BFH Beschluss v. - VII B 106/06

Anforderungen an die Darlegung eines Verfahrensfehlers; Rüge wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs; vom Strafurteil abweichende Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3; FGO § 96

Instanzenzug: FG des Landes Brandenburg Urteil vom 1 K 2056/05

Gründe

I. Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) hat den Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) als Haftungsschuldner in Anspruch genommen, nachdem dieser wegen Beihilfe zur Untreue eines Mitarbeiters des FA rechtskräftig verurteilt worden war. Der Mitarbeiter hatte in 22 Fällen Gelder veruntreut, indem er für zwei fiktive Steuerpflichtige Steuerkonten errichtete und veranlasste, dass Steuererstattungen festgesetzt und von der Finanzkasse ausgezahlt wurden. Das Strafgericht sah den Tatbeitrag des Klägers in zwei Fällen darin, für die Errichtung der Bankkonten und die Verwendung der darauf eingegangenen Umsatzsteuererstattungen gesorgt zu haben. Die Haftungsbeträge ergaben sich aus den auf das jeweilige Konto eingezahlten Summen einschließlich der Hinterziehungszinsen. Zuvor hatte das Landgericht (LG) eine Schadensersatzklage des Landes gegen den Kläger wegen Verjährung des Anspruches abgewiesen.

Das Finanzgericht (FG) hatte der Klage des Klägers im ersten Rechtsgang stattgegeben mit der Begründung, der als Haupttäter Verurteilte habe keine Steuerhinterziehung begangen, zu der der Kläger habe Beihilfe leisten können. Der Senat hat dieses Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Er war der Auffassung, eine Steuerhinterziehung liege auch dann vor, wenn mangels Kenntnisnahme anderer Bediensteter des FA von den betreffenden Arbeitsvorgängen weder ein Irrtum erregt noch eine Willensentscheidung über die Erstattung getroffen worden sei. Auch im zweiten Rechtsgang hat das FG die Haftungsbescheide aufgehoben. Das FA habe sein Entschließungsermessen bei der Heranziehung des Klägers fehlerhaft ausgeübt. Das FG konnte nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, dass der Kläger Beihilfe zu den vom Haupttäter begangenen Steuerhinterziehungen geleistet habe. Anders als das Strafgericht wertete es verschiedene Aussagen des Hauptbelastungszeugen als unglaubhaft und sah deshalb den Tatbeitrag des Klägers nicht als erwiesen an.

Das FA stützt seine Nichtzulassungsbeschwerde auf § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das Urteil sei verfahrensfehlerhaft, weil das FG die den Kläger belastende Aussage des Zeugen, auf dessen Namen eines der Konten eröffnet worden ist, nicht hätte als unglaubhaft werten und den Zeugen deshalb nicht insgesamt für unglaubwürdig halten dürfen, wenn es sein, des FA, Vorbringen vollständig und bestimmte, sich insbesondere aus den Strafakten ergebende aktenkundige Tatsachen fehlerfrei berücksichtigt hätte. Es hätte vielmehr aufgrund dieser Aussage zu dem Ergebnis kommen müssen, dass der Kläger Beihilfe zur Steuerhinterziehung zumindest in Bezug auf das auf den Namen des Zeugen eingerichtete Steuerkonto geleistet habe. Im Einzelnen rügt das FA:

(1) Zu Unrecht habe das FG die Aussage des Zeugen, er habe sich für die telegrafische Geldüberweisung von dem auf seinen Namen geführten Konto bei der Bank in A. zum Zwecke der anschließenden abredewidrigen Barabhebung eine Bank in B. gesucht, bei der er nicht bekannt gewesen sei, als nachweislich falsch erachtet. Das FG habe diese Erkenntnis darauf gestützt, dass der Mitarbeiter der Bank in B., bei der der Zeuge die Transaktion hatte durchführen lassen, auf dem Einzahlungsbeleg vermerkt hatte, dass der Zeuge persönlich bekannt sei und dass dieser Mitarbeiter bei einer Befragung im Rahmen der Ermittlungen der Steuerfahndung angegeben habe, dass der Zeuge nach seiner Erinnerung bereits zuvor ähnliche Transaktionen durchgeführt habe. Das FG habe dabei unberücksichtigt gelassen, dass ausweislich der Strafakte eine Befragung des Mitarbeiters der Bank selbst nicht stattgefunden habe, der durch einen anderen Mitarbeiter Befragte nur meinte, sich erinnern zu können, und das FA unter Hinweis auf die vorgelegten Unterlagen vorgetragen habe, dass weitere Transaktionen durch den Zeugen ausweislich der Belege und Aufzeichnungen der kontoführenden Bank in A. nicht durchgeführt worden seien.

(2) Auch die Zweifel des FG an der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen in Bezug auf den Zeitpunkt der von ihm veranlassten Sperre des Schecks hätten ausgeräumt werden können, wenn es die vom LG seiner Entscheidung zugrunde gelegte erneute Aussage der Bankangestellten in der Berufungsverhandlung —u.a. dass es (nur) „unüblich” sei, eine Schecksperre zurückzudatieren— zur Kenntnis genommen hätte. Es hätte dann nicht feststellen können, dass das LG bei der Würdigung der Aussage der Bankangestellten von falschen Tatsachen, nämlich Äußerungen, die sie angeblich nie gemacht habe, ausgegangen sei. Ebenso wie das LG hätte es dann auch nicht feststellen können, dass die Bankangestellte den Scheck nicht rückdatiert habe mit der Folge, dass dann die Aussage des Zeugen, von diesem Scheck erst anlässlich der Barabhebung Kenntnis erlangt zu haben, nicht hätte fragwürdig erscheinen können.

(3) Das FG habe auch nicht entgegen der Aussage des Zeugen davon ausgehen dürfen, dass der Kläger den vorgenannten Scheck bei dem Zeugen angefordert und dieser ihn dann ausgestellt habe, weil nach dem vom Amtsgericht eingeholten Schriftgutachten die Unterschrift wahrscheinlich gefälscht gewesen sei, also nicht von dem Zeugen stamme. Würde es dieses Gutachten berücksichtigt haben, hätte es feststellen müssen, dass die Aussage des Zeugen auch in diesem Punkt glaubhaft gewesen sei.

II. Die Beschwerde ist unbegründet, denn die vom FA gerügten Verfahrensfehler liegen nicht vor.

1. Ein Verfahrensfehler kann nur dann vorliegen, wenn das FG bei der vermeintlich gebotenen Verfahrensführung nach der insoweit maßgebenden, ggf. auch unrichtigen materiell-rechtlichen Auffassung des FG zu einer anderen Entscheidung hätte gelangen können (vgl. z.B. , BFH/NV 2005, 1811). Das gilt insbesondere, wenn —wie vorliegend vom FA— gerügt wird, das FG habe den Inhalt der Akten nicht, wie in § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO gefordert, vollständig und einwandfrei berücksichtigt und deshalb insoweit auch das nach Art. 103 des Grundgesetzes i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO zu gewährende rechtliche Gehör versagt. Im Übrigen kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass das FG den Akteninhalt zur Kenntnis genommen und erwogen hat, sofern nicht besondere Umstände des konkreten Falls auf einen diesbezüglichen Verstoß hindeuten (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFH/NV 2006, 2289, m.w.N.).

Der Senat kann offenlassen, ob die Annahme gerechtfertigt ist, das FG würde ohne Berücksichtigung der den Rügen des FA zugrunde liegenden Sachverhalte von der Glaubwürdigkeit des Zeugen überzeugt gewesen und deshalb zu einer den betreffenden Haftungsbescheid bestätigenden Entscheidung gelangt sein. Denn die Argumentation des FG, nach der sich die Darstellung der streitigen Geschehensabläufe durch den Zeugen als falsch erweist, wird durch die vom FA hervorgehobenen Gesichtspunkte nicht entkräftet.

(1) Dass der Zeuge bei der Bank in B., bei der er den von seiner Bank in A. telegrafisch überwiesenen Betrag bar abgehoben hat, vorher —entgegen seiner Aussage— persönlich bekannt war, lässt sich nicht mit „Belegen und Aufzeichnungen” der überweisenden Bank in A. widerlegen, wonach der Zeuge dort vorher keinen weiteren Geldtransfer an die auszahlende Bank in B. veranlasst hat. Die Aussage des Mitarbeiters der Bank in B., dass der Zeuge nach seiner Erinnerung bereits zuvor ähnliche Transaktionen durchgeführt habe, insbesondere aber der Vermerk „pers. bek.” auf der Auszahlungsquittung, werden dadurch nicht entkräftet. Es ist nämlich denkbar, dass der Zeuge die dem Mitarbeiter erinnerlichen ähnlichen Transaktionen nicht über seine Bank in A., sondern über eine andere Bank abwickeln ließ. Das FG hatte deshalb keinen Anlass, sich mit den vom FA angesprochenen Unterlagen der Bank in A. auseinanderzusetzen. Im Übrigen hat das FG offengelassen, durch wen der Mitarbeiter der Bank in B. befragt worden ist. Dass eine Befragung durch einen anderen Mitarbeiter dieser Bank erfolgt ist, räumt die Beschwerde selbst ein.

(2) Ein revisionsbegründender Verfahrensfehler ergibt sich auch nicht daraus, dass die Feststellung des FG, die Bankangestellte habe die im Urteil des LG wiedergegebene Aussage so nie gemacht, nach Auffassung des FA im Widerspruch zum Akteninhalt steht. Denn den weiteren Ausführungen des FG ist zu entnehmen, dass es der Würdigung der Aussage der Bankangestellten durch das LG nicht deshalb nicht folgt, weil sie diese nie gemacht habe. Das FG hat vielmehr die aus dem Urteil des LG wörtlich zitierte Aussage mit früheren Aussagen der Bankangestellten abgeglichen. Weil danach bei dieser Bank drei Personen mit der Schecksperre betraut gewesen waren, hat es ausgeschlossen, dass die Schecksperre —wie vom Belastungszeugen behauptet— aus Gefälligkeit zurückdatiert worden sein könnte. Zu der von der des LG abweichenden Beurteilung der Aussage der Bankangestellten —und damit zu der die Glaubwürdigkeit des Zeugen erschütternden Feststellung über den Zeitpunkt der von ihm veranlassten Schecksperre— kommt das FG damit aufgrund einer eigenen umfassenden Würdigung der aktenkundigen Zeugenaussagen, zu der es im Rahmen der ihm obliegenden Prüfung, ob der in Haftung Genommene eine Steuerhinterziehung begangen oder an ihr teilgenommen hat, grundsätzlich nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO verpflichtet ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFHE 175, 489, BStBl II 1995, 198).

(3) Richtig ist, dass das FG das im Strafverfahren gegen den Kläger erstellte Schriftgutachten, wonach die Unterschrift auf dem später gesperrten Scheck wahrscheinlich gefälscht sei, also nicht vom Zeugen stamme, in seiner Entscheidung nicht verwertet hat. Richtig ist auch, dass das FG im Rahmen seiner Rekonstruktion eines wahrscheinlichen Geschehensablaufs annimmt, dass der Zeuge den Scheck ausgestellt und vordatiert habe. Richtig ist schließlich auch, dass das FG vor dem Hintergrund dieses rekonstruierten Geschehensablaufs meinte, es stehe nicht mehr eindeutig fest, welchen Tatbeitrag der Kläger geleistet bzw. ob er überhaupt einen Tatbeitrag geleistet habe. Für die Wahrscheinlichkeit des vom FG skizzierten Geschehens aber war die Feststellung, dass die Unterschrift auf dem Scheck vom Zeugen stammt, nicht erheblich. Das FG formuliert zwar, dass sich der Tatbeitrag des Zeugen anders als von ihm behauptet darstelle, wenn der Zeuge, „von der Existenz des Schecks wusste und diesen möglicherweise sogar ausgestellt” habe. Entscheidend für die Bewertung der den Kläger belastenden Aussage als insgesamt unglaubwürdig war aber für das FG, dass es die Schilderungen des Zeugen, mit denen er zu belegen suchte, von der Existenz des Schecks nichts gewusst zu haben, für widerlegt hielt. Das FG sah —unabhängig von der Echtheit der Unterschrift— hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Zeitpunkt, zu dem der Zeuge von dem Scheck erfahren haben will, nicht richtig sein könne. Das Schriftgutachten war —abgesehen davon, dass es weder für noch gegen die Echtheit der Unterschrift Beweis liefert— für das FG entbehrlich.

2. Die Rügen des FA richten sich im Grunde gegen die vom FG vorgenommene Beweiswürdigung. Damit kann jedoch ein Verfahrensmangel nicht begründet werden, da die Grundsätze der Tatsachen- und Beweiswürdigung revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen und deshalb der Prüfung des BFH im Rahmen einer Verfahrensrüge entzogen sind (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Entscheidungen vom III B 187/05, BFH/NV 2006, 2252; vom VII R 17/03, BFHE 204, 380).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1157 Nr. 6
BAAAC-42122