Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StPO § 349 Abs. 2; StPO § 349 Abs. 4; StGB § 224 Abs. 1 Nr. 2; StGB § 225 Abs. 1
Instanzenzug:
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Misshandlung einer Schutzbefohlenen in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Seine Revision hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Ein Verfahrenshindernis ist nicht gegeben. Die Anklageschrift und der hierauf Bezug nehmende Eröffnungsbeschluss genügen den Anforderungen, die die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an die Bestimmtheit der Umschreibung von Serientaten stellt.
Die nachträglich ausgeführten Verfahrensrügen sind nicht fristgemäß erhoben und daher unzulässig.
2. Soweit sich die Revision mit der Sachrüge gegen die Verurteilung wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in den Fällen 2 (Ziffer II.11 der Urteilsgründe), 4 (Ziffer II.14) und 5 (Ziffer II.16) wendet, ist sie im Ergebnis unbegründet. Die Einwendungen gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts greifen in diesen Fällen nicht durch. Dass der Tatrichter hinsichtlich der Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs, von dem der Angeklagte freigesprochen worden ist, zu einer negativen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der belastenden Aussage der Geschädigten gelangt ist, stand der Annahme von Glaubhaftigkeit der Belastungen hinsichtlich der Körperverletzungen nicht entgegen. Die unterschiedliche Entstehungsgeschichte der Aussageteile und den starken suggestiven Einfluss auf die Geschädigte zur nachträglichen Darstellung auch sexueller Übergriffe hat das Landgericht ausführlich erörtert.
a) Nicht zutreffend ist allerdings die rechtliche Würdigung als "Quälen" im Sinne der ersten Tatvariante des § 225 Abs. 1 StGB, die das Landgericht ohne Begründung angenommen hat (UA S. 124). Es fehlt in den genannten Fällen schon an der hierfür erforderlichen Feststellung länger dauernder Schmerzen oder Leiden (vgl. BGHSt 41, 113, 115; NStZ-RR 1996, 197), die über die typischen Auswirkungen der festgestellten Körperverletzungen durch Schläge hinausgingen.
b) Jedoch sind die Voraussetzungen des rohen Misshandelns im Sinne der zweiten Tatvariante hier ersichtlich gegeben. Das Misshandeln eines acht bis zehn Jahre alten Kindes unter anderem durch massive Faustschläge gegen Kopf und Körper, Fußtritte, Reißen an den Haaren und Vollstopfen des Mundes mit trockenem Brot erfüllte in diesen Fällen offenkundig die objektiven Voraussetzungen erheblicher Misshandlungen. Zu den subjektiven Vorstellungen und zum Vorsatz des Angeklagten hat das Landgericht zwar hier - wie auch in den übrigen Fällen - keinerlei Feststellungen getroffen. Die vom Tatbestand vorausgesetzte rohe, das heißt gefühllose und das Leiden des Tatopfers missachtende Gesinnung (vgl. BGH NStZ 2004, 94; Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 225 Rdn. 9 m.w.N.) ergibt sich aber ohne Weiteres aus den objektiven Umständen der Taten, die für den Angeklagten trotz seiner jeweiligen Alkoholisierung offensichtlich erkennbar waren.
Für den Schuldspruch bleibt die Annahme einer anderen Tatvariante ohne Auswirkung. Die Tatvariante des rohen Misshandelns war angeklagt; eine andere Verteidigung wäre dem Angeklagten überdies nicht möglich gewesen.
c) Im Fall 2 (Ziffer II.11 der Urteilsgründe) sind auch die Voraussetzungen einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gegeben. Der Angeklagte trat nach den Feststellungen die Geschädigte "mit dem beschuhten Fuß (mit) Wucht in den Magen", so dass ihr übel wurde (UA S. 34). Bei einer solchen konkret gefährlichen Verwendung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der "beschuhte Fuß" - genauer: der Schuh am Fuß des Täters - als gefährliches Werkzeug (im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB anzusehen (vgl. BGHSt 30, 376; BGH NStZ 1984, 329; 1999, 616). Die Qualifikation des § 224 StGB steht mit § 225 in Tateinheit (BGH NJW 1999, 72; Tröndle/Fischer aaO § 224 Rdn. 16).
Der Senat konnte insoweit den Schuldspruch ändern. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil der Angeklagte sich nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
In den Fällen 4 und 5 (Ziffer II.14 und II.16 der Urteilsgründe) kam im Hinblick auf die insoweit lückenhaften Feststellungen des Landgerichts eine Verurteilung auch wegen gefährlicher Körperverletzung nicht in Betracht.
3. In den Fällen 1 und 3 (Ziffer II.10 und II.12 der Urteilsgründe) sind entgegen der Ansicht des Landgerichts die Voraussetzungen des § 225 Abs. 1 StGB weder in der Variante des Quälens noch in der des rohen Misshandelns gegeben. Es fehlt insoweit schon an hinreichenden Feststellungen zum objektiven Tatbestand. Zum subjektiven Tatbestand enthält das Urteil darüber hinaus - wie in den anderen Fällen - keinerlei Feststellungen. Es bleibt daher etwa schon offen, ob Verletzungen, die sich die Geschädigte in Folge eines "Schubsens" durch den Angeklagten zuzog, von dessen Vorsatz umfasst waren. Die Revision hat zutreffend eingewandt, dass in diesen Fällen allein die Voraussetzungen vorsätzlicher Körperverletzungen gemäß § 223 Abs. 1 StGB festgestellt sind.
Dass diese Taten nicht durch irgendwelche erzieherischen Zwecke gerechtfertigt waren, liegt auf der Hand. Der Generalbundesanwalt hat das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht. Da weitergehende Feststellungen von einer neuen Hauptverhandlung nicht zu erwarten wären, hat der Senat auch insoweit den Schuldspruch geändert.
Das führt zur Aufhebung der Einzelstrafen von einem Jahr und drei Monaten (Fall 1) und zwei Jahren (Fall 3) sowie der Gesamtstrafe.
4. Die Fassung der 129 Seiten umfassenden Urteilsgründe gibt dem Senat Anlass zu folgendem Hinweis:
Die schriftlichen Urteilsgründe dienen, wie der Senat schon wiederholt zu bemerken Anlass hatte, weder der Darstellung eines bis in verästelte Einzelheiten aufzuarbeitenden "Gesamtgeschehens" noch der Nacherzählung des Ablaufs der Ermittlungen oder des Gangs der Hauptverhandlung. Es ist Aufgabe des Richters, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden und die Begründungen seiner Entscheidungen so zu fassen, dass der Leser die wesentlichen, die Entscheidung tragenden tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen ohne aufwändige eigene Bemühungen erkennen kann. Urteilsgründe sollen weder allgemeine "Stimmungsbilder" zeichnen noch das Revisionsgericht im Detail darüber unterrichten, welche Ergebnisse sämtliche im Hauptverhandlungsprotokoll verzeichneten Beweiserhebungen gehabt haben.
Das vorliegende Urteil wird dem nicht gerecht. Der Leser erfährt erstmals auf UA S. 32, um welchen möglicherweise strafbaren Sachverhalt es überhaupt geht. Die dann folgenden tatsächlichen Feststellungen zu den fünf abgeurteilten Taten umfassen insgesamt 7 1/2 Seiten; sie werden mehrmals unterbrochen von insgesamt 8 1/2 Seiten mit Feststellungen, die jeweils mit "nicht angeklagt" überschrieben sind und deren Sinn sich dem Leser daher nicht erschließt. Auf den folgenden 17 Seiten wird in unübersichtlicher, verzweigter und weitschweifiger Weise die Aufdeckung der Taten nacherzählt; weitere 7 Seiten schildern den Gang des Ermittlungsverfahrens. Auf UA S. 67 erfährt der Leser erstmals, ob und wie der Angeklagte sich eingelassen hat; von UA S. 71 bis 107 folgen sodann mehr als 35 Seiten mit Erwägungen über die Glaubwürdigkeit der Geschädigten. In 28 Abschnitten schließen sich Ausführungen dazu an, worauf eine kaum zu überblickende Vielzahl teilweise unbedeutender oder nur das Randgeschehen betreffender Feststellungen "beruht"; die Gliederung dieser Abschnitte ist überdies weder mit derjenigen der Anklage noch mit der Nummerierung der Taten identisch.
Eine solche unübersichtliche Breite ist weder durch § 267 StPO noch sachlich-rechtlich geboten. Sie ist geeignet, den Blick auf das Wesentliche zu verstellen. So erscheint es symptomatisch, dass im vorliegenden Urteil zwar Nebensächlichkeiten breit dargestellt sind, wesentliche Feststellungen zum objektiven und subjektiven Tatbestand der abgeurteilten Taten jedoch fehlen.
Das Abfassen unangemessen breiter Urteilsgründe führt auch zu einer vermeidbaren Vergeudung personeller Ressourcen. Angesichts der durchweg hohen Belastung der Strafjustiz sollte es im Interesse der Tatgerichte liegen, Arbeitskraft und Zeit nicht für das Verfassen mehrerer hundert Seiten starker Urteilsgründe in einfach gelagerten Fällen aufzuwenden.
Soweit von tatrichterlicher Seite gelegentlich darauf hingewiesen wird, eine möglichst breite und umfassende Darstellung aller Einzelheiten empfehle sich, um möglichen Beanstandungen wegen des Fehlens einzelner Erörterungen durch das Revisionsgericht zuvorzukommen, erscheint dies verfehlt. Die sogenannte "Revisionssicherheit" von Strafurteilen ist kein Selbstzweck, sondern ergibt sich aus ihrer Freiheit von Rechtsfehlern. Eine unnötige breite Darlegung von Nebensächlichkeiten, gedanklichen Zwischenschritten und Randgeschehen ist aber, wie das vorliegende Urteil beispielhaft zeigt, gerade nicht geeignet, Fehler zu vermeiden, welche den Bestand des Urteils gefährden.
Der Senat verkennt nicht, dass die Abfassung der Urteilsgründe stets auch Ausdruck individueller richterlicher Gestaltung und Bewertung sowie der in Spruchkörpern gewachsenen Erfahrung und Übung ist. Hiergegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Kommt es aber zu einer auffälligen Häufung bestimmter fehlerhafter Entwicklungen oder zu erheblichen Abweichungen zwischen einzelnen Gerichten, ist es Aufgabe des Revisionsgerichts, dem entgegen zu wirken.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
RAAAC-36646
1Nachschlagewerk: nein