Vorliegen einer Überraschungsentscheidung; Anforderungen an die Darlegung einer Divergenz
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2; FGO § 76 Abs. 2; FGO § 96 Abs. 2
Instanzenzug:
Gründe
Die Beschwerde ist nicht begründet, soweit die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) einen Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) geltend macht, weil sie ihren Anspruch auf rechtliches Gehör durch eine Überraschungsentscheidung verletzt sieht. Im Übrigen ist die Beschwerde unzulässig; die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) hat die Klägerin nicht hinreichend dargelegt.
1. Überraschungsentscheidung
a) Aus § 76 Abs. 2 FGO und aus dem Recht der Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 des Grundgesetzes —GG—, § 96 Abs. 2 FGO) kann sich die Verpflichtung des Finanzgerichts (FG) zu Hinweisen an die Beteiligten ergeben. Beide Regelungen ergänzen und überschneiden sich (Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 76 FGO Rz 98). Eine Verletzung des Rechts auf Gehör kann vorliegen, wenn das Gericht einen bisher nicht erörterten Gesichtspunkt zur Grundlage der Entscheidung macht, der dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens und unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht hat rechnen müssen (Senatsbeschluss vom IV B 114/03, juris, unter I.2.b der Gründe).
Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt indes nicht vor, wenn das FG das angefochtene Urteil auf einen rechtlichen Gesichtspunkt gestützt hat, der im bisherigen Verfahren zumindest am Rande angesprochen worden ist (, BFH/NV 2000, 448, m.w.N.; ferner , BFH/NV 2003, 1058, 1059, m.w.N.).
b) Im Streitfall handelt es sich danach nicht um eine unzulässige Überraschungsentscheidung. Zwar hatte der Berichterstatter in dem Erörterungsschreiben vom zu erkennen gegeben, dass er die Klage wegen der fehlenden Voraussetzungen für eine Aktivierung der Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche —wie die Klägerin geltend gemacht hatte— nach Berichtigung der Rechnungen, die zu den Umsatzsteuer-Nachforderungen geführt hatten, für erfolgversprechend hielt. An dieser Beurteilung der Aktivierungsvoraussetzungen hatte er auch in dem weiteren Schreiben vom festgehalten.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) hatte jedoch in seiner Stellungnahme vom u.a. ausdrücklich die Auffassung vertreten, dass die Umsatzsteuer-Nachforderungen nach dem (BFHE 197, 394, BStBl II 2002, 731) in den Streitjahren (1995 bis 1997) noch nicht passiviert werden dürften. Diese Frage hat der Berichterstatter im Schreiben vom ausdrücklich als noch nicht geklärt bezeichnet und die Klägerin um eine Stellungnahme zu konkreten Hinweisen für eine Passivierbarkeit der Umsatzsteuer-Nachforderungen gebeten.
Bei dieser Sachlage mag die Klägerin zwar überrascht über den Ausgang des Verfahrens gewesen sein. Sie hatte jedoch ausreichend Gelegenheit, sich zu den nach Auffassung des FG für die Abweisung der Klage letztlich maßgeblichen Gründen zu äußern. Ausweislich der Akten hat sie davon im Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom —wenn auch kurz— Gebrauch gemacht. Bei dieser Sachlage kann von einer unzulässigen Überraschungsentscheidung nicht die Rede sein. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Klägerin den Verzicht auf mündliche Verhandlung nach dem Schreiben des Berichterstatters vom erklärt hatte. Denn die damit verbundenen Konsequenzen mussten ihr klar sein (vgl. , BFHE 185, 379, BStBl II 1998, 539, unter II.1. der Gründe).
2. Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
a) Die Zulassung der Revision wegen dieses Zulassungsgrundes setzt entsprechend der früheren Divergenzrüge voraus,
· dass das FG in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Gerichts abgewichen ist,
· dass dabei über dieselbe Rechtsfrage entschieden wurde und diese für beide Entscheidungen rechtserheblich war,
· dass die Entscheidungen zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sind,
· dass die abweichend beantwortete Rechtsfrage im Revisionsverfahren geklärt werden kann und
· dass eine Entscheidung des BFH zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich ist (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 48).
b) Nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO müssen diese Voraussetzungen in der Begründung der Beschwerde dargelegt werden.
aa) Dazu ist es erforderlich, dass sowohl das Urteil, von dem die Vorinstanz abgewichen sein soll, als auch der Rechtssatz, den das FG falsch ausgelegt oder angewandt haben soll, bezeichnet werden (vgl. u.a. Senatsbeschlüsse vom IV B 61/04, BFH/NV 2006, 85, und vom IV B 67/04, BFH/NV 2006, 234, m.w.N.; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 41). Aus der Beschwerdebegründung muss sich ergeben, in welcher konkreten Rechtsfrage das FG nach Ansicht des Beschwerdeführers von der Rechtsprechung des BFH abgewichen ist.
bb) Dafür genügt das Vorbringen nicht, das FG habe den Sachverhalt falsch gewürdigt oder in seiner Entscheidung einen vom BFH oder einem anderen Gericht aufgestellten abstrakten Rechtssatz —ohne dessen Richtigkeit in Frage zu stellen— im Ergebnis falsch auf den konkreten Sachverhalt angewendet (Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 42). Denn eine fehlerhafte Einzelfallentscheidung vermag die Notwendigkeit einer BFH-Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung grundsätzlich nicht zu begründen.
c) Danach fehlt es an der erforderlichen Darlegung einer Divergenz.
aa) In der Beschwerdebegründung hat die Klägerin geltend gemacht, das FG habe „die vom BFH herausgearbeiteten Grundsätze im Sinne der erforderlichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Aktivierung einer Forderung durch einen bilanzierenden Kaufmann nicht beachtet”. Darauf kam es jedoch ausgehend von der Rechtsansicht des FG nicht an. Denn es hat die Klageabweisung mit den fehlenden Voraussetzungen für die Passivierung der Umsatzsteuer-Nachforderungen begründet.
bb) In dem ergänzenden Schriftsatz vom rügt die Klägerin darüber hinaus in allgemeiner Form, das FG habe „gegen handelsrechtliche Bilanzierungsgrundsätze und die dazu vom BFH aufgestellten Leitlinien zu den Problemfeldern Wertaufhellung/Wertbegründung/Bilanzberichtigung” verstoßen, indem es die Passivierungsfähigkeit der Umsatzsteuer-Nachforderungen 1995 bis 1997 im Wege der Bilanzberichtigung verneint habe. Damit behauptet die Klägerin zwar eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch das FG. Das genügt jedoch zur Darlegung des Revisionszulassungsgrundes der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht. Einander widersprechende Rechtssätze ergeben sich aus den Darlegungen der Klägerin nicht. Auch fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der vom FG zur Stützung seiner Rechtsansicht angeführten Rechtsprechung.
d) In der Sache rügt die Klägerin im Wesentlichen eine unzutreffende Anwendung der handelsrechtlichen Bilanzierungsgrundsätze im Streitfall. Damit wird jedoch die Notwendigkeit einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht dargetan. Ein materiell-rechtlicher Fehler führt grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision, es sei denn, es handelte sich um einen offensichtlichen Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzwidrigen Entscheidung (vgl. u.a. , BFH/NV 2003, 1445; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 25 und 43, m.w.N.). Ein solcher qualifizierter Rechtsanwendungsfehler ergibt sich jedoch aus dem Vortrag der Klägerin nicht.
Fundstelle(n):
YAAAC-49109