanzenzug:
Gründe
I. Streitpunkt ist die Aktivierung und Bewertung von Forderungen.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine in Liquidation befindliche AG, betätigte sich u.a. mit dem Handel und der Bebauung von Grundstücken. Ihr Vorstand war bis Ende 1995 V. Zur Vermarktung eines Wohn-Geschäftshauses in F initiierte die Klägerin 1994 den Immobilienfonds X. Dieser erwarb das Grundstück von einer GbR und beauftragte die Klägerin zu einem Festpreis von mehr als 6 Mio. DM mit der Errichtung des Gebäudes. Da X aufgrund schleppenden Vertriebs der Fondsanteile Liquiditätsprobleme hatte, leistete die Klägerin Zahlungen an dessen Gläubiger, unter anderem 600 000 DM auf die Kaufpreisforderung der GbR.
In ihren Bilanzen auf jeweils den 31. Dezember der Streitjahre 1996 bis 1998 aktivierte die Klägerin Forderungen gegenüber X zum Nennwert von mehr als 1,7 Mio. DM und bildete Rückstellungen wegen möglicher Verbindlichkeiten aus Prospekthaftung. Im Rahmen der Festsetzungsverfahren betreffend die Körperschaftsteuer der Streitjahre machte die Klägerin geltend, die Forderungen gegenüber X müssten in erheblichem Umfang durch Teilwertabschreibungen reduziert werden. Soweit im Rechtsstreit noch von Belang, betraf das eine restliche Werklohnforderung von 1 068 498 DM und eine Rückgriffsforderung von 600 000 DM wegen der Begleichung der Kaufpreisverbindlichkeit des X gegenüber der GbR. Eine weitere Teilwertabschreibung machte die Klägerin im Hinblick auf zum Nominalbetrag aktivierte Forderungen gegenüber dem früheren Vorstand V geltend.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) lehnte das Begehren der Klägerin ab und setzte die Körperschaftsteuer auf der Grundlage der nominalen Forderungsbeträge fest. Die hiergegen erhobene Klage hatte lediglich insoweit Erfolg, als das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg die mit 600 000 DM bilanzierte Rückgriffsforderung für das Streitjahr 1998 einer Teilwertabschreibung von 50 % zugeführt hat. Im Übrigen hat das FG die Klage mit Urteil vom 6 K 256/04 abgewiesen.
Die Klägerin begehrt mit ihrer Beschwerde die Zulassung der Revision gegen das Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und wegen Verfahrensfehlern.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet und führt gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
1. Die Verfahrensrüge (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) ist insoweit begründet, als das FG in Bezug auf den Ansatz des Rückgriffsanspruchs gegen X in Höhe von 600 000 DM gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3 FGO) verstoßen hat.
a) Es hat die betreffende Forderung für die Streitjahre 1996 und 1997 mit ihrem Nennwert und für das Streitjahr 1998 nach einer Teilwertabschreibung mit ihrem halben Nennwert angesetzt und dazu ausgeführt, es sei nicht aufklärbar, ob tatsächlich eine Regressforderung gegen X oder nicht vielleicht ein Rückgriffsanspruch gegen den Vorstand V wegen Verletzung aktienrechtlicher Vorschriften zu aktivieren gewesen sei. Da Letzterer im August 1999 die eidesstattliche Versicherung abgegeben habe, sei für den Bilanzstichtag ein hälftiger Wertabschlag gerechtfertigt.
b) Die Klägerin rügt zu Recht, dass sich die Vorinstanz bei diesen Erwägungen verfahrensfehlerhaft nicht mit ihrem im Urteilstatbestand ausdrücklich wiedergegebenen Einwand befasst hat, die Rückgriffsforderung für verauslagte Gelder gegen X sei an den maßgeblichen Bilanzstichtagen bereits verjährt gewesen. Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs hätte eine Befassung mit diesem Einwand erfordert. Denn er gebietet dem Gericht, die Ausführungen und Einwendungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und sich mit dem entscheidungserheblichen Kern des Vorbringens in den Entscheidungsgründen auseinanderzusetzen (vgl. , BVerfGE 69, 141; Senatsbeschluss vom I R 131/75, BFHE 126, 379, BStBl II 1979, 162; , BFH/NV 2005, 932, m.w.N.). Der Verjährungseinwand hätte im Streitfall erheblich sein können, weil die Forderung im Falle der Verjährung nicht mehr hätte aktiviert werden dürfen, solange nicht feststand, dass X die Verjährungseinrede nicht erheben würde (vgl. Blümich/Schreiber, EStG, § 5 Rz 484; Ellrott/St. Ring in Beck Bil-Komm., 6. Aufl., § 253 Rz 568). Dass das FG eine hiervon abweichende materielle Rechtsauffassung vertreten und eine mögliche Verjährung der Forderung aus diesem Grund für unerheblich gehalten hat, kann den Entscheidungsgründen nicht entnommen werden. Es ist folglich nicht auszuschließen, dass die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensfehler beruht.
c) Da im Rahmen einer Verjährungsprüfung —zu denken ist im Streitfall an § 196 Abs. 1 Nr. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches in der bis geltenden Fassung— tatrichterliche Feststellungen zu treffen sind, unterliegt der Rechtsstreit der Zurückverweisung an das FG. Dieses wird im Rahmen der erneuten Befassung mit der Sache auch folgendes zu bedenken haben:
Sollte das FG weiterhin der Auffassung sein, es habe möglicherweise kein Anspruch gegen den X, sondern ein aktienrechtlicher Schadensersatzanspruch gegen V bestanden, könnte ein solcher Anspruch —abgesehen von der Problematik der fehlenden Solvenz des V— auch aus anderen Gründen nicht ohne weiteres aktiviert werden. Schadensersatzansprüche gegen Leitungsorgane wegen Verletzung von Organpflichten gehören zu jenen Forderungen, die —weil sie erfahrungsgemäß auf den Widerstand des in Anspruch Genommenen stoßen— unter Umständen erst nach einem Anerkenntnis oder einer rechtskräftigen Verurteilung zu aktivieren sind (vgl. , BFHE 157, 121, BStBl II 1991, 213; vom I R 6/94, BFHE 175, 412, BStBl II 1997, 89). Es wäre demnach zu prüfen, ob V die Forderung mutmaßlich anerkannt oder ob er sie bestritten hätte.
2. In Bezug auf die vom FG zum Nominalbetrag von 1 068 498 DM aktivierte Werklohnforderung gegen X ist der Zulassungsgrund der Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO gegeben. Das angefochtene Urteil weicht in diesem Punkt von der Rechtsprechung des BFH ab.
a) Der Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde in diesem Punkt steht nicht entgegen, dass sich die Klägerin in der Beschwerdebegründung im Hinblick auf die Divergenz zur BFH-Rechtsprechung nicht auf den sachlich einschlägigen Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO, sondern auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) gestützt hat. Entscheidend für die hinreichende Darlegung des Zulassungsgrundes gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO ist vielmehr, dass die Klägerin eine Divergenz durch Gegenüberstellung von gegensätzlichen abstrakten Rechtssätzen einerseits des Senatsurteils in BFHE 157, 121, BStBl II 1991, 213 und andererseits des angefochtenen Urteils hinreichend beschrieben hat.
b) Das FG hat eine Wertberichtigung der Forderung, die nach dem Vortrag der Klägerin von X bereits im April 1996 bestritten worden ist und über die in der Folge ein Rechtsstreit vor dem Landgericht (LG) B geführt wurde, abgelehnt. Zur Begründung hat es sich auf das die Forderung zuerkennende Urteil des LG B vom August 1999 bezogen und ausgeführt, eine Zahlungsverweigerung des Schuldners allein könne eine Teilwertabschreibung nicht rechtfertigen.
c) Demgegenüber darf eine vom Schuldner bestrittene Forderung nach gefestigter Rechtsprechung des BFH erst am Schluss jenes Wirtschaftsjahres aktiviert werden, in dem über den Anspruch rechtskräftig entschieden wird oder in dem eine Einigung mit dem Schuldner zustande kommt (Senatsurteile in BFHE 157, 121, BStBl II 1991, 213; vom I R 91, 92/02, BFH/NV 2004, 182; , BFHE 191, 403, BStBl II 2000, 588; vom VIII R 60/03, BFHE 212, 535, BStBl II 2006, 650). Mit diesem, aus dem handelsrechtlichen Vorsichtsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 des Handelsgesetzbuches) abgeleiteten Rechtssatz ist die vom FG seiner Entscheidung zugrunde gelegte Rechtsauffassung nicht zu vereinbaren.
3. Weil die Sache wegen des Verfahrensmangels voraussichtlich auch bei Zulassung der Revision zurückverwiesen werden müsste, wird eine Zurückverweisung nach § 116 Abs. 6 FGO im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht dadurch gehindert, dass mit der Divergenz zur BFH-Rechtsprechung ein weiterer Revisionszulassungsgrund gegeben ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom VII B 29/01, BFH/NV 2002, 1321; vom III B 177/04, juris).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1669 Nr. 9
MAAAC-49648