Ausbau der hinteren Sitze für Umrüstung eines PKW in einen LKW nicht ausreichend
Gesetze: KraftStG § 2 Abs. 2
Instanzenzug: FG des Landes Brandenburg Beschluss vom 4 V 46/06
Gründe
I. Auf den Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) ist ein Kfz der Marke Mazda (J) zugelassen. Es handelt sich dabei um einen rundum verglasten Kleinbus, der ein zulässiges Gesamtgewicht von über 2,8 t aufweist und der mit einem Dieselmotor (Hubraum 2 184 ccm) sowie mit insgesamt sechs Sitzplätzen ausgerüstet ist. Das Fahrzeug hat eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 122 km/h. Im Fahrzeugbrief ist das Fahrzeug als „LKW – geschlossener Kasten” ausgewiesen. Aufgrund der herstellerseitig durchgeführten Auflastung auf ein zulässiges Gesamtgewicht von mehr als 2,8 t hatte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) das Kfz ursprünglich als „anderes Fahrzeug” i.S. von § 8 Nr. 2 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) eingestuft und es als LKW nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 KraftStG der Gewichtsbesteuerung unterworfen. Unter Hinweis auf die Aufhebung der in § 23 Abs. 6a der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) getroffenen Sonderregelung für Kombinationskraftwagen mit Wirkung vom stufte das FA das Kfz mit Änderungsbescheid vom als PKW ein und nahm eine entsprechende Neufestsetzung der Kraftfahrzeugsteuer vor.
Gegen den Änderungsbescheid legte der Antragsteller Einspruch ein, über den noch nicht entschieden wurde; gleichzeitig beantragte er die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Bei einer Vorführung des Fahrzeugs an Amtsstelle stellte das FA fest, dass mangels Verschweißung der Befestigungspunkte keine dauerhafte Entfernung der hinteren Sitzbank und der Sicherheitsgurte gegeben war. Der Antragsteller ließ daraufhin die Gewindestücke für die Sitz- und Gurthalterungen unbrauchbar machen und reichte zum Nachweis eine geänderte Zulassungsbescheinigung ein. Mit Bescheid vom änderte das FA die Steuerfestsetzung dahingehend, dass das Fahrzeug ab dem wieder nach Gewicht besteuert wurde. Auf entsprechende Rückfrage hielt der Antragsteller seinen Einspruch mit der Begründung aufrecht, dass das Fahrzeug auch für die Zeit vom bis zum nach Gewicht zu besteuern sei. Durch Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom vollstreckte das FA die Kraftfahrzeugsteuer in Höhe von 275,50 € und lehnte mit Verfügung vom den Antrag auf AdV ab.
Mit Schriftsatz vom beantragte der Antragsteller nunmehr beim Finanzgericht (FG) die Vollziehung der Kraftfahrzeugsteuerbescheide aufzuheben, bzw. auszusetzen, soweit die Steuer für den Zeitraum vom 1. Mai bis höher als jährlich 172 € festgesetzt worden sei sowie den eingezogenen Betrag in Höhe von 275,50 € wieder auszukehren. Zur Begründung seines Begehrens berief der Antragsteller sich darauf, dass das Fahrzeug zu keinem Zeitpunkt als PKW hätte besteuert werden dürfen.
Mit der angefochtenen Entscheidung lehnte das FG den Antrag ab. Es führte aus, dass das FA zu Recht eine Neufestsetzung der Steuer ab dem vorgenommen habe. Die verkehrsrechtliche Zulassung als LKW hindere die kraftfahrzeugsteuerrechtliche Einstufung als PKW nicht. Entgegen der Auffassung des Antragstellers und eines anderen FG entfalte die Richtlinie 2001/116/EG (RL 2001/116/EG) der Kommission vom zur Anpassung der Richtlinie 70/156/EWG (RL 70/156/EWG) des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger an den technischen Fortschritt (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2002 Nr. L 18/1) keine kraftfahrzeugsteuerliche Bindungswirkung, denn sie enthalte keine Definition des Begriffes PKW. Im Übrigen habe der Gesetzgeber die in § 4 Abs. 4 Nr. 1 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) enthaltene Definition nicht aufgehoben. In Ermangelung einer eigenständigen Definition des PKW im KraftStG müsse auf diese Norm zurückgegriffen werden.
Nach seiner Bauart und seinem Erscheinungsbild sei das Kfz neben einer untergeordneten Güterbeförderung bis zum überwiegend zur Beförderung von Personen geeignet gewesen. Die Möglichkeit zur Personenbeförderung sei im streitbefangenen Zeitraum nicht grundlegend und dauerhaft beseitigt worden. Auch nach dem Ausbau der hinteren Sitzbank sei die bautechnische Konzeption des Fahrzeugs als PKW unverändert geblieben. Einer Einstufung des Fahrzeugs als LKW stehe insbesondere der Umstand entgegen, dass „bis zum ” die Gewindebohrungen für die Aufnahme der hinteren Sicherheitsgurte erhalten geblieben und auch die Befestigungspunkte für die hintere Sitzbank nicht dauerhaft unbrauchbar gemacht worden seien. Der Wiedereinbau der hinteren Sitzbank habe jederzeit ohne nennenswerten Aufwand erfolgen können. Auch die übrigen technischen Daten würden gegen eine Einstufung als LKW sprechen. Die insgesamt mögliche Zuladung mache zwar 36 v.H. des zulässigen Gesamtgewichts aus, sie sei aber im Hinblick auf die geringe Größe der Ladefläche als unbedeutend anzusehen. Schließlich lasse weder die Motorisierung noch die Höchstgeschwindigkeit des Fahrzeugs mit 122 km/h erkennen, dass es vorwiegend zum Transport von Gütern geeignet und bestimmt sei. Das Fahrzeug sei zudem rundumverglast und die Ladefläche sei nicht durch eine LKW-typische Trennwand gegenüber dem Fahrgastraum abgeschlossen.
Mit seiner vom FG zugelassenen Beschwerde macht der Antragsteller insbesondere geltend, dass an der Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheides deshalb ernstliche Zweifel bestünden, weil Vorschriften des PBefG zur kraftfahrzeugsteuerrechtlichen Beurteilung eines Fahrzeugs nicht herangezogen werden könnten. Wie andere FG bestätigt hätten, sei nach Aufhebung des § 23 Abs. 6a StVZO ausschließlich auf das einschlägige Gemeinschaftsrecht abzustellen. Die Einstufung des Kfz sei anhand der Vorgaben der RL 70/156/EWG i.d.F. der RL 2001/116/EG vorzunehmen. Danach sei das Fahrzeug als Mehrzweckfahrzeug der Klasse AF einzustufen. Da es die Bedingungen der in Anhang II dieser Richtlinie aufgeführten Lastenformel erfülle, könne es kein PKW der Klasse M1 sein.
Das FA tritt der Beschwerde entgegen und schließt sich im Wesentlichen den Ausführungen des FG an. Die RL 70/156/EWG enthalte keine Bestimmung des Begriffes PKW. Auszugehen sei daher von § 4 Abs. 4 Nr. 1 PBefG. Vor dem habe das Fahrzeug über die Möglichkeit verfügt, neben dem Fahrer noch weitere fünf Personen zu befördern. Die für die Personenbeförderung bestimmte Nutzfläche des Fahrzeugs sei deshalb nicht kleiner als diejenige Fläche gewesen, die für den Gütertransport bestimmt gewesen sei. Darüber hinaus betrage die Nutzlast nicht einmal die Hälfte des Gesamtgewichts des Fahrzeugs.
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
Nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage gelangt der beschließende Senat zu der Auffassung, dass das FG den Antrag auf AdV zu Recht abgelehnt hat. Ernstliche Zweifel an der vom FA für den streitgegenständlichen Zeitraum vorgenommenen Einstufung des Kfz als PKW bestehen insoweit nicht.
1. In seinem Beschluss vom VII B 333/05 (BStBl II 2006, 721, BFH/NV 2006, 2001) hat der Senat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften ausgeführt, dass die RL 70/156/EWG i.d.F. der RL 2001/116/EG keine Bestimmung über die Einstufung von Kfz in die Klasse der „Personenkraftwagen” enthalte. Den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen seien keine für die Mitgliedstaaten als verbindlich anzusehenden Festlegungen hinsichtlich der Einteilung von Kfz für die Zwecke der Erhebung von Kraftfahrzeug- und Zulassungssteuern zu entnehmen. Maßgebend sei demnach das nationale Recht, dem —wie § 4 Abs. 4 Nr. 1 PBefG belege— der Begriff des PKW geläufig sei.
a) Mit der Aufhebung von § 23 Abs. 6a StVZO durch die Siebenundzwanzigste Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom (BGBl I, 2712) ist die bis dahin nur für Kombinationskraftwagen bestehende Sonderregelung ersatzlos entfallen. Daher kann auch die Rechtsprechung des Senats, nach der Kombinationskraftwagen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 2,8 t ohne Rücksicht auf Typ und Erscheinungsbild des Fahrzeugs nicht als PKW zu besteuern sind (, BFHE 185, 511, BStBl II 1998, 487), keine Geltung mehr beanspruchen.
b) Auch für Kfz mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 2,8 t gilt nun der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, dass anhand von Bauart und Einrichtung des Fahrzeugs zu beurteilen ist, ob ein LKW oder PKW vorliegt. Dabei obliegt es dem Tatsachengericht, unter Berücksichtigung der Gesamtheit aller Merkmale eine Bewertung der objektiven Beschaffenheit des jeweiligen Fahrzeugs vorzunehmen. Als für die Einstufung relevante Merkmale zu berücksichtigen sind z.B. die Zahl der Sitzplätze, die verkehrsrechtlich zulässige Zuladung, die Größe der Ladefläche, die Ausstattung mit Sitzbefestigungspunkten und Sicherheitsgurten, die Verblechung der Seitenfenster, die Beschaffenheit der Karosserie und des Fahrgestells, die Motorisierung und die damit erreichbare Höchstgeschwindigkeit, das äußere Erscheinungsbild und bei Serienfahrzeugen die Konzeption des Herstellers (, BFH/NV 1992, 414; vom VII R 104/97, BFHE 185, 515, BStBl II 1998, 489; vom VII R 12/97, BFH/NV 1997, 810, und vom VII R 26/99, BFHE 194, 257, BStBl II 2001, 72). Dabei kann kein Merkmal von Bauart und Einrichtung des Fahrzeugs als von vornherein alleinentscheidend angesehen werden, mag auch einzelnen Merkmalen ein besonderes Gewicht zukommen und eine Zuordnung als PKW oder LKW nahe legen (Senatsurteil in BFHE 185, 515, BStBl II 1998, 489).
c) Die Einstufung eines Fahrzeugs durch die Verkehrsbehörde hat als solche weder kraftfahrzeugsteuerrechtlich bindende Wirkung, wie sich im Umkehrschluss aus § 2 Abs. 2 Satz 2 KraftStG ergibt, noch lässt sie im Allgemeinen deshalb einen zuverlässigen Rückschluss auf die richtige kraftfahrzeugsteuerrechtliche Beurteilung zu, weil die Verkehrsbehörden insofern eine überlegene Sachkunde anwenden könnten (, BFHE 134, 367, BStBl II 1982, 82, und in BFHE 194, 257, BStBl II 2001, 72). Vielmehr hat die Kraftfahrzeugsteuerstelle die Einstufung eigenverantwortlich vorzunehmen. Auch der Fahrzeugklassifikation des Herstellers und der darauf beruhenden verkehrsrechtlich orientierten Beurteilung durch das Kraftfahrtbundesamt kommt keine kraftfahrzeugsteuerrechtliche Bindungswirkung zu (Senatsurteil vom VII R 73/00, BFHE 194, 264, 269, BStBl II 2001, 368). Die Finanzbehörden sind somit an die von der Verkehrsbehörde vorgenommene Einstufung eines Fahrzeugs in die Klassen der RL 70/156/EWG nicht gebunden.
2. Entgegen der Auffassung des Antragstellers bestimmt sich die Besteuerung des streitgegenständlichen Kfz nicht nach den in der RL 2001/116/EG getroffenen Festlegungen. Die Einstufung des Fahrzeugs ist vielmehr aufgrund einer komplexen Gesamtwürdigung der die Bauart und Einrichtung bestimmenden Merkmale unter Berücksichtigung der hierzu entwickelten BFH-Rechtsprechung vorzunehmen. Wie bereits ausgeführt, ist die Gesamtheit der technischen Merkmale einer tatrichterlichen Würdigung zu unterziehen.
3. Im Streitfall kommt neben den anderen technischen Merkmalen der Größe der Ladefläche und der Möglichkeit des Wiedereinbaus der hinteren Sitzbank eine besondere, wenn auch nicht allein ausschlaggebende Bedeutung zu. Denn zu den Merkmalen, denen bei der Zuordnung eines Fahrzeugs zum Typ des PKW oder des LKW besonderes Gewicht beizumessen ist, gehören nach der Senatsrechtsprechung die Größe der Ladefläche des Fahrzeugs und die verkehrsrechtlich zulässige Zuladung, weil diese Merkmale von besonderer Bedeutung dafür sind, ob die Möglichkeit einer Nutzung des Fahrzeugs zur Lastenbeförderung gegenüber seiner Eignung zur Personenbeförderung Vorrang hat (Senatsurteil in BFHE 194, 257, BStBl II 2001, 72). Im Interesse praktikabler Zuordnungsmaßstäbe und der um der Rechtssicherheit willen geforderten Vorhersehbarkeit kraftfahrzeugsteuerrechtlicher Zuordnungen hat es der Senat für gerechtfertigt erachtet, typisierend davon auszugehen, dass Fahrzeuge nicht vorwiegend der Lastenbeförderung zu dienen geeignet und bestimmt sind, wenn ihre Ladefläche oder ihr Laderaum nicht mehr als die Hälfte der gesamten Nutzfläche ausmacht (BFH-Urteil in BFHE 194, 257, 262, BStBl II 2001, 72, m.w.N.).
Das streitgegenständliche Fahrzeug wies vor der dauerhaften Unbrauchbarmachung der Sitzbefestigungspunkte eine Ladefläche von weniger als der Hälfte der gesamten Nutzfläche auf. Zu Recht hat das FG darauf abgestellt, dass der Wiedereinbau der Sitze ohne nennenswerten Aufwand jederzeit möglich gewesen sei. Eine Verblechung der hinteren Fenster hat der Antragsteller nicht vorgenommen. Auch dies belegt, dass die Eignung des Fahrzeugs zum Personentransport nicht dauerhaft aufgehoben werden sollte. Hinzu kommt, dass die Ladefläche nicht durch eine Trennwand von der vorderen Sitzreihe abgetrennt worden ist. Bei diesem Befund ist die Annahme gerechtfertigt, dass das Fahrzeug nach seinem äußeren Erscheinungsbild nicht als LKW angesehen werden konnte.
Für die Umrüstung und Umwidmung eines PKW in einen LKW kann es nicht als ausreichend erachtet werden, wenn der Halter des Fahrzeugs lediglich die hinteren Sitze ausbaut und sich die Möglichkeit eines jederzeitigen Rückbaus vorbehält. Erst wenn die Sitzbefestigungspunkte und die Gurthalterungen auf Dauer unbrauchbar gemacht werden, liegt ein Umstand vor, der auf eine überwiegende Nutzung des Fahrzeugs zur Lastenbeförderung schließen lässt. Die dauerhaft hinzugewonnene Transportfläche ist auch geeignet, die Gesamtladefläche des Fahrzeugs zu vergrößern. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte bestehen nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Überprüfung an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide keine ernsthaften Zweifel.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 503 Nr. 3
MAAAC-35145