Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch Nichterhebung eines angebotenen Zeugenbeweises
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
Instanzenzug: FG des Landes Brandenburg Urteil vom 2 K 2215/02
Gründe
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war im Streitjahr 1998 Geschäftsführer u.a. der X... A...-Handels GmbH (GmbH). Er war ferner Kommanditist der A...-GmbH und Co. Beteiligungs KG (KG) und Geschäftsführer der Komplementärin der KG, die Anteilseignerin der zur „A...-Gruppe” gehörenden Gesellschaften war. Fast sämtliche dieser Gesellschaften beantragten am die Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens. Mit Urteil vom bejahte das Landgericht B einen Anspruch des Verwalters in dem Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der GmbH gegen den Kläger gemäß §§ 30, 31 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Laut Tatbestand hatte der Kläger als Geschäftsführer der GmbH im August 1998 verschiedene Geldtransfers veranlasst. So hatte er im August des Streitjahres 260 000 DM überwiesen, um auf diese Weise eigene, seit 1997 u.a. gegen die KG und die GmbH bestehende rückständige Gehaltsansprüche zu begleichen. Darüber hinaus hatte er bei der GmbH im August 1998 173 000 DM zur Tilgung weiterer Gehaltsansprüche entnommen.
Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr erfasste der Rechtsvorgänger des Beklagten und Beschwerdegegners (das Finanzamt —FA—) die genannten Zahlungen in Höhe von insgesamt 433 000 DM als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage insoweit ab.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger vornehmlich die Verletzung der Sachaufklärungspflicht.
Das FA hält die Beschwerde für unbegründet.
II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG. Das angefochtene Urteil leidet an einem Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Das FG hat seine Pflicht zur Sachaufklärung durch Nichterhebung eines angebotenen Zeugenbeweises (§ 76 Abs. 1 FGO) verletzt.
1. Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Das Gericht ist dabei an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden (§ 76 Abs. 1 Satz 5 FGO). Das gilt aber nur in dem Sinne, dass das FG von sich aus Beweise erheben kann, die von den Parteien nicht angeboten worden sind (Entscheidungen des Bundesfinanzhofs —BFH— vom VII B 38/04, BFH/NV 2005, 1496; vom III R 59/83, BFH/NV 1989, 38). Von den Verfahrensbeteiligten angebotene Beweise muss das FG grundsätzlich erheben, wenn es einen Verfahrensmangel vermeiden will (, BFH/NV 2006, 780). Auf die beantragte Beweiserhebung kann es im Regelfall nur verzichten, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist, wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann, wenn das Beweismittel unerreichbar ist oder wenn das Beweismittel unzulässig oder absolut untauglich ist (ständige Rechtsprechung; z.B. BFH-Entscheidungen vom VI R 71/99, BFH/NV 2006, 753; vom V R 38/99, BFH/NV 2001, 181; vom XI B 58/02, BFH/NV 2003, 787; vom IX R 101/90, BFHE 174, 301, BStBl II 1994, 660). Ferner ist das FG nicht verpflichtet, unsubstantiierten Beweisanträgen nachzugehen (z.B. BFH-Beschlüsse vom IX B 58/06, BFH/NV 2006, 2117; vom XI B 79/05, BFH/NV 2006, 1132; vom X B 66/04, BFH/NV 2005, 1339; Urteil vom VII R 135/85, BFHE 153, 393, BStBl II 1988, 841; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 76 Rz 29). Die Beweiserhebung darf nicht mit der Begründung zurückgewiesen werden, die Beweiserhebung sei lediglich „angeregt” worden (BFH-Beschluss in BFH/NV 2003, 787).
2. Nach diesen Grundsätzen musste das FG den angebotenen Zeugenbeweis erheben. Der Beweisantrag war auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass dem Alleingesellschafter oder beherrschenden Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft Beträge, die ihm die Gesellschaft schuldet, nach der Rechtsprechung bereits mit Fälligkeit zugeflossen sind, vorausgesetzt, die Gesellschaft ist zahlungsfähig (, BFHE 144, 409, BStBl II 1986, 62; vom VI R 35/94, BFH/NV 1995, 208; Birk/Küster in Herrmann/Heuer/Raupach, § 11 EStG Anm. 62). Danach durften hier die auf das Jahr 1997 entfallenden Gehaltsansprüche im Streitjahr als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nicht erfasst werden, wenn die betreffenden Gesellschaften 1997 noch zahlungsfähig waren. Dies hat der Kläger immerhin behauptet. Da diese nicht weiter belegte Behauptung dem FG nicht ausreichte, war der entsprechend angebotene Beweis zu erheben. Auf die beantragte Beweiserhebung konnte, soweit ersichtlich, auch nicht ausnahmsweise verzichtet werden. Jedenfalls rechtfertigt die Auffassung des FG, der Gesamtvollstreckungsverwalter sei aufgrund seiner Funktion nicht in der Lage, zum fraglichen Beweisthema „Aufschluss” zu geben, einen Verzicht auf das Beweismittel als absolut untauglich nicht.
3. Entgegen der Auffassung des FA hat der Kläger sein Rügerecht nicht verloren. Begründet —wie hier— ein FG im angefochtenen Urteil, weshalb es von der Erhebung eines beantragten Beweises abgesehen hat, genügt für eine ordnungsgemäße Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht der Vortrag, das FG sei dem Beweisantritt nicht gefolgt (ständige Rechtsprechung; BFH-Beschlüsse vom VIII B 71/05, BFH/NV 2006, 2297; in BFH/NV 2003, 787).
4. Da die Beschwerde des Klägers bereits wegen dieses wesentlichen Verfahrensfehlers Erfolg hat, kann offen bleiben, ob auch die weiteren mit ihr erhobenen formellen Rügen durchgreifen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
JAAAC-40988