Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StPO § 349 Abs. 2; StGB § 21
Instanzenzug:
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO, soweit es den Schuldspruch betrifft. Hingegen hat der Strafausspruch keinen Bestand.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der zur Tatzeit 36jährige Angeklagte leidet an einer Persönlichkeitsstörung, die schon in seiner Jugend zu psychischen Krisen mit Depressionen und Suizidgedanken führte. Seit 2001 befindet er sich fast durchgängig - zeitweise auch stationär - in psychiatrischer und psychologischer Behandlung, wobei es auch in dieser Zeit zu schweren Depressionen und psychischen Zusammenbrüchen kam. Diese Defizite beeinträchtigten nicht nur die persönliche, sondern auch die berufliche Lebensführung des Angeklagten, dem es trotz hoher Qualifikation und herausragender Intelligenz nicht gelang, im beruflichen Bereich dauerhaft Fuß zu fassen.
Seit Februar 2002 arbeitete er als Redakteur in einem wissenschaftlichen Verlag im Rahmen eines befristeten Arbeitsvertrages. Nach Ablauf der Probezeit von sechs Monaten erhielt er einen zweiten befristeten Arbeitsvertrag, was ihn tief enttäuschte, da er auf einen unbefristeten Arbeitsvertrag gehofft hatte. Aufgrund nachlassender Arbeitsleistungen wurden ihm auch in der Folgezeit nur befristete Arbeitsverträge angeboten. Am eröffnete ihm die Geschäftsleitung, dass sein Vertrag nicht mehr verlängert werden würde. Für diese Entwicklung machte der Angeklagte insbesondere seine Kollegin, die später geschädigte Zeugin und Nebenklägerin S. , verantwortlich, mit der er nach anfänglich guter Zusammenarbeit zunehmend fachbezogene Auseinandersetzungen hatte, wobei er sich von ihr nicht als gleichberechtigt akzeptiert fühlte. Dies führte zu anhaltenden Spannungen, die auf Betreiben des Angeklagten auch den Betriebsrat beschäftigten. Die Entscheidung der Geschäftsführung, sich von dem Angeklagten zu trennen, beruhte unter anderem darauf, dass mehrere Kollegen, darunter auch die Zeugin S. , seine Leistungen als unzureichend beurteilt hatten.
Am frühen Morgen des versetzte der Angeklagte seinem dreijährigen Sohn eine Ohrfeige, weil dieser nicht gehorchen wollte und er, der Angeklagte, selbst "schlecht drauf" war. Als sein Sohn daraufhin weinte, ergriff den Angeklagten Verzweiflung, er dachte an andere schlecht bewältigte Situationen in seinem Leben und hatte das Gefühl, alles sei wertlos (UA S.13). In diesem Gemütszustand und unter dem Eindruck der sich in beruflicher Hinsicht "überschlagenden Ereignisse in der jüngsten Zeit" beschloss er, sich an der Zeugin S. für die Nichtverlängerung seines Vertrages zu rächen und sie zu töten (UA S.13). Er fuhr zum Verlagsgebäude, betrat das Büro der Nebenklägerin, die mit dem Rücken zu ihm am Computer arbeitete, und rammte ihr das mitgeführte Küchenmesser mit einem wuchtigen Stoß etwa sieben Zentimeter tief in den Nacken. Während die Zeugin schwerverletzt zu Boden glitt, verließ der Angeklagte den Raum. Die Nebenklägerin überlebte den Messerangriff, der jedoch zu einer inkompletten Querschnittslähmung mit bleibenden erheblichen Beeinträchtigungen führte.
Das Landgericht hat die Tat des Angeklagten als versuchten Mord bewertet, weil der Angeklagte sowohl heimtückisch als auch aus niedrigen Beweggründen gehandelt habe. Sachverständig beraten hat die Strafkammer angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Ausführung der Tat nicht ausschließbar erheblich vermindert gewesen sei.
2. Der Schuldspruch wegen versuchten Mordes hält rechtlicher Überprüfung stand. Rücktritt vom Versuch liegt ersichtlich nicht vor. Bei dem gegebenen Tatbild ist auch die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke nicht zu beanstanden.
Hingegen hat die Annahme des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe keinen Bestand. Die Ausführungen, mit denen das Landgericht die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit bei der Bewertung der Tatmotivation für unbeachtlich erklärt, begegnen durchgreifenden Bedenken.
Nach den Urteilsfeststellungen leidet der Angeklagte an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit schizoiden, selbstunsicheren, zwanghaften und narzisstischen Zügen sowie einer anhaltenden Dysthymie mit anamnestisch rezidivierenden depressiven Episoden. Zudem habe bei dem Angeklagten im Tatzeitpunkt eine psychoreaktive Belastungsstörung vorgelegen, die durch die Nichtverlängerung des Vertrages ausgelöst und durch familiäre Belastungen noch begünstigt worden sei.
Im Ansatz zutreffend geht die Strafkammer zwar davon aus, dass die festgestellte Persönlichkeitsstörung und die aufgezeigten weiteren psychischen Beeinträchtigungen der Annahme der subjektiven Voraussetzungen von niedrigen Beweggründen entgegenstehen könnten, falls der Angeklagte aufgrund seines geistig-seelischen Zustandes nicht in der Lage gewesen sein sollte, die Umstände, welche die Niedrigkeit seiner Beweggründe ausmachen, in sein Bewusstsein aufzunehmen und seine gefühlsmäßigen und triebhaften Regungen entsprechend zu beherrschen und willensmäßig zu steuern (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 211 Rdn. 9b).
Die im Anschluss getroffene Feststellung, dass der Angeklagte trotz seines Zustandes die Niedrigkeit seiner Motivation erkannt habe, lässt jedoch die hierzu erforderliche Gesamtschau der Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Entwicklung wie auch der Tat selbst und des Nachtatgeschehens vermissen (vgl. Tröndle/Fischer aaO Rdn. 9c). Insoweit führt das Landgericht lediglich aus, dass trotz der Persönlichkeitsstörung die Basisfunktionen des Angeklagten intakt gewesen seien und er noch über eine gewisse Selbstregulation der Stimmung und Realitätsbezug verfügt habe. Ungeachtet seiner psychischen Befindlichkeit wäre er in der Lage gewesen, seine gefühlsmäßigen Regungen zu beherrschen.
Diese durch das Schwurgericht vorgenommene Bewertung widerspricht den ausführlichen Urteilsdarlegungen zur subjektiven Befindlichkeit des Angeklagten und entbehrt einer deswegen erforderlichen näheren Begründung. Zudem erlebte der Angeklagte vor dem Hintergrund seiner schweren Persönlichkeitsstörung durch die Nichtverlängerung seines Arbeitsvertrages eine konflikthafte Zuspitzung seiner ohnehin bereits emotional angespannten Situation und hat in dieser Phase äußerster Labilisierung eine Tat begangen, die ein irrationales Gepräge aufwies (vgl. zur Annahme von niedrigen Beweggründen bei Rachemotiven BGH NStZ-RR 2003, 147, 149 und zur dabei maßgeblichen subjektiven Sicht BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 31, 34) und in deren Folge er sich selbst der Polizei gestellt hat (UA S. 22).
Der Senat schließt angesichts der rechtsfehlerfreien, mit sachverständiger Hilfe getroffenen Feststellungen zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB aus, dass ein neues Tatgericht sich von den notwendigen subjektiven Anforderungen an niedrige Beweggründe noch wird sicher überzeugen können. Er sieht daher keinen Anlass, die Feststellungen aufzuheben. Das neue Tatgericht wird auf der Grundlage nur eines Mordmerkmals, der Heimtücke, und der sonst rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen die Strafe neu zu finden haben. Dabei wird angesichts der eindeutigen Feststellungen zum Tatbild entgegen den missverständlichen Formulierungen auf UA S. 21 von direktem Tötungsvorsatz auszugehen sein.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BAAAC-45839
1Nachschlagewerk: nein