Leitsatz
[1] a) Beim Betrieb einer gemeindlichen Abwasserkanalisation besteht zwischen der Gemeinde und dem einzelnen Anschlussnehmer ein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis, das eine Haftung für Erfüllungsgehilfen entsprechend § 278 BGB begründen kann. In den Schutzbereich dieses Schuldverhältnisses ist auch der Mieter des angeschlossenen Grundstücks einbezogen.
b) Zur Haftung der Gemeinde für die Verletzung von Schutz- und Obhutspflichten bei Bauarbeiten nahe der Abwasserleitung durch einen von der Gemeinde beauftragten Unternehmer.
Instanzenzug: LG Wiesbaden 9 O 322/02 vom OLG Frankfurt/Main 1 U 228/03 vom
Tatbestand
Die Kläger sind als Gesellschaft bürgerlichen Rechts Eigentümer des Anwesens A straße 251 in T. -W. . Das Grundstück grenzt an den Sch bach. Jenseits des Bachs und parallel dazu verläuft ein Abwasserkanal der beklagten Gemeinde, an den das Hausgrundstück der Kläger angeschlossen ist.
Am kam es nach starken Regenfällen zu einer Überflutung vermieteter Räume im Untergeschoss dieses Hauses, weil vom Dach und Hof des Anwesens anfallendes Oberflächenwasser nicht abfließen konnte. Kurze Zeit vor dem Schadensereignis hatte die inzwischen insolvente Streitverkündete, die G. M. Ingenieurbau GmbH, im Auftrag der Beklagten Tiefbauarbeiten an einer über den Schwarzbach führenden Brücke vorgenommen. Dabei entstand ein Rohrbruch in der unterhalb des Brückenbauwerks verlaufenden Abwasserleitung, wodurch der Kanal in Richtung auf das Anwesen der Kläger fast vollständig verschlossen wurde. Nach dem Vorbringen der Kläger war der hierdurch bedingte Rückstau Ursache der Überschwemmung.
Die Kläger nehmen die beklagte Stadt aus eigenem und abgetretenem Recht ihres Mieters auf Ersatz der ihnen entstandenen Schäden in Höhe von insgesamt 32.783,83 € in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Hiergegen richtet sich die - vom erkennenden Senat zugelassene - Revision der Kläger.
Gründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts ergibt sich der geltend gemachte "Amtshaftungsanspruch" nicht schon unabhängig davon, ob der Beklagten der Rohrbruch haftungsrechtlich zurechenbar sei, "aus dem zwischen den Parteien bestehenden öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis". Zwar folge hieraus eine im Interesse der Anschlussnehmer bestehende Fürsorgepflicht der Gemeinde, für eine ordnungsgemäße Funktion der Abwasserleitung dadurch Sorge zu tragen, dass bekannte Schäden alsbald behoben würden sowie durch regelmäßige Kontrollen die Funktionsfähigkeit der Leitung sichergestellt werde. Eine Verletzung dieser Fürsorgepflicht sei jedoch dann nicht gegeben, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Beschädigung der Abwasserleitung eher zufällig und daher nicht ohne weiteres vorhersehbar durch Dritteinwirkung im Verlauf von Tiefbauarbeiten von Seiten eines als zuverlässig bekannten Fachunternehmens erfolgt sei. Dabei sei die Streitverkündete auch nicht Erfüllungsgehilfin der Beklagten gewesen. Mit der unstreitigen Aushändigung von Plänen habe vielmehr die Beklagte ihrer Sorgfaltspflicht genügt.
II.
Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.
1. Das Berufungsgericht vermengt, wie die Revision zu Recht rügt, Schadensersatzansprüche aus Amtshaftung (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) mit konkurrierenden Ersatzansprüchen aus einem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis, die auf einer entsprechenden Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über Leistungsstörungen im Schuldverhältnis - im Streitfall noch nach den §§ 275 ff. BGB a.F. - beruhen. Beide Anspruchsgrundlagen stehen gleichwertig nebeneinander (vgl. nur BGHZ 63, 167, 172).
2. Zu Unrecht verneint das Berufungsgericht eine Verpflichtung der Beklagten zum Schadensersatz auf der Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisses.
a) In der Rechtsprechung des Senats ist anerkannt, dass zwischen einer Gemeinde und dem einzelnen Anschlussnehmer einer gemeindlichen Abwasserkanalisation ein öffentlich-rechtliches gesetzliches Schuldverhältnis bestehen kann und dass dieses Schuldverhältnis geeignet ist, eine Schadensersatzpflicht der Gemeinde nach den Bestimmungen der §§ 275 ff. BGB einschließlich einer Haftung für Erfüllungsgehilfen gemäß § 278 BGB zu begründen (BGHZ 54, 299, 302 ff.; 109, 8, 9; 115, 141, 146; 166, 268, 276 f. Rn. 17; Urteil vom - III ZR 155/74 - NJW 1977, 197). Die Gemeinde steht in einem solchen Fall zu den Anschlussnehmern in einem auf Dauer angelegten Leistungsverhältnis und auf diese Weise zu ihnen in besonderen, engen Beziehungen, weitgehend so, wie ein eine Kanalisationsanlage betreibender Unternehmer des bürgerlichen Rechts zu seinen Kunden stünde. Es besteht überdies, was die Verteilung der Verantwortung zwischen der Gemeinde und dem Anschlussnehmer betrifft, ein Bedürfnis, auch im Rahmen der öffentlichen Verwaltung zu einem angemessenen Ergebnis zu kommen, wie es gerade die Vorschriften des vertraglichen Schuldrechts und im Besonderen die Bestimmung des § 278 BGB ermöglichen (BGHZ 54, 299, 303).
In den Schutzbereich eines solchen Schuldverhältnisses ist wegen seiner gleichen Leistungsnähe und entsprechender objektiver Schutzbedürftigkeit auch ein Mieter des Grundstücks oder einzelner angeschlossener Räume, wie hier, einbezogen, zumal die Leistung ebenso für ihn erbracht wird (vgl. zur entsprechenden Anwendung dieser Regelungen auf öffentlich-rechtliche Benutzungsverhältnisse Senatsurteil vom - III ZR 97/72 - NJW 1974, 1816, 1817; VGH Mannheim NVwZ-RR 1992, 656, 657; zur Einbeziehung eines Mieters in den Schutzbereich etwa - VersR 1983, 891, 892; s. auch - ZMR 2005, 520). Ein inhaltsgleicher Gewährleistungsanspruch gegen seinen Vermieter, der die Anwendung der Regeln über Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ausschließen könnte (vgl. BGHZ 70, 327, 330; 129, 136, 169; 133, 168, 173 f.), wird in derartigen Fällen dem Mieter, falls nicht ein Mangel der Mietsache von Anfang an bestand, mangels eines Verschuldens des Vermieters regelmäßig nicht zustehen (§ 536a Abs. 1 BGB). Eine Verweisung des Mieters auf einen solchen Anspruch würde im Übrigen nur dazu führen, dass der Vermieter die von ihm zu liquidierenden Schäden des Mieters dann als eigenen Schaden gegenüber dem Betreiber der Kanalisation geltend machen könnte.
b) Auf dieser Grundlage haftet die Gemeinde vertragsähnlich nicht nur für die fehlerfreie Planung, Anlage und Unterhaltung ihres Kanalnetzes (vgl. hierzu etwa Senatsurteile BGHZ 54, 299 und vom - III ZR 155/74 - NJW 1977, 197; vom - III ZR 116/81 - VersR 1983, 588 und vom - III ZR 119/82 - NJW 1984, 615, 617, insoweit in BGHZ 88, 85 nicht abgedruckt). Sie ist infolge des zwischen den Parteien bestehenden Leistungs- und Benutzungsverhältnisses zugleich verpflichtet, die Anschlussnehmer (und begünstigten Mieter) vor Schäden zu bewahren, die ihnen aus anderen Gründen durch den Betrieb der Abwasseranlage an ihren Rechtsgütern entstehen können. Die Beklagte traf daher - neben ihrer allgemeinen Verkehrssicherungspflicht - aufgrund der öffentlich-rechtlichen Sonderbeziehung außerdem nach § 242 BGB die Nebenpflicht, alles zu unterlassen, was die Funktionsfähigkeit der Anschlussleitung gefährden oder beeinträchtigen konnte. Im Rahmen dieser Schutz- und Obhutspflichten hat sie auch für die von ihr beauftragten Unternehmer als Erfüllungsgehilfen einzustehen (Senatsurteil vom - III ZR 146/75 - VersR 1978, 38, 40). In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatten U-Bahn-Arbeiten eines Drittunternehmers, die in unmittelbarer Nähe eines Anschlusskanals ausgeführt worden waren, zur Beschädigung der Anschlussleitung geführt.
Nicht entscheidend anders liegen die Dinge hier. Für die Anwendbarkeit des § 278 BGB kommt es entgegen dem Berufungsgericht nicht darauf an, ob die Beklagte die Streitverkündete gerade zu Werkleistungen an ihrem Kanalnetz eingesetzt hatte. Vielmehr genügt es, wenn sich die Gemeinde zur Erfüllung ihrer übrigen Schutz- und Obhutspflichten im Rahmen anderer Bauarbeiten, von denen Beeinträchtigungen des Rohrleitungssystems ausgehen konnten, bediente. Das ist aber hier wie dort mit Rücksicht darauf zu bejahen, dass die Tätigkeiten der Streitverkündeten in unmittelbarer Nähe des unter der Brücke laufenden Abwasserkanals erfolgten und damit die Gefahr einer Beschädigung der Rohrleitung in sich bargen, mithin auch ein innerer sachlicher Zusammenhang mit dem der Streitverkündeten übertragenen Aufgabenkreis bestand.
3. Auf einen Haftungsausschluss hat sich die Beklagte nicht mehr berufen. Ihre Ersatzpflicht hängt demnach nur noch von einer Klärung der im Berufungsurteil offen gelassenen Kausalitätsfrage ab. Dazu ist unter Aufhebung des angefochtenen Urteils der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass gemäß § 282 BGB a.F. die Beweislast für einen mangelnden Ursachenzusammenhang bei der Beklagten liegt (vgl. Senatsurteil vom - III ZR 122/75 - VersR 1978, 85, 87). Ob neben der Haftung aus einem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis auch die Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs gegeben sind, kann offen bleiben.
Fundstelle(n):
NJW 2007 S. 1061 Nr. 15
WM 2007 S. 1139 Nr. 24
RAAAC-35755
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja