Leitsatz
[1] Die bloße Verlagerung eines Betriebs oder eines räumlich gesonderten Betriebsteils um wenige Kilometer innerhalb einer politischen Gemeinde ist ohne Hinzutreten weiterer Veränderungen keine Versetzung der davon betroffenen Arbeitnehmer.
Gesetze: BetrVG § 95 Abs. 3 Satz 1; BetrVG § 99 Abs. 1 Satz 1
Instanzenzug: ArbG Bamberg 3 BV 13/03 C vom LAG Nürnberg 5 TaBV 24/04 vom
Gründe
A. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Betriebsrat bei der Verlagerung von Betriebsabteilungen innerhalb einer Gemeinde gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG mitzubestimmen hat.
Die Arbeitgeberin ist ein Versicherungsunternehmen. Sie beschäftigt in ihrem Betrieb in C in mehreren Betriebsgebäuden ca. 3.600 Arbeitnehmer. Die Abteilungen Kraftverkehr Nord (KN) und Kraftverkehr Süd (KS) mit insgesamt 174 Mitarbeitern befinden sich in einem Gebäude in der B(...)straße. Wegen Umbaumaßnahmen verlegte die Arbeitgeberin die beiden Abteilungen vorübergehend in ein 3 km entferntes Betriebsgebäude in der W-H-Straße. Eine Zustimmung des Betriebsrats holte sie hierzu nicht ein. Die zunächst für neun Monate geplante Verlagerung ist zwischenzeitlich abgeschlossen. Durch die Umsetzung änderten sich die Tätigkeiten der Mitarbeiter, ihrer Vorgesetzten und die Gruppenstrukturen nicht. Anders als in der B(...)straße waren die Mitarbeiter in der W-H-Straße allerdings nicht in Großraumbüros mit acht bis zehn Arbeitsplätzen, sondern in Einzel- bzw. Zweierbüros untergebracht. Auch gab es dort nicht dieselben Einkaufsmöglichkeiten wie in dem bahnhofs- und zentrumsnahen Gebäude in der B(...)straße. Außerdem änderten sich für die Mitarbeiter die Anfahrtswege.
Der Betriebsrat hat in dem von ihm eingeleiteten Beschlussverfahren die Auffassung vertreten, bei den Umsetzungen der 174 Mitarbeiter habe es sich um Versetzungen im Sinne von § 95 Abs. 3 BetrVG gehandelt, an denen er gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hätte beteiligt werden müssen. Er könne daher verlangen, dass die Arbeitgeberin die Anweisung eines derartigen Arbeitsplatzwechsels künftig unterlasse, solange er die Zustimmung hierzu nicht erteilt habe oder diese nicht durch das Arbeitsgericht ersetzt sei.
Der Betriebsrat hat - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Bedeutung - beantragt,
1. der Arbeitgeberin aufzugeben, es künftig zu unterlassen, Arbeitnehmer anzuweisen, den regelmäßigen Arbeitsplatz im Betriebsgebäude B(...)straße in C in das Betriebsgebäude W-H-Straße 2, C zu verlegen, solange er die Zustimmung hierzu nicht erteilt hat oder im Verweigerungsfall die fehlende Zustimmung im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ersetzt worden ist, es sei denn, die Arbeitgeberin macht sachliche Gründe, die eine Versetzung dringend erforderlich machen, geltend und leitet, falls er diese bestreitet, hiernach innerhalb von drei Tagen das arbeitsgerichtliche Verfahren nach § 100 BetrVG ein,
hilfsweise
festzustellen, dass die Versetzung der - im Einzelnen namentlich genannten - 174 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Abteilungen KN und KS sein sich aus § 99 Abs. 1 BetrVG ergebendes Mitbestimmungsrecht verletzt habe,
2. der Arbeitgeberin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Antrag 1) bezogen auf jeden einzelnen Arbeitnehmer und jeden Tag der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld in Höhe bis zu 10.000,00 Euro anzudrohen.
Das Arbeitsgericht hat die Anträge, wie von der Arbeitgeberin beantragt, ab- gewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt dieser die Anträge weiter. Die Arbeitgeberin beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.
B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Anträge des Betriebsrats zu Recht abgewiesen. Die Verlagerung der beiden Abteilungen stellte keine nach § 99 Abs. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtige Versetzung der darin beschäftigten 174 Arbeitnehmer dar.
I. Der vom Betriebsrat gestellte Unterlassungsantrag ist zulässig, aber unbegründet. Er umfasst auch Fallgestaltungen, in denen kein Mitbestimmungsrecht besteht.
1. Der Antrag ist zulässig. Er ist insbesondere hinreichend bestimmt im Sinne des auch im Beschlussverfahren anwendbaren § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Das gilt zwar nicht für den in ihm verwendeten Begriff der "sachlichen Gründe". Dies ist jedoch deshalb unschädlich, weil der Einschränkung - "es sei denn, die Arbeitgeberin macht sachliche Gründe, die eine Versetzung dringend erforderlich machen, geltend und leitet, falls der Betriebsrat diese bestreitet, hiernach innerhalb von drei Tagen das arbeitsgerichtliche Verfahren nach § 100 BetrVG ein" - ersichtlich keine eigenständige Bedeutung zukommt. Durch sie soll offenkundig nur deutlich gemacht werden, dass vorläufige personelle Maßnahmen nicht Gegenstand des Antrags sind, sondern der Arbeitgeberin lediglich die endgültige Versetzung von Arbeitnehmern ohne Beteiligung des Betriebsrats untersagt werden soll. Der Halbsatz kann daher entfallen, ohne dass sich am Inhalt des Antrags etwas ändern würde.
2. Der Antrag ist unbegründet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist ein Globalantrag, der eine Vielzahl von Fallgestaltungen erfasst, insgesamt als unbegründet abzuweisen, wenn er auch solche Fallgestaltungen umfasst, in denen sich der Antrag als unbegründet erweist (vgl. etwa - 1 ABR 19/02 - BAGE 106, 188, zu B II 2 a der Gründe mwN). Dies ist hier der Fall. Jedenfalls dann, wenn die Abteilungen KN und KS erneut insgesamt von der B(...)straße in die W-H-Straße verlagert werden sollten, stellt die Anweisung an sämtliche Arbeitnehmer, ihre Arbeit künftig dort zu verrichten, auch dann keine nach § 99 Abs. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtige Versetzung dar, wenn sie auf mehr als einen Monat gerichtet ist.
a) Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG muss der Arbeitgeber in Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern ua. vor jeder Versetzung eines Arbeitnehmers die Zustimmung des Betriebsrats einholen.
aa) Eine Versetzung im Sinne des Gesetzes ist nach § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Der Begriff des Arbeitsbereichs wird in § 81 Abs. 1 Satz 1 BetrVG durch die Aufgabe und Verantwortung sowie die Art der Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs umschrieben. Arbeitsbereich ist danach der konkrete Arbeitsplatz und seine Beziehung zur betrieblichen Umgebung in räumlicher, technischer und organisatorischer Hinsicht. Die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs ist etwa anzunehmen, wenn der Arbeitsort sich ändert, der Arbeitnehmer aus einer betrieblichen Einheit herausgenommen und einer anderen zugeordnet wird oder sich die Umstände ändern, unter denen die Arbeit zu leisten ist ( - AP BetrVG 1972 § 95 Nr. 36 = EzA BetrVG 1972 § 95 Nr. 31, zu B II 2 a der Gründe).
bb) Nach der Rechtsprechung des Senats kann eine Versetzung im Sinne des § 95 Abs. 3 BetrVG auch dann vorliegen, wenn dem Arbeitnehmer ein anderer Arbeitsort zugewiesen wird, ohne dass sich seine Arbeitsaufgabe ändert oder er in eine andere organisatorische Einheit eingegliedert wird. Der Versetzungsbegriff des Betriebsverfassungsgesetzes 1972 ist danach nicht nur funktionell bestimmt, sondern hat auch eine räumliche Dimension (vgl. insb. - 1 ABR 27/84 - BAGE 51, 151, zu B II 1 b der Gründe; - 1 ABR 87/88 - AP BetrVG 1972 § 99 Nr. 76 = EzA BetrVG 1972 § 99 Nr. 85, zu B I 2 b der Gründe). Die Entscheidungen des Senats, nach denen bereits der Wechsel des Arbeitsorts eine Änderung des Arbeitsbereichs darstellte, sind allerdings nicht zu Fallgestaltungen ergangen, in denen Betrieb oder Betriebsteile in ihrer Gesamtheit verlagert wurden. Vielmehr ging es jeweils um Abordnungen einzelner Arbeitnehmer oder kleiner Arbeitnehmergruppen in andere Einheiten.
cc) Der Senat muss vorliegend nicht entscheiden, ob die Verlagerung ganzer Betriebe oder Betriebsteile über größere Entfernungen für sämtliche davon betroffenen Arbeitnehmer eine Versetzung im Sinne von § 95 Abs. 3, § 99 Abs. 1 BetrVG darstellt oder ob etwa in einem solchen Fall trotz der räumlichen Veränderung wegen des unveränderten Verhältnisses des einzelnen Arbeitsplatzes zu seinem betrieblichen Umfeld keine Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs vorliegt. Jedenfalls dann, wenn betriebliche Einheiten am Sitz des Betriebs innerhalb einer politischen Gemeinde insgesamt verlagert werden, ohne dass sich am konkreten Arbeitsplatz der Arbeitnehmer und seiner Beziehung zur betrieblichen Umgebung etwas ändert, kann von der Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs und damit von einer Versetzung im Sinne des § 95 Abs. 3 BetrVG nicht gesprochen werden. In einem solchen Fall handelt es sich bereits nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht um die Zuweisung eines anderen Dienst- oder Arbeitsorts. Typischerweise ist Dienst- oder Arbeitsort der Arbeitnehmer sowohl individual- als auch betriebsverfassungsrechtlich nicht ein bestimmtes Betriebsgebäude, sondern der Sitz des Betriebs. Das ist in der Regel die politische Gemeinde. Auch systematisch stellt sich die Verlagerung eines Betriebs oder eines räumlich von dem restlichen Betrieb getrennten Betriebsteils nicht als Summe personeller Einzelmaßnahmen dar. Die Veränderungen finden nicht auf der individuellen personellen Ebene, sondern auf der Ebene des gesamten Betriebs oder Betriebsteils statt. Der Zweck des § 99 BetrVG gebietet in einem solchen Fall ebenfalls nicht die Mitbestimmung des Betriebsrats. Es geht nicht wie sonst bei personellen Einzelmaßnahmen um eine vom Betriebsrat zu kontrollierende Auswahl zwischen verschiedenen in Betracht kommenden Arbeitnehmern. Vielmehr sind von der Verlagerung sämtliche Arbeitnehmer der betrieblichen Einheit betroffen. Wird allerdings nicht der gesamte Betrieb oder ein räumlich gesonderter Betriebsteil insgesamt verlagert, sondern eine Betriebsabteilung aus einem Betrieb ausgelagert, so verändert sich für deren Arbeitnehmer das betriebliche Umfeld. Typischerweise ist dabei die Veränderung der betrieblichen Umgebung umso größer, je kleiner die verlegte Betriebsabteilung ist.
dd) Veränderungen des außerbetrieblichen Umfelds kommt für die Frage des Arbeitsbereichs regelmäßig keine wesentliche Bedeutung zu. Der Arbeitsbereich iSv. § 95 Abs. 3 Satz 1, § 81 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist nicht davon abhängig, ob sich die Betriebsgebäude in einem Industrie- oder in einem Wohngebiet, im Zentrum oder am Rande einer Stadt befinden. Für die einzelnen Arbeitnehmer kann dies auf Grund ihrer persönlichen Verhältnisse eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Daraus resultierende wirtschaftliche Nachteile können deshalb unter den Voraussetzungen des § 111 Satz 3 Nr. 2 BetrVG durch einen Sozialplan auszugleichen oder abzumildern sein. Die Aufgaben der Arbeitnehmer, ihre Verantwortung, die Art ihrer Tätigkeit und die Einordnung in den Arbeitsablauf sind aber von derartigen außerbetrieblichen Umständen nicht abhängig.
b) Hiernach hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt, dass die Verlagerung der beiden Abteilungen KN und KS aus dem Betriebsgebäude in der B(...)straße in die W-H-Straße für die davon betroffenen 174 Arbeitnehmer keine Versetzung im Sinne des § 95 Abs. 3 Satz 1, § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG darstellte. Zwar war die Verlagerung für die Dauer von mehr als einem Monat vorgesehen. Den Arbeitnehmern wurde jedoch kein anderer Arbeitsbereich zugewiesen. Durch die Verlagerung änderte sich für sie weder der konkrete Arbeitsplatz noch dessen betriebliche Umgebung. Arbeitsinhalte, Vorgesetzte und Gruppenstruktur blieben dieselben. Die Aufgaben und Verantwortung der Mitarbeiter sowie die Art ihrer Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs änderten sich nicht. Der Umstand, dass die Mitarbeiter statt in Großraumbüros mit acht bis zehn Arbeitsplätzen nun in Einzel- oder Zweierbüros untergebracht waren, ist nicht so beachtlich, als dass von einer Änderung des Arbeitsbereichs der einzelnen Arbeitnehmer gesprochen werden könnte. Da die räumlich von anderen Abteilungen getrennten Abteilungen KN und KS insgesamt von einem Gebäude in ein anderes umzogen, änderte sich an der betrieblichen Umgebung für die einzelnen Arbeitsplätze ebenfalls nichts. Der Arbeitsbereich der in den beiden Abteilungen beschäftigten Arbeitnehmer änderte sich entgegen der Auffassung des Betriebsrats auch nicht deshalb, weil das neue Betriebsgebäude nicht dieselben Einkaufsmöglichkeiten bot wie das bahnhofs- und zentrumsnah gelegene bisherige Betriebsgebäude. Gleiches gilt für die sich durch den Umzug ändernden Anfahrtswege. Den Arbeitnehmern wurde auch kein neuer Arbeitsort zugewiesen. Ihr Arbeitsort war und blieb C. Der Umzug von dem einen in das andere Betriebsgebäude erfolgte am Sitz des Betriebs innerhalb einer Gemeinde und beschränkte sich auf eine räumliche Veränderung von 3 km. Jedenfalls unter solchen Umständen steht dem Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zu. Schon deshalb erweist sich sein Unterlassungsantrag, der gerade auch derartige Fallgestaltungen erfassen soll, als unbegründet. Daher konnte dahinstehen, ob und ggf. unter welchen Umständen neben § 101 BetrVG zur Sicherung der Mitbestimmungsrechte nach § 99 Abs. 1 BetrVG ein Unterlassungsanspruch überhaupt in Betracht kommt (vgl. dazu etwa Oetker GK-BetrVG 8. Aufl. § 23 Rn. 147 ff.; Fitting 23. Aufl. § 99 Rn. 241a, 241b).
II. Der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag ist unzulässig. Es fehlt ihm das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an alsbaldiger Feststellung.
Der Antrag ist ausschließlich auf die Feststellung eines in der Vergangenheit liegenden, abgeschlossenen Rechtsverhältnisses gerichtet. Rechtsfolgen für die Zukunft ergeben sich aus einer Sachentscheidung über diesen Antrag nicht. Sie liefe vielmehr ausschließlich auf die Erstellung eines Rechtsgutachtens hinaus. Zu einer solchen sind die Gerichte für Arbeitssachen nicht berufen. Das Feststellungsinteresse kann bei der vorliegenden Fallgestaltung auch nicht mit der Erwägung angenommen werden, ein entsprechender Konflikt zwischen den Betriebsparteien könne sich in absehbarer Zeit wiederholen. Dies gilt schon deshalb, weil der Betriebsrat hier durch den Unterlassungsantrag eine weitergehende Klärung des zwischen den Betriebsparteien bestehenden Streits erreicht. Im Übrigen wäre der Antrag, wie sich aus den Ausführungen zu B I 2 ergibt, unbegründet.
III. Nachdem der zu 1) gestellte Unterlassungsantrag zurückzuweisen war, fiel der ersichtlich nur für den Fall des Obsiegens mit diesem Antrag gestellte und auf die Androhung von Ordnungsgeldern gerichtete Antrag zu 2) nicht zur Entscheidung an.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2006 S. 2647 Nr. 48
DB 2006 S. 2468 Nr. 45
OAAAC-33465
1Für die amtliche Sammlung: ja; Für die Fachpresse: nein