Leitsatz
[1] a) Der Anspruch auf Prozesskostenerstattung gehört zur Insolvenzmasse, wenn der die Erstattungsforderung begründende Sachverhalt vor oder während des Insolvenzverfahrens verwirklicht wurde.
b) Es ist ausschließlich Sache des Insolvenzverwalters darüber zu befinden, ob ein zur Insolvenzmasse gehörender Gegenstand im Wege der Freigabe aus dem Insolvenzbeschlag gelöst und wieder der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners unterstellt wird.
Gesetze: InsO § 35; InsO § 36 Abs. 1 Satz 2
Instanzenzug: LG Hamburg 327 O 37/05 vom OLG Hamburg 9 U 82/05 vom
Tatbestand
Der Kläger ist Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der KG in Firma E. in Hamburg (im nachfolgenden: Schuldnerin), das am eröffnet wurde. Der Beklagte ist Komplementär der Schuldnerin, dessen Mutter Kommanditistin. Der Kläger hat die Mutter des Beklagten im Wege der Insolvenzanfechtung auf Rückzahlung eines Darlehens klageweise in Anspruch genommen. Der Beklagte ist diesem Rechtstreit auf Seiten seiner Mutter beigetreten, nachdem diese ihm den Streit verkündet hatte. Zuvor hatte der Beklagte, über dessen Vermögen am ebenfalls das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, am mit seiner Mutter vereinbart, dass sie ihm die durch Beauftragung eines Prozessbevollmächtigten entstehenden Kosten finanzieren werde. In dieser Vereinbarung hat der Beklagte für den Fall des zumindest teilweisen Obsiegens die ihm gegen den Kläger entstehenden Kostenerstattungsansprüche an seine Mutter abgetreten. Ferner wurde vereinbart, dass der Beklagte die Kostenerstattungsansprüche treuhänderisch einzuziehen habe. Das Landgericht hat die Darlehensklage abgewiesen und den Kläger zur Tragung der Kosten des Rechtstreits einschließlich der Kosten der Streithilfe verurteilt.
Zur Beendigung dieses Verfahrens haben der Kläger und die Mutter des Beklagten im Dezember 2004 einen Vergleich abgeschlossen. Danach soll die Kostenentscheidung des landgerichtlichen Verfahrens aufrechterhalten bleiben und der Kläger nach Festsetzung der Gebühren die entsprechenden Beträge ausgleichen. Ferner enthält der Vergleich eine allgemeine Abgeltungsklausel. Vor Abschluss dieses Vergleichs sind die vom Kläger an den Beklagten zu erstattenden Kosten auf 55.693,92 € festgesetzt worden. Der Beklagte hat gegen den Kläger mit der Zwangsvollstreckung aus diesem Kostenfestsetzungsbeschluss begonnen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Vollstreckungsgegenklage. Der Kläger macht geltend, der Beklagte dürfe aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss nicht vollstrecken, weil nur dessen Insolvenzverwalter über den Kostenerstattungsanspruch verfügen könne.
Das Landgericht hat der Vollstreckungsgegenklage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Gründe
Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Da der Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung trotz dessen ordnungsgemäßer Bekanntgabe nicht vertreten war, ist durch Versäumnisurteil zu erkennen. Das Urteil beruht aber nicht auf der Säumnis, sondern auf einer Sachprüfung (BGHZ 37, 79, 82).
II.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, es sei bereits fraglich, ob es sich bei dem gegen den Kläger gerichteten Kostenerstattungsanspruch um einen Neuerwerb im Sinne des § 35 InsO handele, weil mit der Forderung nur eine zuvor entstandene Verbindlichkeit ausgeglichen worden sei. Soweit von einem Vermögenswert auszugehen sei, gehöre dieser nicht zur Insolvenzmasse. Dies folge entweder daraus, dass der - erstmals im Berufungsverfahren gehaltene - Vortrag des Beklagten zutreffend sei, der Insolvenzverwalter habe den Erstattungsanspruch aus der Masse freigegeben. Sollte dies nicht der Fall sein, so stehe dem Beklagten ein entsprechender Freigabeanspruch gegenüber dem Insolvenzverwalter zu. Hierdurch werde der Kostenerstattungsanspruch dauerhaft aus der Insolvenzmasse herausgelöst. Es sei zu berücksichtigen, dass der Schuldner gegenüber dem Insolvenzverwalter einen Anspruch auf Bereitstellen von Mitteln, die aus eigener Tätigkeit herrührten, dann habe, wenn die Ausgaben die erzielten Einnahmen nicht überstiegen. Auch bei der vorliegenden Fallgestaltung sei angesichts der zuvor seitens der Mutter zur Verfügung gestellten Mittel zur Prozessführung keine Schmälerung der Insolvenzmasse ersichtlich.
Der Erstattungsanspruch werde auch nicht von der Abgeltungsklausel des zwischen dem Kläger und der Mutter des Beklagten abgeschlossenen Vergleichs erfasst. Die Vergleichsparteien seien übereinstimmend davon ausgegangen, der in Rede stehende Anspruch unterliege nicht dem Regelungsgehalt des Vergleichs. Da der Kläger die Abtretung des Kostenerstattungsanspruchs nicht gekannt habe, könne er nicht angenommen haben, dieser sei Gegenstand des Vergleiches. Die Mutter des Beklagten habe auf diesen Anspruch nicht verzichten wollen. Auch habe sie die Abtretung nicht offen legen wollen; vielmehr habe der Beklagte die Forderung treuhänderisch einziehen sollen.
III.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts gehört der Kostenerstattungsanspruch als Neuerwerb zur Insolvenzmasse.
a) Nach § 35 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Nur Gegenstände, die nicht gepfändet werden können, gehören gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht zur Insolvenzmasse (vgl. BGHZ 92, 339, 340 f; , ZIP 2006, 340, 341). Ansprüche auf Erstattung von Prozesskosten sind pfändbar, wie dies im Übrigen auch für Gebührenforderungen von Rechtsanwälten gilt (BGHZ 141, 173, 176; , ZIP 2003, 2176; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 35 Rn. 84).
b) Die Erwägung des Berufungsgerichts, hinsichtlich des Kostenerstattungsanspruches liege wegen der zuvor gewährten Prozessfinanzierung kein neu geschaffener Vermögenswert vor, greift nicht durch. Als Neuerwerb kommen vielmehr alle diejenigen nach Eröffnung des Verfahrens hinzutretende Vermögenswerte in Betracht, die, wären sie bereits bei Eröffnung des Verfahrens vorhanden gewesen, gleichfalls dem Vermögen des Schuldners hätten zugerechnet werden müssen. Dies trifft auch für den Prozesskostenerstattungsanspruch des Schuldners, soweit keine Rechte Dritter, wie etwa des Prozessbevollmächtigten aus § 126 Abs. 1 ZPO, in Betracht kommen, zu. Die vom Berufungsgericht erwogene Gesamtbetrachtung als solche ist nicht geeignet, die Eigenständigkeit einzelner Vermögenswerte aufzulösen. Die Frage, ob das gesamte vom Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erworbene Vermögen zur Insolvenzmasse im Sinne des § 35 InsO gehört oder diese Vorschrift das Neuvermögen nicht erfasst, welches der Schuldner zur Erfüllung von Neuverbindlichkeiten benötigt, hat der Senat bereits mit Beschluss vom (IX ZB 388/02, NZI 2003, 389, 392) beantwortet. Danach gehören die Einkünfte, die der Schuldner aus selbständiger Tätigkeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erzielt, in vollem Umfang und nicht lediglich in Höhe des nach Abzug der Ausgaben verbleibenden Gewinns zur Insolvenzmasse (ferner , NZI 2004, 444).
2. Wie die Revision zu Recht rügt, steht hinsichtlich des Prozesskostenerstattungsanspruchs das Verwaltungs- und Verfügungsrecht dem Insolvenzverwalter gemäß § 80 InsO zu. Die Abtretung dieses Anspruchs durch den Beklagten an seine Mutter bedurfte daher gemäß § 81 Abs. 1 InsO der Genehmigung des Insolvenzverwalters. Ob die vom Beklagten behauptete Zustimmung erteilt wurde, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.
3. Der Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte sei gegenüber dem Insolvenzverwalter berechtigt, die Freigabe des Erstattungsanspruches zu verlangen, kann nicht gefolgt werden. Ein unmittelbares Ausscheiden des Erstattungsanspruches aus der Masse ohne Mitwirken des Insolvenzverwalters kommt nicht in Betracht.
a) Der Schuldner hat keinen Anspruch auf Freigabe von Vermögenswerten aus der Insolvenzmasse.
aa) Der Senat hat bereits in dem noch zur Gesamtvollstreckungsordnung ergangenen Urteil vom (BGHZ 148, 252, 258 f) festgestellt, dass die nach früherem Recht allgemein anerkannte generelle Freigabebefugnis des Verwalters durch die Insolvenzordnung nicht beseitigt worden sei. Diese Befugnis mit der Folge, dass der Insolvenzbeschlag erlischt und der Schuldner die Verfügungsbefugnis zurück erhält, ist in der Insolvenzordnung nicht näher geregelt. Wie die Vorschrift des § 32 Abs. 3 InsO zeigt, geht das Gesetz allerdings ohne weiteres davon aus, dass dem Insolvenzverwalter ein solches Recht zusteht (BGHZ 163, 32, 34 f; 166, 74, 82 f).
bb) Hierbei handelt es sich um eine Befugnis des Verwalters, die dieser im Interesse der Masse, die der Gesamtheit der Gläubiger zu Gute kommen soll, auszuüben hat. Ein rechtlich schutzwürdiges Bedürfnis, dem Verwalter die Möglichkeit der Freigabe einzuräumen, besteht regelmäßig dort, wo zur Masse Gegenstände gehören, die wertlos sind oder Kosten verursachen, welche den zu erwartenden Veräußerungserlös möglicherweise übersteigen. Dies hat insbesondere bei wertausschöpfend belasteten oder erheblich kontaminierten Grundstücken große praktische Bedeutung. Es wäre mit dem Zweck der Gläubigerbefriedigung nicht zu vereinbaren, wenn der Insolvenzverwalter in solchen Fällen gezwungen wäre, Gegenstände, die nur noch geeignet sind, das Schuldnervermögen zu schmälern, allein deshalb in der Masse zu behalten, um eine Vollbeendigung der Gesellschaft zu bewirken (BGHZ 163, 32, 36).
cc) Eine Freigabebefugnis kann auch bei einer Fallgestaltung der hier in Rede stehenden Art in Betracht kommen. Im Hinblick darauf, dass dem Beklagten die Mittel für die Prozessführung von dritter Seite zweckgebunden zur Verfügung gestellt wurden, steht der hieraus erwachsende Kostenerstattungsanspruch in einer unmittelbaren Wechselwirkung zu der zuvor erfolgten Zuwendung. Aufgrund des Zuflusses der zweckgebundenen Mittel wird die Insolvenzmasse mit dem Ausscheiden des Kostenerstattungsanspruches auch nicht geschmälert. Hinzukommt, dass die Prozessführung unter Umständen auch im Interesse der Masse liegen könnte. Über die Ausübung der Freigabebefugnis hat aber allein der Insolvenzverwalter zu entscheiden, eine Einschränkung seines pflichtgemäßen Ermessens zu Gunsten des Schuldners lässt sich mit Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrens nicht in Einklang bringen.
b) Die Freigabe hat durch eine an den Schuldner zu richtende, einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung des Insolvenzverwalters zu erfolgen (BGHZ 127, 156, 163; , NZI 2007, 173, 175; MünchKomm-InsO/Lwowski, § 35 Rn. 100; HambKomm-InsO/Lüdtke, § 35 Rn. 76; Uhlenbruck aaO, § 35 Rn. 23). Erst durch die wirksame Abgabe der Freigabeerklärung scheidet der betreffende Gegenstand aus der Insolvenzmasse aus und wird der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners unterstellt (MünchKomm-InsO/Lwowski, § 35 Rn. 103). Dies gilt auch für die vorliegende Fallgestaltung.
4. Die Sache ist nicht entscheidungsreif.
a) Es kommt auf den vom Berufungsgericht bislang lediglich unterstellten Vortrag des Beklagten in der Berufungsbegründungsschrift an, der Insolvenzverwalter habe den Kostenerstattungsanspruch aus der Masse freigegeben und die Abtretung des Anspruchs an seine Mutter genehmigt. Das Berufungsgericht hat zu prüfen, ob dieser neue Vortrag gemäß § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen ist, und im Falle seiner Statthaftigkeit die vom Beklagten angebotenen Beweismittel zu erheben. Anhaltspunkte dafür, dass die Zustimmung insolvenzzweckwidrig und daher nichtig wäre (vgl. BGHZ 118, 374, 379 f; 165, 283, 289), sind allerdings im Hinblick auf die oben zu 3 a genannten Erwägungen derzeit nicht ersichtlich.
b) Entgegen der Ansicht der Revision kann - für den Fall, dass der Kostenerstattungsanspruch nicht zur Insolvenzmasse gehört, weil er wirksam freigegeben worden ist - nicht davon ausgegangen werden, dass der Erstattungsanspruch von der Abgeltungsklausel in der zwischen dem Kläger und der Mutter des Beklagten zustande gekommenen Vergleichsvereinbarung erfasst wird.
Die Auslegung von Verträgen ist grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten. Dessen Auslegung ist für das Revisionsgericht bindend, wenn sie rechtsfehlerfrei vorgenommen worden ist und zu einem vertretbaren Auslegungsergebnis führt, auch wenn ein anderes Auslegungsergebnis möglich erscheint oder sogar näher liegt. Die Auslegung durch die Tatrichter kann deshalb vom Revisionsgericht grundsätzlich nur darauf überprüft werden, ob der Auslegungsstoff vollständig berücksichtigt worden ist, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind oder ob die Auslegung auf einem im Revisionsverfahren gerügten Verfahrensfehler beruht (, NJW 2003, 2235, 2236; Musielak/Ball ZPO 5. Aufl. § 546 Rn. 5). Solche revisionsrechtlich relevanten Auslegungsfehler vermag die Revision nicht aufzuzeigen, und sie liegen auch nicht vor. Letztlich versucht die Revision lediglich, ihre Auslegung an die Stelle der des Berufungsgerichts zu setzen. Das ist ihr aber verwehrt.
IV.
Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist zur Prüfung der angeführten Gesichtspunkte und gegebenenfalls Beweisantritte an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2007 S. 1189 Nr. 22
HFR 2008 S. 77 Nr. 1
NJW-RR 2007 S. 1205 Nr. 17
WM 2007 S. 977 Nr. 21
ZIP 2007 S. 1020 Nr. 21
TAAAC-45230
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja