Leitsatz
[1] Hat das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren auf Antrag des Schuldners eröffnet, steht diesem hiergegen grundsätzlich kein Beschwerderecht zu.
Gesetze: InsO § 34 Abs. 2
Instanzenzug: AG Stendal 7 IN 197/06 vom LG Stendal 25 T 156/06 vom
Gründe
I.
Mit einem am beim Insolvenzgericht eingegangenen Schreiben beantragte die Schuldnerin wegen drohender Zahlungsunfähigkeit die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Durch Beschluss vom ordnete das Insolvenzgericht Sicherungsmaßnahmen an und bestellte den weiteren Beteiligten zum Sachverständigen. Dieser gelangte in seinem unter dem erstatteten Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Schuldnerin zahlungsunfähig und überschuldet sei; die Kosten des Verfahrens seien gedeckt. Die Schuldnerin erhob gegen das Gutachten Einwendungen, die der weitere Beteiligte nicht für berechtigt hielt.
Durch Beschluss vom hat das Amtsgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und den weiteren Beteiligten zum Insolvenzverwalter bestellt. Hiergegen hat die Schuldnerin sofortige Beschwerde eingelegt, die das als unzulässig verworfen hat. Hiergegen wendet sich die Schuldnerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 7 InsO) und zulässig. Der Entscheidung des Landgerichts liegt eine statthafte sofortige Beschwerde zugrunde (§§ 6, 34 Abs. 2 InsO). Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zulässig, weil die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Rechtsfrage zur Beschwer des Schuldners, auf dessen Antrag das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, grundsätzliche Bedeutung hat.
III.
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landgericht hat die Beschwerde der Schuldnerin gegen den Eröffnungsbeschluss des Insolvenzgerichts mit Recht als unzulässig verworfen.
1. Zulässigkeitsvoraussetzung eines Rechtsmittels nach der Zivilprozessordnung ist die Beschwer des Rechtsmittelführers, die nicht allein im Kostenpunkt bestehen darf.
a) Die klagende Partei ist durch eine gerichtliche Entscheidung nur dann beschwert, wenn diese von dem in der unteren Instanz gestellten Antrag zu ihrem Nachteil abweicht, ihrem Begehren also nicht voll entsprochen worden ist (sogenannte formelle Beschwer; BGHZ 140, 335, 338; , NJW 1994, 2697; v. - V ZR 37/03, NJW 2004, 2019, 2020; Saenger/Kayser, ZPO vor §§ 511 bis 541 Rn. 7; Musielak/Ball, ZPO 5. Aufl. vor § 511 Rn. 20; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO 26. Aufl. vor § 511 Rn. 13). Für einen Beklagten liegt die Beschwer, die ihn zur Einlegung des Rechtsmittels berechtigt, hingegen in dem Betrag oder in dem Wert seiner Verurteilung (sogenannte materielle Beschwer, vgl. Saenger/Kayser, aaO; Musielak/Ball, aaO).
b) Diese Grundsätze sind auf Entscheidungen des Insolvenzgerichts über Insolvenzanträge des Schuldners und der Gläubiger sinngemäß anzuwenden (vgl. OLG Stuttgart NZI 1999, 491, 492; OLG Celle NZI 1999, 493; Braun/Kind, InsO 2. Aufl. § 34 Rn. 8; FK-InsO/Schmerbach, 4. Aufl. § 34 Rn. 13, 18; Kübler/Prütting/Pape, InsO § 34 Rn. 36, 38).
aa) Nach § 4 InsO gelten, soweit die Insolvenzordnung nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend. Es ist allgemein anerkannt, dass sich die Bezugnahme auch auf das Rechtsmittelrecht erstreckt. Für die Anwendung der allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätze spricht entscheidend die Ausgestaltung des Eröffnungsverfahrens als Parteienstreit (§ 13 Abs. 1 InsO; vgl. , ZIP 2006, 1456; v. - IX ZB 204/04, ZIP 2006, 1957, 1960 f, z.V.b. in BGHZ). Bis zur Verfahrenseröffnung ist der Antragsteller Herr des Verfahrens, der - de lege lata - jederzeit verfahrensbeendende Erklärungen abgeben kann (vgl. MünchKomm-InsO/Ganter, Vorbem. vor §§ 2 bis 10 Rn. 17; HK-InsO/Kirchhof, InsO 4. Aufl. § 13 Rn. 18).
bb) Die Gegenauffassung, dass der Schuldner gleichsam einen Antrag gegen sich selbst stelle und die Entscheidung, durch die das Insolvenzverfahren eröffnet werde, allein wegen ihrer Bedeutung beschwerdefähig sein müsse (vgl. Jaeger/Schilken, InsO § 34 Rn. 26; MünchKomm-InsO/Schmahl, § 34 Rn. 69), trifft nicht zu. Insbesondere kann sie sich nicht auf die Entstehungsgeschichte des § 34 InsO berufen. Die Vorschrift knüpft an § 109 KO an. Dort war vorgesehen, dass gegen den Eröffnungsbeschluss "nur" dem Gemeinschuldner das Recht der sofortigen Beschwerde zustehe. Diese Formulierung wurde damals überwiegend in der Weise interpretiert, dass dem Schuldner, der selbst Konkursantrag stelle, grundsätzlich die für die Rechtsmitteleinlegung erforderliche formelle Beschwer fehle (vgl. Kilger/Karsten Schmidt, Insolvenzgesetze 17. Aufl. § 109 KO Anm. 3; Kuhn/Uhlenbruck, KO 11. Aufl. § 109 Rn. 1 und 1a). Abweichende obergerichtliche Rechtsprechung betraf den Sonderfall, dass der antragstellende Gläubiger mit seinem Begehren, eine Abweisung des Antrags mangels Masse zu erreichen, nicht durchgedrungen war (vgl. OLG Bamberg ZIP 1983, 200; OLG Karlsruhe ZIP 1989, 1070, 1071; OLG Hamm ZIP 1993, 777 f). Hätte der Gesetzgeber bei Rechtsmitteln des antragstellenden Schuldners die allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätze außer Kraft setzen wollen, hätte es nahegelegen, diesen Punkt zumindest in der Gesetzesbegründung anzusprechen. Dies ist jedoch nicht geschehen. Nach der amtlichen Begründung war im Gegenteil - mit Ausnahme der Beschwerden gegen die Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse - keine Veränderung der Rechtslage bezweckt (vgl. BT-Drucks. 12/2443 S. 121 zu § 41 des Entwurfs).
2. Bei den Erfordernissen der formellen oder materiellen Beschwer handelt es sich um Hilfen zur Feststellung des Rechtsschutzbedürfnisses des Rechtsmittelführers für die Einlegung seines Rechtsmittels. Dies gilt auch für Beschwerden gegen die Eröffnungsentscheidung (vgl. Jaeger/Schilken, aaO § 34 Rn. 26). Deshalb können es Sinn und Zweck gebieten, die sofortige Beschwerde des antragstellenden Schuldners im Einzelfall als zulässig anzusehen, obwohl er durch die Eröffnungsentscheidung nur materiell beschwert ist.
a) In dem Fall, dass der Schuldner einen Insolvenzantrag zwar gestellt, ihn dann aber vor Erlass des Eröffnungsbeschlusses wieder zurückgenommen hat, dürfte er durch die nachfolgende Eröffnungsentscheidung sogar formell beschwert sein. An diesen Fall knüpfen weitere im Schrifttum erörterte Ausnahmen an (vgl. Braun/Kind, aaO § 34 Rn. 10; HK-InsO/Kirchhof, aaO § 34 Rn. 11), die im Streitfall jedoch nicht einschlägig sind, weil die Schuldnerin ihren Insolvenzantrag vor der Eröffnung nicht zurückgenommen hat und kein Streit über die Insolvenzantragsbefugnis oder die Rücknahmebefugnis besteht.
b) Die Schuldnerin hat mit ihrer sofortigen Beschwerde vielmehr geltend gemacht, das Insolvenzgericht hätte nicht dem Gutachten des von ihm beauftragten Sachverständigen folgen dürfen, weil dieser zu Unrecht die Insolvenzgründe der Überschuldung und der Zahlungsunfähigkeit ermittelt habe.
aa) Die Beanstandungen erschöpfen sich in dem - näher ausgeführten - Vorwurf, der Sachverständige habe unsorgfältig und lückenhaft gearbeitet. Dagegen wird nicht geltend gemacht, die Vermögens- und/oder Liquiditätslage der Schuldnerin habe sich in dem Zeitraum zwischen dem (Eingang des Insolvenzantrags) und (Eröffnung) nachhaltig verbessert. Hiergegen spricht im Übrigen die von dem Sachverständigen berücksichtigte und von der Schuldnerin auch eingeräumte Kündigung des Bankdarlehens am . Die Schuldnerin trägt hierzu mit Schriftsatz vom vor, auf den sich der angefochtene Beschluss und die Rechtsbeschwerde gleichermaßen beziehen, dass sich ihre offenen Darlehensverbindlichkeiten gegenüber der Bank auf rund 76.000 € beliefen.
bb) Ein bloßer Sinneswandel des Schuldners nach Antragstellung, der nicht zur Rücknahme des Insolvenzantrags vor Verfahrenseröffnung geführt hat, begründet ebenso wenig eine Beschwer wie ein Irrtum über die ursprünglichen Voraussetzungen der Verfahrenseröffnung (vgl. HK-InsO/Kirchhof, aaO § 34 Rn. 11). Die gegenteilige Auffassung (vgl. Braun/Kind, aaO § 34 Rn. 10; Kübler/Prütting/Pape, aaO § 34 Rn. 38; FK-InsO/Schmerbach, aaO § 34 Rn. 16) ist abzulehnen. Sie läuft darauf hinaus, das Erfordernis der formellen Beschwer für den Antragsteller insgesamt in Frage zu stellen und eröffnet dem Schuldner zahlreiche Missbrauchsmöglichkeiten. Ob möglicherweise in Fällen etwas anderes gelten muss, in denen die antragstellende Schuldnerin die sofortige Beschwerde darauf stützt, der Eröffnungsbeschluss sei unrechtmäßig ergangen, weil sich ihre Vermögenslage nach Antragstellung verbessert habe und der Eröffnungsgrund zum maßgeblichen Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (vgl. , aaO S. 1958 f) entfallen sei (vgl. HK-InsO/Kirchhof, aaO § 34 Rn. 11), ist nicht zu entscheiden. Deshalb geht auch die Rüge der Rechtsbeschwerde weitgehend ins Leere, es gebe keinen überzeugenden Grund dafür, den Schuldner schon vor Rechtskraft des Eröffnungsbeschlusses auf einen Einstellungsantrag nach § 212 InsO zu verweisen. Die Verweisung auf die Einstellung des Verfahrens wegen Wegfalls des Eröffnungsgrundes erscheint allenfalls dann nicht gerechtfertigt, wenn sich der Sachverhalt, der den Eröffnungsgrund in Frage stellt, erst nach Antragstellung, aber vor Eröffnung ergeben hat. Ist der Eigenantrag dagegen von vornherein zu Unrecht gestellt, muss sich der Antragsteller an ihm - vorbehaltlich einer Antragsrücknahme, die hier indes erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und damit unwirksam erfolgte - festhalten lassen.
IV.
Mit der bestätigenden Entscheidung in der Hauptsache erledigt sich der Antrag der Schuldnerin auf Aussetzung der Vollziehung des Eröffnungsbeschlusses.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW-RR 2007 S. 765 Nr. 11
WM 2007 S. 553 Nr. 12
ZIP 2007 S. 499 Nr. 10
QAAAC-38356
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja