BGH Beschluss v. - III ZB 109/06

Leitsatz

[1] Zur Ausgangskontrolle, wenn die richtig adressierte Berufungsschrift durch Telefax an ein unzuständiges Gericht gesendet wird, und zur Pflicht dieses Gerichts, die Berufungsschrift im ordentlichen Geschäftsgang weiterzuleiten.

Gesetze: ZPO § 233 Fd

Instanzenzug: LG Nürnberg-Fürth 1 O 2044/05 vom OLG Nürnberg 4 U 1632/06 vom

Gründe

I.

Die auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 15.645,53 € nebst Zinsen gerichtete Klage wurde durch das dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am zugestellt wurde, abgewiesen. Ihre an das Oberlandesgericht adressierte Berufung ging in ihrer Urschrift dort am ein. Die Berufungsschrift war zuvor bereits am um 9.55 Uhr auf dem Telefaxgerät der Geschäftsstelle einer Zivilkammer des Landgerichts empfangen und, da sie an das im selben Gebäude residierende Oberlandesgericht gerichtet war, an das Berufungsgericht weitergeleitet worden, wo sie ebenfalls am einging.

Nach gerichtlichen Hinweisen haben sich die Kläger auf den Standpunkt gestellt, es sei nicht ersichtlich, weshalb der ordnungsgemäß adressierte Schriftsatz nicht innerhalb der Geschäftszeit unverzüglich an die Einlaufstelle des Berufungsgerichts weitergeleitet worden sei. Ihren hilfsweise gestellten Wiedereinsetzungsantrag haben sie damit begründet, ihr Prozessbevollmächtigter habe die Berufungseinlegungsfrist und die ordnungsgemäße Adressierung selbst kontrolliert und seiner zuverlässigen Bürovorsteherin die ausdrückliche Weisung erteilt, die Rechtsmittelschrift vorab per Telefax, sodann per Post zu übermitteln und den Sendebericht zu kontrollieren. Dieser habe einen "OK-Vermerk" aufgewiesen. Eine mögliche Verwechslung der Faxnummer durch die Bürovorsteherin könne ihnen nicht als Verschulden zugerechnet werden.

Das Berufungsgericht hat die Berufung der Kläger als unzulässig verworfen und ihnen die Erteilung der Wiedereinsetzung versagt.

II.

Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Das Berufungsgericht hat auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entschieden.

1. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Berufungsschrift nicht innerhalb der am abgelaufenen Frist beim Oberlandesgericht eingegangen ist. Das zieht auch die Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel. Der Umstand, dass Landgericht und Oberlandesgericht in demselben Gebäude residieren, ändert nichts daran, dass die an ein Telefaxgerät der Geschäftsstelle einer Zivilkammer des Landgerichts gesendete Berufungsschrift erst am folgenden Tag in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Oberlandesgerichts gelangte.

2. Es ist auch rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht den Klägern die Erteilung von Wiedereinsetzung versagt hat.

a) Grundsätzlich ist ein Rechtsanwalt befugt, einfachere Verrichtungen zur selbständigen Erledigung auf sein geschultes und zuverlässiges Büropersonal zu übertragen. Das gilt auch für die Übermittlung einer Berufungsschrift mittels eines Telefaxes ( - NJW 1994, 329; BVerfG <Kammerentscheidung> NJW 1996, 309).

b) Allerdings muss der Rechtsanwalt durch organisatorische Vorkehrungen sicherstellen, dass die Telefaxnummer des angeschriebenen Gerichts verwendet wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XI ZB 20/96 - NJW 1997, 948; vom - IX ZR 20/03 - BGH-Report 2004, 978, 979; vom - II ZB 9/04 - NJW-RR 2005, 1373; vom - XII ZB 267/04 - NJW 2006, 2412, 2413 Rn. 7; vom - VIII ZB 101/05 - NJW 2007, 996, 997 Rn. 8; vom - VI ZB 70/06 - juris Rn. 8). Hierzu gehört, dass bei der erforderlichen Ausgangskontrolle in der Regel ein Sendebericht ausgedruckt und dieser auf die Richtigkeit der verwendeten Empfängernummer überprüft wird, um Fehler bei der Eingabe, der Ermittlung der Faxnummer oder ihrer Übertragung in den Schriftsatz aufdecken zu können (vgl. BGH, Beschlüsse vom aaO Rn. 12; vom aaO Rn. 8).

c) Dass der Prozessbevollmächtigte der Kläger diesen Maßstäben an eine entsprechende Organisation der Ausgangskontrolle nachgekommen wäre, ist dem gestellten Wiedereinsetzungsantrag nicht zu entnehmen. Dort ist lediglich glaubhaft gemacht, dass die Bürovorsteherin angewiesen wurde, die Rechtsmittelschrift per Telefax zu übermitteln und im Hinblick auf den bevorstehenden Fristablauf den Sendebericht zu kontrollieren. Welche Vorkehrungen im Büro des Prozessbevollmächtigten bestanden, um Fehler bei der Ermittlung der Faxnummer aufdecken zu können, ist nicht dargelegt worden.

d) Die Kläger können sich nicht darauf berufen, dass eine solche Kontrolle im Hinblick auf den - NJW 2004, 2830, 2831) entbehrlich wäre. Auch diese Entscheidung geht von der grundsätzlichen Notwendigkeit einer Kontrolle aus (vgl. auch - NJW-RR 2005, 1373), behandelt aber zusätzlich den Gesichtspunkt, dass sich ein Rechtsanwalt in der Regel auf ein seit Jahren bewährtes EDV-Programm in der jeweils neuesten Fassung verlassen darf und er nicht gehalten ist, eine Abgleichung der Faxnummer mit den Angaben in Anschreiben des Gerichts oder im Telefonbuch vorzunehmen, weil dies dem Einsatz des EDV-Programms die Rationalisierungswirkung nehmen würde. Dass die Bürovorsteherin die verwendete Faxnummer einer vergleichbar sicheren Quelle entnommen hätte, die ein Verschulden in der Ausgangskontrolle ausschlösse oder gestatten würde, die Sorgfaltsanforderungen an die Ausgangskontrolle zu verringern (vgl. hierzu - juris Rn.11), ist jedoch weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht.

3. Wiedereinsetzung ist den Klägern auch nicht deshalb zu erteilen, weil die Versäumung der Frist auf einem Verschulden des Gerichts beruhen würde.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf ein Rechtssuchender darauf vertrauen, dass das mit der Sache befasst gewesene Gericht den bei ihm eingereichten, aber für das Rechtsmittelgericht bestimmten Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang dorthin weiterleiten wird. Geht der Schriftsatz dabei so zeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf die Partei auch darauf vertrauen, dass er noch fristgerecht beim Rechtsmittelgericht eingeht. Geschieht dies tatsächlich nicht, so ist der Partei Wiedereinsetzung unabhängig davon zu gewähren, auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruht (vgl. BVerfGE 93, 99, 115 f; BVerfG <Kammerentscheidung> NJW 2005, 2137, 2138). Der Bundesgerichtshof ist dieser Rechtsprechung gefolgt (vgl. Senatsbeschluss vom - III ZB 28/00 - NJW-RR 2000, 1730, 1731; Beschlüsse vom - VI ZB 29/02 - juris Rn. 8; vom - II ZB 9/04 - NJW-RR 2005, 1373; vom - II ZB 24/05 - NJW 2006, 3499 Rn. 5).

b) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Geschäftsstelle des Landgerichts, in der das Telefax empfangen wurde, die Berufungsschrift in das allgemeine Auslauffach gelegt. Dieses wird von den Wachtmeistern dreimal täglich, nämlich zwischen 7.00 Uhr und 7.30 Uhr, zwischen 9.00 Uhr und 9.30 Uhr sowie zwischen 13.00 Uhr und 13.30 Uhr, geleert. Das um 9.55 Uhr eingegangene Telefaxschreiben wurde von den Wachtmeistern beim letzten Gang entnommen und gelangte in die Wachtmeisterei, wo es in ein für das Oberlandesgericht bestimmtes Fach eingelegt wurde. Von dort wurde es bei dem nächsten Dienstgang, der am folgenden Tag stattfand, dem Oberlandesgericht zugeleitet.

Dieser normale Geschäftsgang, der nicht darauf eingerichtet sein muss, fehlgeleitete Schriftstücke frühzeitig zu entdecken und gesondert zu befördern, ist nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat auch zutreffend festgestellt, dass der Berufungsschriftsatz nicht mit einem augenfälligen Hinweis auf eine besondere Eilbedürftigkeit versehen war. Nur bei einer inhaltlichen Durchsicht der Berufungsschrift wäre daher aufgefallen, dass im Hinblick auf die Zustellung des angefochtenen Urteils am die Berufungsfrist am , einem Montag, ablief. Zu einer solchen inhaltlichen Überprüfung war die Geschäftsstelle der Zivilkammer des unzuständigen Landgerichts nicht verpflichtet. Umso weniger bestand eine Pflicht, die Kläger innerhalb der Rechtsmittelfrist telefonisch oder per Telefax auf die fehlerhafte Einlegung des Rechtsmittels hinzuweisen (vgl. BVerfG <Kammerentscheidung> NJW 2001, 1343).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
DB 2007 S. 1585 Nr. 29
NJW-RR 2007 S. 1429 Nr. 20
SAAAC-44494

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja