Leitsatz
[1] Ansprüche gegen die Versorgungsanstalt der deutschen Bezirksschornsteinfegermeister sind trotz ihrer Unabtretbarkeit grundsätzlich wie Arbeitseinkommen in den Grenzen von § 850 c ZPO pfändbar.
Gesetze: ZPO § 851 Abs. 1; SchfG § 46 Satz 1
Instanzenzug: AG Ulm 4 M 8632/04 vom LG Ulm 4 T 8/05 vom
Gründe
I.
Auf Antrag der Gläubigerin hat das Amtsgericht den angeblich dem Schuldner gegen die Drittschuldnerin zu 2 zustehenden Anspruch auf Zusatzversorgung nach dem Schornsteinfegergesetz (SchfG) gepfändet und der Gläubigerin zur Einziehung überwiesen. Die dagegen eingelegte Erinnerung der Drittschuldnerin zu 2 ist ebenso ohne Erfolg geblieben wie die anschließende sofortige Beschwerde. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Drittschuldnerin zu 2 die Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses weiter.
II.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht meint, § 46 Satz 1 SchfG stehe der Pfändung des Ruhegelds nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift könnten zwar Ansprüche auf Zusatzversorgung weder an Dritte übertragen noch verpfändet werden. Sie sei jedoch im Zusammenspiel mit § 851 Abs. 1 ZPO in verfassungskonformer Gesetzesauslegung dahin zu verstehen, dass das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Befriedigungsrecht des Gläubigers nicht beseitigt werde. Es bestehe kein Grund, insoweit Schornsteinfeger gegenüber anderen Berufsgruppen zu bevorzugen.
2. Dies hält rechtlicher Überprüfung stand. Der Anspruch auf Zusatzversorgung nach dem Schornsteinfegergesetz ist wie Arbeitseinkommen pfändbar.
a) Nach § 46 Satz 1 SchfG können Ansprüche auf Zusatzversorgung weder an Dritte übertragen noch verpfändet werden. Dieser Gesetzeswortlaut spricht allerdings dafür, dass die Ansprüche gemäß § 851 Abs. 1 ZPO nicht der Pfändung unterworfen sind. Eine besondere Vorschrift im Sinne von § 851 Abs. 1 ZPO, die die Pfändung zuließe, enthält das Schornsteinfegergesetz weder unmittelbar noch durch Verweisung.
b) Der (IXa ZB 271/03, BGHZ 160, 197) zu dem inhaltsgleichen § 11 Abs. 1 des Gesetzes über das Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg (RAVG) entschieden, dass Ansprüche gegen das Versorgungswerk grundsätzlich jedenfalls in den Grenzen von § 850 c ZPO pfändbar sind. § 851 Abs. 1 ZPO bedürfe in seinem Zusammenspiel mit § 11 Abs. 1 RAVG einer verfassungskonformen Reduktion. Die Unpfändbarkeit aller Ansprüche auf Versorgungsleistungen sei nicht zu rechtfertigen. Der verfassungsrechtlich gewährleistete Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG erstrecke sich auch auf das Befriedigungsrecht des Gläubigers. Der Staat, der selbst das Zwangsvollstreckungsmonopol ausübe, dürfe den davon betroffenen Gläubigern das Einkommen bestimmter Schuldnerkreise nicht generell als Haftungsgrundlage entziehen. Pfändungsverbote seien nur aus Gründen des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG) gerechtfertigt, um die eigene Lebensgrundlage des Schuldners durch Pfändungsfreibeträge (§§ 850 ff. ZPO) zu sichern. Eine derartige Beschränkung des Befriedigungsrechts des Gläubigers sei allenfalls zulässig, soweit sonstige, überwiegende Gründe das zwingend erforderten. Solche lägen nicht vor.
c) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde bestehen keine Bedenken, diese Grundsätze auf die Versorgungsansprüche nach dem Schornsteinfegergesetz zu übertragen. Die entsprechend vorzunehmende verfassungsrechtliche Abwägung führt wie dort dazu, ein vollumfängliches Pfändungshindernis zu verneinen und die Pfändung in den Grenzen des § 850 c ZPO grundsätzlich zuzulassen.
aa) Aus dem (BVerfGE 11, 283) kann die Rechtsbeschwerde nichts zu ihren Gunsten herleiten. Das Bundesverfassungsgericht hat das damals für die Renten von Angestellten und Arbeitern geltende, nur wenige bevorrechtigte Gläubiger nicht treffende Pfändungsverbot nach § 76 AVG, § 119 RVO im Hinblick auf ein - besonders bei den Renten der Arbeiter - noch niedriges Leistungsniveau als (noch) verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen. Es hat jedoch festgestellt, dass das Bedürfnis nach einem besonderen Schutz der Renten umso geringer ist, je mehr sich die Sozialversicherungsrente ihrer Konzeption und ihrer Höhe nach den Arbeitseinkommen nähert (BVerfG, aaO, 290). Von einer solchen Annäherung, die die Schutzbedürftigkeit der Renten hat entfallen lassen, ist der Bundesgesetzgeber offensichtlich ausgegangen, als er mit Einführung des SGB I im Jahre 1976 (BGBl. 1975 I 3015) zunächst mit Einschränkungen (§ 54 Abs. 3 SGB I in der bis zum gültigen Fassung), später vollumfänglich (§ 54 Abs. 4 SGB I in der seit dem gültigen Fassung, BGBl. 1994 I 1229) die Pfändung von Renten in der gesetzlichen Rentenversicherung wie Arbeitseinkommen zuließ.
Zwar handelt es sich bei der Zusatzversorgung nach dem Schornsteinfegergesetz nicht um Leistungen aus der Sozialversicherung, so dass § 54 SGB I auf sie nicht anwendbar ist. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Empfänger der Zusatzversorgung eines größeren Schutzes bedürfen als die aus der gesetzlichen Rentenversicherung Berechtigten. Insbesondere hat das durch das Schornsteinfegergesetz gewährleistete Ruhegeld, das sich an der Vergütungsgruppe Vc des Bundesangestelltentarifvertrags orientiert, kein derart niedriges Niveau, dass es der Pfändung vollständig entzogen werden müsste, um den Lebensunterhalt des Berechtigten und seiner Familie zu sichern.
Anderes lässt sich auch nicht daraus schließen, dass die Regelung in dem schon aus dem Jahr 1969 stammenden Schornsteinfegergesetz nicht im Hinblick auf die Einführung des § 54 SGB I im Jahr 1976 angepasst wurde (so aber LG Braunschweig, Beschluss vom - 8 T 996/02, Musielak/Schira/Manke, SchfG, 6. Aufl., § 46 Rdnr. 1). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Gesetzgeber der erst nach Inkrafttreten des Schornsteinfegergesetzes aufgetretenen Abweichung gegenüber den Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung bewusst war und eine Anpassung mit Bedacht unterlassen hat. Ohne Bedeutung ist dabei, dass bei Erlass des Schornsteinfegergesetzes im Jahre 1969 im Hinblick auf den (BVerfGE 11, 283) möglicherweise gegen die Unpfändbarkeit des Versorgungsanspruchs nach dem Schornsteinfegergesetz noch keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestanden. Bei der Gesetzesauslegung sind auch Veränderungen der Lebenswirklichkeit zu berücksichtigen. Mit dem Wandel der Verhältnisse kann sich der Norminhalt verändern (vgl. BVerfG, NJW 2004, 2662).
bb) Die Besonderheiten des Berufs des Bezirksschornsteinfegermeisters rechtfertigen nicht, diese Berufsgruppe gegenüber anderen Empfängern von Versorgungsbezügen zu bevorzugen. Nach der Gesetzesbegründung (Ausschussbericht zu BT-Drucks. V/4282 S. 2) waren die mit diesem Beruf verbundenen Gefahren und der Umstand, dass der Kehrbezirk bei Erreichen der Altersgrenze oder bei Krankheit entschädigungslos abgegeben werden muss, für die Einführung einer gesetzlichen, rentenergänzenden Versorgung ausschlaggebend. Dem lässt sich für eine beabsichtigte Besserstellung gegenüber anderen Versorgungsempfängern nichts entnehmen, zumal die Gesetzesbegründung (Ausschussbericht zu BT-Drucks. V/4282 S. 8) den Zweck des Abtretungs- und Verpfändungsverbots nicht erläutert.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
WM 2007 S. 1033 Nr. 22
AAAAC-44033
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja