BSG Beschluss v. - B 11b AS 17/06 B

Leitsatz

Die monatsweise Berücksichtigung von laufenden Einnahmen beim Arbeitslosengeld II verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Dies gilt auch bei Aufhebung und Rückforderung bereits bewilligter Leistungen.

Gesetze: SGB X § 48 Abs 1 S 2 Nr 3; SGB X § 48 Abs 1 S 3; Alg II-V F: § 2 Abs 2 S 1 ; SGB II § 11; SGB II § 13 Nr 1; SGB II § 23 Abs 4; SGB II § 41

Instanzenzug: SG Karlsruhe S 15 AS 3463/05 vom LSG Stuttgart L 8 AS 4314/05 vom

Gründe

I

Die Beteiligten streiten in der Hauptsache darüber, ob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld II (Alg II) bzw Sozialgeld für den Monat Juni 2005 zu Recht teilweise aufgehoben und erbrachte Leistungen zurückgefordert hat.

Der Kläger zu 1) und die Klägerin zu 2) sind Eltern der am geborenen Klägerin zu 3). Den Klägern wurde mit Bescheid vom für die Zeit vom 1. Mai bis zum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 928,94 € bewilligt. Die Leistung wurde unter Zugrundelegung eines Gesamtsbedarfs der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 1.157,46 € (Regelleistung: Kläger zu 1) und 2) je zu 311,00 €; Klägerin zu 3) 207,00 €; Unterkunft und Heizung: 328,46 €) monatlich berechnet. Von den Geldleistungen der Agentur für Arbeit wurde ein Gesamteinkommen der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 228,52 € in Abzug gebracht.

Die Klägerin zu 2) nahm nach dem Ende ihres Erziehungsurlaubs am wieder ihre frühere Tätigkeit auf. Sie erzielte im Juni ein Nettoarbeitsentgelt in Höhe von 1.118,81 €. Die Gutschrift auf dem Konto der Klägerin zu 2) erfolgte am 29. oder .

Mit Bescheid von hob die Beklagte die Leistungen für die Zeit ab teilweise in Höhe von 859,42 € und ab dem ganz mit der Begründung auf, die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft seien nicht mehr hilfebedürftig. Nach § 48 Abs 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch (SGB X) gelte als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse der Beginn des Anrechnungszeitraums. Folglich sei die wesentliche Änderung des anzurechnenden Einkommens ab dem zu berücksichtigen.

Dem Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom insofern stattgegeben, als mit Bescheid vom eine Erstattungsforderung von mehr als 759,92 € festgestellt worden war. Die Erstattungspflicht teile sich in drei Einzelforderungen auf. Auf den Kläger zu 1) entfalle ein Betrag von 289,62 €, auf die Klägerin zu 2) ein Betrag von 364,15 € und auf die Klägerin zu 3) ein Betrag von 106,15 €. Die Beklagte sehe den als den Zeitpunkt an, zu dem sich die Verhältnisse geändert hätten. Sie stütze sich hierbei auf § 2 Abs 2 Satz 1 der Alg II/Sozialgeldverordnung (Alg II-V). Abweichend von § 50 Abs 1 SGB X sehe § 40 Abs 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Zweites Buch (SGB II) allerdings vor, dass ein Teilbetrag in Höhe von 56 vH der bei der Leistungsgewährung berücksichtigten Kosten der Unterkunft (= 301,80 €) nicht der Anrechnung unterlägen (= 169 €).

Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, die Berufung sei zulässig, weil bei Streitgenossen eine Zusammenrechnung mehrerer geltend gemachter Ansprüche erfolge, soweit die Ansprüche nicht identisch seien. Nach § 2 Abs 2 Satz 1 Alg II-V in der bis zum geltenden Fassung seien laufende Einnahmen für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zuflössen. Dies bedeute für den vorliegenden Fall, dass das am 29. oder ausbezahlte Gehalt für den Monat Juni für die Zeit vom 1. Juni bis anzurechnen sei. Die Regelung werde von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt und stehe mit höherrangigem Recht in Einklang. Sie entspreche im Übrigem auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Einkommensanrechnung bei der Arbeitslosenhilfe und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zur Einkommensanrechung bei der Sozialhilfe. Der Umstand, dass Einkommen, das im Bedarfszeitraum zu einem späteren Zeitpunkt zufließe, bis zu diesem Zeitpunkt nicht zur Bedarfsdeckung zur Verfügung stehe, berühre nicht die Anrechnung als Einkommen, sondern betreffe allein die Frage, inwieweit trotz des anzurechnenden Einkommens zur Überbrückung vorübergehend Leistungen zu gewähren seien. Für einen solchen Sachverhalt sehe § 23 Abs 4 SGB II vor, dass Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes als Darlehen erbracht werden könnten, soweit in dem Monat, für den die Leistungen erbracht würden, voraussichtlich Einnahmen anfielen.

Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision machen die Kläger geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Die Entscheidung beruhe auf der Rechtsfrage, ob die Aufhebung bei der Erzielung von Einkommen während des Hilfebezugs zum Beginn des Monats, des Beginns der Beschäftigung des Hilfeempfängers oder für den Fall des Zuflusses des Einkommens am Ende des Monats erst für den Folgemonat erfolgen dürfe (Auslegung des § 48 Abs 1 SGB X). Nach dem Wortlauf des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X komme es darauf an, ob Einkommen erzielt worden sei. Dies bedeute den Zufluss des Einkommens. Fließe dieses erst Ende des Monats zu, könne es erst für den nächsten Monat ausgegeben werden. Zur genauen Anrechnung gebe es keine gesetzliche Regelung. Durch die Alg II-V vom "" (richtig: ) werde in § 2 Abs 2 Satz 1 die "tagesexakte Abrechnung" im Wege einer Verordnung angeordnet. Dies stehe im Widerspruch zum Entwurf zu dieser Verordnung. Die Rechtsauffassung der Beklagten widerspreche auch der ständigen Rechtssprechung des BVerwG zu den bereiten Mitteln. Den Klägern hätten bis zum 29. oder keine bereiten Mittel aus Arbeitseinkommen zugestanden. Soweit den Klägern nur ein Darlehen hätte gewährt werden dürfen, hätte dies wirtschaftlich dasselbe Ergebnis gehabt. Die Rechtsfrage sei klärungsbedürftig. Soweit es eine Vorschrift in einer Verordnung gebe, liege ein Missbrauch der Ermächtigungsgrundlage vor, da die gefestigte Rechtsprechung des BVerwG (FEVS 51, 1) zu den "bereiten Mitteln" außer Acht gelassen worden sei. Die vom LSG zitierte Rechtsprechung des BVerwG betreffe nicht die vorliegende Fallkonstellation.

Die Beklagte ist der Auffassung, die Kläger hätten die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides mit beachtlichen Gründen in Zweifel gezogen. Auch die Beklagte sei der Ansicht, dass der Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zukomme. Sie schließe sich daher dem Zulassungsantrag der Kläger an.

II

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision ist zulässig. Die Beschwerdebegründung genügt den prozessualen Anforderungen an die Darlegung bzw Bezeichnung von Zulassungsgründen (§ 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Die Kläger haben den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache in einer § 160a Abs 2 Satz 3 SGG noch entsprechenden Weise dargelegt, indem sie sinngemäß die Rechtsfrage aufgeworfen haben, ob (1.) die Regelung in § 2 Abs 2 Alg II-V zur monatsweisen Betrachtung bei Aufhebungsentscheidungen führt und ob ggf (2.) ein Verstoß gegen höherrangiges Recht vorliegt.

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Grundsätzliche Bedeutung kommt nach ständiger Rechtsprechung einer Rechtsfrage zu, die sich nach der Gesetzeslage und dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne weiteres beantworten, eine verallgemeinerungsfähige Antwort des Revisionsgerichts erwarten lässt und nach den Gegebenheiten des Falles klärungsfähig ist (BSGE 40, 41 f = SozR 1500 § 160a Nr 4; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerde ist nicht begründet, weil die von den Klägern zur Aufhebung von Alg II-Be-willigungen aufgeworfene Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig ist. Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort auf sie so gut wie unbestritten ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17) oder praktisch von vornherein außer Zweifel steht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 4; ).

Zwar führt die Beschwerdebegründung zutreffend aus, dass höchstrichterliche Rechtsprechung zur Auslegung des § 48 Abs 1 Satz 3 SGB X iVm § 2 Abs 2 Satz 1 Alg II-V in der hier maßgebenden Fassung vom (BGBl I 2622) bislang nicht vorliegt, jedoch ergibt sich die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen im Sinne der Praxis der Beklagten aus dem Wortlaut der Vorschrift sowie der bisherigen Rechtsprechung des BSG und des BVerwG. Nach § 48 Abs 1 Satz 3 SGB X "gilt" als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse der Anrechnungszeitraum. § 2 Abs 2 Satz 1 bestimmt, dass laufende Einnahmen für den Monat zu berücksichtigen sind, in dem sie zufließen.

Der von der Beschwerdebegründung behauptete Widerspruch zum Wortlaut des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll der Verwaltungsakt vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Diese Regelung erfasst auf Grund ihrer Ergänzung durch § 48 Abs 1 Satz 3 SGB X auch die Anrechnung von Einkommen auf zurückliegende Zeiträume (Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 48 SGB X RdNr 47). Nach der Rechtsprechung des BSG liegt Sinn und Zweck der Regelung des § 48 Abs 1 Satz 3 SGB X darin, den Bezug von Sozialleistungen auch für einen Zeitraum rückgängig zu machen, für den die Änderung der Verhältnisse noch nicht eingetreten ist (BSGE 59, 111, 113 = SozR 1300 § 48 Nr 19; ). Diese Anrechnung vollzieht sich, wie auch der Wortlaut des § 48 Abs 1 Satz 3 SGB X deutlich zum Ausdruck bringt, im Wege der Fiktion ("gilt"). Für laufende Einnahmen bestimmt § 2 Abs 2 Satz 1 ALG II-V, dass diese dem Monat des erfolgten Zuflusses zugerechnet werden.

Entgegen der Annahme der Beschwerdebegründung widerspricht die Regelung in § 2 Abs 2 Satz 1 Alg II-V nicht der Rechtsprechung des BVerwG. Denn das BVerwG hatte - worauf bereits das LSG zu Recht hingewiesen hat - zur Hilfe zum Lebensunterhalt im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) ausgeführt, dass "Bedarfszeitraum", in Bezug auf den die Hilfe zu berechnen und innerhalb dessen zufließendes Einkommen zu berücksichtigen ist, grundsätzlich der jeweilige Kalendermonat ist (BVerwGE 120, 339 = Buchholz 436.0 § 76 BSHG Nr 39 mwN; ebenso - in FEVS 51, 1 ff). Dies galt nach der vorgenannten Entscheidung vom (BVerwG aaO) grundsätzlich auch für Einkommen, das erst zum Ende eines Kalendermonats zufloss, dh im dortigen Fall Ende April 1999 zugeflossene Arbeitslosenhilfe war allein als Einkommen für den Bedarfszeitraum April 1999 zu berücksichtigen. Hierbei ist zudem zu beachten, dass abweichend von der jetzt unter der Geltung des SGB II bestehenden Rechtslage eine ausdrückliche Regelung zu Dauer und Abgrenzung des für die Bedarfsberechnung maßgeblichen Bedarfszeitraums weder im BSHG noch durch eine Rechtsverordnung erfolgt war. Vielmehr hielt das BVerwG es für ausreichend, dass die Anrechnungspraxis des jeweiligen Sozialhilfeträgers auf den jeweiligen Kalendermonat abstellte und die Regelsatzleistungen (§ 22 Abs 4 BSHG), die bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen waren, als Monatsleistung zu bemessen waren. Angesichts der vorstehenden Rechtsprechung ist nichts dafür ersichtlich, dass die fraglichen Regelungen der ständigen Rechtsprechung des BVerwG zu den "bereiten Mitteln" widersprächen. Vielmehr ist in der og Entscheidung des ausdrücklich klargestellt worden, dass die Anrechnung als Einkommen durch einen erst zu einem späteren Zeitpunkt innerhalb des Bedarfszeitraums erfolgten Zufluss nicht berührt wird, "sondern (dies) allein die Frage (betrifft), inwieweit trotz des anzurechnenden Einkommens zur Überbrückung vorübergehend Leistungen der Sozialhilfe zu gewähren sind. Dass es im Fall der Kläger um keinen "Leistungsfall", sondern um eine (teilweise) Aufhebung und Rückforderung geht, rechtfertigt insoweit nicht - wie die Kläger offenbar meinen - eine abweichende Beurteilung (vgl - DVBl 1996, 857 f) - zur Anwendung des § 48 SGB X bei Sozialhilfeleistung(en). Ebenfalls keine andere Beurteilung ergibt sich insoweit aus der Rechtsprechung des BSG zur Arbeitslosenhilfe, da dort für die Anrechnung auch auf den Zahlungszeitraum abgestellt worden ist (vgl nur BSGE 41, 187, 191 = SozR 4100 § 137 Nr 1; vgl zum Ganzen auch Mecke in Eicher/ Spellbrink, § 11 RdNr 30; Brühl in LP-Komm, § 11 RdNr 6 ff).

Soweit mit dem Vorbringen, es liege ein "Missbrauch der Ermächtigungsgrundlage" vor, geltend gemacht werden soll, § 2 Abs 2 Satz 1 Alg II-V verstoße gegen höherrangiges Recht, kann dem ebenfalls nicht gefolgt werden. Insbesondere wird die Regelung durch die Ermächtigungsgrundlage des § 13 Nr 1 SGB II gedeckt. Diese Regelung enthält eine Verordnungsermächtigung zur Berücksichtigung und Berechnung von Einkommen. Schon die gesetzliche Regelung in § 23 Abs 4 SGB II, wonach Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen erbracht werden, soweit in dem Monat, für den die Leistungen erbracht werden, voraussichtlich Einnahmen anfallen, setzt eine "monatsweise Betrachtungsweise" voraus. Die monatsweise Betrachtung hat ferner ihre Entsprechung in § 41 Abs 1 SGB II, da dort die Zahlungsabschnitte grundsätzlich auf einen Monat festgelegt werden. Auch im Übrigen sind Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen höherrangiges Recht nicht ersichtlich. Es wird schließlich von den Klägern auch nicht vorgetragen noch ist erkennbar, dass die von der Beschwerdebegründung geltend gemachten Bedenken von der Rechtsprechung der Instanzgerichte oder dem Schrifttum geteilt würden (vgl etwa Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 13 RdNr 53 f; s auch Mecke in Spellbrink/Eicher, SGB II, § 11 RdNr 30 und Behrend in jurisPK-SGB II, § 11 RdNr 22 zu den Hintergründen der Änderung des Anrechnungszeitraums gegenüber dem Entwurf der Alg II-V).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

Fundstelle(n):
KAAAC-36670