BGH Beschluss v. - VII ZR 164/05

Leitsatz

[1] Wird die Klageschrift ohne die in Bezug genommenen Anlagen zugestellt, entspricht die Zustellung nicht den gesetzlichen Anforderungen und ist damit grundsätzlich unwirksam.

a) Weist der Empfänger eines ihm zuzustellenden Schriftstückes dessen Annahme wegen fehlender Übersetzung gemäß Art. 8 Abs. 1 EuZVO zu Recht zurück, ist die Zustellung grundsätzlich unwirksam, wenn eine Heilung des Mangels nicht mehr in Betracht kommt.

b) Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden gemäß Art. 234 EG folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art. 8 Abs. 1 EuZVO - Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten - dahin auszulegen, dass ein Annahmeverweigerungsrecht d es Empfängers nach Art. 8 Abs. 1 EuZVO nicht besteht, wenn lediglich die Anlagen eines zuzustellenden Schriftstücks nicht in der Sprache des Empfangsmitgliedstaats oder einer Sprache des Übermittlungsmitgliedstaats abgefasst sind, die der Empfänger versteht?

2. Falls die Frage zu 1. verneint wird:

Ist Art. 8 Abs. 1 lit. b EuZVO dahin auszulegen, dass der Empfänger die Sprache eines Übermittlungsmitgliedstaates schon deshalb im Sinne dieser Verordnung "versteht", weil er in Ausübung seiner gewerblichen Tätigkeit in einem Vertrag mit dem Antragsteller vereinbart hat, dass der Schriftverkehr in der Sprache des Übermittlungsmitgliedstaats geführt wird?

3. Falls die Frage zu 2. verneint wird:

Ist Art. 8 Abs. 1 EuZVO dahin auszulegen, dass der Empfänger die Annahme solcher Anlagen zu einem Schriftstück, die nicht in der Sprache des Empfangsmitgliedstaats oder einer Sprache des Übermittlungsmitgliedstaats abgefasst sind, die der Empfänger versteht, jedenfalls dann nicht unter Berufung auf Art. 8 Abs. 1 EuZVO verweigern darf, wenn er in Ausübung seiner gewerblichen Tätigkeit einen Vertrag schließt und darin vereinbart, dass der Schriftverkehr in der Sprache des Übermittlungsmitgliedstaats geführt wird und die übermittelten Anlagen sowohl diesen Schriftverkehr betreffen als auch in der vereinbarten Sprache verfasst sind?

Gesetze: ZPO § 253 Abs. 1; EuZVO Art. 8 Abs. 1

Instanzenzug: LG Berlin 9 O 320/02 vom KG Berlin 6 U 33/04 vom

Gründe

I.

Die Parteien streiten in einem Zwischenverfahren darüber, ob der Beklagten die Klage wirksam zugestellt worden ist. Dem Rechtsstreit liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin nimmt die in London ansässige Beklagte, eine Gesellschaft nach englischem Recht (Ltd.), aus einem Architektenvertrag wegen mangelhafter Planung auf Schadensersatz in Anspruch. Die Beklagte verpflichtete sich in dem Vertrag, Planungsleistungen für ein Bauvorhaben in Berlin zu erbringen. In Ziffer 3.2.6 des Architektenvertrages ist vereinbart:

"Die Leistungen sind in deutscher Sprache zu erbringen. Der Schriftverkehr zwischen AG (Anm. des Senats: Klägerin) und AN (Anm. des Senats: Beklagte) und den Behörden und öffentlichen Institutionen ist in deutscher Sprache abzufassen."

Die Klägerin hat zum Zwecke der Zustellung an die Beklagte Abschriften des Klageschriftsatzes und sämtlicher Anlagen, auf die sie in diesem Schriftsatz Bezug genommen hat, bei Gericht eingereicht. Als Anlage hat sie den zwischen den Parteien geschlossenen Architektenvertrag, eine Nachtragsvereinbarung sowie deren Entwurf, einen Auszug aus dem Leistungsverzeichnis sowie mehrere Schreiben, u. a. auch solche der Beklagten, überreicht, die den Schriftverkehr mit den wegen der Feststellung und Beseitigung der beanstandeten Mängel beauftragten Firmen betreffen. Der Inhalt der Anlagen, auf den sich die Klägerin bezieht, ist außerdem teilweise im Klageschriftsatz wiedergegeben.

Das Landgericht hat im Wege der Rechtshilfe um Zustellung des Klageschriftsatzes und der Anlagen sowie einer gerichtlichen Verfügung an die Beklagte ersucht, mit der es der Beklagten für die Anzeige, ob sie sich gegen die Klage verteidigen will, eine Frist von 4 Wochen und zur Erwiderung auf die Klage eine Frist von weiteren drei Wochen gesetzt hat. Nachdem die Beklagte die Annahme der Klage zunächst wegen Fehlens einer englischen Übersetzung abgelehnt hatte, sind ihr der Klageschriftsatz in englischer Übersetzung und die in deutscher Sprache abgefassten Anlagen ohne Übersetzung am in London ausgehändigt worden. Mit Schriftsatz vom beanstandete sie die Zustellung als fehlerhaft, weil die Anlagen nicht ins Englische übersetzt worden seien. Sie hat die Annahme der Klage aus diesem Grund unter Berufung auf Art. 8 Abs. 1 EuZVO verweigert und hält deren Zustellung für unwirksam. Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung. Sie hat ihrem Nachunternehmer den Streit verkündet.

II.

Das Landgericht hat durch Zwischenurteil festgestellt, dass die Klage am ordnungsgemäß zugestellt worden ist. Die Berufung der Beklagten ist zurückgewiesen worden. Der Senat hat die Revision gegen das Berufungsurteil zugelassen. Die Streithelferin der Beklagten hat sie mit dem Ziel eingelegt, die Abweisung der Klage zu erreichen.

III.

Vor der Entscheidung über die Revision ist das Verfahren auszusetzen. Gemäß Art. 234 in Verbindung mit Art. 65 und 68 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ist eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu den im Beschlusstenor formulierten Fragen einzuholen. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt von der Auslegung des Art. 8 Abs. 1 der EuZVO - Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten - ABl. EG L 160, S. 37 - ab.

Die EuZVO regelt für ihren Anwendungsbereich die Art und Weise, wie Zustellungen in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union zu bewirken sind. Nach Art. 1 Abs. 1 EuZVO findet die Verordnung in Zivil- oder Handelssachen Anwendung, in denen ein gerichtliches oder außergerichtliches Schriftstück zum Zwecke der Zustellung von einem in einen anderen Mitgliedstaat zu übermitteln ist. Dem zu übermittelnden gerichtlichen Schriftstück ist nach Art. 4 Abs. 3 Satz 1 EuZVO ein Antrag beizufügen, der nach dem Formblatt im Anhang der Verordnung erstellt wird. Nach Art. 8 Abs. 1 EuZVO setzt die Empfangsstelle den Empfänger davon in Kenntnis, dass er die Annahme des zuzustellenden Schriftstücks verweigern darf, wenn dieses in einer anderen als den folgenden Sprachen abgefasst ist:

a) der Amtssprache des Empfangsmitgliedstaats oder, wenn es im Empfangsmitgliedstaat mehrere Amtssprachen gibt, der Amtssprache oder einer der Amtssprachen des Ortes, an dem die Zustellung erfolgen soll, oder

b) einer Sprache des Übermittlungsmitgliedstaats, die der Empfänger versteht.

Daraus folgt, dass der Empfänger berechtigt ist, in den genannten Fällen die Annahme des zuzustellenden Schriftstücks zu verweigern (Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Art. 8 EuZVO, Rdn. 1).

IV.

In dem Zwischenverfahren geht es allein um die Frage, ob die Zustellung der Klage an die Beklagte wirksam ist und damit zu einer wirksamen Klageerhebung geführt hat. Diese Frage beurteilt sich nach dem hier anzuwendenden deutschen Zivilprozessrecht. Auch die Frage, inwieweit das Recht, die Annahme der Klageschrift gemäß Art. 8 Abs. 1 EuZVO zu verweigern, zu einer unwirksamen Zustellung der Klageschrift führen kann, ist nach nationalem Recht zu beurteilen. Art. 8 EuZVO regelt nicht die Rechtsfolgen, die sich aus einer Annahmeverweigerung ergeben. Im Rahmen der Beurteilung ist es Sache des nationalen Gerichts, dafür Sorge zu tragen, dass die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts gewährleistet wird und die Rechte der Beteiligten gewahrt werden (, NJW 2006, 491, Rz. 51 f.).

Der Senat neigt dazu, die Wirksamkeit der Zustellung der Klageschrift zu bejahen. Die Entscheidung hängt jedoch von einer nicht zweifelsfreien Auslegung des Art. 8 Abs. 1 EuZVO ab.

1. Nach deutschem Recht setzt die wirksame Erhebung der Klage die Zustellung eines Schriftsatzes (Klageschrift) an den Beklagten voraus, § 253 Abs. 1 ZPO. Anlagen, auf die der Kläger im Klageschriftsatz Bezug nimmt, gehören grundsätzlich zu der dem Beklagten zuzustellenden Klageschrift im Sinne des § 253 Abs. 1 ZPO, ungeachtet der Frage, inwieweit eine Bezugnahme auf Anlagen in der Klageschrift zulässig ist (vgl. dazu MünchKommZPO-Lüke, 2. Aufl., § 253 Rdn. 30 f.; Musielak/Foerste, ZPO, 4. Aufl., § 253 Rdn. 5). Wird die Klageschrift ohne die in Bezug genommenen Anlagen zugestellt, entspricht die Zustellung nicht den gesetzlichen Anforderungen und ist damit grundsätzlich unwirksam.

a) Die Zustellung dient der Sicherung des Nachweises von Zeit und Art der Übergabe des Schriftstückes (, NJW 1978, 1058, 1059). Durch sie soll aber auch gewährleistet werden, dass der Zustellungsempfänger verlässlich von dem Inhalt des Schriftstücks Kenntnis nehmen und seine Rechtsverteidigung oder Rechtsverfolgung darauf einrichten kann. Insoweit dient sie der Verwirklichung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. , NJW 1988, 2361; Beschluss vom - 1 BvR 1269/83, BVerfGE 67, 208, 211; vgl. auch , NJW-RR 2000, 1289; Urteil vom - II ZR 242/91, BGHZ 118, 45, 47).

Der Beklagte muss zur Wahrung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) mit der Klagezustellung diejenigen Informationen erhalten, die er für seine Entscheidung benötigt, ob und wie er sich gegen die Klage verteidigt. Dazu gehören grundsätzlich alle Informationen, die in der Klageschrift enthalten sind. Unerheblich ist, ob diese Informationen in dem Schriftsatz selbst oder durch Bezugnahme auf Anlagen (§ 131 Abs. 1 ZPO) vorgetragen sind, die der Klageschrift beigefügt sind. Die nach § 253 Abs. 1 ZPO zuzustellende Klageschrift bildet, soweit sie auf beigefügte Anlagen Bezug nimmt, mit diesen eine Einheit. Es geht entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nicht an, die Wirksamkeit der Zustellung einer Klageschrift unabhängig von der Zustellung der Anlagen zu beurteilen, weil die wesentlichen Informationen sich bereits aus der Klageschrift ergäben und der Anspruch auf das rechtliche Gehör dadurch gewahrt bleibe, dass der Beklagte sich im Laufe des Verfahrens noch ausreichend verteidigen könne, soweit es um den Inhalt der Anlagen gehe. Denn eine beklagte Partei hat Anspruch darauf, bereits bei Einleitung des Verfahrens so vollständig informiert zu sein, dass sie die von ihr erwarteten prozessual bedeutsamen Stellungnahmen auf der Grundlage des gesamten Vorbringens abgeben kann, das die klagende Partei zum Gegenstand ihres Vortrages macht.

b) Auch die Beurteilung der Frage, ob eine Klage gegenüber einem in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft ansässigen Beklagten wirksam erhoben worden ist, wenn dieser die Annahme des Klageschriftsatzes wegen fehlender Übersetzung der beigefügten Anlagen unter Berufung auf Art. 8 Abs. 1 EuZVO verweigert, muss sich an dem Informationsinteresse des Beklagten orientieren. Die Verordnung verfolgt ihr Ziel der Vereinheitlichung und Beschleunigung des Zustellungsverfahrens nicht ohne Rücksicht auf die Interessen der Beteiligten (vgl. Nr. 11 der Erwägungen). Die Möglichkeit, ein nicht übersetztes Schriftstück zurückzuweisen, dient auch dem Schutz des Empfängers vor prozessualen Nachteilen, die er dadurch erleiden könnte, dass die ihm übermittelte Information nicht richtig verstanden wird, weil sie in einer dem Empfänger unverständlichen Sprache abgefasst ist. Diesem Zweck kann im nationalen Recht nur dadurch Geltung verschafft werden, dass eine Zustellung grundsätzlich unwirksam ist, wenn der Beklagte das zuzustellende Schriftstück zu Recht nach Art. 8 Abs. 1 EuZVO zurückgewiesen hat. Allerdings kann der Antragsteller diese Wirkung verhindern, indem er die fehlende Übersetzung so schnell wie möglich bewirkt (, NJW 2006, 491, Rz. 53, 66 f.). Steht, wie im zu beurteilenden Fall, fest, dass der Antragsteller die erforderlichen Maßnahmen für die Übersendung der Übersetzung verweigert, hat das grundsätzlich zur Folge, dass die Zustellung unwirksam ist.

c) Von dem dargestellten Grundsatz sind Ausnahmen dann zulässig, wenn das Informationsbedürfnis des Beklagten durch eine fehlerhafte Zustellung oder eine fehlende Übersetzung nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt ist. So hat der Bundesgerichtshof es unter Heranziehung des dem § 131 Abs. 3 ZPO zugrunde liegenden Rechtsgedankens für unbedenklich gehalten, dass eine den Streitgegenstand bestimmende Anlage der Klageschrift nicht beigefügt war, wenn sie der beklagten Partei nahezu zeitgleich mit der Klageerhebung übersandt worden ist (, NJW 2001, 445, 447).

Ein vergleichbarer Fall könnte möglicherweise angenommen werden, wenn der Beklagten bereits vor Klageerhebung alle Unterlagen bekannt gewesen wären. In diesem Fall wäre es möglicherweise auch nicht darauf angekommen, dass die Unterlagen überwiegend in deutscher Sprache verfasst sind, weil das der vertraglichen Vereinbarung entsprach. Ein solcher Fall liegt jedoch nicht vor. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts waren der Beklagten vor Klageerhebung nicht alle Anlagen bekannt. Zu den neuen Unterlagen gehörten vor allem die Schriftstücke zur Mängelfeststellung und zur Mängelbeseitigung und deren Kosten.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann die fehlende Übersetzung dieser Schriftstücke nicht mit dem Argument für unbedeutend erachtet werden, dass sie im Wesentlichen lediglich dazu dienen, den in der Klageschrift vorgebrachten Streitstoff zu belegen, und sie zur Mangelhaftigkeit und zum Mängelbeseitigungsaufwand "nur" Details wiedergeben. Denn die Vorenthaltung dieser Details ist geeignet, das Informationsinteresse der Beklagten nachhaltig zu beeinträchtigen, weil die Entscheidung über ihre Klageverteidigungsbereitschaft und Klageerwiderung auch von den in dieser Anlage enthaltenen Informationen abhängen kann. Diese sollen dazu dienen, die Mängel und Mängelbeseitigungskosten im Einzelnen nachzuvollziehen. Gerade auf die dadurch bezweckte Plausibilität kann es für die beklagte Partei wesentlich ankommen.

Zu Unrecht beruft sich das Berufungsgericht zur Stützung seiner Auffassung, die Zustellung scheitere nicht an der fehlenden Übersetzung der Anlagen, auf weitere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (, NJW 1978, 1058; Urteil vom - VII ZR 191/94, NJW 1995, 2230). In diesen Entscheidungen ging es um die Frage einer demnächst erfolgten Zustellung, wenn das zugestellte Schriftstück von der bei Gericht angebrachten Klage geringfügig abweicht, weil es Änderungen enthält. Dieser Sachverhalt ist nicht vergleichbar mit dem hier zu beurteilenden Sachverhalt, nach dem wesentliche Teile der Klage möglicherweise nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sind.

d) Unabhängig davon hält das Berufungsgericht in einer Hilfserwägung die Zustellung deshalb für wirksam, weil die Parteien vereinbart haben, dass der Schriftverkehr in deutscher Sprache zu führen ist und die Anlagen Schriftverkehr im Sinne dieser vertraglichen Abrede enthalten. Es hält die Berufung der Beklagten auf das ihr nach Art. 8 Abs. 1 EuZVO möglicherweise zustehende Annahmeverweigerungsrecht für rechtsmissbräuchlich. Ihr Verhalten laufe den Intentionen des Verordnungsgebers zuwider, ein je nach Schutzbedürftigkeit des Zustellungsempfängers flexibles Verfahren einzurichten.

Diesen Ausführungen kann der Senat so nicht folgen. Das Berufungsgericht erörtert nicht, ob die Beklagte die Annahme nach Art. 8 Abs. 1 EuZVO unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Parteien für ihren Schriftverkehr die deutsche Sprache vereinbart haben, verweigern durfte. Diese Frage ist vorrangig auch im Interesse einer einheitlichen Anwendung des Rechts auf den im Geltungsbereich der EuZVO vielfach vorkommenden Sachverhalt vor der Frage zu klären, ob ein nach nationalem Recht zu beurteilender Missbrauch vorliegt. Ihre Beantwortung hängt von der Auslegung des Art. 8 Abs. 1 EuZVO ab. Diese im Anwendungsbereich der Vorschrift einheitlich vorzunehmende Auslegung kann wiederum die Beurteilung beeinflussen, ob die Beklagte rechtsmissbräuchlich handelt, wenn sie sich auf ein ihr durch die Verordnung eingeräumtes Annahmeverweigerungsrecht beruft.

2. Es ist deshalb zu klären, ob die Beklagte die Annahme der Klageschrift im Hinblick darauf zu Recht abgelehnt hat, dass der ihr vor Klageerhebung unbekannte Teil der Anlagen in deutscher Sprache verfasst war und nicht übersetzt worden ist. Dabei ist davon auszugehen, dass keines der vertretungsberechtigten Organe der Beklagten die deutsche Sprache versteht.

a) Der Senat neigt nicht zu der Auffassung, ein Annahmeverweigerungsrecht könne grundsätzlich nicht darauf gestützt werden, dass es sich bei den nicht übersetzten Schriftstücken lediglich um Anlagen handelt. Ein solches Verständnis könnte allerdings möglicherweise daraus abgeleitet werden, dass Art. 8 Abs. 1 EuZVO sich zur Verweigerung der Annahme von Anlagen zuzustellender Schriftstücke nicht äußert und in dem für Anträge auf Zustellungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nach Art. 4 Abs. 3 Satz 1 EuZVO zu verwendenden, im Anhang der Verordnung abgedruckten Formblatt Angaben über die Art des Schriftstücks und die verwendete Sprache nur hinsichtlich des zuzustellenden Schriftstücks (Ziff. 6.1. und 6.3.) erforderlich sind, nicht jedoch hinsichtlich der diesem beigefügten Anlagen. Für letztere genügt es, dass ihre Anzahl im Formblatt angegeben wird (Ziff. 6.4.).

Nach Auffassung des Senats kommt es allein darauf an, ob ein zuzustellendes Schriftstück im Sinne der Verordnung vorliegt. Die Gestaltung des Formblattes kann diese Frage nicht beeinflussen. Dies kann im Übrigen dahin verstanden werden, dass auch die Sprache angegeben werden muss, die in den Anlagen verwendet wird. Diese Auffassung scheint dem Senat allerdings nicht so eindeutig, dass die Vorlagefrage zu 1. nicht hätte gestellt werden müssen.

b) Der Senat ist der Meinung, dass ein Annahmeverweigerungsrecht der Beklagten nicht schon gemäß Art. 8 Abs. 1 lit. b EuZVO deshalb verneint werden muss, weil in dem Vertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten geregelt ist, dass der Schriftverkehr in deutscher Sprache abzufassen ist. Diese Regelung indiziert nicht, dass die Beklagte diese Sprache im Sinne der Verordnung versteht. Die Formulierung des Art. 8 Abs. 1 lit. b EuZVO lässt nach Auffassung des Senats keine Versagung des Annahmeverweigerungsrechts aufgrund einer Vermutung zu. Sie stellt allein darauf ab, ob der Empfänger des Schriftstücks die Sprache des Übermittlungsstaates tatsächlich versteht. Dazu werden allerdings tendenziell andere Meinungen vertreten. So soll es möglich sein, dass im internationalen Handelsverkehr das Sich-Einlassen auf eine fremde Verhandlungssprache unwiderleglich hinreichende Kenntnisse im Sinne von Art. 8 Abs. 1 lit. b EuZVO hinsichtlich dieser Sprache "signalisiert" (vgl. Lindacher, Europäisches Zustellungsrecht, ZZP 2001, 179, 187). In gleiche Richtung geht der Vorschlag, aufgrund eines konkreten Indizienkatalogs auf Sprachkenntnisse des Empfängers zu schließen. Danach soll es im internationalen Handelsverkehr gerechtfertigt sein, bei den beteiligten Parteien die Kenntnis der Sprache "zu unterstellen", in der die Vertragsverhandlungen und außergerichtliche Korrespondenz geführt wurden (Stadler, IPrax 2001, 514, 518). Zur Klärung hat der Senat die Vorlagefrage zu 2. formuliert.

c) Wird die Vorlagefrage zu 2. verneint, kommt es darauf an, ob Art. 8 Abs. 1 EuZVO dahin zu verstehen ist, dass die Annahme stets verweigert werden kann, wenn Anlagen, die zu den zuzustellenden Schriftstücken gehören, nicht übersetzt sind, obwohl die Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 1 lit. a und b nicht vorliegen, oder ob Ausnahmen von der Regelung möglich sind. Nach der Auffassung des Senats besteht die Möglichkeit, Art. 8 Abs. 1 EuZVO einschränkend dahin auszulegen, dass ein Annahmeverweigerungsrecht nicht besteht, wenn das Informationsbedürfnis des Beklagten auf andere Weise als durch die Zustellung einer Übersetzung befriedigt ist. Das könnte z.B. der Fall sein, wenn dem Beklagten eine Übersetzung bereits vorliegt oder wenn die Anlage wörtlich in der Klageschrift wiedergegeben und diese übersetzt ist. Das könnte aber auch dann der Fall sein, wenn Schriftstücke als Anlagen übermittelt werden, die nach einer wirksamen Vereinbarung zwischen den Parteien in der Vertragssprache verfasst sind und dies eine Sprache ist, deren Verwendung an sich nach dem Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 EuZVO die Annahmeverweigerung rechtfertigt. In diesem Fall ist durch die privatautonome Vereinbarung geregelt, in welcher Sprache der Schriftverkehr übermittelt wird und damit auch die Art und Weise, wie das Informationsinteresse der Parteien im Klagefall befriedigt werden kann. Die Regelung über die Vertragssprache dient der reibungslosen Abwicklung des Vertrages und hat auch dann Bedeutung, wenn es zu einem Konfliktfall bis hin zum Klageverfahren kommt. Die Anwendung des Art. 8 Abs. 1 EuZVO auf diese Fälle könnte der Intention der Verordnung zuwiderlaufen, unter Berücksichtigung der Schutzbedürftigkeit des Zustellungsempfängers ein vereinfachtes und beschleunigtes Zustellungsverfahren zu etablieren (vgl. auch Stadler, IPrax 2001, 514, 517 f.).

Es könnten allerdings Bedenken gegen die einschränkende Auslegung des Art. 8 Abs. 1 EuZVO in solchen Fällen erhoben werden, in denen es wegen der besonderen Stellung der Vertragsparteien nicht angezeigt scheint, der vertraglichen Regelung den Vorrang vor dem Recht der Annahmeverweigerung einzuräumen. Solche Bedenken könnten vor allem bei grenzüberschreitenden Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern bestehen, in denen geregelt ist, dass der Schriftverkehr in der Sprache des Gewerbetreibenden abgewickelt wird. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Beklagte hat den Vertrag in Ausübung ihrer gewerblichen Tätigkeit geschlossen. In diesem Fall sieht der Senat kein Bedürfnis, das Annahmeverweigerungsrecht zuzuerkennen. Eine besondere Schutzbedürftigkeit der Beklagten ist nicht erkennbar.

Zur Klärung der Frage hat der Senat die Vorlagefrage zu 3. formuliert.

V.

Die Vorlagefragen sind entscheidungserheblich.

1. Werden sie verneint, hat die Revision der Beklagten voraussichtlich Erfolg. Denn dann dürfte die Zustellung unwirksam gewesen sein, weil jedenfalls ein Teil der Anlagen nach der Annahmeverweigerung der Beklagten hätte übersetzt werden müssen. Die weiteren Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 1 EuZVO, unter denen der Zustellungsempfänger die Annahme des zuzustellenden Schriftstücks verweigern kann, liegen vor.

a) Die zur Vertretung der Beklagten berechtigten Personen waren der deutschen Sprache nicht mächtig.

b) Die Beklagte hat die Annahmeverweigerung rechtzeitig erklärt.

aa) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts muss die Annahmeverweigerung nicht schon bei der Zustellung erklärt werden (Zöller/Geimer, ZPO 26. Aufl., § 1070 Rdn. 2; Stadler, IPRax 2001, 514, 518). Dazu besteht häufig schon deshalb kein Anlass, weil der Empfänger bei der Zustellung noch nicht erkennen kann, ob alle zu übersetzenden Schriftstücke übersetzt sind. Nach der Begründung des Kommissionsvorschlags zur gleich lautenden Regelung in Art. 8 des nicht in Kraft getretenen Übereinkommens aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABl. EG Nr. C 261/2 vom ) soll die Verweigerung der Annahme noch innerhalb einer gewissen, nicht zu einer Verzögerung des Prozesses führenden Zeitspanne erklärt werden können (vgl. auch den erläuternden Bericht, ABl. EG Nr. 261/33). Der Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zur Änderung der EuZVO vom - Kom(2005) 305 - geht ebenfalls ohne weiteres davon aus, dass die Annahmeverweigerung noch später erklärt werden kann. Der Senat hält insoweit eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften für entbehrlich. Die Frage ist eindeutig und zweifelsfrei zu beantworten.

bb) Der Empfänger hat demnach Gelegenheit, die Annahmeverweigerung nach der Zustellung zu erklären. Die nationalen Gerichte sind gehalten, hinsichtlich der Frist, in der die Annahme verweigert werden darf, nationales Recht anzuwenden und dafür Sorge zu tragen, dass die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts gewährleistet ist (, NJW 2006, 491, Rz 51). Gemäß § 282 Abs. 3 ZPO hat der Beklagte Rügen, die die Zulässigkeit der Klage betreffen, innerhalb der ihm zur Klageerwiderung gesetzten Frist geltend zu machen. Diese Regelung ist maßgebend, weil § 1070 ZPO, wonach die Annahmeverweigerung aufgrund der verwendeten Sprache binnen einer Notfrist von zwei Wochen beginnend mit der Zustellung des Schriftstücks zu erklären ist, nicht anwendbar ist. § 1070 ZPO ist zum in Kraft getreten. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom und damit innerhalb der ihr zur Erwiderung der Klage gesetzten Frist die Zustellung der Klage als fehlerhaft beanstandet.

cc) Auf die Frage, ob und gegebenenfalls welche Frist läuft, wenn eine Belehrung über das Annahmeverweigerungsrecht unterblieben ist und ob eine solche Belehrung der Beklagten noch notwendig war, nachdem sie bereits einmal die Annahme verweigert hatte, kommt es nicht an.

c) Für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs dürfte voraussichtlich kein Raum bleiben, wenn Art. 8 Abs. 1 EuZVO dahin auszulegen ist, dass die Annahme auch in einem Fall wie dem vorliegenden verweigert werden kann.

2. Wird eine der Vorlagenfragen bejaht, bleibt die Revision voraussichtlich ohne Erfolg.

a) Sofern Art. 8 Abs. 1 EuZVO dahin auszulegen ist, dass der Empfänger die Annahme des zuzustellenden Schriftstückes einschließlich der Anlagen nicht verweigern darf, wenn lediglich die Anlagen nicht in einer der in Art. 8 Abs. 1 EuZVO bestimmten Sprache abgefasst sind, bestehen gegen die Wirksamkeit der Zustellung der Klage keine Bedenken.

Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, ihr davon unabhängig zu beurteilender Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sei wegen der fehlenden Übersetzung verletzt. Denn auch insoweit müsste sie sich entgegenhalten lassen, dass sie im Vertrag für den Schriftverkehr die deutsche Sprache vereinbart hat (vgl. unten b). Mit dieser Sprachregelung hat sie zum Ausdruck gebracht, dass ihr Informationsinteresse gewahrt ist, wenn der Schriftverkehr in deutscher Sprache übermittelt wird. Bereits aus diesem Grund scheidet auch eine Berufung auf Art. 6 EMRK aus.

b) Sofern die Vorlagefrage zu 2. oder 3. zu bejahen ist, hat die Revision voraussichtlich keinen Erfolg, weil die in diesen Fragen formulierten Voraussetzungen vorliegen. Die Beklagte kann dann die Annahme nicht unter Berufung auf Art. 8 Abs. 1 EuZVO wegen einer fehlenden Übersetzung der Anlagen verweigern.

Die Beklagte hat den Vertrag, aus dem die Klägerin den mit der Klage geltend gemachten Anspruch herleitet, in Ausübung ihrer gewerblichen Tätigkeit geschlossen. In Ziff. 3.2.6 dieses Vertrags ist vereinbart, dass Schriftverkehr zwischen den Vertragsparteien in deutscher Sprache zu führen ist. Die der Beklagten in deutscher Sprache übermittelten Anlagen betreffen neben den Urkunden über den Inhalt der vertraglichen Vereinbarung ausschließlich Schriftverkehr, der nach dieser Vertragsklausel in deutscher Sprache abzuwickeln war.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BB 2007 S. 294 Nr. 6
NJW 2007 S. 775 Nr. 11
RIW 2007 S. 213 Nr. 3
JAAAC-36708

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: nein