BGH Beschluss v. - I ZB 73/06

Leitsatz

[1] Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe an den Verwalter in einem Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person setzt nicht voraus, dass die Unterlassung der Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen i.S. von § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO zuwiderlaufen würde.

Gesetze: ZPO § 116 Satz 1 Nr. 1ZPO § 116 Satz 1 Nr. 2

Instanzenzug: LG München I 4 HKO 6154/01 vom OLG München 6 U 5800/04 vom

Gründe

I. Der Beklagte ist Verwalter in dem am auf Antrag der Klägerin eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der M. Produktions GmbH. Er begehrt in einem Rechtsstreit, in dem die Parteien um Rechte und Pflichten aus Lizenzvereinbarungen streiten, die Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens vor dem Oberlandesgericht München.

Das Landgericht hat die ursprünglich beklagte Insolvenzschuldnerin mit Urteil vom unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von 7.337.038,50 € verurteilt. Gegen diese Entscheidung haben sowohl die Klägerin als auch die Insolvenzschuldnerin Berufung eingelegt.

Mit Schriftsatz vom hat der Beklagte das durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochene Verfahren aufgenommen und zugleich beantragt, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Das Berufungsgericht hat diesen Antrag abgelehnt.

Mit seiner zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe weiter. Die Klägerin hat sich im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht geäußert.

II. Die Rechtsbeschwerde ist, da sie vom Berufungsgericht zugelassen worden ist, gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft und auch ansonsten zulässig. In der Sache führt sie zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Dem Beklagten hätte vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens Prozesskostenhilfe nicht gewährt werden können, da weder ersichtlich noch überhaupt vorgetragen worden sei, dass die Unterlassung der Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens habe sich daran nichts geändert. Dem Insolvenzverwalter könne Prozesskostenhilfe nicht in weiterem Maß bewilligt werden als dem Gemeinschuldner vor Eintritt der Insolvenz. Zwar liege, da der Insolvenzantrag von der Klägerin gestellt worden sei, kein Fall der Umgehung vor. Das Ergebnis, dass die Gemeinschuldnerin über den Insolvenzverwalter Prozesskostenhilfe erhielte, stelle aber gleichwohl eine Umgehung der gesetzlichen Regelung dar, die es zu verhindern gelte.

2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Der Beklagte ist als Insolvenzverwalter Partei kraft Amtes i.S. von § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe an ihn erfordert daher neben der Erfüllung der in § 114 Satz 1, § 115 ZPO genannten allgemeinen Voraussetzungen weiter auch das Vorliegen der in § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO genannten Voraussetzungen, nicht dagegen darüber hinaus auch noch, dass die Unterlassung der Rechtsverteidigung durch den Beklagten allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde. Der Umstand, dass der Insolvenzschuldnerin selbst außerhalb des Insolvenzverfahrens Prozesskostenhilfe nur unter dieser weitergehenden Voraussetzung hätte bewilligt werden können, steht dem nicht entgegen. Die gegenteilige Beurteilung des Berufungsgerichts vernachlässigt, dass die Prozesskostenhilfe nicht der juristischen Person der Insolvenzschuldnerin, sondern dem Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes zu bewilligen ist. Außerdem werden von der Entscheidung neben der Insolvenzschuldnerin andere Beteiligte wie insbesondere die Insolvenzgläubiger betroffen; die Berücksichtigung der Interessen dieser Beteiligten ist nicht an die zusätzlichen Anforderungen geknüpft, die das Gesetz bei juristischen Personen und parteifähigen Vereinigungen in § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe stellt. Die vom Berufungsgericht vertretene Auffassung widerspricht auch dem Zweck der gesetzlichen Regelung (vgl. - noch zum Konkursverfahren - , NJW 1991, 40, 41 f.; zum Insolvenzverfahren vgl. MünchKomm.ZPO/Wax, 2. Aufl., § 116 Rdn. 8; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 116 Rdn. 17; Zöller/Philippi, ZPO, 26. Aufl., § 116 Rdn. 2a; MünchKomm.InsO/Ott, § 80 Rdn. 87; Uhlenbruck/Maus, InsO, 12. Aufl., § 80 Rdn. 85; a.A. Baumbach/Hartmann, ZPO, 65. Aufl., § 116 Rdn. 7 u. 18). Sie berücksichtigt insbesondere nicht hinreichend, dass der Rechtsverfolgung des Insolvenzverwalters im Rahmen eines geordneten Insolvenzverfahrens grundsätzlich ein eigenständiges, schutzwürdiges öffentliches Interesse beizumessen ist (BGH NJW 1991, 40, 41; BGHZ 119, 372, 376 f.; , NJW-RR 2006, 1064, 1065). Außerdem würde sie zu einer durch sachliche Gründe nicht zu rechtfertigenden Abwertung der Interessen der Gläubiger gerade in solchen Insolvenzverfahren führen, die juristische Personen oder rechtsfähige Vereinigungen beträfen.

b) Eine abweichende Beurteilung ist nicht deshalb gerechtfertigt, weil der Beklagte erst im Laufe des Rechtsstreits an die Stelle der Insolvenzschuldnerin getreten ist. Bei der Beantwortung der Frage, ob Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann, ist auf die Verhältnisse der jeweils betroffenen Partei abzustellen. Dementsprechend tritt bei einem Parteiwechsel - wie hier bei der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens - die neu eintretende Partei in dieser Hinsicht nicht in die Stellung der ausgeschiedenen Partei ein. Vielmehr ist in einem solchen Fall zu prüfen, ob in der Person der neu eintretenden Partei die Voraussetzungen vorliegen, unter denen Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann (Zöller/Philippi aaO § 114 Rdn. 12). Dementsprechend gilt die Bestimmung des § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO, wenn der Insolvenzverwalter in einem bereits anhängigen Rechtsstreit an die Stelle des Schuldners tritt (vgl. MünchKomm.ZPO/Wax aaO § 114 Rdn. 83).

c) Das Berufungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass ein Fall der Umgehung des - für die Gewährung von Prozesskostenhilfe höhere Anforderungen als § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO stellenden - § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO schon deshalb nicht vorliegt, weil nicht die Insolvenzschuldnerin, sondern die Klägerin den Insolvenzantrag gestellt hat, der zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin geführt hat.

III. Das Berufungsgericht hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht geprüft, ob die Voraussetzungen des § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO erfüllt sind und ob im Übrigen auch - soweit eine solche Prüfung im Blick auf § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO noch veranlasst ist - hinreichende Erfolgsaussicht sowie das Fehlen von Mutwillen als die sich aus § 114 Satz 1 ZPO ergebenden allgemeinen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe vorliegen (vgl. § 116 Satz 2 ZPO; Baumbach/Hartmann aaO § 116 Rdn. 23). Die Sache ist aus diesem Grund nicht zur Endentscheidung reif und daher zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 ZPO).

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

Fundstelle(n):
ZIP 2007 S. 887 Nr. 18
WAAAC-42193

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja