Leitsatz
[1] Jede Abweichung von der VOB/B führt, auch wenn sie sich in einem Vertrag mit einem öffentlichen Auftraggeber findet, dazu, dass die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart ist (im Anschluss an , BGHZ 157, 346).
Eine vertragliche Regelung, aufgrund derer der Auftraggeber eine Vertragserfüllungsbürgschaft in Form einer Bürgschaft auf erstes Anfordern verlangen kann, wich auch vor der Neufassung der VOB/B 2002 von § 17 Nr. 4 VOB/B ab.
Zur Kündigung eines Bauvertrags durch den Auftraggeber, wenn der Auftragnehmer die Arbeit nicht fristgemäß wieder aufnimmt, weil erhebliche Zweifel über die Anwendbarkeit öffentlich-rechtlicher Vorschriften bestehen, aufgrund derer ihm die Gefahr eines Bußgeldes droht.
Gesetze: AGBG § 9 Bf; VOB/B § 8 Nr. 3
Instanzenzug: LG Hildesheim 2 O 464/02 vom OLG Celle 7 U 12/05 vom
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Abrechnung eines gekündigten Vertrages. Im Revisionsverfahren verlangt die Klägerin noch Mehrkosten für die Fertigstellung, der Beklagte in der Widerklage Restwerklohn.
Der Beklagte wurde von der Klägerin mit Wärmedämmarbeiten an der Heizzentrale der JVA H. beauftragt. Für den Vertrag gelten die Vertragsbestimmungen der Klägerin in der Reihenfolge Besondere Vertragsbedingungen - EVM (B) BVB, Zusätzliche Vertragsbedingungen - EVM (B) ZVB/E, Technische Vertragsbedingungen, VOB/B 1998 und VOB/C 1998.
Nach einem Streit über die Berechtigung von Nachträgen erklärte die Klägerin die außerordentliche Kündigung. Sie stellte selbst Schlussrechnung, nachdem der Beklagte ihrer Aufforderung zur Vorlage der Schlussrechnung nicht Folge geleistet hatte, und übersandte diese dem Beklagten am . Die Klägerin wies in diesem Schreiben mit Belehrung auf die Ausschlusswirkung des § 16 Nr. 3 Abs. 2 bis 4 VOB/B hin. Der Beklagte erklärte am einen Vorbehalt, legte jedoch erst am selbst seine Schlussrechnung vor, die einen restlichen Vergütungsanspruch in Höhe von 81.127,32 € aufwies.
Mit der Klage verlangte die Klägerin Ersatz von Fertigstellungsmehrkosten und Erstattung der Kosten für die Erstellung ihrer Schlussrechnung in Höhe von insgesamt 7.521,33 €. Der Beklagte begehrt in der Widerklage die Restvergütung aus seiner Schlussrechnung.
Das Landgericht hat Klage und Widerklage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat auf Berufung des Beklagten und Anschlussberufung der Klägerin nur der Widerklage in Höhe von 7.986,57 € stattgegeben.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Widerklagebegehren weiter, soweit nicht bereits zu seinen Gunsten erkannt worden ist, also in Höhe von 73.140,75 € (81.127,32 € abzüglich 7.986,57 €).
Die Klägerin begehrt in der Anschlussrevision auf die Klage noch 7.054,22 € für die Fertigstellungsmehrkosten sowie die vollständige Abweisung der Widerklage.
Gründe
Die Revision des Beklagten hat in vollem Umfang Erfolg, die Anschlussrevision der Klägerin nur zu einem geringen Teil. In diesem Umfang ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Die weitergehende Anschlussrevision der Klägerin ist unbegründet.
Auf das Schuldverhältnis sind die bis zum geltenden Rechtsvorschriften anwendbar (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB).
I.
1. Das Berufungsgericht spricht dem Beklagten auf die Widerklage eine Vergütungsforderung von noch 7.986,57 € aus der von der Klägerin selbst erstellten Schlussrechnung zu.
Die weiteren in der Widerklage geltend gemachten Ansprüche in Höhe von 73.140,75 € erkennt das Berufungsgericht ab. Die Klägerin habe sich zu Recht auf die Ausschlusswirkung des § 16 Nr. 3 VOB/B berufen. Der Beklagte habe zwar am einen Vorbehalt erklärt, jedoch nicht innerhalb der folgenden 24 Werktage eine prüffähige Abrechnung vorgelegt. Auf die Ausschlusswirkung könne sich die Klägerin berufen, weil die Parteien die Geltung der VOB/B insgesamt vereinbart hätten. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach jede vertragliche Abweichung von der VOB/B dazu führe, dass diese nicht als Ganzes vereinbart worden sei. Die besonderen Vertragsbedingungen enthielten einheitliche Bestimmungen für Bauvorhaben öffentlicher Auftraggeber. Sie enthielten nur Konkretisierungen, ohne die VOB/B entscheidend zu ändern. Dies gelte insbesondere für die vom Beklagten kritisierten Nummern 8, 16.1, 18, 23 und 26.3 der zusätzlichen Vertragsbedingungen.
2. Die mit der Anschlussberufung in Höhe von noch 7.521,33 € verfolgte Klage hält das Berufungsgericht für unbegründet, weil die Klägerin nicht zur fristlosen Kündigung nach § 8 Nr. 3 VOB/B berechtigt gewesen sei.
Entgegen der noch vom Landgericht vertretenen Ansicht habe die Klägerin nicht erklärt, unter keinen Umständen eine zusätzliche Vergütung für die Pass- und Endscheiben entrichten zu wollen. Jedoch stelle sich die Weigerung des Beklagten, die Wärmedämmarbeiten wieder aufzunehmen, wegen der Bußgeldandrohung in § 13 der damals gültigen Heizungsanlagen-Verordnung unter Berücksichtigung des Schreibens der Klägerin vom nicht als so grobe Vertragsverletzung dar, dass eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt gewesen sei. Der Beklagte habe darauf hingewiesen, dass die nach der DIN 4140 erforderlichen Abstände zwischen den gedämmten Rohren untereinander und zu den Wänden nicht vorhanden seien und die Missachtung der in der Heizungsanlagen-Verordnung bestimmten Werte bußgeldbewehrt sei. Die Klägerin habe die Ansicht vertreten, die DIN 4140 sei nicht allein einschlägig. Sie sei damit einverstanden, dass eine geringere Dämmung aufgebracht werde, habe den Beklagten jedoch gleichzeitig darauf hingewiesen, dass die Heizungsanlagen-Verordnung anzuwenden sei. Letztlich könne offen bleiben, ob das Gebäude der JVA von der Heizungsanlagen-Verordnung ausgenommen gewesen sei. Weil die Klägerin den Beklagten in seiner Auffassung, die Heizungsanlagen-Verordnung sei anwendbar, bestärkt habe, liege in der Weigerung des Beklagten nicht ein vertragsuntreues Verhalten von solchem Gewicht, dass die außerordentliche Kündigung gerechtfertigt gewesen sei.
II.
Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision des Beklagten haben Erfolg.
Sie beanstandet zu Recht die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte sei gemäß § 16 Nr. 3 VOB/B gehindert, weitere Vergütung geltend zu machen. Auf diesen Einwand kann sich die Klägerin nicht berufen, weil die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart ist (1.) und der Schlusszahlungseinwand daher unwirksam ist (2.).
1. Die VOB/B ist nur dann einer Inhaltskontrolle nach dem hier geltenden Gesetz über Allgemeine Geschäftsbedingungen entzogen, wenn sie als Ganzes vereinbart worden ist. Dabei kommt es nicht darauf an, welches Gewicht der Eingriff hat. Die Inhaltskontrolle ist auch dann eröffnet, wenn nur geringfügige inhaltliche Abweichungen von der VOB/B vorliegen. Eine derartige Abweichung enthält jedenfalls die Nr. 26.3 in Verbindung mit Nr. 30 der Zusätzlichen Vertragsbedingungen der Klägerin.
Nach Nr. 26.3 der Zusätzlichen Vertragsbedingungen der Klägerin ist bei Abschlagszahlungen eine Bürgschaft zu leisten. Nr. 30 legt fest, dass es sich um eine Bürgschaft auf erstes Anfordern handeln muss.
Nach § 16 Nr. 1 VOB/B sind auf Antrag Abschlagszahlungen in Höhe des Wertes der jeweils nachgewiesenen Leistung zu zahlen. Ist vertragsgemäß eine Bürgschaft für diese Abschlagszahlungen zu stellen, so handelt es sich um eine Vertragserfüllungsbürgschaft, die den Regelungen des § 17 VOB/B unterfällt. Für die insoweit als eine der in § 17 Nr. 2 VOB/B vorgesehenen Sicherheiten vereinbarte Bürgschaft enthält die VOB/B in § 17 Nr. 4 eine Regelung, die eine Bürgschaft auf erstes Anfordern nicht zulässt. Dies galt der Sache nach auch bereits vor der ausdrücklichen Klarstellung durch die Neufassung in der VOB/B 2002. Denn nach dem Sicherungssystem der VOB/B, wie es sich bei einer Gesamtbetrachtung darstellt, soll die Sicherheitsleistung mittels Bürgschaft dem Auftragnehmer die Liquidität dauerhaft erhalten. Diesem Ziel läuft die Vereinbarung der Bürgschaft auf erstes Anfordern zuwider.
An dieser Beurteilung ändert nichts, dass die Vertragsbedingungen von einem öffentlichen Auftraggeber verwendet worden sind. Auch für ihn gelten die Erwägungen im Senatsurteil vom (, BGHZ 157, 346, 349). Danach ist die Inhaltskontrolle selbst dann eröffnet, wenn nur geringe inhaltliche Abweichungen von der VOB/B vorliegen und auch unabhängig davon, ob eventuell benachteiligende Regelungen im vorrangigen Vertragswerk möglicherweise durch andere Regelungen ausgeglichen werden.
2. Die Klägerin kann sich nicht auf § 16 Nr. 3 VOB/B berufen, weil diese Vertragsklausel der isolierten Inhaltskontrolle nicht standhält (, BGHZ 101, 357 und vom - VII ZR 116/97, BGHZ 138, 176). Denn die Regelung des § 16 Nr. 3 Abs. 2 bis 5 VOB/B über den Ausschluss von Nachforderungen bei vorbehaltloser Annahme einer Schlusszahlung oder einer ihr gleichstehenden Schlusszahlungserklärung verstößt auch nach der Neufassung der VOB/B zum , soweit nicht die VOB/B "als Ganzes" vereinbart worden ist, gegen § 9 AGBG und ist deswegen unwirksam.
3. Die Abweisung der Widerklage kann daher mit der im Berufungsurteil gegebenen Begründung nicht aufrechterhalten werden. Der Vergütungsforderung des Beklagten steht, soweit sie auf Bezahlung nicht erbrachter Leistungen gerichtet ist, auch nicht bereits eine wirksame Kündigung der Klägerin aus § 8 Nr. 3 VOB/B entgegen (dazu unten IV. 1.). Zur Berechtigung der Widerklageforderung hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - im Übrigen keine Feststellungen getroffen. Dies wird es nachzuholen haben, wobei die Klägerin Gelegenheit hat, ihre weiteren in der Revisionserwiderung enthaltenen Bedenken zur Geltung zu bringen.
IV.
Die Anschlussrevision ist nur zu einem geringen Teil begründet.
1. Rechtlich nicht zu beanstanden ist die Abweisung der Klage durch das Berufungsgericht. Die Voraussetzungen des von der Klägerin auf § 8 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B gestützten Schadensersatzanspruchs sind nicht erfüllt, da das Berufungsgericht die von der Klägerin ausgesprochene Kündigung rechtsfehlerfrei als freie Kündigung im Sinne des § 8 Nr. 1 VOB/B angesehen hat.
Die Klägerin hat den Vertrag unter Hinweis auf § 8 Nr. 3 VOB/B gekündigt, weil der Beklagte die Arbeiten nicht innerhalb der ihm mit Schreiben vom bis zum gesetzten Frist wieder aufgenommen hat. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Klägerin sei nicht nach § 8 Nr. 3 VOB/B zur fristlosen Kündigung berechtigt gewesen, begegnet keinen Bedenken.
Ob ein zur Kündigung berechtigender wichtiger Grund vorliegt, ist eine Frage tatrichterlicher Würdigung, die in der Revisionsinstanz nur beschränkt überprüft werden kann, insbesondere darauf, ob der Tatrichter Tatsachen außer Acht gelassen oder nicht vollständig gewürdigt hat (, BauR 1996, 704 = ZfBR 1996, 267).
Unter Berücksichtigung der zwischen den Parteien bestehenden Kooperationspflichten (vgl. dazu , BGHZ 143, 89, 93; vom - VII ZR 143/02, NJW 2003, 2678 = ZfBR 2003, 567 = BauR 2003, 1207 = NZBau 2003, 497) war die Klägerin gehalten, sich zunächst um eine einvernehmliche Beilegung des noch bestehenden Konflikts zu bemühen und durfte nicht fristlos kündigen. Da nach den Feststellungen des Berufungsgerichts der Beklagte erhebliche Bedenken haben konnte, ob auf das Vorhaben die Vorschriften über die Mindestdämmung der Heizungsanlagen-Verordnung anwendbar waren, deren Nichtbeachtung für den Beklagten mit der Gefahr eines Bußgeldes verbunden war, durfte die Klägerin sich nicht einerseits mit einer geringeren Dämmung einverstanden erklären, andererseits aber den Beklagten auf die Anwendung der Heizungsanlagen-Verordnung verweisen. Jedenfalls aus revisionsrechtlicher Sicht ist es nicht rechtsfehlerhaft, dass das Berufungsgericht bei diesem Sachverhalt kein schuldhaftes Verhalten des Beklagten darin gesehen hat, dass er die Arbeiten nicht innerhalb der ihm gesetzten kurzen Frist wieder aufgenommen hat.
Da es an einem schuldhaften Verhalten des Beklagten fehlt, hat die Klägerin keinen Anspruch auf Erstattung der im Revisionsverfahren noch weiter geltend gemachten Fertigstellungsmehrkosten.
2. Die Klägerin konnte daher auch nicht gegen den vom Berufungsgericht auf die Widerklage hin zuerkannten Teilbetrag der Vergütungsforderung des Beklagten aufrechnen.
Lediglich in Höhe von 290,11 € hat die Anschlussrevision Erfolg, soweit sie sich gegen die Widerklageforderung richtet. Denn soweit das Berufungsgericht einen Betrag von 7.986,57 € aufgrund der eigenen Berechnung der Klägerin zuerkennt, weist die Berechnung einen Fehler auf.
Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts hat die Klägerin nicht einen Vergütungsanspruch von netto 13.465,84 DM, sondern von 12.976,69 DM berechnet. Das Berufungsgericht hätte daher mit der gegebenen Begründung lediglich einen Betrag von 7.696,46 € zuerkennen dürfen (12.976,69 DM + 16 % Mehrwertsteuer/2.076,27 DM = 15.052,96 DM = 7.696,46 €).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW-RR 2007 S. 1317 Nr. 19
WM 2007 S. 1714 Nr. 36
OAAAC-49604
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja