BGH Beschluss v. - 5 StR 335/06

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StPO § 154 Abs. 2; StPO § 258 Abs. 2; StPO § 258 Abs. 3; StPO § 349 Abs. 2; JGG § 18 Abs. 1 Satz 2; JGG § 18 Abs. 2; JGG § 67 Abs. 1; StGB § 21; StGB § 46 Abs. 3

Instanzenzug:

Gründe

Das Landgericht hat den zu den Tatzeiten 16-jährigen Angeklagten wegen Mordes sowie wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung eines weiteren Urteils (Jugendstrafe von sechs Monaten) zu einer einheitlichen Jugendstrafe von zehn Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit Verfahrensrügen und der näher begründeten Sachrüge. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Die Jugendkammer hat folgende Feststellungen getroffen:

a) Am späten Abend des gerieten der angetrunkene Angeklagte und der gesondert Verfolgte S. auf dem Gelände einer Tankstelle in Berlin-Zehlendorf mit dem ersichtlich betrunkenen Bundeswehrsoldaten T. aus nichtigem Anlass in einen Streit, bei dem T. den Angeklagten als "Hurensohn" und "Nigger" beschimpfte. Der über die Beleidigungen aufgebrachte Angeklagte versetzte dem T. zwei Faustschläge in das Gesicht, nahm ihn in den "Schwitzkasten" und schlug ihm mit der Faust auf den Kopf. Auch S. versetzte dem Geschädigten mehrere Faustschläge in das Gesicht. Anschließend kniete sich der Angeklagte mit einem Bein auf den Brustkorb des T. und schlug ihm mehrmals heftig mit der Faust in das Gesicht, bis er sich nicht mehr regte. S. und der Angeklagte versetzten ihm sodann noch Fußtritte gegen den Kopf. Schließlich trat der Angeklagte wuchtig und nach oben ausholend mit dem Fuß in das Gesicht des Geschädigten, wobei er äußerte: "Jetzt weißt du es".

T. erlitt nicht konkret lebensgefährliche Hirnblutungen, Hämatome, eine Gehirnerschütterung und Frakturen an der Nase. Die Verletzungen heilten nach stationärer Behandlung und einem operativen Eingriff folgenlos aus. Gegen den Angeklagten erging Haftbefehl bei gleichzeitiger Aussetzung der Vollstreckung. Die Haftverschonung dauerte bei Begehung der Folgetat an.

b) Etwa seit 2002 gab sich der Angeklagte - angeregt durch Filme mit sadistischen Tötungsszenen - Tötungsphantasien hin; darin nahm er zunehmend die Täterrolle ein. Die Vorstellung, einen anderen Menschen zu töten, bereitete ihm Vergnügen, weswegen er sich entschloss, dies in die Tat umzusetzen. Er plante, sich zunächst ein Kind als Opfer auszuwählen, da ihm dieses weniger Widerstand leisten würde.

In der Nacht zum konsumierte der Angeklagte Alkohol, Amphetamine und Marihuana, auch schlief er nicht. Er war verstimmt, da ihn das Verhalten seiner Freundin eifersüchtig gemacht hatte, versöhnte sich aber mit ihr noch am Vormittag. Danach traf er auf einem Spielplatz unweit seines Wohnortes auf den ihm bekannten sieben Jahre alten Nachbarjungen C. . Da der Junge allein war, beschloss der Angeklagte, seine Tötungsphantasien mit ihm als Opfer umzusetzen, was ihn in Erregung versetzte. Er lockte C. zu einem in der Nähe gelegenen Gelände, welches mit Bäumen bewachsen und daher kaum einsehbar war. C. ging vertrauensvoll mit. Als er sich dort von dem Angeklagten abwandte, griff dieser ihm von hinten mit beiden Händen um den Hals und drückte kräftig zu. Er hob den Jungen dabei etwas an, so dass dessen Füße nicht mehr den Boden berührten. Als sich sein Opfer nicht mehr bewegte, ließ der Angeklagte es fallen. Er fühlte sich dabei sehr gut und genoss ein starkes Machtgefühl. Als er bemerkte, dass der auf dem Boden liegende C. noch atmete, trat er ihm mehrmals kräftig in das Gesicht und gegen den Hals. Durch die Tritte erlitt der Junge im Bereich des Kopfes massivste Verletzungen, die für sich genommen bereits tödlich waren. Als C. kein Lebenszeichen mehr von sich gab, ging der Angeklagte unzutreffend davon aus, dass er schon tot sei. Er verspürte eine große Befriedigung darüber, dass er es geschafft hatte, ein Menschenleben auszulöschen. Er entkleidete sein Opfer und stieß ihm einen Stock mit einem Durchmesser von etwa zwölf Zentimetern in den After, was zu tödlichen Zerreißungen im Darm führte. Anschließend legte sich der Angeklagte mit entblößtem Unterkörper für einige Sekunden auf sein Opfer. Schließlich kleidete er sich wieder an, deckte den Körper des Jungen mit einer Plastikplane ab und verließ das Gelände, wobei er die Kleidung C. s mitnahm und unterwegs in einen Müllcontainer warf. C. verstarb alsbald danach an den tödlichen Verletzungen.

Die sachverständig beratene Jugendkammer konnte nicht ausschließen, aber auch nicht sicher feststellen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei beiden Taten erheblich vermindert war. Hierzu hat sie bei der gefährlichen Körperverletzung auf die Wirkung des Alkoholkonsums im Zusammenspiel mit einer Impulskontrollstörung, bei der Tötung des siebenjährigen Kindes auf die von Übermüdung sowie einer akuten Drogen- und Alkoholintoxikation bestimmte psychische Verfassung in Verbindung mit einer nachlassenden Eifersuchtsreaktion abgestellt.

2. Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.

a) Zwar beanstandet die Revision zu Recht, dass den in der Hauptverhandlung anwesenden erziehungsberechtigten Großeltern des Angeklagten vor Urteilsverkündung am - nach Wiedereintritt in die Beweisaufnahme - entgegen § 67 Abs. 1 JGG, § 258 Abs. 2 und Abs. 3 StPO das letzte Wort nicht, wie erforderlich, ausdrücklich gewährt worden ist. Jedoch kann der Senat ein Beruhen des Urteils auf diesem Verfahrensfehler verneinen. Die gebotene Auslegung des freilich ungeschickt und nachlässig gefassten Protokolls ergibt eben noch ausreichend (vgl. BGHSt 13, 53, 59; BGH NStZ 2005, 280; ), dass den Erziehungsberechtigten am vorangegangenen Sitzungstag das letzte Wort gewährt worden war, sie jedoch davon keinen Gebrauch gemacht hatten. Angesichts dieses Umstands ist auszuschließen, dass die Großeltern nach zwischenzeitlich erfolgter nur kurzer Beweisaufnahme und Verhandlung ohne den Verfahrensverstoß von ihrem ihnen bereits bekannten Recht Gebrauch gemacht und - abweichend von ihrem Verhalten im gesamten vorangegangenen Verfahren - etwas ausgeführt hätten, was Schuld- oder Strafausspruch zu Gunsten des Angeklagten beeinflusst hätte.

b) Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs greift nicht durch. Zwar enthalten die Urteilsausführungen zur Bemessung der Jugendstrafe eine wegen des nicht erfolgten Hinweises auf die mögliche Verwertung bedenklich formulierte Bezugnahme auf einen gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellten Anklagevorwurf. Indes ergibt sich aus dem Zusammenhang, dass dem Angeklagten nicht dieser eingestellte Vorwurf oder Umstände desselben zur Last gelegt worden sind. Vielmehr hat die Strafkammer im Rahmen der Gewichtung der Schwere der Schuld gewürdigt, dass sich der Tatanreiz nicht für den Angeklagten überraschend ergeben hat. Dies wiederum hat sie mit seiner Einlassung zur ausgeurteilten Tat und ihrer Vorgeschichte - Tötungsphantasien, gedankliche Planung der Tötung eines Menschen - begründet und dabei lediglich in überflüssiger, letztlich aber unschädlicher Weise, im Wesentlichen ergänzend erläuternd, auf den eingestellten Vorwurf verwiesen. Das schulderschwerend gewertete, vom Angeklagten eingestandene Element ist hiervon unabhängig. Ein Beruhen der Straffindung auf dem geltend gemachten Verstoß scheidet angesichts des gegebenen Zusammenhangs jedenfalls aus.

3. Auch die Sachrüge dringt nicht durch.

a) Das Tatgericht hat die Tötung des siebenjährigen Jungen zu Recht als Mord gewürdigt. Die Feststellungen tragen die Annahme, dass der Angeklagte heimtückisch und aus Mordlust gehandelt hat. Entgegen der Ansicht der Revision schließt der festgestellte psychische Zustand des Angeklagten nicht die Annahme des Mordmerkmals "aus Mordlust" aus. Der Angeklagte handelte mit direktem Tötungsvorsatz allein aus Freude an der Vernichtung eines Menschenlebens, weder lag in der Person des Opfers oder in der besonderen Tatsituation ein anderer Anlass für die Tatbegehung vor, noch war mit der Tötung ein darüber hinausgehender Zweck verbunden. Die Voraussetzungen des Mordmerkmals der Mordlust werden durch gegebene triebhafte oder gefühlsmäßige Regungen nicht in Frage gestellt (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Mordlust 1; Schneider in MüKo-StGB § 211 Rdn. 51).

b) Der Senat nimmt die Beurteilung der Schuldfähigkeit durch die Jugendkammer hin. Der Ausschluss von Schuldunfähigkeit und die - wenngleich teils schwer nachvollziehbar begründete - Zubilligung der Voraussetzungen des § 21 StGB sind im Ergebnis ersichtlich zutreffend. Allerdings vermag die - freilich im Einklang mit der Beurteilung durch den psychiatrischen Sachverständigen stehende - Verneinung der Voraussetzungen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit des Angeklagten bei dem Tatbild und sämtlichen festgestellten Begleitumständen des Mordes nicht zu überzeugen. Eine insoweit abweichende Beurteilung, die naheläge, würde indes ersichtlich auch nur zur Anwendung des § 21 StGB führen und den Strafausspruch für sich nicht in Frage stellen. Durchgreifenden Anlass, maßgeblich nur die Frage einer möglichen Unterbringung des Angeklagten im psychiatrischen Krankenhaus nochmals tatgerichtlicher Prüfung zu unterstellen, sieht der Senat unter Berücksichtigung der bisherigen Untersuchungsergebnisse des Sachverständigen auf die Revision des Angeklagten hin nicht.

c) Die Jugendkammer hat die Grundlagen für die Verhängung von Jugendstrafe - in der Tat zum Ausdruck gekommene schädliche Neigungen und die Schwere der Schuld des Angeklagten - rechtsfehlerfrei angenommen. Auch die Bemessung der Jugendstrafe hält revisionsgerichtlicher Prüfung stand.

aa) Die Strafzumessungserwägungen weisen aus, dass die Jugendkammer bei der Verhängung der Höchststrafe in erster Linie auf die für die Beurteilung der Schuld entscheidenden Gesichtspunkte abgestellt hat. Dies begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Insbesondere liegt hierin kein Verstoß gegen § 18 Abs. 2 JGG, wonach die Jugendstrafe so zu bemessen ist, dass die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist.

Denn dies bedeutet nicht, dass die Erziehungswirksamkeit als einziger Gesichtspunkt bei der Strafzumessung heranzuziehen ist. So ist die Verhängung einer Strafe im oberen Bereich des gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 JGG eröffneten Strafrahmens - wovon die Jugendkammer hier selbst ausgegangen ist - in aller Regel allein mit dem Erziehungsgedanken nicht mehr zu begründen (BGHR JGG § 18 Abs. 2 Strafzwecke 1, 4, 5). Allerdings sind daneben auch andere Strafzwecke, bei einem Kapitalverbrechen namentlich das Erfordernis gerechten Schuldausgleichs, zu beachten. Schon deshalb durfte die Jugendkammer die Verhängung der Höchststrafe hier maßgeblich mit der "höchst schweren Schuld" begründen und musste nicht näher darlegen, dass erzieherische Zwecke gerade dieses Strafmaß erforderten (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 471/96 und - 5 StR 486/97). Die strafmildernden Wirkungen des Geständnisses, der erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit und des überaus unglücklich verlaufenen Werdeganges des Angeklagten standen bei der ganz außergewöhnlichen Schwere der Taten, namentlich des Mordes, der Verhängung der Höchststrafe nicht entgegen.

Erziehungsgedanke und Schuldausgleich stehen hier zudem nicht einmal in einem gravierenden Spannungsverhältnis. Die charakterliche Haltung und das Persönlichkeitsbild, wie sie in der Tat zum Ausdruck gekommen sind, erweisen sich für die Bewertung der Schuld als ebenso bedeutsam wie für das Erziehungsbedürfnis (vgl. BGH NStZ-RR 1996, 120). Die in den Taten deutlich gewordenen tiefgreifenden Persönlichkeitsdefizite des Angeklagten begründen offensichtlich allerhöchsten Therapie- und damit einhergehend höchsten Erziehungsbedarf. Der Jugendstrafvollzug wird in außergewöhnlicher Weise, naheliegend sehr mittel- und zeitaufwendig, gefordert sein, wirksame therapeutische Maßnahmen zur Beeinflussung der schwer gestörten Persönlichkeit des in massivster Weise sittlich verwahrlosten Angeklagten zu finden und anzuwenden.

bb) Eine unzulässige Doppelverwertung liegt nicht vor; § 46 Abs. 3 StGB ist bei der Bemessung von Jugendstrafe nicht anwendbar (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 21, 22; Brunner/Dölling, JGG 11. Aufl. § 18 Rdn. 8 m.w.N.). Einer ausdrücklichen Erörterung der erzieherischen Wirkung der bereits vollzogenen Untersuchungshaft auf den Angeklagten, der bisher lediglich einen fast vierwöchigen Dauerarrest verbüßt hatte, bedurfte es angesichts der tiefgreifenden Persönlichkeitsdefizite nicht.

4. Über die nicht nachvollziehbare Ablehnung der beantragten Einziehungsentscheidung hatte der Senat nicht zu befinden.

Fundstelle(n):
FAAAC-43979

1Nachschlagewerk: nein