Leitsatz
[1] Ist zwischen einem Telefonanschlussinhaber und seinem Teilnehmernetzbetreiber strittig, ob und gegebenenfalls in welcher Weise sich ein auf dem Heimcomputer des Anschlussinhabers vorgefundenes Schadprogramm auf das Telefonentgeltaufkommen ausgewirkt hat, ist über die widerstreitenden Behauptungen ein Sachverständigengutachten einzuholen, es sei denn das Gericht verfügt ausnahmsweise über eigene besondere Sachkunde und legt diese im Urteil und in einem vorherigen Hinweis an die Parteien dar.
Gesetze: ZPO § 286 Abs. 1 B; ZPO § 402
Instanzenzug: AG Stralsund 91 C 114/04 vom LG Stralsund 1 S 237/05 vom
Tatbestand
Die Klägerin betreibt ein Telekommunikationsnetz für die Öffentlichkeit und stellt ihren Kunden Telefonanschlüsse zur Verfügung. Der Beklagte schloss 1999 mit der Klägerin einen Vertrag über einen ISDN-Anschluss. Diesen verwendeten der Beklagte und seine Angehörigen auch, um mit ihrem Heimcomputer das Internet zu nutzen. Der Zugang hierzu wurde ihnen durch ein anderes Unternehmen verschafft.
Unter dem berechnete die Klägerin dem Beklagten für von ihr hergestellte Verbindungen im Zeitraum vom 18. Februar bis 16. Mai 2001 sowie für die Bereithaltung des Anschlusses insgesamt 2.886,44 DM (= 1.475,81 €). Darin enthalten waren 2.341,90 DM (= 1.197,39 €) für Verbindungen zu mehreren Mehrwertdienstenummern. Diesen Betrag beglich der Beklagte nicht. Auf seinem Rechner wurde bei einer Überprüfung ein Schadprogramm der Kategorie "Backdoor-Explorer 32-Trojan" festgestellt.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, aufgrund dieses Programms sei der Anschein der Richtigkeit der von der Klägerin erstellten Rechnung erschüttert worden. Das Schadprogramm habe, so hat er behauptet, einen Dialer installiert und damit das unbemerkte Anwählen der berechneten Mehrwertdienste verursacht. Dies habe er nicht zu vertreten.
Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Zahlung der strittigen Verbindungsentgelte verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit ihrer von der Vorinstanz zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Anspruch weiter.
Gründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Dieses hat in seiner in MMR 2006, 487 veröffentlichten Entscheidung ausgeführt, der Anscheinsbeweis für die Richtigkeit der Rechnung der Klägerin sei erschüttert. Das auf dem Rechner des Beklagten vorgefundene Virus könne dazu geführt haben, dass Nutzerdaten ausgespäht worden seien. Diese hätten dazu missbraucht werden können, um mit den Zugangscodes, die der Beklagte und seine Angehörigen zur Einwahl in das Internet verwendeten, ohne das Zutun und den Willen des Berechtigten das Internet auf Kosten des Anschlussinhabers zu nutzen, vergleichbar mit dem unbefugten Aufschalten einer zweiten Leitung. Dies sei von dem berechtigten Nutzer, der zu Vorkehrungen gegen Computerviren nicht ohne besonderen Anlass verpflichtet sei, nicht zu vertreten.
II.
Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Das angefochtene Urteil beruht, wie die Revision mit Recht rügt, darauf, dass das Berufungsgericht die tatsächlichen Feststellungen, die seiner Entscheidung zugrunde liegen, verfahrensfehlerhaft getroffen hat.
a) Das Berufungsgericht durfte nicht ohne weiteres davon ausgehen, das auf dem Heimcomputer vorgefundene Schadprogramm habe dazu führen können, dass unbefugte Dritte unter Ausspähung und anschließender Verwendung der Zugangsdaten des Beklagten über eine virtuelle "zweite Leitung" auf dessen Kosten Mehrwertdienste nutzten sowie Dialer aktivierten und so die strittigen Verbindungsentgelte verursachten. Der Sachvortrag der Parteien bot für diese Annahme keine hinreichende Grundlage.
Der Beklagte hat, wie für die erste Instanz auch aufgrund des Tatbestandes des amtsgerichtlichen Urteils feststeht (§ 314 ZPO), in tatsächlicher Hinsicht lediglich behauptet, durch das Schadprogramm sei heimlich ein Dialer installiert worden, der unbemerkt Verbindungen in das Internet über Mehrwertdienstenummern hergestellt habe. Diesen Sachvortrag hat der Beklagte in der Berufungsinstanz schriftsätzlich wiederholt. Dass er darüber hinaus in der mündlichen Verhandlung weitere Behauptungen über die Wirkungsweise des "Trojaners" aufgestellt hat, ist weder dem Sitzungsprotokoll noch den tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsurteils zu entnehmen. Die vom Berufungsgericht angenommene Funktionsweise des Schadprogramms unterscheidet sich wesentlich von derjenigen, die der Beklagte vorgetragen hat. Während ein heimlich installierter Dialer von dem betroffenen Computer aus Internetverbindungen selbsttätig über teure Mehrwertdienstenummern herstellt (vgl. Senatsurteil BGHZ 158, 201), geht das Berufungsgericht, wie es im Einzelnen ausführt, im Gegensatz dazu davon aus, dass der "Trojaner" "nur" die Internetzugangsdaten des befallenen Rechners ausspäht und es so ermöglicht, auch von anderen Computern aus das Internet auf Kosten des geschädigten Anschlussinhabers zu nutzen. Im ersten Fall wird stets der betroffene Rechner für die Verbindungen verwendet. In der zweiten Fallgestaltung können hingegen andere Computer genutzt werden, wobei ein berechtigter Zugang vorgetäuscht wird.
Auch mit dem Vortrag der Klägerin ist die Annahme des Berufungsgerichts nicht in Einklang zu bringen. Diese hat den Behauptungen des Beklagten - insoweit noch in Übereinstimmung mit dem Ausgangspunkt der Vorinstanz - entgegen gehalten, das Schadprogramm habe es lediglich ermöglicht, dass Dritte die auf dem Computer gespeicherten Benutzerdaten ausspähen. Nicht vorgetragen hat die Klägerin hingegen, dass der Missbrauch dieser Daten dazu führen konnte, dass sich die Rechnung für die von der Klägerin hergestellten Verbindungen erhöhte. Vielmehr ergibt sich aus dem Zusammenhang ihrer Ausführungen der Wille der Klägerin, dies zu bestreiten. In der Anspruchsbegründung hat die Klägerin zwar erklärt, über die ausspionierte Zugangsberechtigung hätten auf Kosten des Berechtigten Verbindungen aufgebaut werden können. Dem ist aber - entgegen der Schlussfolgerung der Vorinstanz - nicht hinreichend deutlich zu entnehmen, dass die Klägerin eingeräumt hat, diese Verbindungen würden, wie die hier strittigen, als solche, die sie hergestellt hat, auf der Telefonrechnung erscheinen. Soweit die Behauptungen der Klägerin mehrdeutig waren, hätte die Vorinstanz gemäß § 139 Abs. 1 und 2 ZPO auf die von ihr aus dem Vortrag gezogenen Schlüsse hinweisen und Gelegenheit zu dessen Präzisierung geben müssen (vgl. - juris Rn. 13, insoweit nicht in NJW-RR 1988, 1373 f abgedruckt).
Die Klägerin hätte, wie sie mit der Revision geltend macht, auf einen solchen Hinweis vorgetragen und unter Sachverständigenbeweis gestellt, das Ausspähen der Benutzerdaten hätte allenfalls ermöglicht, dass sich der unberechtigte Nutzer auf Kosten des Anschlussinhabers bei dem Unternehmen, das diesem den Zugang zum Internet verschafft (Access-Provider), einwählt. Dies hätte bewirkt, dass sich die vom Provider abgerechneten, auf der Telefonrechnung der Klägerin gesondert ausgewiesenen Kosten erhöht hätten, nicht aber - wie hier - das Entgelt für die von der Klägerin hergestellten 0190-Verbindungen. Das Berufungsgericht hätte, wenn es diesen Vortrag, wie geboten, berücksichtigt hätte, zu den unterschiedlichen Behauptungen der Parteien Beweis erheben müssen (dazu auch sogleich b).
b) Das Berufungsgericht hätte, wie die Revision ebenfalls zutreffend rügt, überdies nicht ohne vorherige Einholung eines Sachverständigengutachtens davon ausgehen dürfen, der auf dem Rechner des Beklagten vorgefundene "Trojaner" habe, vergleichbar mit einer zweiten Leitung, das strittige erhöhte Entgeltaufkommen verursachen können. Die Annahme der Vorinstanz beruht auf einer technischen Schlussfolgerung aus dem Vortrag der Klägerin. Diesen Schluss durfte das Berufungsgericht nicht aus eigener Sachkompetenz ziehen. Es hätte die Stellung eines entsprechenden Beweisantrags anregen oder die Beweisanordnung gegebenenfalls von Amts wegen (§ 144 Abs. 1 ZPO) treffen müssen.
Es ist zwar grundsätzlich dem pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters überlassen, ob er seine eigene Sachkunde für ausreichend erachtet und deshalb von der Einholung eines Sachverständigengutachtens absieht (vgl. z.B. - NJW 2000, 1946, 1947). Die Grenze seines Ermessens hat das Berufungsgericht jedoch nicht eingehalten. Die Würdigung eines nicht einfachen technischen Sachverhalts, wie die Beurteilung, in welcher Weise das auf dem Rechner des Beklagten vorgefundene Schadprogramm wirkt und ob es das umstrittene Entgeltaufkommen verursachen konnte, setzt besondere computertechnische Kenntnisse voraus und wird nicht schon durch die Kenntnis allgemeiner Erfahrungssätze ermöglicht (Ernst CR 2006, 590, 594). Der Tatrichter kann, wenn es um die Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage geht, auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur verzichten, wenn er entsprechende eigene besondere Sachkunde auszuweisen vermag (z.B.: BGHZ 159, 254, 262; - NJW-RR 2002, 166, 167 und vom - VI ZR 106/94 - NJW 1995, 1619 jew. m.w.N.). Eigenes computertechnisches Fachwissen hat das Berufungsgericht jedoch weder in dem Urteil noch, wie es außerdem geboten gewesen wäre (vgl. MünchKommZPO/Damrau, ZPO, 2. Aufl., § 402 Rn. 7; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 402 Rn. 7), in einem vorherigen Hinweis an die Parteien dargetan.
2. Da die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 und 3 ZPO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW-RR 2007 S. 357 Nr. 5
JAAAC-33792
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja