Vorwegabzug bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer; Darlegung einer Divergenz
Gesetze: EStG § 10 Abs. 3 Nr. 2; FGO § 115
Instanzenzug:
Gründe
I. Der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) gab in seinen Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre in Zeile 29 der Anlage N jeweils an, es habe für ihn als Gesellschafter-Geschäftsführer keine gesetzliche Rentenversicherungspflicht und eine Anwartschaft auf Altersversorgung nur aufgrund eigener Beitragsleistung bestanden. Dennoch versagte ihm der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) den ungekürzten Vorwegabzug des § 10 Abs. 3 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). In den Eingabewertbögen hatte das FA in die für die Frage des Umfangs der Vorsorgepauschale des § 10c EStG maßgebliche Kennziffer 35 die falsche Kennzahl (1 statt 2) eingetragen. Zugleich hatte es unterlassen, in die für die Frage des Umfangs des Vorwegabzugs maßgebliche Kennziffer 15 den vom Kläger bezogenen Bruttoarbeitslohn einzusetzen. Nach Eintritt der Bestandskraft der Bescheide beantragte der Kläger unter Hinweis auf § 129 der Abgabenordnung (AO) deren Änderung. Während das FA diesen Antrag ablehnte, weil es die Möglichkeit eines Rechtsirrtums des Bearbeiters nicht ausschloss, hatte der Kläger mit seiner Klage Erfolg. Das Finanzgericht (FG) bejahte das Vorliegen eines bloßen mechanischen Versehens und damit die Möglichkeit der Änderung der Bescheide nach § 129 AO. Es ließ die Revision nicht zu.
II. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist als unbegründet zurückzuweisen.
1. Der wegen eines Verstoßes gegen den klaren Inhalt der Akten (§ 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) geltend gemachte Revisionszulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.
a) Das FA sieht einen Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten, weil das FG unberücksichtigt gelassen habe, dass Eintragungen (Kennzahl 1 oder 2) in Kennziffer 35 des Eingabewertbogens für die Einkommensteuerveranlagung keinen Einfluss auf die Höhe bzw. Kürzung des Vorwegabzugs haben, dass die Verhinderung der Kürzung des Vorwegabzugs einzig durch Eintragung des Bruttoarbeitslohns in Kennziffer 15 gesteuert werde und dass Eintragungen in Kennziffer 15 nicht „mechanisch” aus dem Vorjahr übernommen werden. Mit diesem Vorbringen kann der behauptete Verfahrensmangel nicht begründet werden. Darin liegt allenfalls der Vorwurf, das FG habe die sich aus bestimmten vorgenommenen oder unterlassenen Eintragungen in einzelne Kennziffern des Eingabewertbogens ergebenden Rechtsfolgen verkannt bzw. missachtet und damit den Sachverhalt unzutreffend rechtlich gewürdigt. Ein Verstoß gegen den Akteninhalt ist darin nicht zu erkennen.
b) Das FG hat sich auch mit dem Umstand befasst, dass das FA unterlassen hat, aus der vom Kläger in Zeile 29 der Anlage N vorgenommenen Kennzeichnung die entsprechende Konsequenz zu ziehen und den vom Kläger bezogenen und in der Anlage N angegebenen sowie in der Lohnsteuerkarte ausgewiesenen Bruttolohn in Kennziffer 15 des Eingabewertbogens einzutragen, nachdem es nicht durch Rückfragen die Berechtigung der entsprechenden Angabe des Klägers in Zeile 29 anzweifelte. Ob ein Verstoß gegen den klaren Akteninhalt darin liegt, dass das FG die Eintragung des Bruttolohnes der Kennziffer 35 zugeordnet hat, kann dahingestellt bleiben. Weder hat sich das FA darauf berufen noch wäre die Vorentscheidung unter Zugrundelegung der dort vertretenen materiell-rechtlichen Auffassung möglicherweise anders getroffen worden, wenn dem FG der Fehler nicht unterlaufen wäre. Denn es hat ausdrücklich ausgeschlossen, dass das Unterlassen des FA auf einer fehlerhaften Würdigung des erklärten Sachverhalts beruht.
2. Entgegen der Auffassung des FA kann die Zulassung der Revision nicht auf die behauptete Abweichung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) des angefochtenen Urteils von anderen Entscheidungen gestützt werden.
a) Das FG des Landes Brandenburg hat in seinem Urteil vom 4 K 577/98 E (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 1999, 877) für den Fall des Fehlens jeglicher näheren Angaben zur gesetzlichen Rentenversicherungspflicht und zu den Anwartschaften auf Altersversorgung in der Einkommensteuererklärung entschieden, dass sich aus der Stellung als Gesellschafter-Geschäftsführer nicht gleichsam mechanisch die Anwendung des ungekürzten Vorwegabzugs ergibt. Dagegen enthält das angefochtene Urteil die Aussage, dass die gedankliche Querverbindung zwischen der beruflichen Position des Klägers als Gesellschafter-Geschäftsführer und der zutreffenden Kennziffer mechanisch gezogen wird. Losgelöst vom konkreten Zusammenhang, in dem das FG diese Aussage getroffen hat, liegt die Annahme gegensätzlicher und damit voneinander abweichender abstrakter Rechtssätze nahe. Wird jedoch der Zusammenhang berücksichtigt, in dem der Rechtssatz des angefochtenen Urteils steht, so muss eine Abweichung verneint werden.
Das FG hat seine Aussage in dem angefochtenen Urteil auf die Angaben des Klägers in seinen Einkommensteuererklärungen gestützt. Danach habe festgestanden, dass für den Kläger in den Streitjahren keine gesetzliche Rentenversicherungspflicht und auch keine Anwartschaft auf Altersversorgung bestanden habe oder eine Anwartschaft nur aufgrund eigener Beitragsleistung als GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer. Vor dem Hintergrund, dass diese Feststellungen auf der vom Kläger vorgenommenen Kennzeichnung in Zeile 29 der Anlage N beruht und das FA die Angabe des Klägers in keinem der Streitjahre durch Rückfragen in Zweifel gezogen hatte, durfte das FG zur Annahme einer gleichsam mechanisch zu ziehenden Querverbindung gelangen zwischen der durch die Kennzeichnung in Zeile 29 der Anlage N konkretisierten beruflichen Stellung des Klägers und der in Kennziffer 35 vom FA einzutragenden Kennzahl (richtigerweise Kennzahl 2 für eine ungekürzte Vorsorgepauschale statt der vom Bearbeiter des FA eingetragenen Kennzahl 1 für eine gekürzte Vorsorgepauschale), ohne dadurch vom zutreffenden Rechtssatz des FG Brandenburg über die Beziehung zwischen Gesellschafter-Geschäftsführer-Position und Vorwegabzug abzuweichen. Aufgrund des festgestellten Sachverhalts wäre das FG ebenso berechtigt gewesen, eine gleichsam mechanisch zu ziehende Querverbindung zu der Notwendigkeit einer Eintragung des Bruttolohnes in Kennziffer 15 zu bejahen.
Dem FA ist allerdings die Irritation darüber zuzugestehen, dass sich das angefochtene Urteil für seine Überlegungen auf das Urteil des erkennenden Senats vom X R 47/91 (BFH/NV 1993, 638) zur Frage der gekürzten bzw. ungekürzten Vorsorgepauschale bei einer Beamtin bezieht, während im Streitfall über die Frage „ungekürzter oder gekürzter” Vorwegabzug zu entscheiden war und gegenseitige Abhängigkeiten zwischen den Antworten auf die beiden Fragen und die entsprechenden Eintragungen in den Eingabewertbogen nicht in jedem Fall bestehen.
b) Die behauptete Divergenz des angefochtenen Urteils zur ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, dass kein mechanisches Versehen und damit keine offenbare Unrichtigkeit vorliegt, wenn mehr als nur eine theoretische Möglichkeit eines Rechtsirrtums gegeben ist, besteht nicht. Das FG referiert diese Rechtsprechung ausdrücklich. Es verneint aufgrund der von ihm anzustellenden Würdigung des Einzelfalls lediglich die Möglichkeit eines Rechtsirrtums.
Fundstelle(n):
BAAAC-37697