Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Instanzenzug:
Gründe
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war Geschäftsführer einer GmbH und wurde vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) wegen rückständiger Steuerschulden der GmbH als Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Nachdem das FA die Haftungsschuld um einen Teilbetrag reduziert hatte, nahm der Kläger seinen gegen den Haftungsbescheid eingelegten Einspruch zurück und stellte zugleich den Antrag, ihm die restliche Haftungsschuld zu erlassen. Dies lehnte das FA jedoch ab. Einspruch und Klage gegen den ablehnenden Bescheid hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, dass Ermessensfehler des FA nicht zu erkennen seien. Die Ablehnung des Erlasses durch das FA wegen fehlender sachlicher Unbilligkeit und wegen fehlender Erlassbedürftigkeit sei nicht zu beanstanden. Das FA habe auch keinen Ermessensfehlgebrauch dadurch begangen, dass es in den Verfahrensakten Radierungen vorgenommen habe. Denn dies würde voraussetzen, dass aus den Radierungen der Schluss gezogen werden könne, dass der Einspruchsentscheidung andere, als dort dargelegte Argumente zugrunde gelegen hätten. Hierfür sei aber nichts ersichtlich, die vom Kläger hierzu vorgetragenen Argumente seien reine Spekulation. Soweit die Radierungen nicht vollständig seien, bestätigten sie im Übrigen den Vortrag des FA, dass die Bleistiftnotizen keine neuen Sachverhalte beträfen, sondern Hinweise auf den Akteninhalt an anderer Stelle oder Unterstreichungen darstellten.
Mit seiner gegen die Nichtzulassung der Revision gerichteten Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—), zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) und wegen Vorliegens eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Das FG sei in seiner Überzeugungsbildung von einem Sachverhalt ausgegangen, der nicht durch ausreichende Tatsachen getragen werde. Dies stelle einen Verstoß gegen die freie Beweiswürdigung nach § 96 Abs. 1 FGO dar. Es bestehe die Möglichkeit, dass Bleistiftnotizen ausradiert worden seien, die andere Argumente für die Ermessensausübung enthielten. Hätte das FG die Radierungen angemessen gewürdigt, hätte es zugunsten des Klägers von einem Ermessensfehlgebrauch bzw. einer Ermessensreduzierung auf Null ausgehen müssen. Ein vergleichbarer Fall sei bisher vom Bundesfinanzhof (BFH) noch nicht entschieden worden, weshalb die Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts notwendig sei. Im Übrigen komme den Fragen grundsätzliche Bedeutung zu, wie sich Radierungen bzw. Manipulationen in den Verfahrensakten auf die rechtliche Beurteilung von Ermessensentscheidungen auswirkten und wie es im Rahmen der sachlichen Billigkeitserwägungen nach § 227 der Abgabenordnung (AO) zu berücksichtigen sei, wenn die Finanzbehörde zwar keine falsche Auskunft erteile, jedoch eindeutig zu verstehen gebe, dass der Einspruch keine Erfolgsaussicht verspreche und somit der Einspruchsführer zur Rücknahme des Rechtsmittels veranlasst werde.
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Denn der Kläger hat keinen der in § 115 Abs. 2 FGO aufgeführten Zulassungsgründe in der nach Art. 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Weise darzulegen vermocht.
1. Soweit der Kläger einen Verstoß des FG gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung bzw. gegen den klaren Inhalt der Akten geltend macht, rügt er im Kern seines Vorbringens eine seiner Ansicht nach fehlerhafte Beweiswürdigung. Denn das FG hat die Radierungen nicht unberücksichtigt gelassen, sondern sie einer beweisrechtlichen Würdigung unterzogen. Allerdings ist das FG nicht zu den vom Kläger gewünschten Schlussfolgerungen gekommen, sondern hat in den noch vorhandenen und nur unvollständig ausradierten Bleistiftnotizen den Vortrag des FA bestätigt gefunden, dass es sich um Hinweise auf bestimmte Aktenbestandteile oder Unterstreichungen handelt. Dagegen wendet die Beschwerde ein, dass das FG die festgestellten Radierungen nicht angemessen gewürdigt habe. Mit einer Rüge der fehlerhaften Beweiswürdigung kann ein Verfahrensfehler jedoch nicht begründet werden, denn eine solche ist dem materiellen Recht zuzuordnen (BFH-Entscheidung vom V B 82/04, BFH/NV 2005, 568, m.w.N.).
2. Auch die grundsätzliche Bedeutung der von ihm aufgeworfenen Rechtsfragen hat der Kläger nicht ausreichend dargelegt. Für die nach § 116 Abs. 3 Satz 1 und 3 FGO zu fordernde Darlegung der Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) muss der Beschwerdeführer konkret auf eine Rechtsfrage und ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen. Er muss zunächst eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalles erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Erforderlich ist darüber hinaus ein konkreter und substantiierter Vortrag aus dem ersichtlich wird, warum im Einzelnen die Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei muss es sich um eine für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln, die klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom VII B 196/03, BFH/NV 2004, 232, und vom VII B 203/02, BFH/NV 2003, 527, m.w.N.).
a) Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht, denn mit der bloßen Behauptung, dass sich die Rechtsfrage nicht nur auf Einzelfälle beziehe, wird die Bedeutung für eine Vielzahl gleich liegender oder vergleichbarer Fälle noch nicht substantiiert belegt (, BFH/NV 2002, 1616).
Entgegen der Behauptung des Klägers, dass sich die Rechtsfrage, wie sich Radierungen bzw. Manipulationen in den Verfahrensakten auf die rechtliche Beurteilung von Ermessensentscheidungen auswirken, nicht auf den konkreten Einzelfall erschöpft, lässt sich die aufgeworfene Rechtsfrage nicht allgemeingültig beantworten. Denn es kommt sehr wohl auf die konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalles an, ob sich solche Radierungen nach ihrem Umfang und nach dem vermuteten Inhalt der ausradierten Bleistiftnotizen auf die getroffene Verwaltungsentscheidung ausgewirkt haben können. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass sich die Frage ausdrücklich auf Ermessensentscheidungen bezieht, die nur einer eingeschränkten revisionsrichterlichen Kontrolle zugänglich sind. Auch bei der Beurteilung von Ermessensentscheidungen sind die einzelfallbezogenen Umstände des jeweiligen Streitfalles bedeutsam.
Gleiches gilt für die Frage, wie im Rahmen der sachlichen Billigkeitserwägungen nach § 227 AO der Umstand zu bewerten sei, dass die Finanzbehörde dem Einspruchsführer zu verstehen gebe, dass der Einspruch keinen Erfolg verspreche und ihn zur Rücknahme des Rechtsbehelfs veranlasse. Denn auch bei einer nach § 227 AO zu treffenden Billigkeitsmaßnahme handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Im Übrigen vermag die Beschwerde nicht zu belegen, dass sich die auf die besonderen Umstände des Streitfalles bezogene Rechtsfrage in einer Vielzahl von Fällen stellt.
b) Schließlich kann der Vortrag, dass die Rechtsfragen in der bisherigen Rechtsprechung noch nicht entschieden worden seien, nicht als ausreichend angesehen werden, um ihre grundsätzliche Bedeutung darzulegen (BFH-Entscheidung vom VIII B 72/96, BFH/NV 1997, 882). Der Hinweis, dass die Beantwortung für den steuerpflichtigen Bürger von außerordentlicher Wichtigkeit sei, vermag die zu fordernde Darlegung nicht zu ersetzen.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1520 Nr. 8
RAAAC-48524