Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Instanzenzug:
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes (Einzelstrafe: lebenslange Freiheitsstrafe) und wegen gefährlicher Körperverletzung (Einzelstrafe: vier Jahre Freiheitsstrafe) zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Mit seiner Revision gegen dieses Urteil rügt der Angeklagte - ohne nähere Ausführungen - die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge weitgehend Erfolg.
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte stand seit dem Jahre 2002 mit den späteren Tatopfern, den beiden polnischen Brüdern Tomasz H. und Piotr He. in Kontakt. Beide suchten Abnehmer für nach Deutschland zu schmuggelnde Zigaretten. Der Angeklagte machte sie mit Janus K. bekannt, der sich auf das Geschäft einließ. Für seine "Vermittlung" wurde der Angeklagte von den Brüdern möglicherweise damit belohnt, dass er - als an Waffen Interessierter - eine funktionsfähige halbautomatische Selbstladepistole FN, Kaliber 7,65 mm Browning, erhielt.
Der Angeklagte hatte ein gutes Verhältnis zu den späteren Tatopfern, die ihn in Abständen in Dortmund besuchten. Mehrfach kam es auch dazu, dass er seine Wohnung zur Übernachtung der beiden oder ihrer Begleitung zur Verfügung stellte. Den Brüdern ging es bei ihren Aufenthalten in Deutschland regelmäßig um die Durchführung krimineller Machenschaften.
Am Morgen des , einem Freitag, erschienen beide in Begleitung des Tadeusz M. , um das Wochenende in Dortmund zu verbringen und wiederum kriminelle Geschäfte zu tätigen. Der Angeklagte empfing sie herzlich und übergab ihnen einen Schlüssel für die Wohnung. Im Verlaufe des Samstag kam es jedoch zwischen dem Angeklagten und den Besuchern zu Spannungen und es war die Rede davon, dass sie am Abend bzw. in der Nacht wieder abreisen sollten. Sie verbrachten die Nacht außerhalb der Wohnung und kehrten am Sonntagmorgen zum Angeklagten zurück. Sie waren nun - wie sie merkten - nicht mehr willkommen, was sie aber nicht hinderte, "wie selbstverständlich zu bleiben". Sie wollten vor ihrer Abfahrt erst in der Wohnung des Angeklagten schlafen. Als die Partnerin des Angeklagten zum Ausdruck brachte, dass sie mit dem Besuch nicht einverstanden war, beleidigten die Brüder sie und He. überschüttete sie in ihrem Bett mit einem Topf voll Wasser. Der Angeklagte war über dieses Verhalten "überaus zornig", ihm war aber klar, dass er körperlich gegen die Besucher nichts ausrichten konnte. Als sich He. noch über ihn lustig machte, wurde er noch zorniger. Sein Versuch, telefonisch die Polizei herbeizurufen, beeindruckte die Brüder nicht. Einer von ihnen erklärte ihm, sie würden der Polizei sagen, seine Partnerin habe 2 kg Rauschgift in ihrer Scheide geschmuggelt; möglicherweise kündigten sie dem Angeklagten auch an, ihn beim Erscheinen der Polizei der Unterschlagung zu bezichtigen. Der Angeklagte machte daraufhin, um eine weitere Eskalation des Geschehens zu vermeiden, keinen weiteren Versuch, die Polizei herbeizurufen. Nach weiteren groben Beleidigungen der Partnerin des Angeklagten - auch in Gegenwart eines vom Angeklagten zur "Entspannung" der Situation herbeigerufenen Ehepaars, das Wodka mitbrachte, wovon getrunken wurde - legten sich die Besucher schlafen; alle drei waren übermüdet.
Die Wut und der Zorn des Angeklagten über die Beleidigungen seiner Partnerin und damit auch seiner Person hatten jetzt ein solches Maß erreicht, dass er es nicht mehr hinnehmen wollte, dass die Brüder in der Wohnung blieben. Er holte die bereits genannte Pistole, in deren Magazin sich mindestens drei Patronen befanden, lud sie durch und gab einen Schuss über die auf der Schlafcouch im Wohnzimmer schlafenden H. und M. hinweg in Richtung der in Leichtbauweise erstellten Wand ab. Das Geschoss durchschlug die Wand und blieb im Türblatt der Wohnungstür stecken. Hierdurch wachten Tadeusz M. und möglicherweise auch kurz H. auf. Falls Letzterer "kurz wach" wurde und äußerte, dass ihm der Angeklagte ruhig ins Gesäß schießen könne, "so hatte er das Geschehen in seiner Schlaftrunkenheit nicht ernst genommen. Er ging in diesem Fall nicht davon aus, dass ihm ein Angriff gegen Leib und Leben seitens des Angeklagten drohe" (UA 17 f.). He. schlief weiter. Der Angeklagte sagte dem Tadeusz M. , der aufgestanden war, sie hätten noch eine Viertelstunde Zeit; "wenn sie bis dahin nicht aufgestanden seien, werde er die anderen abknallen". M. nahm diese Ankündigung nicht ernst. Er ging ins Bad und kehrte dann wieder auf die Schlafcouch zurück, wo er möglicherweise im Sitzen "döste".
Der Angeklagte wartete die festgesetzte Viertelstunde ab. Wut und Zorn beherrschten ihn weiterhin. Er empfand es als zusätzliche Demütigung vor seiner Freundin, dass die Brüder trotz des von ihm abgegebenen Schusses nicht reagiert hatten. In dieser Gemütsverfassung entschloss er sich, sich für die Kränkungen und Demütigungen sowohl seiner Partnerin als auch ihm gegenüber zu rächen, indem er die Schusswaffe gegen die Brüder einsetzte, um dadurch gleichzeitig zu demonstrieren, dass man so nicht mit ihm umspringen könne und dass er nicht der Mann sei, der leere Drohungen ausstößt. Er hielt sein beabsichtigtes Handeln nicht für erlaubt. Ihm war bewusst, dass H. den abgegebenen Schuss nicht als ernstzunehmende Warnung vor einem Angriff gegen Leib und Leben verstanden hatte. Er wusste auch, dass beide Männer, weil sie schliefen, einem Angriff gegenüber "hilflos" sein würden. Er wollte dies zur Tatbegehung ausnutzen.
In Ausführung seines Vorhabens feuerte er aus 40 bis 60 cm Entfernung einen Schuss auf den Unterkörper des auf einem Klappbett in der Küche liegenden He. ab, wobei er es für möglich hielt, dass dieser dadurch zu Tode kommen würde. He. erlitt schwere Verletzungen. Der Angeklagte ging sodann in das Wohnzimmer, trat an den auf der Couch liegenden "nicht handlungsfähigen" H. heran und schoss mit bedingtem Tötungsvorsatz aus 20 bis 40 cm Entfernung auf dessen Oberkörper, wobei der Geschädigte einen Herzdurchschuss erlitt, an dem er binnen kurzem verstarb.
Im Anschluss daran informierte der Angeklagte telefonisch die Einsatzleitstelle der Feuerwehr von dem Geschehen, die den Notruf an die Polizei weiterleitete. He. konnte daraufhin notärztlich versorgt und sein Leben konnte gerettet werden. Zur Tatzeit war der Angeklagte nur unerheblich alkoholisiert.
2. Das Landgericht hat das Geschehen als Heimtücke-Mord (§ 211 Abs. 2 StGB) zum Nachteil des Tomasz H. und als gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nrn. 2 und 5 StGB) zum Nachteil des Geschädigten He. gewertet.
Es hat dahinstehen lassen, ob hinsichtlich des Mordmerkmals "Heimtücke" einer normativen Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Fälle berechtigter Arglosigkeit zu folgen sei (vgl. BGHSt 48, 207, 211); denn die Brüder hätten, als sie sich schlafen legten - bzw. bezüglich des Geschädigten H. im Falle seines kurzen Erwachens und Weiterschlafens - nicht mit einem Angriff gegen Leib und Leben während des Schlafs rechnen müssen. Bei der Tat zum Nachteil des He. sei der Angeklagte vom Tötungsversuch strafbefreiend zurückgetreten. Auf Notwehr wegen der Missachtung seines Hausrechts durch die Brüder könne er sich nicht berufen, weil er nicht mit Verteidigungswillen gehandelt habe. Im Hinblick auf die Beleidigungen seien die Angriffe bereits abgeschlossen gewesen und ihre Wiederholung habe auch nicht unmittelbar bevorgestanden.
3. Diese rechtliche Bewertung begegnet, soweit das Mordmerkmal der Heimtücke bejaht wurde, im Hinblick auf die Tat zum Nachteil des Tomasz H. durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil sie auf einer unzureichend festgestellten Tatsachengrundlage beruht.
a) Das Landgericht geht im Ansatz zutreffend davon aus, dass in der Regel "heimtückisch" handelt, wer einen Schlafenden tötet; denn der Schlafende ist regelmäßig arg- und wehrlos. Er überlässt sich dem Schlaf im Vertrauen darauf, dass ihm nichts geschehen werde, und in diesem Vertrauen überliefert er sich der Wehrlosigkeit (BGHSt 23, 119, 120; 32, 382, 386; BGH NStZ 2006, 338, 339). Allerdings macht die Rechtsprechung seit jeher von diesem Grundsatz Ausnahmen: So wird es etwa als zweifelhaft angesehen, ob Heimtücke vorliegt, wenn das Opfer gegen seinen Willen vom Schlaf übermannt wurde (vgl. BGHSt 23, 119, 121; ) oder wenn es auf Grund sonstiger Umstände - und nicht wegen seiner Arglosigkeit - nicht in der Lage war, die (Angriffs-) Absicht des Täters zu erkennen und dessen Angriff wirksam entgegenzutreten (vgl. BGH NStZ 1997, 490, 491: auf Grund seiner "gesundheitlichen Konstitution"; MünchKomm-Schneider § 211 Rdn. 133 m.w.N.). Maßgeblich sind jeweils die Umstände des konkreten Falles (BGHSt 48, 207, 210).
Der vom Landgericht gezogene Schluss, Tomasz H. sei arglos gewesen, als er (wieder) einschlief, ist durch die bisherigen Feststellungen nicht rechtsfehlerfrei belegt; denn mit den Besonderheiten des Falles setzt sich das Schwurgericht nicht auseinander (UA 48 f.): Der Angeklagte hatte, bevor er den Tötungsvorsatz fasste, mit der späteren Tatwaffe einen Warnschuss abgegeben. Es bleibt nach den Feststellungen offen, warum H. nach dem Schuss möglicherweise nur "kurz" aufwachte und er sofort wieder einschlief. Beruhte dies darauf, dass er infolge Übermüdung (UA 17) und Alkoholisierung (UA 15) vom Schlaf übermannt worden war, so könnte das seiner Arglosigkeit entgegenstehen; denn dann hätte er möglicherweise nur sein körperliches Unvermögen zur Abwehr eines Angriffs, nicht aber seine Arglosigkeit mit in den Schlaf genommen.
b) Zum subjektiven Tatbestand einer "heimtückisch" begangenen Tötung gehört, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tat ausnutzt (vgl. BGHSt 50, 16, 28; BGH NStZ 2005, 688, 689). Die Überzeugung des Landgerichts, dass der Angeklagte dies getan hat, ist durch die bisherigen Feststellungen ebenfalls nicht rechtsfehlerfrei belegt. Nicht fernliegend ist nämlich, dass der Angeklagte lediglich die durch den Schlaf bewirkte Wehrlosigkeit des Tatopfers ausnutzen wollte (vgl. UA 19, 54: Ausnutzen der Hilflosigkeit). Das reichte aber zur Verurteilung wegen Heimtücke-Mordes nicht aus (vgl. BGHSt 19, 321; 32, 382, 388). Auch insofern bedarf es weiterer Feststellungen.
4. Die Verurteilung wegen Mordes hat daher keinen Bestand. Dagegen begegnen der Schuldspruch wegen tatmehrheitlich begangener (vgl. BGHSt 16, 397 f.) gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Piotr He. und die insoweit verhängte Freiheitsstrafe von vier Jahren keinen rechtlichen Bedenken. Dies selbst dann, wenn der Tötungsversuch, von dem der Angeklagte strafbefreiend zurückgetreten ist, nicht "heimtückisch" begangen wurde; denn insoweit beruhte das Urteil nicht auf der entsprechenden rechtsfehlerhaften Bewertung.
5. Im Hinblick auf die Verurteilung wegen Mordes müssen die Urteilsfeststellungen aufgehoben werden. Dasselbe gilt für die Gesamtstrafe. Die Feststellungen zum Tatvor- und -nachgeschehen (UA 7 letzter Absatz bis UA 17 Ende des ersten Absatzes, UA 20 zweiter Absatz bis UA 31 Ende des ersten Absatzes) sind von den aufgezeigten Rechtsfehlern jedoch nicht berührt; sie können daher bestehen bleiben. Das gilt auch für die rechtsfehlerfrei festgestellte uneingeschränkte Schuldfähigkeit des Angeklagten (UA 57 bis UA 58 Ende des Absatzes vor VI.). Ergänzende Feststellungen sind insoweit möglich, sofern sie den bestehen bleibenden nicht widersprechen.
Soweit Feststellungen aufgehoben wurden, wird der nunmehr entscheidende Tatrichter neue Feststellungen zu treffen haben, und zwar unabhängig von den Tatsachenfeststellungen, die dem in Rechtskraft erwachsenen Urteilsteil im Hinblick auf die Tat zum Nachteil des Piotr He. zugrunde liegen.
6. Für die neue Hauptverhandlung bemerkt der Senat:
Falls die nunmehr entscheidende Schwurgerichtskammer dieselben Feststellungen trifft wie bisher, sie rechtsfehlerfrei feststellt, dass Thomasz H. arglos war, als er (wieder) einschlief, und der Angeklagte die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tat ausnutzte, stünde die in BGHSt 48, 207 abgedruckte Entscheidung des Bundesgerichtshofs einer Verurteilung wegen Heimtücke-Mordes nicht entgegen. Der Senat hat bereits Zweifel, ob er mit Blick auf möglicherweise entgegenstehende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHSt 30, 105, 114 [GS] [Kritik an einer "normativen Restriktion" des Begriffs der Arglosigkeit]; 33, 363, 364 f. [3. Strafsenat] [Arglosigkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Opfer mit einem Angriff hätte rechnen müssen]; BGH GA 1967, 244, 245 [4. Strafsenat] [Arglosigkeit auch, wenn das Opfer mit einem Angriff hätte rechnen müssen]) der in BGHSt 48, 207, 209, 211 vom 1. Strafsenat geäußerten Rechtsauffassung folgen könnte, das Mordmerkmal der Heimtücke sei einer "normativ orientierten einschränkenden Auslegung zugänglich" mit der Folge, dass - für den dort entschiedenen Fall - der Annahme heimtückischen Handelns entgegensteht, dass der später Getötete mit Gegenwehr hätte rechnen müssen (kritisch auch BGH NStZ 2005, 688, 689 [2. Strafsenat]). Der Senat muss hierzu nicht abschließend Stellung nehmen; denn die in BGHSt 48, 207 für den Fall eines gegenwärtigen erpresserischen Angriffs durch den später Getöteten bejahte Einschränkung des Begriffs der Arglosigkeit ist auf eine Fallgestaltung wie hier nicht übertragbar (vgl. auch BGHSt 48, 207, 212).
Fundstelle(n):
CAAAC-46734
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