Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung: ernstliche Zweifel wegen Anwendung des § 2 Abs. 3 EStG 1999
Gesetze: FGO § 69
Instanzenzug:
Gründe
I. Die Kläger und Antragsteller (Antragsteller) sind Eheleute, die positive Einkünfte aus selbständiger Arbeit und aus Gewerbebetrieb sowie negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielen. Im Einkommensteuerbescheid für 1999 vom wurden unter Anwendung von § 2 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304) —EStG 1999— negative Einkünfte in Höhe von 183 854 DM nicht als ausgleichsfähig anerkannt. Nach Berücksichtigung von Steuerabzugsbeträgen (Kapitalertragsteuer 5 537 DM —2 831,02 €—, Solidaritätszuschlag 308,79 DM —157,88 €— und anzurechnender Körperschaftsteuer 835 DM —426,93 €—) beliefen sich die Abschlusszahlungen für die Einkommensteuer auf 64 076 DM (32 761,54 €), die Kirchensteuer auf 6 070,32 DM (3 103,71 €) und den Solidaritätszuschlag auf 3 323,79 DM (1 699,43 €).
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Die Revision ist beim Bundesfinanzhof (BFH) unter dem Az. XI R 35/06 anhängig.
Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte das ebenfalls ab. Mit Schriftsatz vom haben die Antragsteller unter Bezugnahme auf den Vorlagebeschluss des Senats vom XI R 26/04 (BFH/NV 2006, 2351; Az. des Bundesverfassungsgerichts —BVerfG— 2 BvL 59/06) nunmehr beim BFH Vollziehungsaussetzung betreffend Einkommensteuer in Höhe von 32 761,54 €, Kirchensteuer in Höhe von 3 103,71 € und Solidaritätszuschlag in Höhe von 1 699,43 € beantragt. Auf Anfrage haben sie mitgeteilt, dass sie die im Bescheid vom ausgewiesenen Nachzahlungen entrichtet haben.
Der Beklagte und Antragsgegner (das Finanzamt —FA—) hat beantragt, den Antrag wegen des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses abzulehnen.
II. Der Antrag auf Aufhebung der Vollziehung (AdV) ist überwiegend begründet.
1. Gemäß § 69 Abs. 6 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach den Abs. 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen (§ 69 Abs. 6 Satz 2 FGO). Das gilt auch dann, wenn das FG bereits über einen Antrag auf AdV entschieden hat, in der Hauptsache inzwischen ein Verfahren beim BFH anhängig ist und der erneute Antrag deshalb —wie im Streitfall— beim BFH zu stellen ist (, BFH/NV 2004, 516, m.w.N.).
Umstände, die eine Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses in diesem Sinne rechtfertigen können, liegen vor, wenn entweder nachträglich eingetretene oder bekannt gewordene Gegebenheiten den Fall in tatsächlicher Hinsicht in einem neuen Licht erscheinen lassen (vgl. , BFH/NV 1997, 247) oder wenn eine Gesetzesänderung oder eine zwischenzeitlich ergangene gerichtliche Entscheidung zu einer veränderten Beurteilung der maßgeblichen Rechtslage führen kann (, BFH/NV 1991, 535).
2. Danach sind die Voraussetzungen für eine Änderung des die Vollziehungsaussetzung ablehnenden und für die überwiegende AdV des Bescheides erfüllt.
a) An der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage nunmehr ernstliche Zweifel insoweit, als das FA bei der Festsetzung der Steuern und des Solidaritätszuschlags die Vorschrift des § 2 Abs. 3 EStG 1999 angewandt und deshalb einen Verlust aus Vermietung und Verpachtung von 183 854 DM nicht zum Ausgleich mit positiven Einkünften zugelassen hat. Der Senat hat mit Beschluss in BFH/NV 2006, 2351 dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob u.a. die Regelungen in § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG 1999 wegen Verletzung des Grundsatzes der Normenklarheit (Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes —GG—) verfassungswidrig sind. Eine Richtervorlage setzt nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG voraus, dass ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Allein Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Vorschrift reichen hierfür nicht aus. Das Gericht muss vielmehr von der Verfassungswidrigkeit überzeugt sein (, 2 BvL 21/84, BVerfGE 68, 352) und diese Überzeugung in der Vorlage begründen. Dementsprechend ist im Beschluss in BFH/NV 2006, 2351 in den Entscheidungsgründen dargelegt, dass der erkennende Senat der Auffassung ist, die Vorschrift des § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG 1999 sei verfassungswidrig.
b) Der Vorlagebeschluss stellt zwar keine das Verfahren abschließende Entscheidung dar; er beinhaltet aber eine nach Ergehen der Entscheidung des FG bekannt gewordene, veränderte Beurteilung der maßgeblichen Rechtslage durch den BFH. Diese führt zugleich dazu, dass nunmehr ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des unter Anwendung von § 2 Abs. 3 EStG 1999 erlassenen Bescheides zu bejahen sind.
c) Eine AdV ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der vom FA gemäß § 10d Abs. 4 EStG festgestellte verbleibende Verlustabzug zum für die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 183 854 DM den Antragstellern eine Verrechnung mit positiven Einkünften in den Folgejahren eröffnet. Bei der Prüfung, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheides bestehen, kann grundsätzlich nicht berücksichtigt werden, dass sich aus demselben Sachverhalt bei späteren Veranlagungen Vorteile für den Steuerpflichtigen ergeben. Eine AdV ist zudem gemäß § 237 der Abgabenordnung (AO) mit einer Zinspflicht verbunden.
3. Die Vollziehung des Bescheides ist demnach hinsichtlich der Einkommensteuer in Höhe von 32 761,54 € und des Solidaritätszuschlags in Höhe von 1 699,43 € aufzuheben. Ausgehend von einem unter Berücksichtigung der negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung ermittelten zu versteuernden Einkommen von 35 662 DM (ohne Abzug von Kinderfreibeträgen) für die Einkommensteuer bzw. 28 750 DM (nach Abzug von Kinderfreibeträgen) für den Solidaritätszuschlag wären die Abschlusszahlungen nicht angefallen.
Hinsichtlich der Kirchensteuer ist eine AdV in Höhe von 3 073,43 € (3 103,71 € ./. 30,28 €) geboten. Bei einem vollen Ansatz der negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung hätte die Bemessungsgrundlage für die Festsetzung der Kirchensteuer 658 DM (Einkommensteuer lt. Splittingtabelle für ein zu versteuerndes Einkommen von 28 750 DM) und die Kirchensteuer damit 59,22 DM (9 v.H. von 658 DM), also 30,28 € betragen. Vorauszahlungen sind insoweit nicht geleistet worden.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1116 Nr. 6
FAAAC-42621