BFH Beschluss v. - X B 192/03

Kostenentscheidung nach übereinstimmender Erledigung des Verfahrens in der Hauptsache

Gesetze: FGO § 138

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eheleute, die für die Streitjahre 1993 bis 1996 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Sie erzielten im Streitzeitraum Einkünfte aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit sowie Einkünfte aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung. In den angefochtenen Einkommensteuerbescheiden 1993 bis 1996 ermittelte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) die folgenden zu versteuernden Einkommen und setzte die folgenden Steuerbeträge fest:


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Jahr
Zu versteuerndes Einkommen
Steuer, Soli, KiSt
durchschnittlicher Steuersatz
1993
233 010 DM
86 601 DM
37,17 %
1994
240 789 DM
91 050 DM
37,81 %
1995
314 334 DM
140 823 DM
44,80 %
1996
398 049 DM
192 508 DM
48,36 %

Gewerbesteuer hatten die Kläger mangels gewerblicher Einkünfte nicht zu zahlen.

Die dagegen erhobenen Einsprüche, mit denen die Kläger —neben anderen, nicht mehr streitigen Punkten— einen Verstoß gegen den „Halbteilungsbegrenzungsgrundsatz” geltend machten und zugleich beantragten, das Einspruchsverfahren bis zur Entscheidung über die seinerzeit beim Bundesfinanzhof (BFH) zur Anwendung des Halbteilungsgrundsatzes anhängigen Prozesse ruhen zu lassen, blieben erfolglos.

Mit der dagegen erhobenen Klage beantragten die Kläger, die Einkommensteuer einschließlich Zuschlagsteuern „dort nicht zu erheben, wo Einkommensteile mit mehr als 50 % versteuert werden”.

Nachdem das FA auf Anfrage des Finanzgerichts (FG) erklärt hatte, dass einem Ruhen des Verfahrens nicht zugestimmt werde, hat das FG die Klage als unbegründet abgewiesen. Das FG hat u.a. ausgeführt, dass es nicht gehalten gewesen sei, das Klageverfahren auszusetzen oder zum Ruhen zu bringen. Für eine Anordnung der Verfahrensruhe nach § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 250 der Zivilprozessordnung (ZPO) habe es bereits an einer Zustimmung des FA hierzu gefehlt. Eine Aussetzung der Verhandlung nach § 74 FGO sei im Streitfall ebenfalls nicht in Betracht gekommen. Eine solche könne u.a. dann angeordnet werden, wenn über die Verfassungsmäßigkeit einer entscheidungserheblichen gesetzlichen Regelung in einem Musterverfahren beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gestritten werde. In einem solchen Fall habe das Gericht eine Ermessensentscheidung zu treffen, bei der insbesondere prozessökonomische Gesichtspunkte und die Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen seien. Eine Pflicht zur Aussetzung der Verhandlung bestehe, wenn beim BVerfG in einem Massenverfahren ein nicht aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig sei und keiner der Beteiligten ein besonderes berechtigtes Interesse daran habe, dass das Gericht trotz des Musterverfahrens über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung entscheide. Erscheine das anhängige Musterverfahren offensichtlich aussichtslos, komme eine Verfahrensaussetzung nicht in Betracht (vgl. z.B. , BFHE 169, 498, BStBl II 1993, 240).

Nach diesen Grundsätzen sei die Verhandlung im Streitfall nicht auszusetzen gewesen. Zwar sei gegen das (BFHE 189, 413, BStBl II 1999, 771), das eine Belastung mit Einkommen- und Gewerbeertragsteuer von insgesamt 60 v.H. als nicht verfassungswidrig angesehen habe, eine Verfassungsbeschwerde anhängig (Az. 2 BvR 2194/99). Dem Senat erscheine es jedoch nicht vorstellbar, dass diese Erfolg haben werde. Im Beschluss zur Vermögensteuer vom 2 BvL 37/91 (BStBl II 1995, 655) habe das BVerfG ausdrücklich ausgeführt, dass der festgestellte verfassungswidrige Zustand bis einschließlich hinzunehmen sei. Es erscheine ausgeschlossen, dass das BVerfG nunmehr für einen Veranlagungszeitraum bis einschließlich 1996, für den eine verfassungswidrige Übermaßbesteuerung hinzunehmen sei, anders entscheiden werde.

Gegen dieses Urteil, in welchem die Revision nicht zugelassen wurde, haben die Kläger zunächst —am — Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. Sie haben hierzu geltend gemacht, dass die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen sei.

Nachdem das (BFH/NV 2006, Beilage 3, S. 368) die Verfassungsbeschwerde gegen das BFH-Urteil in BFHE 189, 413, BStBl II 1999, 771 zurückgewiesen hatte, haben die Kläger den Rechtsstreit mit Schriftsatz vom in der Hauptsache für erledigt erklärt und beantragt, „die Kosten des Verfahrens gem. BStBl II 03, S. 719 dem Finanzamt aufzuerlegen”.

Das FA hat der Erledigungserklärung der Kläger nicht widersprochen und beantragt, „die Kosten des Verfahrens” den Klägern aufzuerlegen.

II. 1. Nachdem die Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben und das FA dieser Erledigungserklärung nicht (innerhalb der in § 138 Abs. 3 FGO statuierten Frist) widersprochen hat, ist das angefochtene FG-Urteil einschließlich der dort getroffenen Kostenentscheidung wirkungslos geworden. Der Senat hat nur noch über die Kosten des (gesamten) Verfahrens zu entscheiden.

2. Die Kostenentscheidung ist nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu treffen (§ 138 Abs. 1 FGO). Mithin hängt die Kostenfolge grundsätzlich von einer summarischen Beurteilung der Frage ab, wie —ausgehend vom bisherigen Sach- und Streitstand— das Gericht voraussichtlich entschieden hätte, wenn es nicht zur Erledigung des Verfahrens gekommen wäre (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 138 Rz 26 ff., m.w.N.).

3. Hiernach haben die Kläger die Kosten des gesamten Rechtsstreits zu tragen.

a) Entgegen der von den Klägern vertretenen Ansicht wäre im maßgeblichen Zeitpunkt der Erledigung der Hauptsache nach summarischer Prüfung eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO nicht in Betracht gekommen.

aa) Soweit es um die Rechtsfrage nach der Anwendung des von den Klägern sog. „Halbteilungsbegrenzungsgrundsatzes” geht, hatte das BVerfG im Beschluss in BFH/NV 2006, Beilage 3, S. 368 entschieden, dass sich ein solcher Grundsatz dem Grundgesetz (GG) nicht entnehmen lasse. Aber auch schon zuvor hatte der BFH mehrfach darauf hingewiesen, dass sich aus dem GG kein Rechtssatz ableiten lasse, nach dem die Steuerbelastung die Hälfte des zu versteuernden Einkommens nicht überschreiten dürfe (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 189, 413, BStBl II 1999, 771; siehe ferner auch Urteile vom X R 2/00, BFHE 203, 263, BStBl II 2004, 17, und vom VIII R 92/03, BFHE 209, 285, BStBl II 2005, 398). Zudem hatte der III. Senat des BFH in seinem Beschluss vom III B 131/03 (BFH/NV 2005, 339) sinngemäß ausgeführt, dass infolge ausdrücklicher Anordnung durch das BVerfG zur Weitergeltung der Regelungen des Vermögensteuergesetzes bis Ende 1996 trotz des von ihm festgestellten Verstoßes gegen den Gleichheitssatz und unbeschadet des konkreten Inhalts des Halbteilungsgrundsatzes sowie seiner verfassungsrechtlichen Geltung für die Einkommensteuer und Gewerbesteuer davon auszugehen sei, dass er vor 1997 noch nicht anwendbar wäre.

bb) Auch soweit die Kläger der Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung beigemessen haben, ob das FA das Verfahren im Hinblick auf das seinerzeit noch anhängige, in den „gelben Blättern zum BStBl Teil II” vermerkte Verfassungsbeschwerdeverfahren 2 BvR 2194/99 hätte „zwingend ruhend stellen müssen”, hätte ihre Beschwerde keinen Erfolg haben können.

Dabei mag dahinstehen, ob die Kläger die Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechenden Weise dargelegt haben. Die Zustimmung des FA zu dem von den Klägern begehrten Ruhen des Verfahrens stand im Streitfall in seinem (pflichtgemäßen) Ermessen. Deswegen war das FA nur ausnahmsweise dann gehalten, einem Ruhen des Verfahrens zuzustimmen, wenn von einem Fall der „Ermessensreduzierung auf 0” auszugehen gewesen wäre. Letzteres traf indessen im Streitfall schon deswegen nicht zu, weil dort —anders als in dem vom BFH in BFHE 189, 413, BStBl II 1999, 771 und später vom BVerfG in BFH/NV 2006, Beilage 3, S. 368 beurteilten Sachverhalt— der auf das zu versteuernde Einkommen bezogene durchschnittliche Steuersatz nach den von den Klägern nicht angegriffenen Feststellungen des FG selbst unter Einschluss des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer in allen Streitjahren unter 50 v.H. lag.

b) Ebenso wenig wäre bei der gebotenen summarischen Prüfung die Revision deswegen zuzulassen gewesen, weil „die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert” hätte.

aa) In diesem Zusammenhang haben die Kläger innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist im Wesentlichen lediglich vorgetragen, es sei „zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu klären, ob die FG-Prozesse gemäß § 74 FGO hätten ruhend gestellt werden müssen. Innerhalb des FG Köln (seien) in der gleichen Angelegenheit durch Beschluss die Prozesse ruhend gestellt worden. Im vorliegenden Fall (sei) entschieden (worden)”.

bb) Diesen Ausführungen genügen schon deswegen nicht den Anforderungen an eine schlüssige Divergenzrüge, weil die Kläger weder die (vorgeblichen) Divergenzentscheidungen des FG Köln mit Aktenzeichen und Datum und/oder Fundstelle so genau bezeichnet haben, dass ihre Identität zweifelsfrei ermittelt werden kann (zu diesem Erfordernis vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 41, m.w.N.), noch näher dargelegt haben, dass der im Streitfall zu beurteilende Sachverhalt mit den Sachverhalten vergleichbar war, die den (vermeintlichen) Divergenzentscheidungen zugrunde lagen, so dass hier wie dort identische Rechtsfragen zu entscheiden waren (vgl. hierzu z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 40 ff.).

c) Die zusätzliche Begründung der Beschwerde im Schriftsatz vom war verspätet. Die Zulässigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde, insbesondere hinsichtlich der Anforderungen an ihre Begründung, ist nur nach den innerhalb der gesetzlichen Begründungsfrist (vgl. § 116 Abs. 3 Sätze 1 und 4 FGO) vorgebrachten Ausführungen zu beurteilen. Spätere Darlegungen sind —abgesehen von bloßen Erläuterungen und Ergänzungen— nicht zu berücksichtigen.

4. Entgegen der von den Klägern vertretenen Auffassung sind dem FA die Kosten des Rechtsstreits nicht nach Maßgabe der vom (BFHE 202, 49, BStBl II 2003, 719) entwickelten Grundsätze ganz oder teilweise aufzuerlegen. Der jener Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt ist mit dem hier zu beurteilenden Fall schon deswegen nicht vergleichbar, weil dort —anders als im Streitfall— das BVerfG in einem Musterverfahren eine auch im vom dortigen Kläger geführten Rechtsstreit entscheidungserhebliche Norm für verfassungswidrig erklärt hatte und der Kläger aus dieser Verfassungswidrigkeit nur deshalb keine für ihn günstige Entscheidung herleiten konnte, weil das BVerfG die Anwendbarkeit der verfassungswidrigen Norm für die Vergangenheit akzeptiert hatte.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 497 Nr. 3
ZAAAC-36545