BFH Beschluss v. - V S 34/06

Keine notwendige Beiladung des den Vorsteuerabzug begehrenden Leistungsempfängers; Zulässigkeit der Gegenvorstellung

Gesetze: FGO § 60; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3; UStG § 15

Instanzenzug:

Gründe

I. Im finanzgerichtlichen Verfahren war u.a. streitig, ob der Klägerin, Beschwerdeführerin und Antragstellerin (Klägerin) im Streitjahr 1988 der Vorsteuerabzug aus einer Rechnung des S.M. zustand. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Es sei weder davon auszugehen, dass die Gegenstände tatsächlich 1988 von S.M. geliefert worden seien, noch, dass die Rechnung vom tatsächlich im Streitjahr 1988 ausgestellt worden und der Klägerin zugegangen sei.

Mit Beschluss vom V B 155/05 (BFH/NV 2006, 2093) hat der Senat die Nichtzulassungsbeschwerde verworfen, weil die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe zum Teil nicht entsprechend den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dargelegt worden sind und im Übrigen nicht vorlagen.

Mit dem am per Fax beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangenen Schreiben vom machte die Klägerin mit der Bitte, die Sache nochmals zu überprüfen, geltend, sie habe erst jetzt erfahren, dass das FA in dem gegenüber S.M. erlassenen Umsatzsteuerbescheid für 1988 die streitige Leistung des S.M. an die Klägerin erfasst habe, und zwar ausdrücklich unter Hinweis auf die Rechnung vom an die Klägerin. Dieses widersprüchliche und entscheidungserhebliche Verhalten habe sie bisher nicht vortragen können. Unter Hinweis auf diesen Schriftsatz begehrte sie mit der „Gegenvorstellung” vom , den Sachverhalt nochmals zu überprüfen.

II. Der Rechtsbehelf der Klägerin hat keinen Erfolg.

1. Das Begehren der Klägerin, das Verfahren unter Berücksichtigung des ihr bisher nicht bekannten, ihrer Auffassung nach erheblichen Sachverhalts fortzusetzen, erhebt die Klägerin sinngemäß eine Anhörungsrüge. Dass die Klägerin ausdrücklich eine „Gegenvorstellung” erhoben hat, steht dem mit Rücksicht auf den entsprechenden Hinweis der Geschäftsstelle des erkennenden Senats nicht entgegen.

Mit der Anhörungsrüge kann die Klägerin jedoch keinen Erfolg haben.

a) Nach § 133a Abs. 1 Satz 1 FGO ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn

(1.) ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist

und

(2.) das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.

Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen (§ 133a Abs. 2 Satz 1 FGO). Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in § 133a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FGO genannten Voraussetzungen darlegen (§ 133a Abs. 2 Satz 6 FGO).

b) Der Senat lässt offen, ob die Klägerin die formellen Voraussetzungen der Anhörungsrüge erfüllt hat. Voraussetzung für den Erfolg einer Anhörungsrüge ist die Entscheidungserheblichkeit des behaupteten Verfahrensfehlers. Für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde bedeutet dies, dass das bisher nicht berücksichtigte Vorbringen die Voraussetzungen eines Zulassungsgrundes i.S. des § 115 Abs. 2 FGO erfüllen könnte. Das ist nicht der Fall.

aa) Zwar berührt der Rechtsstreit über die Berechtigung zum Vorsteuerabzug aus einer (angeblichen) Leistung —wie im Streitfall— auch die rechtlichen Interessen desjenigen, der den (angeblichen) Umsatz ausgeführt hat (vgl. zum Zusammenhang zwischen Umsatzsteuer und Vorsteueranspruch Senatsbeschluss vom V B 199/00, BFHE 194, 23, BStBl II 2001, 418); denn aus Gründen der Logik scheidet jedenfalls die Annahme aus, dass der leistende Unternehmer Umsatzsteuer für eine Lieferung an den Leistungsempfänger schuldet, dem Leistungsempfänger der Vorsteuerabzug aber deswegen versagt wird, weil der Unternehmer an ihn keine Lieferung bewirkt habe. Für die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde ist die —zutreffende oder unzutreffende— steuerrechtliche Berücksichtigung desselben Lebenssachverhalts in einem anderen Steuerbescheid, der nicht Gegenstand des Rechtsstreites ist, dann erheblich, wenn ein Fall der notwendigen Beiladung vorliegt und das FG dies übersehen hat. Dies ist nicht der Fall.

bb) Eine notwendige Beiladung nach § 60 Abs. 3 FGO setzt voraus, dass an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Eine Beiladung ist nach ständiger Rechtsprechung nur dann notwendig, wenn die Entscheidung notwendigerweise und unmittelbar Rechte Dritter gestaltet, verändert oder zum Erlöschen bringt; für eine notwendige Beiladung reicht es nicht aus, dass die für die Entscheidungen erhebliche Vorfrage, ob eine Lieferung oder sonstige Leistung tatsächlich bewirkt worden ist, logisch nur einheitlich entschieden werden kann (, BFH/NV 2003, 780). Die Entscheidung im Rechtsstreit des Unternehmers, der den Vorsteuerabzug begehrt, gestaltet nicht selbst unmittelbar die Rechtsverhältnisse des Leistenden —ebenso wie die Entscheidung im Rechtsstreit des leistenden Unternehmers nicht unmittelbar die Rechtsverhältnisse des Leistungsempfängers in Bezug auf den Vorsteuerabzug gestaltet—. Die Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung (§ 60 Abs. 3 FGO) liegen deshalb nicht vor. Das Unterlassen einer einfachen Beiladung stellt keinen Verfahrensfehler dar.

Das Vorbringen der Klägerin war deshalb für den vorliegenden Rechtstreit nicht entscheidungserheblich.

2. Der Senat kann offenlassen, ob eine Gegenvorstellung gegen Gerichtsentscheidungen, die —wie hier— die Zurückweisung oder Verwerfung einer Nichtzulassungsbeschwerde in materielle Rechtskraft erwachsen, neben der gesetzlich geregelten Anhörungsrüge (§ 133a FGO) noch statthaft ist (vgl. bereits ). Selbst wenn dies der Fall wäre, wären deren Voraussetzungen schon deshalb nicht erfüllt, weil eine Gegenvorstellung nur dann Erfolg haben könnte, wenn die beanstandete Entscheidung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar erscheint und jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt, so dass ein offensichtlicher Verstoß gegen das Willkürverbot vorliegt (vgl. , BFH/NV 2005, 2028). Dafür liegen im vorliegenden Fall jedoch keinerlei Anhaltspunkte vor.

3. An der Entscheidungserheblichkeit des Sachvortrages fehlt es auch, soweit das Vorbringen der Klägerin als Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 134 FGO i.V.m. §§ 578 ff., 580 der Zivilprozessordnung) zu verstehen sein sollte.

4. Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 133a Abs. 4 Satz 3 FGO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1348 Nr. 7
DAAAC-46281