EuGH Urteil v. - C-367/96

Leitsatz

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3 Die mißbräuchliche oder betrügerische Berufung auf Gemeinschaftsrecht ist nicht gestattet. Es kann daher nicht als gemeinschaftsrechtswidrig angesehen werden, daß nationale Gerichte eine Bestimmung des nationalen Rechts anwenden, um zu beurteilen, ob ein sich aus einer Gemeinschaftsbestimmung ergebendes Recht mißbräuchlich ausgeuebt wird. Jedoch darf die Anwendung einer solchen nationalen Rechtsvorschrift nicht die volle Wirksamkeit und die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Insbesondere können die nationalen Gerichte bei der Beurteilung der Ausübung eines sich aus einer Gemeinschaftsbestimmung ergebenden Rechts nicht die Tragweite dieser Bestimmung verändern oder die mit ihr verfolgten Zwecke vereiteln.

4 Einem Aktionär, der sich auf Artikel 25 Absatz 1 der Zweiten Gesellschaftsrechtsrichtlinie 77/91 beruft, kann nicht eine mißbräuchliche Ausübung des sich aus dieser Bestimmung ergebenden Rechts zur Last gelegt werden, nur weil die von ihm bekämpfte Kapitalerhöhung durch Verwaltungsentscheidung angeblich die finanziellen Schwierigkeiten, die die betreffende Gesellschaft bedrohten, behoben und ihm eindeutige wirtschaftliche Vorteile verschafft hat oder weil er nicht von seinem in Artikel 29 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie vorgesehenen Bezugsrecht für die anläßlich der streitigen Kapitalerhöhung ausgegebenen neuen Aktien Gebrauch gemacht hat.

Zum einen gilt nämlich die Entscheidungsbefugnis der Hauptversammlung nach Artikel 25 Absatz 1 auch für den Fall, daß sich die betreffende Gesellschaft in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten befindet. Zum anderen hätte die Ausübung des Bezugsrechts bedeutet, daß der Aktionär an der Durchführung der Entscheidung, das Kapital ohne Genehmigung durch die Hauptversammlung zu erhöhen, hätte mitwirken wollen; gegen diese Entscheidung wendet er sich jedoch gerade unter Berufung auf Artikel 25 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie.

Gesetze: Zweite Richtlinie 77/91/EWG Art. 25Stichworte: 1 Gemeinschaftsrecht - Mißbräuchliche Ausübung eines sich aus einer Gemeinschaftsbestimmung ergebenden Rechts - Nationale Rechtsvorschrift, die den Rechtsmißbrauch verbietet - Anwendung durch die nationalen Gerichte; 2 Freizuegigkeit - Niederlassungsfreiheit - Gesellschaften - Richtlinie 77/91 - Änderung des Grundkapitals einer Aktiengesellschaft - Nationale Regelung, die die Erhöhung des Grundkapitals einer Aktiengesellschaft in finanziellen Schwierigkeiten durch Verwaltungsentscheidung vorsieht - Blockierung der Rechte aus der Richtlinie durch Rückgriff auf eine den Rechtsmißbrauch verbietende nationale Rechtsvorschrift

Gründe

1 Das Efeteio Athen hat mit Urteil vom , beim Gerichtshof eingegangen am , gemäß Artikel 177 EG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 25 der Zweiten Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (ABl. 1977, L 26, S. 1; im folgenden: Zweite Richtlinie), und betreffend die mißbräuchliche Ausübung eines sich aus einer Gemeinschaftsbestimmung ergebenden Rechts zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Kefalas u. a. (im folgenden: Kläger), Aktionären der Aktiengesellschaft Athinaïki Chartopoiïa Ä u. a. (im folgenden: Chartopoiïa), einerseits und dem griechischen Staat (Elliniko Dimosio) sowie dem Organismos Oikonomikis Anasygkrotisis Epicheiriseon Ä (Anstalt für Unternehmensneuordnung; im folgenden: OÄ) andererseits, in dem die Kläger die Gültigkeit der Erhöhung des Grundkapitals bestreiten, die im Rahmen der durch das griechische Gesetz Nr. 1386/1983 vom (Amtsblatt der Griechischen Republik, Nr. 107 vom , S. 14) vorgesehenen Regelung durchgeführt wurde, der Chartopoiïa durch Beschluß des Wirtschaftsministers vom unterstellt wurde.

3 Der OÄ ist eine durch das Gesetz Nr. 1386/1983 geschaffene öffentliche Einrichtung, die die Form einer Aktiengesellschaft hat und im öffentlichen Interesse unter staatlicher Aufsicht tätig wird. Nach Artikel 2 Absatz 2 dieses Gesetzes besteht der Zweck des OÄ darin, durch die finanzielle Sanierung von Unternehmen, die Einfuhr und die Anwendung von ausländischem Know-how, die Entwicklung von einheimischem Know-how sowie die Gründung und den Betrieb von verstaatlichten oder gemischtwirtschaftlichen Unternehmen zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Landes beizutragen.

4 In Artikel 2 Absatz 3 des Gesetzes Nr. 1386/1983 werden die Befugnisse aufgezählt, die dem OÄ zur Erreichung dieser Ziele eingeräumt werden. So kann er die Verwaltung und die laufende Geschäftsführung von Unternehmen übernehmen, die gerade saniert werden oder verstaatlicht sind, sich am Kapital von Unternehmen beteiligen, Darlehen gewähren und bestimmte Anleihen auflegen oder aufnehmen, Schuldverschreibungen erwerben sowie Aktien übertragen, insbesondere an Arbeitnehmer oder ihre Interessenvertretungen, an Gebietskörperschaften oder an andere juristische Personen des öffentlichen Rechts, an gemeinnützige Einrichtungen, soziale Körperschaften oder an Privatpersonen.

5 Nach Artikel 5 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 1386/1983 kann der Wirtschaftsminister beschließen, Unternehmen, die sich in ernsten finanziellen Schwierigkeiten befinden, der Regelung des Gesetzes zu unterstellen.

6 Nach Artikel 7 dieses Gesetzes kann der zuständige Minister beschließen, dem OÄ die Geschäftsführung des der Regelung des Gesetzes unterstellten Unternehmens zu übertragen, dessen Schulden so zu regeln, daß die Lebensfähigkeit des Unternehmens gesichert ist, oder dessen Abwicklung vorzunehmen.

7 Artikel 8 des Gesetzes Nr. 1386/1983 enthält die Bestimmungen über die Übertragung der Geschäftsführung des Unternehmens an den OÄ. Artikel 8 Absatz 1 in der Fassung des Gesetzes Nr. 1472/1984 (Amtsblatt der Griechischen Republik, Teil I, Nr. 112 vom , S. 1273) legt die Modalitäten dieser Übertragung fest und regelt die Beziehungen zwischen den mit der Geschäftsführung betrauten Personen, die vom OÄ benannt werden, und den Organen des Unternehmens. So ist vorgesehen, daß mit der Veröffentlichung der ministeriellen Entscheidung, das Unternehmen der Regelung des Gesetzes zu unterstellen, die Befugnisse der Geschäftsführungsorgane des Unternehmens enden und daß die Hauptversammlung zwar fortbesteht, aber die vom OÄ benannten Mitglieder der Geschäftsführung nicht abberufen kann.

8 Nach Artikel 8 Absatz 8 des Gesetzes Nr. 1386/1983 kann der OÄ während der zeitweiligen Geschäftsführung der betreffenden Gesellschaft abweichend von den geltenden Bestimmungen über Aktiengesellschaften beschließen, das Grundkapital dieser Gesellschaft zu erhöhen. Die Kapitalerhöhung bedarf der Genehmigung durch den zuständigen Minister. Die bisherigen Aktionäre behalten jedoch ihr Bezugsrecht, das sie innerhalb einer in der ministeriellen Genehmigungsentscheidung festgesetzten Frist ausüben können.

9 Aufgrund der Unterstellung von Chartopoiïa unter die Regelung des Gesetzes Nr. 1386/1983 übernahm der OÄ die Geschäftsführung dieser Gesellschaft und beschloß am , deren Kapital um 940 Millionen DR zu erhöhen. Diese Erhöhung wurde gemäß Artikel 8 Absatz 8 des Gesetzes Nr. 1386/1983 durch Beschluß Nr. 153 des Ministers für Industrie, Forschung und Technologie vom genehmigt.

10 Nach diesem Beschluß hatten die bisherigen Aktionäre ein unbegrenztes Bezugsrecht für die neuen Aktien, das sie innerhalb eines Monats nach Veröffentlichung des Beschlusses im Amtsblatt der Griechischen Republik auszuüben hatten. Die Kläger machten von diesem Recht keinen Gebrauch.

11 Ihrer Ansicht nach verstösst die vom OÄ beschlossene Kapitalerhöhung gegen Artikel 25 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie, der bestimme, daß "[j]ede Kapitalerhöhung... von der Hauptversammlung beschlossen werden [muß]". Sie erhoben daher Klage vor dem Polymeles Protodikeio Athen, das ihre Klage abwies.

12 Die Kläger legten deshalb gegen dieses Urteil Berufung beim Efeteio Athen ein. Der griechische Staat, der ihre Klage auf Ungültigkeitsfeststellung als mißbräuchlich ansah, erhob eine Einrede des Rechtsmißbrauchs nach Artikel 281 des Zivilgesetzbuchs, wonach die "Ausübung eines Rechts... unzulässig [ist], wenn dadurch die Grenzen, die nach Treu und Glauben, den guten Sitten oder dem sozialen oder wirtschaftlichen Zweck des betreffenden Rechts geboten sind, offensichtlich überschritten werden".

13 In seinem Vorlageurteil vertritt das nationale Gericht die Auffassung, Artikel 281 des Zivilgesetzbuchs greife ein, um Rechte aus Gemeinschaftsbestimmungen für den Fall ihrer mißbräuchlichen Ausübung für nicht anwendbar zu erklären. Im vorliegenden Fall würde die von den Klägern nach Artikel 25 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie begehrte Feststellung der Ungültigkeit der Entscheidung des OÄ über die Kapitalerhöhung offensichtlich über die Grenzen hinausgehen, die nach Treu und Glauben, den guten Sitten oder dem sozialen oder wirtschaftlichen Zweck des Rechts geboten seien.

14 Hierbei hat sich das vorlegende Gericht auf eine Reihe tatsächlicher Umstände gestützt.

15 So habe Chartopoiïa zum Zeitpunkt ihrer Unterstellung unter die Regelung des Gesetzes Nr. 1386/1983 umfangreiche fällige Verbindlichkeiten bei Banken und anderen Gläubigern sowie ein schwerwiegendes Liquiditätsproblem gehabt und über kein Eigenkapital mehr verfügt, so daß ihre Aktiva zur Begleichung ihrer Verbindlichkeiten nicht mehr ausgereicht hätten und ihre Aktien nichts mehr wert gewesen seien.

16 Ausserdem hätten die vom OÄ durchgeführte Kapitalerhöhung und die anschließende Umwandlung der Schulden in Aktien zu einer Erholung in der Geschäftstätigkeit von Chartopoiïa geführt. Folglich seien die Aktionäre durch den wirtschaftlichen Wert ihrer Anteile geschützt worden, die Gefahr einer Entlassung von Tausenden von Arbeitnehmern sei verhindert worden, und die Zusammenarbeit mit vielen Lieferanten habe im Interesse der Volkswirtschaft fortgesetzt werden können. Wäre hingegen das Kapital nicht erhöht worden, wäre über das Vermögen von Chartopoiïa der Konkurs eröffnet und ihr Vermögen auf Betreiben der Gläubiger veräussert worden, was den Verlust des gesamten Vermögens zum Nachteil der Aktionäre, die Entlassung der Arbeitnehmer und die Auslöschung eines für die Volkswirtschaft wichtigen Unternehmens zur Folge gehabt hätte.

17 Schließlich hätten die Aktionäre bei der Kapitalerhöhung ein Aktienbezugsrecht erhalten, von dem sie jedoch keinen Gebrauch gemacht hätten.

18 Das vorlegende Gericht hat das Verfahren unter Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofes vom in der Rechtssache C-441/93 (Pafitis u. a., Slg. 1996, I-1347, Randnrn. 67 bis 70) ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Kann ein nationales Gericht eine Vorschrift des innerstaatlichen Rechts (im vorliegenden Fall Artikel 281 des Zivilgesetzbuchs) anwenden, um zu prüfen, ob ein durch die betreffenden Gemeinschaftsvorschriften begründetes Recht von der berechtigten Prozesspartei mißbräuchlich ausgeuebt wird, oder gibt es andere durch Gesetz eingeführte oder gefestigte Grundsätze im Gemeinschaftsrecht - und, wenn ja, welche -, auf die sich das nationale Gericht gegebenenfalls stützen kann?

2. Wenn nein, d. h. wenn sich der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften diese Befugnis z. B. aus Gründen der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts selbst vorbehält: Können die konkreten Umstände, wie sie von dem beklagten und berufungsbeklagten Staat als Einwendungen erhebende Partei formuliert worden sind und in dem Urteil Nr. 5943/1994 des erkennenden Gerichts einen Beweisgegenstand dargestellt haben und im vorstehenden Absatz dieses Urteils kurz wiedergegeben worden sind, oder einige dieser Umstände - und, wenn ja, welche - den Erfolg der auf einen Verstoß gegen Artikel 25 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie 77/91/EWG des Rates gestützten Klage verhindern?

19 Mit diesen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht zum einen wissen, ob die nationalen Gerichte eine Bestimmung des nationalen Rechts anwenden können, um zu beurteilen, ob ein sich aus einer Gemeinschaftsbestimmung ergebendes Recht mißbräuchlich ausgeuebt wird, oder ob diese Beurteilung auf der Grundlage des Gemeinschaftsrechts vorzunehmen ist, und zum anderen, ob angesichts des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens die Voraussetzungen dafür erfuellt sind, daß das sich aus Artikel 25 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie ergebende Recht als mißbräuchlich ausgeuebt anzusehen ist.

20 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist die mißbräuchliche oder betrügerische Berufung auf Gemeinschaftsrecht nicht gestattet (vgl. u. a. im Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs die Urteile vom in der Rechtssache 33/74, Van Binsbergen, Slg. 1974, 1299, Randnr. 13, und vom in der Rechtssache C-23/93, TV10, Slg. 1994, I-4795, Randnr. 21; auf dem Gebiet des freien Warenverkehrs Urteil vom in der Rechtssache 229/83, Leclerc u. a., Slg. 1985, 1, Randnr. 27; auf dem Gebiet der Freizuegigkeit der Arbeitnehmer Urteil vom in der Rechtssache 39/86, Lair, Slg. 1988, 3161, Randnr. 43; auf dem Gebiet der gemeinsamen Agrarpolitik Urteil vom in der Rechtssache C-8/92, General Milk Products, Slg. 1993, I-779, Randnr. 21; auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit Urteil vom in der Rechtssache C-206/94, Paletta, Slg. 1996, I-2357, Randnr. 24).

21 Es kann daher nicht als gemeinschaftsrechtswidrig angesehen werden, daß nationale Gerichte eine innerstaatliche Rechtsvorschrift, wie Artikel 281 des griechischen Zivilgesetzbuchs, anwenden, um zu beurteilen, ob ein sich aus einer Gemeinschaftsbestimmung ergebendes Recht mißbräuchlich ausgeuebt wird.

22 Zwar kann der Gerichtshof nicht seine Beurteilung an die Stelle der Beurteilung der nationalen Gerichte setzen, die für die Feststellung des Sachverhalts der Rechtssache, mit der sie befasst sind, allein zuständig sind; jedoch ist daran zu erinnen, daß die Anwendung einer solchen nationalen Rechtsvorschrift nicht die volle Wirksamkeit und die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten beeinträchtigen darf (vgl. Urteil Pafitis u. a., Randnr. 68). Insbesondere können die nationalen Gerichte bei der Beurteilung der Ausübung eines sich aus einer Gemeinschaftsbestimmung ergebenden Rechtes nicht die Tragweite dieser Bestimmung verändern oder die mit ihr verfolgten Zwecke vereiteln.

23 Im vorliegenden Fall würden die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts und seine volle Wirksamkeit beeinträchtigt, wenn von einem Aktionär, der sich auf Artikel 25 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie beruft, deshalb angenommen würde, daß er sein Recht mißbraucht, weil die von ihm bekämpfte Kapitalerhöhung angeblich die finanziellen Schwierigkeiten, die die betreffende Gesellschaft bedrohten, behoben und ihm eindeutige wirtschaftliche Vorteile verschafft hat.

24 Nach ständiger Rechtsprechung gilt nämlich die Entscheidungsbefugnis der Hauptversammlung nach Artikel 25 Absatz 1 auch für den Fall, daß sich die betreffende Gesellschaft in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten befindet (vgl. u. a. die Urteile vom in den verbundenen Rechtssachen C-19/90 und C-20/90, Karella und Karellas, Slg. 1991, I-2691, Randnr. 28, und vom in der Rechtssache C-381/89, Syndesmos Melon tis Eleftheras Evangelikis Ekklisias u. a., Slg. 1992, I-2111, Randnr. 35). Da eine Kapitalerhöhung ihrem Wesen nach bezweckt, die Vermögenslage der Gesellschaft zu verbessern, würde es schlechthin einer Versagung der Ausübung des sich aus dieser Bestimmung ergebenden Rechts gleichkommen, wenn eine auf Artikel 25 Absatz 1 gestützte Klage mit der in Randnummer 23 dieses Urteils angeführten Begründung als mißbräuchlich angesehen würde.

25 So könnte sich ein Aktionär bei einer finanziellen Krisensituation der Gesellschaft nie auf Artikel 25 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie berufen. Die Tragweite dieser Bestimmung, die nach der genannten Rechtsprechung in einer solchen Situation anwendbar bleiben müsste, würde folglich verändert.

26 Ebensowenig kann, sollen nicht die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts und seine volle Wirksamkeit beeinträchtigt werden, einem Aktionär, der sich auf Artikel 25 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie beruft, eine mißbräuchliche Ausübung des sich aus dieser Bestimmung ergebenden Rechts deshalb zur Last gelegt werden, weil er nicht von seinem in Artikel 29 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie vorgesehenen Bezugsrecht für die anläßlich der streitigen Kapitalerhöhung ausgegebenen neuen Aktien Gebrauch gemacht habe.

27 Die Ausübung des Bezugsrechts hätte bedeutet, daß der Aktionär an der Durchführung der Entscheidung, das Kapital ohne Genehmigung durch die Hauptversammlung zu erhöhen, hätte mitwirken wollen; gegen diese Entscheidung wendet er sich jedoch gerade unter Berufung auf Artikel 25 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie. Daher würde es die Tragweite dieser Bestimmung verändern, wenn von einem Aktionär, der sich auf sie berufen will, verlangt würde, sich an einer Kapitalerhöhung zu beteiligen, die ohne durch die Hauptversammlung erteilte Genehmigung beschlossen worden ist.

28 Nach dem Gemeinschaftsrecht ist es jedoch nicht unzulässig, daß das vorlegende Gericht angesichts ernstzunehmender, hinreichender Anhaltspunkte prüft, ob der sich auf Artikel 25 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie berufende Aktionär eine Klage auf Feststellung der Ungültigkeit der Kapitalerhöhung zu dem Zweck erhoben hat, widerrechtliche Vorteile zum Nachteil der Gesellschaft zu erlangen, die offensichtlich unvereinbar damit sind, daß den Aktionären durch diese Bestimmung Gewähr dafür geboten werden soll, daß eine Entscheidung, das Grundkapital zu erhöhen und damit die Proportionen der Anteile der Aktionäre zu verändern, nicht ohne ihre Beteiligung an der Ausübung der Entscheidungsbefugnis der Gesellschaft getroffen wird.

29 Nach alledem ist zu antworten, daß es nach dem Gemeinschaftsrecht nicht unzulässig ist, daß die nationalen Gerichte eine Bestimmung des innerstaatlichen Rechts anwenden, um zu prüfen, ob ein sich aus einer Gemeinschaftsbestimmung ergebendes Recht mißbräuchlich ausgeuebt worden ist. Bei dieser Prüfung kann jedoch einem Aktionär, der sich auf Artikel 25 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie beruft, nicht eine mißbräuchliche Ausübung des sich aus dieser Bestimmung ergebenden Rechts zur Last gelegt werden, nur weil die von ihm bekämpfte Kapitalerhöhung angeblich die finanziellen Schwierigkeiten, die die betreffende Gesellschaft bedrohten, behoben und ihm eindeutige wirtschaftliche Vorteile verschafft hat oder weil er nicht von seinem in Artikel 29 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie vorgesehenen Bezugsrecht für die anläßlich der streitigen Kapitalerhöhung ausgegebenen neuen Aktien Gebrauch gemacht hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

30 Die Auslagen der griechischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
PAAAC-43257

1Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg