BFH Beschluss v. - III B 36/06

Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und zur Rechtsfortbildung; offensichtlicher Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2; FGO § 116 Abs. 3 Satz 3

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erhielt für ihren am geborenen Sohn Kindergeld. Mit Bescheid vom hob die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) die Kindergeldfestsetzung ab August 2003 auf, da die voraussichtlichen Einkünfte und Bezüge des Sohnes nach Vollendung seines 18. Lebensjahres im Zeitraum August bis Dezember 2003 den anteiligen Grenzbetrag in Höhe von (7 188 € x 5/12 =) 2 995 € überschritten (§ 32 Abs. 4 Sätze 2 und 7 des EinkommensteuergesetzesEStG— in der für das Jahr 2003 geltenden Fassung). Der Bescheid wurde nicht angefochten.

Am beantragte die Klägerin erneut Kindergeld für ihren Sohn. Mit Bescheid vom lehnte die Familienkasse den Antrag ab, weil die Einkünfte und Bezüge des Sohnes im Jahr 2004 den Jahresgrenzbetrag in Höhe von 7 680 € überschritten (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der für das Jahr 2004 geltenden Fassung).

Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Sie war u.a. der Auffassung, das verfügbare Einkommen des Sohnes unterschreite den Jahresgrenzbetrag, da ihr Sohn gesetzliche Sozialversicherungsbeiträge zahle.

Mit Schreiben vom bat die Familienkasse die Klägerin unter Übersendung eines Abdrucks des (BFHE 204, 126, BStBl II 2004, 584) um Mitteilung, ob sie ihren Einspruch aufrechterhalte. Der BFH hatte dort entschieden, die Einkünfte und Bezüge des Kindes i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG seien nicht um dessen Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung zu mindern. Daraufhin nahm die Klägerin mit Schreiben vom ihren Einspruch zurück.

Mit Schreiben vom teilte die Klägerin der Familienkasse mit, sie wolle ihren „Widerspruch” aufrechterhalten. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe mit Beschluss vom 2 BvR 167/02 (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) entschieden, die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge des Kindes dürften nicht in die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einbezogen werden.

Mit Bescheid vom setzte die Familienkasse Kindergeld ab Oktober 2004 fest. Die Gewährung von Kindergeld für die Monate August 2003 bis September 2004 lehnte die Familienkasse hingegen ab, da einer Festsetzung für diesen Zeitraum die Bestandskraft des Bescheids vom entgegenstehe. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde beruft sich die Klägerin auf die Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—) und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Sie trägt im Wesentlichen vor, das Urteil des Finanzgerichts (FG) weiche vom (BFHE 210, 4, BStBl II 2005, 644) ab, nach dem eine Klagerücknahme auch dann unwirksam sei, wenn der Kläger durch eine unbewusste Irreführung zur Abgabe einer solchen Erklärung veranlasst worden sei. Im Streitfall sei die Mitteilung der Familienkasse vom —zumindest unbewusst— irreführend gewesen, da die Frage der Abziehbarkeit der Sozialversicherungsbeiträge von den Einkünften des Kindes damals noch nicht geklärt gewesen sei. Die Frage eines falschen oder zumindest missverständlichen Hinweises bei nachfolgender Einspruchsrücknahme und der nachfolgenden Durchbrechung der hieraus resultierenden Bestandskraft sei für eine Vielzahl von Fällen bedeutsam.

II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 132 FGO).

1. Die Revision ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) zuzulassen.

Die von der Klägerin behauptete Abweichung des FG-Urteils von der Entscheidung des BFH in BFHE 210, 4, BStBl II 2005, 644 liegt nicht vor, weil dem Urteil des FG kein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde liegt (vgl. z.B. , BFH/NV 2002, 1046, m.w.N.).

In dem vom BFH in BFHE 210, 4, BStBl II 2005, 644 entschiedenen Fall hatte der Kläger seine Klage zurückgenommen, weil der Vorsitzende Richter des angerufenen FG dem Kläger den unzutreffenden Hinweis gegeben hatte, gegen die Zulässigkeit der Klage bestünden Bedenken, und weil er eine Abweisung der Klage als unzulässig in Aussicht gestellt hatte. Im Streitfall hat die Familienkasse der Klägerin jedoch keinen unzutreffenden Hinweis über die Erfolgsaussichten des Einspruchs erteilt. Die Familienkasse hat der Klägerin mit Schreiben vom lediglich das BFH-Urteil in BFHE 204, 126, BStBl II 2004, 584 zur Kenntnis gegeben und um Mitteilung gebeten, ob der Einspruch aufrecht erhalten werde. Dieses BFH-Urteil enthielt die von der Familienkasse zum damaligen Zeitpunkt zu beachtende höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage, ob die Einkünfte und Bezüge des Kindes um dessen Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung zu mindern sind.

Soweit die Klägerin eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch das FG rügt, kann damit —entgegen ihrer Auffassung— die Zulassung der Revision nicht erreicht werden (vgl. z.B. , BFH/NV 2002, 1331, m.w.N.). Zwar kann ausnahmsweise ein offensichtlicher Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzeswidrigen Entscheidung zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO führen (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom III B 171/05, BFH/NV 2006, 2307, m.w.N.). Ein derartig schwerwiegender Rechtsanwendungsfehler liegt im Streitfall aber nicht vor.

2. Soweit sich die Klägerin auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und die Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) beruft, hat sie diese Zulassungsgründe nicht ordnungsgemäß dargelegt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

Bei dem Zulassungsgrund der Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts handelt es sich um einen Spezialtatbestand der Grundsatzrevision (vgl. , BFH/NV 2003, 792). Beide Zulassungsgründe setzen deshalb die Darlegung einer klärungsbedürftigen und klärbaren Rechtsfrage voraus. Im Streitfall fehlt es bereits an der Darlegung einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage. Mit ihrem Vortrag, die Frage eines falschen oder zumindest missverständlichen Hinweises bei nachfolgender Einspruchsrücknahme und der nachfolgenden Durchbrechung der hieraus resultierenden Bestandskraft sei für eine Vielzahl von Fällen bedeutsam, behauptet die Klägerin letztlich nur eine grundsätzliche Bedeutung, was jedoch nicht genügt.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1518 Nr. 8
GAAAC-49102