Anforderungen an die Mitunternehmerstellung eines stillen Gesellschafters; Änderung einer vereinbarten Verlustausschlussklausel im Gesellschaftsvertrag; Beiladung bei Klage gegen einen negativen Feststellungsbescheid
Gesetze: EStG § 15; FGO § 60; FGO § 120
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) —Herr A.— an der V-KG atypisch still beteiligt war und ihm deshalb im Rahmen der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung 1997 (Streitjahr) Verluste zuzurechnen sind.
Der Kläger war seit Gründung der V-KG im Jahre 1972, die ein Unternehmen der Werbebranche unterhielt, bis Juli 1984 als Kommanditist beteiligt. Der in dieser Zeit erzielte Gesamtverlust der V-KG belief sich auf rd. 2,45 Mio. DM.
Am veräußerte der Kläger, der hauptberuflich im ...handel tätig war, Herrn M., einem Angestellten der V-KG, sowohl seine Beteiligung an der V-KG als auch die Anteile an der Komplementärin (V-GmbH) zum Preis von 1 DM; zudem glich der Kläger den Verlustvortrag (261 125 DM) aus.
Noch am selben Tage wurde zwischen dem Kläger und der V-KG ein Vertrag über die Begründung einer „atypisch stillen Gesellschaft” mit einer Laufzeit von 15 Jahren geschlossen, demzufolge Herr A. eine Einlage von 100 000 DM zu leisten hatte sowie am Gewinn und dem Zuwachs des Geschäftsvermögens der V-KG (einschließlich des Firmenwerts) mit 50 % beteiligt war. Eine Beteiligung am Verlust wurde ausgeschlossen; auch standen dem Kläger weder Geschäftsführungsbefugnisse noch das Recht zu, die V-KG zu vertreten. Änderungen im Bestand der Gesellschafter sowohl der V-KG als auch der Komplementärin bedurften jedoch der Zustimmung des Klägers; Gleiches galt für Änderungen der Geschäftsführungs- oder Vertretungsrechte bei der Komplementärin. Darüber hinaus war der Kläger befugt, die abschriftliche Mitteilung der Jahresabschlüsse zu verlangen und diese auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (§ 233 des Handelsgesetzbuchs —HGB—); auch konnte er jederzeit Auskunft über den Geschäftsgang verlangen und sich von den Angelegenheiten der Gesellschaft persönlich unterrichten (§ 716 des Bürgerlichen Gesetzbuchs —BGB—).
In den Jahren 1984 bis 1995 erzielte die V-KG Verluste in Höhe von rd. 3,547 Mio. DM, die durch Darlehen und Bürgschaften des Klägers über 4 249 365 DM gedeckt wurden. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) ging zwar zunächst von einer Mitunternehmerstellung des Klägers aus; mangels Teilhabe am Verlust sowie mit Rücksicht darauf, dass die Darlehen der V-KG zinslos gewährt wurden, ist er jedoch in den Gewinnfeststellungsbescheiden 1984 bis 1996 nicht als Feststellungsbeteiligter genannt worden.
Nachdem der Kläger eine weitere finanzielle Unterstützung der V-KG verweigert hatte, ist diese im Oktober 1997 zahlungsunfähig geworden. Nach Einstellung des Geschäftsbetriebes wurde im November 1997 das Konkursverfahren eröffnet. Inzwischen ist die V-KG voll beendet und im Handelsregister gelöscht.
Den Antrag des Klägers, im Rahmen der Gewinnfeststellung 1997 einen Verlust in Höhe der ausgefallenen Darlehen sowie Bürgschaftsregressansprüche (4 249 365 DM) zu berücksichtigen, lehnte das FA —mangels Gewinnerzielungsabsicht— mit Bescheid vom ab. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Die Vorinstanz führte hierzu im Wesentlichen aus, dass der Kläger nicht an den Verlusten der V-KG beteiligt gewesen sei und er deshalb kein ausreichendes Mitunternehmerrisiko getragen habe (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2004, 404).
Mit der —vom Finanzgericht (FG) zugelassenen— Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Abgesehen davon, dass in der Rechtsprechung nicht geklärt sei, welche Bedeutung dem Merkmal Verlustbeteiligung für die Anerkennung der Mitunternehmerstellung eines stillen Gesellschafters zukomme, habe die Vorinstanz außer Acht gelassen, dass der Kommanditist (Herr M.) nur von seinem Geschäftsführergehalt gelebt habe. Demgemäß sei auch ab dem Jahre 1984 der Fortbestand der V-KG davon abhängig gewesen, dass der Kläger die Verluste aus dem operativen Geschäft übernommen habe; die anders lautende Abrede des Gesellschaftsvertrags sei nur „auf dem Papier gestanden” und vom Kläger „schlicht ignoriert” worden. Nur hierdurch sei zu erklären, dass mit der V-KG weder Verzinsungsabreden getroffen noch die Modalitäten der Darlehensrückzahlung vereinbart worden seien. Demgemäß liege auch auf der Hand, dass er spätestens dann, wenn die Zuführung neuen Kapitals anstand, auf grundlegende unternehmerische Entscheidungen Einfluss genommen habe.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil der Vorinstanz sowie den negativen Feststellungsbescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und das FA zu verpflichten, für ihn einen Verlust in Höhe von 4 249 365 DM (= 2 172 666 €) festzustellen.
Das FA beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Hierzu führt es im Wesentlichen aus, dass der Kläger weder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache noch einen Verfahrensmangel dargelegt, sondern lediglich die nach seiner Ansicht materiell unzutreffende Entscheidung durch das FG gerügt habe. Dies genüge den Anforderungen an die Begründung der Revision nicht (vgl. § 120 Abs. 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Während des Revisionsverfahrens hat das FA auf Anfrage mitgeteilt, dass —im Anschluss an die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der V-KG ()— mit Bescheiden vom die in den Jahren 1996 und 1997 erzielten Einkünfte sowie die Einkunftsanteile der Gesellschafter (M., Komplementärin) auf jeweils 0 DM geschätzt worden sind. Aus den hierzu eingereichten Unterlagen ergibt sich des Weiteren, dass beide Feststellungsbescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen sind und für M. (Kommanditist) auf den ein verrechenbarer Verlust in Höhe von 3 007 565 DM (1 537 743 €) festgestellt wurde. Ob eine solche Verlustfeststellung gemäß § 15a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auch auf den vorgenommen wurde, ist den übersandten Aktenteilen nicht zu entnehmen. Auch der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat sich hierzu nicht geäußert.
II. 1. Die Revision ist zulässig.
Insbesondere genügt sie den Begründungserfordernissen des § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a FGO, nach dem der Kläger die Umstände zu bezeichnen hat, aus denen sich die von ihm gerügte Rechtsverletzung ergibt. Den Ausführungen des Klägers ist zweifelsfrei zu entnehmen, dass er sich mit den Erwägungen des vorinstanzlichen Urteils auseinandergesetzt hat und aus welchen Gründen er diese Entscheidung —auch nach Überprüfung seines bisherigen Rechtsstandpunkts— für materiell fehlerhaft erachtet. Aus der Revisionsbegründung ist ferner erkennbar, dass der Kläger damit die Rechtsnorm des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG —Anforderungen an die Mitunternehmerstellung eines stillen Gesellschafters— als verletzt ansieht (vgl. , BFH/NV 2004, 521; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 120 Rz 58 f., m.w.N.).
Die hiervon abweichende Beurteilung des FA beruht offensichtlich auf der Annahme, dass zumindest einer der in § 115 Abs. 2 FGO genannten Gründe für die Zulassung der Revision auch im Rahmen der Begründung für eine —bereits von der Vorinstanz zugelassene— Revision (§ 120 Abs. 3 FGO) substantiiert darzulegen sei. Dies wird jedoch weder vom Wortlaut noch vom Zweck des § 120 Abs. 3 FGO getragen. Letzterer ist vielmehr darauf gerichtet, bloßen Formalbegründungen entgegenzutreten; demgemäß erfordert § 120 Abs. 3 FGO auch keine eingehende oder umfassende Erörterung der streitigen Rechtsfragen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz 59 a.E.).
2. Die Revision ist auch begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass das angefochtene Urteil nicht ohne Beiladung des früheren Kommanditisten der V-KG —Herrn M.— hätte ergehen dürfen.
a) Gemäß § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO sind Dritte zum Verfahren beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. In Angelegenheiten, die einen einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheid betreffen, kommt eine Beiladung nur für Mitberechtigte in Betracht, die nach § 48 Abs. 1 FGO klagebefugt sind (§ 60 Abs. 3 Satz 2 FGO).
Letzteres ist im Streitfall zu bejahen, da die Klage gegen einen negativen Feststellungsbescheid mit dem Ziel gerichtet ist, die Mitunternehmerstellung des Klägers (A.) anzuerkennen und das FA zu verpflichten, für ihn Verlustanteile festzustellen. Die Entscheidung hierüber kann nur gegenüber allen Mitunternehmern der V-KG ergehen. Die Klagebefugnis der Gesellschafter folgt aus § 48 Abs. 1 Nr. 4 FGO, da —wie der erkennende Senat im Urteil vom VIII R 91/84 (BStBl II 1986, 525) dargelegt hat— durch die Feststellung, wer an dem Gewinn oder Verlust einer Personengesellschaft als Mitunternehmer beteiligt ist, nicht nur derjenige berührt wird, dessen Beteiligung streitig ist, sondern jeder Gesellschafter (Mitunternehmer). Dies gilt selbst dann, wenn —worauf es vorliegend allerdings im Hinblick darauf nicht ankommt, dass die vom Kläger begehrte Verlustfeststellung mit dem Wegfall des negativen Kapitalkontos bei M. (Auflösungsgewinn) verbunden wäre— die Entscheidung keinen Einfluss auf die Höhe seines Gewinnanteils haben kann (ständige Rechtsprechung, , BFH/NV 1987, 372; vom IV R 47/90, BFHE 168, 217, BStBl II 1992, 865; vom VIII R 38/01, BFH/NV 2004, 1372, 1373, m.w.N.; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 60 Rz 65 „Negativer Feststellungsbescheid”). Unerheblich ist demnach auch, ob die Gesellschaft aufgelöst oder —wie im Streitfall— bereits voll beendet ist (vgl. , BFH/NV 2002, 1447, 1450).
b) Das Unterlassen der notwendigen Beiladung ist als Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens auch ohne Verfahrensrüge zu beachten (Senatsurteil in BStBl II 1986, 525). Zwar kann der BFH gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 FGO n.F. mit Wirkung ab eine unterbliebene Beiladung im Revisionsverfahren nachholen. Der Senat übt das ihm nach dieser Vorschrift eingeräumte Ermessen (dazu , BFH/NV 2003, 636; Gräber/Ruban, a.a.O., § 123 Rz 5) jedoch dahin aus, dass er die Sache an die Vorinstanz zurückverweist. Zum einen deshalb, weil er den für die Ermittlung der Anschrift des beizuladenden M. erforderlichen Aufwand anhand der Akten sowie den Erklärungen der bisherigen Prozessbeteiligten nicht abschätzen kann. Zum anderen erhält das FG hierdurch Gelegenheit zu überprüfen, ob der Komplementärin (V-GmbH) für die Jahre bis einschließlich 1995 Verluste zugerechnet wurden und es deshalb geboten ist, auch sie —nach Bestellung eines Nachtragsliquidators— am Verfahren zu beteiligen (vgl. hierzu , BFH/NV 1994, 798; vom I R 111/79, BFHE 130, 477, BStBl II 1980, 587; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 60 Rz 65 „Nichtbetroffensein” und „Nachtragsliquidation"; Schulze-Osterloh/Fastrich in Baumbach/ Hueck, GmbHG, 18. Aufl., § 60 Rn. 65 ff.).
3. Im Interesse der Beschleunigung des weiteren finanzgerichtlichen Verfahrens weist der erkennende Senat —allerdings ohne Bindungswirkung für den zweiten Rechtsgang— auf Folgendes hin:
a) Soweit das FG —ausgehend vom Wortlaut des Vertrags über die Begründung der stillen Gesellschaft— seine Ansicht, der Kläger sei nicht Mitunternehmer der V-KG geworden, darauf gestützt hat, dass die fehlende Teilhabe des Klägers am Verlust der V-KG nur durch eine starke Ausprägung der Initiativrechte kompensiert werden könne, steht dies im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des BFH. Hiernach ist ein stiller Gesellschafter nur dann Mitunternehmer, wenn er aufgrund seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung Mitunternehmerinitiative entfalten kann und Mitunternehmerrisiko trägt. Beide Merkmale müssen vorliegen; jedoch kann die geringere Ausprägung eines Merkmals im Rahmen der gebotenen Gesamtbeurteilung der Umstände des Einzelfalls durch eine starke Ausprägung des anderen Merkmals ausgeglichen werden (, BFH/NV 2003, 601, m.w.N.). Demgemäß ist ein stiller Gesellschafter, der am Verlust und Gewinn sowie an den stillen Reserven und am Geschäftswert des Handelsgewerbes beteiligt und dessen mitunternehmerisches Risiko deshalb voll ausgeprägt ist, bereits dann Mitunternehmer, wenn ihm annähernd die Einsichts- und Kontrollrechte eingeräumt werden, die einem still Beteiligten nach dem Regelstatut des HGB zustehen (§ 233 HGB; Senatsurteil vom VIII R 122/86, BFHE 163, 346). Ist das Mitunternehmerrisiko des Stillen hingegen in signifikantem Umfang beschränkt —sei es durch die fehlende Teilhabe am Wertzuwachs des Betriebsvermögens (einschließlich des Geschäftswerts), sei es durch die fehlende Teilhabe am Verlust des Unternehmens (, BFHE 134, 261, BStBl II 1982, 59)—, so setzt die Mitunternehmerqualifikation des stillen Gesellschafters voraus, dass seine Initiativbefugnisse besonders ausgeprägt sind. Hierfür genügt es allerdings nicht, dass die Kontrollbefugnisse des Stillen (§ 233 HGB) im Sinne der Rechte nach § 716 BGB ausgedehnt werden. Erforderlich ist vielmehr, dass, was im Streitfall zu verneinen ist, dem stillen Gesellschafter —sei es als Geschäftsführer, sei es als Prokurist oder leitender Angestellter— Aufgaben der Geschäftsführung, mit denen ein nicht unerheblicher Entscheidungsspielraum und damit auch ein Einfluss auf grundsätzliche Fragen der Geschäftsleitung verbunden ist, zur selbstständigen Ausübung übertragen werden (Senatsurteil in BFH/NV 2003, 601, 604, m.w.N.).
b) Im Rahmen der erneuten Entscheidung über das Klagebegehren wird die Vorinstanz jedoch der Frage nachzugehen haben, ob im Streitfall tatsächlich davon ausgegangen werden kann, dass der Kläger von einer Teilhabe an den Verlusten ausgeschlossen war. Hierfür spricht zwar der Wortlaut des Gesellschaftsvertrages vom (dort § 2 Abs. 2 Satz 2). Da der Kläger jedoch die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs der V-KG trotz der in den Jahren 1984 bis 1996 erzielten Verluste bis zur Eröffnung des Konkursverfahrens (1997) durch die Einräumung von Darlehen sowie die Übernahme von Bürgschaften (insgesamt rd. 4,25 Mio. DM) sichergestellt hat, wird die Vorinstanz —was bisher nicht geschehen ist— zu überprüfen haben, ob hierin nicht zugleich auch eine stillschweigende Änderung der Verlustausschlussklausel des Gesellschaftsvertrages zu sehen ist. Hierbei wird das FG nicht nur die Konditionen der Kreditgewährung sowie der Absicherung der Fremdkredite (z.B. Zinslosigkeit, Stellung von Sicherheiten seitens der V-KG) zu ermitteln, sondern vor allem auch zu beachten haben, dass eine langjährige vom Vertrag abweichende Praxis die tatsächliche Vermutung für eine entsprechende (konkludente) Vertragsänderung begründet (vgl. hierzu allgemein MünchKommBGB/Ulmer, 4. Aufl., § 705 Rdnr. 56; zur stillen Gesellschaft s. MünchKommHGB/K. Schmidt, § 231 Rdnr. 10, jeweils m.w.N.).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
AO-StB 2007 S. 121 Nr. 5
FR 2007 S. 357 Nr. 7
KÖSDI 2007 S. 15419 Nr. 2
KÖSDI 2007 S. 15421 Nr. 2
KÖSDI 2007 S. 15422 Nr. 2
KÖSDI 2007 S. 15422 Nr. 2
KÖSDI 2007 S. 15422 Nr. 2
LAAAC-40367