Handlungsempfehlungen und Checklisten für den Arbeitgeber nach den Grundsätzen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)
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I. HANDLUNGSPFLICHTEN DES ARBEITGEBERS
Der Arbeitgeber hat grundsätzlich in allen Phasen, die ein Arbeitsverhältnis durchlaufen kann, die Pflicht, Benachteiligungen wegen der in § 1 AGG genannten Kriterien zu verhindern oder zu beseitigen. Betroffen ist damit der Zeitraum von der Ausschreibung einer zu besetzenden Stelle, über die Besetzung dieser Stelle, über den Zeitraum des Bestands des Arbeitsverhältnisses bis hin zu dessen Beendigung.
Der Arbeitgeber muss daher Vorkehrungen dafür treffen, seine Personalarbeit diskriminierungsfrei zu gestalten. Es müssen nicht nur alle Maßnahmen vermieden werden, die unmittelbar im Sinne des AGG benachteiligend sein können. Es ist vor allem sicherzustellen, dass keine Indizien geschaffen werden, aus denen möglicherweise auf eine Benachteiligung geschlossen werden könnte. Kann der Beschäftigte das Vorliegen derartiger Indizien beweisen, die eine Benachteiligung vermuten lassen, so schlägt die Beweislast zu Lasten des Arbeitgebers um.
1. Stellenausschreibungen
§ 11 Abs. 1 AGG verpflichtet den Arbeitgeber zu (geschlechts-)neutraler Stellenausschreibung. So sollte z. B. eine klassische Bewerbermappe mit Lichtbild und Alters- und Familienstandsangaben sowie einer Aussage zur Nationalität nicht mehr gefordert werden. Stellenausschreibungen sollten auf diskriminierende Formulierungen überprüft werden. Die Stellenausschreibung darf nur solche Anforderungen enthalten, die für die Stelle tatsächlich erforderlich sind. Ist für die Besetzung einer Stelle eine Eigenschaft (wie z. B. die besondere Beherrschung einer bestimmten Sprache) eine unabdingbare Voraussetzung, so sollte diese spezielle Stellenanforderung mit einer Begründung versehen werden. Eventuell könnte die Stelle von vornherein nur gegenüber einem dafür geeigneten Bewerberkreis ausgeschrieben werden. Auswahlkriterien und Ergebnisse für den Fall späterer Streitigkeiten müssen ausreichend dokumentiert werden. Sofern sich der Arbeitgeber hierbei eines Dritten, z. B. einer Personalagentur bedient, so hat er die Ordnungsmäßigkeit der Ausschreibung des Dritten zu überwachen. Eine etwaige Pflichtverletzung dieses Dritten kann dem Arbeitgeber zugerechnet werden.
2. Einstellungsentscheidung
Die Einstellungsentscheidung darf nicht auf eines der Diskriminierungsmerkmale gestützt werden. Der Arbeitgeber muss darlegen und beweisen können, dass letztlich nur die bessere Qualifikation, bezogen auf die konkrete Anforderung der besetzten Stelle, ausschlaggebend war. Deshalb sollte dokumentiert werden, welche Erwägungen der Arbeitgeber seiner Auswahl zugrunde gelegt hat. Zu hinterfragen und gegebenenfalls neu zu überarbeiten sind daher vorhandene Personalfragebögen, Auswahlrichtlinien oder Beurteilungssysteme, die auch bei Beförderungen Anwendung finden. Ein Einstellungsgespräch sollte auf Arbeitgeberseite immer zu zweit geführt werden. Die Unternehmensvertreter, die die Bewerbungsgespräche führen, sollten insbesondere zu den bestehenden Fragerechten geschult werden und den zulässigen Umfang des Fragerechts einhalten. Verboten sind unseres Erachtens Fragen nach dem Lebensalter, nach einer Schwangerschaft, nach dem Familienstand, nach der Sicherstellung der Betreuung von Kindern/Angehörigen, nach einer Schwerbehinderung, nach einer konkreten körperlichen Einschränkung etc. Fragen und Antworten im Bewerbungsgespräch müssen sorgfältig dokumentiert werden. Um abgelehnten Bewerbern möglichst keine Anhaltspunkte für eine Benachteiligung zu liefern, muss das Ablehnungsschreiben knapp und ohne Angabe von Gründen formuliert sein. Mündliche Auskünfte sollten überhaupt nicht erteilt werden.
3. Durchführung des Arbeitsverhältnisses
Anzuraten ist eine Überprüfung sämtlicher Arbeitsverträge und kollektivrechtlicher Vereinbarungen, so insbesondere von Betriebsvereinbarungen im Hinblick auf unzulässige Benachteilungen nach dem AGG. Bei Beförderungen sollte man darauf achten, dass man keine Angriffsfläche für Benachteiligungsvorwürfe des nicht beförderten Arbeitnehmers bietet. Am sichersten erscheint es, auf objektivierte Kriterien zurückzugreifen. Diese könnten z. B. in beruflicher Qualifikation, Arbeitsleistung, Aufgabenstellung im Unternehmen oder Bestand des Arbeitsverhältnisses an einem bestimmten Stichtag liegen.
Gleiches gilt bei Qualifizierungsmaßnahmen: Bestehende Vergütungsvereinbarungen sollten insbesondere dahingehend überprüft werden, ob mittelbare Diskriminierungen aufgrund Geschlechts oder Alters für einzelne Personengruppen bestehen.
Für den Arbeitgeber wird es künftig von besonderer Bedeutung sein, sämtliche personalpolitischen Maßnahmen nachvollziehbar zu dokumentieren. Aus seinen Aufzeichnungen sollte sich ergeben, welches die maßgeblichen Gründe für bestimmte personalpolitische Entscheidungen waren. Ferner sollte immer erkennbar sein, welche Personen an Bewerbungsverfahren, Mitarbeitergesprächen, Auswahlverfahren etc. auf Seiten des Arbeitgebers teilgenommen haben.
4. Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Obwohl das AGG im Hinblick auf eine Anwendung seiner Bestimmungen im Falle der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses widersprüchlich formuliert ist, sollte auch hier vorsichtshalber und aus Gründen der Beweisbarkeit eine interne Dokumentation der Gründe vorgenommen werden, weshalb das Arbeitsverhältnis beendet wurde. Es ist nicht auszuschließen, dass gerade bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen in Kündigungsschutzprozessen zukünftig angebliche Diskriminierungen zum Gegenstand der Verfahren gemacht werden. Dies gilt besonders, wenn eine Kündigung außerhalb des allgemeinen Kündigungsschutzes ausgesprochen wird, d. h. bei Kleinbetrieben oder innerhalb der Wartezeit des Kündigungsschutzgesetzes von derzeit noch 6 Monaten.
5. Organisationspflichten des Arbeitgebers
§ 12 AGG verpflichtet den Arbeitgeber, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen zu treffen. Als Erfüllung dieser Pflicht benennt § 12 Abs. 2 AGG die Durchführung von Schulungen. Zu beachten ist, dass die Schulung von Beschäftigen ohne Weisungsbefugnis letztlich inhaltlich anders gestaltet sein muss als diejenige von Beschäftigten mit Weisungsbefugnis.
Betriebsräte dürften darüber hinaus nochmals gesteigerten Schulungsbedarf haben. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang auch, dass sämtliche Organisationsmaßnahmen nach § 12 AGG i. d. R. ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG auslösen.
Den Arbeitgeber trifft des Weiteren die Pflicht, eine Beschwerdestelle einzurichten und die Beschäftigten über diese und über das AGG zu informieren.
Zu denken ist des Weiteren an die Überarbeitung bestehender Betriebsordnungen dahingehend, dass Verhaltensregeln im Diskriminierungsfalle verbindlich aufgestellt werden.
Schließlich hat der Arbeitgeber Benachteiligungen von Beschäftigten durch Beschäftigte in geeigneter Weise zu sanktionieren, wie z. B. durch Abmahnungen, Umsetzungen etc.
Zusätzlich obliegt ihm der Schutz seiner Beschäftigten bei Belästigung durch betriebsfremde Dritte. Hier kann es zu schwer lösbaren Konflikten innerhalb von Lieferanten- oder Kundenbeziehungen kommen.
II. CHECKLISTE: Organisationspflichten des Arbeitgebers gemäß AGG
Der Arbeitgeber muss erforderliche Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen ergreifen (auch vorbeugend – § 12 Abs. 1 AGG).
Der Arbeitgeber soll in geeigneter Weise auf Unzulässigkeit von Benachteiligungen hinweisen und darauf hinwirken, dass diese unterbleiben (z. B. in Form von Schulungen – § 12 Abs. 2 AGG);
das Abhalten von Schulungen gilt als Erfüllung der Pflicht nach § 12 Abs. 1 AGG, daher sind regelmäßige Schulungen aller Beschäftigten und besonders der Führungskräfte sinnvoll.
Der Arbeitgeber muss bei Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot im Einzelfall entsprechende Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung und Kündigung ergreifen (§ 12 Abs. 3 AGG);
Entkräften des Vorwurfs des Entstehens von Belästigungen (§ 3 Abs. 3 AGG).
Der Arbeitgeber muss auch dann Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligung ergreifen, wenn diese von Dritten ausgeht (§ 12 Abs. 4 AGG).
Der Arbeitgeber muss den Text des AGG, den Text des § 61 b Arbeitsgerichtsgesetzes (Klagefrist von drei Monaten) sowie Informationen über die zuständigen Beschwerdestellen (z. B. Vorgesetzter, Personalabteilung) im Betrieb bekannt machen (Aushang, Auslegung, Intranet).
III. CHECKLISTE: Allgemeine Handlungsempfehlungen an den Arbeitgeber
Dokumentation der Personalentscheidung in Personalakte/Hinzuziehung von Zeugen bei Auswahl- und Personalgesprächen.
Aufbewahrung von Bewerbungsunterlagen für die Dauer von mindestens drei Monaten nach Zugang der Ablehnung (zeitliche Beschränkung Bewerbungsfrist).
Prüfung individual- und kollektivrechtlicher Vereinbarungen.
Abschluss einer Gleichbehandlungs-/Antidiskriminierungsvereinbarung unter Einbeziehung des Betriebsrates.
Gegebenenfalls Einführung eines Diversity Controlling (Erfassung von Repräsentation und Entwicklung der verschiedenen Gruppen im Unternehmen – z. B. Frauen als Führungskräfte).
IV. CHECKLISTE: Besondere Handlungsempfehlungen an den Arbeitgeber bei Arbeitsbedingungen
Altersstufen im Tarifvertrag (Vergütung/Urlaub);
nach AGG erlaubt, wenn sachliche Rechtfertigung.
In das Ermessen des Arbeitgebers/Abteilungsleiters gestellte Bonussysteme;
Vergabe muss fachlich begründet werden.
Vergütungsspannen;
Gehaltsfestsetzungen müssen sachlich/fachlich nachvollziehbar sein.
Vergütungsanpassungen;
fachlich begründen.
Mindestalter/Mindestbetriebszugehörigkeit als Zugangsvoraussetzung z. B. für die betriebliche Altersversorgung, Mitarbeiterbeteiligung etc.;
nicht ausschließlich an das Lebensalter koppeln, sondern eher an Betriebszugehörigkeit, da dann sachliche Rechtfertigung „Belohnung für Betriebstreue” besteht.
Dienstreise- und Firmenwagenregelungen, Sonderurlaub;
sachliche Unterscheidung finden.
Beurteilungen (Leistung und Fähigkeit), Beförderungen;
Verfahren und Entscheidung nachvollziehbar ausgestalten und dokumentieren.
Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahen, Versetzungen, Personalentwicklungsprogramme;
sachliche Unterscheidungen finden, Vorsicht bei Altersgrenzen und Teilzeit.
Arbeitszeitregelungen (insbesondere Samstagsarbeit, Gebetszeiten);
im Hinblick auf Religion und Geschlecht (Vorsicht wegen Teilzeit) möglichst einvernehmlich gestalten.
Bekleidungsvorschriften (z. B. Kopftuch) Rechtfertigung durch wirtschaftliche Interessen;
sachliche Gründe: Unfallverhütung/Reinheit.
Mutterschutz und Elternzeit;
keine Negativauswirkung auf andere Systeme.
Sozialauswahl bei Kündigungen und Restrukturierungsmaßnahmen;
Vorsicht im Hinblick auf Alter und Unterhaltspflichten.
Sozialplanabfindungen, Staffelung nach Alter/Betriebszugehörigkeit, Höchstgrenzen;
nach AGG zulässig, aber Abwägung mit Schutzbedürfnis jüngerer Beschäftigter.
V. CHECKLISTE: Maßnahmen zum Schutz vor Inanspruchnahme wegen Diskriminierung
Durchführung von Schulungen.
Überwachung;
„Frühwarnsystem”: Sensibilisierung der Führungskräfte, „Antidiskriminierungs-Hotline”?
Schulung und Überwachung schließen eine Haftung für den Erstverstoß in der Regel aus.
Inhalt und Umfang von Schulungen;
alle Beschäftigte, auch Neueintritte;
keine juristische Belehrung, sondern Vermittlung ethischer Maßstäbe;
aber: Vollständig im Sinne des AGG, d. h. alle Benachteiligungsgründe (§ 1 AGG) und alle verbotenen Handlungen ( § 3 AGG);
Einbindung in betriebliche Aus- und Fortbildung zulässig (Achtung: Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 98 BetrVG).
Ob nur „schriftliche Schulung” genügt, ist unklar.
Dauer und Turnus: unklar;
Ausgabe von vollständigen Schulungsunterlagen zu Dokumentationszwecken;
Anwesenheitsliste mit Teilnahmezertifikat für Schulungen.
Reaktionspflichten;
Reaktionspflichten bestehen grundsätzlich erst bei Nachweis einer verbotenen Benachteiligung (Ausnahme: besonders schwere Fälle);
nach der Generalklausel in § 12 Abs. 1 AGG ist der Arbeitgeber aber verpflichtet, dem Verdacht einer Benachteiligung nachzugehen.
Praktische Umsetzung:
Erstellung von Reaktionsmustern für Verdachtsfälle.
Feststellung von Zuständigkeiten bereits im Vorfeld?
Notwendig ist ein vollständiger „Compliance Check”, da die Anwendung einer bestehenden benachteiligenden Regelung eine sofortige Haftung des Arbeitgebers auslösen kann.
Einführung eines auf das Unternehmen abgestimmten „Diversity Management”.
Fundstelle(n):
NAAAC-47776