BGH Urteil v. - III ZR 10/06

Leitsatz

[1] Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und zur Antragsfrist, wenn die Partei in erster Linie geltend macht, die Rechtsmittelschrift fristgemäß in den Nachbriefkasten des Gerichts geworfen zu haben.

Gesetze: ZPO § 233 Gd; ZPO § 234 B

Instanzenzug: LG Limburg 4 O 352/04 vom OLG Frankfurt/Main 4 U 69/05 vom

Tatbestand

Die Klägerin nimmt den beklagten Notar auf Schadensersatz in Höhe von 366.300 € in Anspruch. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.

Das Urteil ist dem Beklagten am zugestellt worden. Hiergegen hat er unter dem Berufung eingelegt. Der Schriftsatz trägt den Eingangsstempel "Nachtbriefkasten" der Justizbehörden Frankfurt (Main) vom . Nach Hinweis auf das Eingangsdatum hat der Beklagte am selben Tage vorsorglich Wiedereinsetzung beantragt und erneut Berufung eingelegt. Er hat, gestützt auf eidesstattliche Versicherungen seines Prozessbevollmächtigten und dessen Angestellter R. , vorgetragen, die bei dem Prozessbevollmächtigten tätige Rechtsanwalts- und Notargehilfin R. habe die Berufungsschrift bereits am gegen 18.00 Uhr in den Nachtbriefkasten eingeworfen. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die vom erkennenden Senat zugelassene Revision des Beklagten.

Gründe

Die Revision hat Erfolg.

I.

Nach der Überzeugung des Berufungsgerichts hat der Beklagte die Berufungsfrist versäumt. Die Berufungsschrift hätte bis zum Montag, dem , bei Gericht eingehen müssen. Eine fristgerechte Einlegung habe der Beklagte jedoch nicht bewiesen. Der Eingangsstempel weise den als Tag des Eingangs aus. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei der gemäß § 418 Abs. 2 ZPO zulässige Gegenbeweis auch unter Berücksichtigung der die Darstellung des Beklagten bestätigenden Aussage der Zeugin R. nicht geführt. Der Wiedereinsetzungsantrag enthalte keine zusätzlichen Tatsachen und sei deswegen unzulässig, mindestens aber unbegründet. Es sei nach der Beweisaufnahme nicht ausreichend glaubhaft gemacht, dass der Beklagte alles getan habe, um von einem ordnungsgemäßen Eingang der Rechtsmittelschrift ausgehen zu können.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

1. Ohne Erfolg wendet sich allerdings die Revision gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, der Beklagte habe den ihm obliegenden Beweis, dass die Berufungsschrift noch vor Ablauf der Berufungsfrist am bei Gericht eingegangen sei, nicht geführt. Der Eingangsstempel vom erbringt, wovon das Berufungsgericht zu Recht ausgeht, gemäß § 418 Abs. 1 ZPO vollen Beweis für einen (verspäteten) Einwurf des Schriftsatzes in den Nachtbriefkasten der Justizbehörden erst an diesem Tage. Der Beweis einer Unrichtigkeit der darin bezeugten Tatsachen - zur vollen Überzeugung des Gerichts - ist zwar zulässig (§ 418 Abs. 2 ZPO), und hieran dürfen nach ständiger Rechtsprechung auch keine überspannten Anforderungen gestellt werden (vgl. etwa - NJW-RR 2005, 75; Senatsbeschluss vom - III ZB 81/04 - NJW 2005, 3501). Gleichwohl ist es auch bei vollständiger Überprüfung durch den erkennenden Senat nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht sich durch die als in jeder Hinsicht glaubhaft angesehene Aussage der für die Leerung des Nachtbriefkastens und die Führung der Fristenbücher zuständigen Justizangestellten, der Zeugin L. , gehindert sieht, den gleichfalls als glaubhaft bezeichneten Angaben der Zeugin R. zu folgen, und - ohne es ausdrücklich zu sagen - auch den vom Beklagten vorgetragenen Indizien einschließlich des von der Zeugin R. nachträglich gefertigten Aktenvermerks keine ausschlaggebende Bedeutung beimisst. Zu einer weiteren Sachaufklärung war das Berufungsgericht nicht verpflichtet. Das vom Beklagten für denkbare Fehlerquellen beantragte Sachverständigengutachten konnte angesichts dessen, dass auf der Grundlage der Aussage der Zeugin L. eine Fehlfunktion des Nachbriefkastens nicht festzustellen war, allenfalls eine trotzdem gegebene Möglichkeit technischer Fehler aufzeigen, ohne dass damit indes eine sichere Erkenntnis über die Funktionsweise des Briefkastens während der maßgebenden Zeiträume verbunden gewesen wäre.

2. a) Von Rechtsirrtum beeinflusst ist demgegenüber die Annahme des Berufungsgerichts, dem Beklagten könne wegen des Fristversäumnisses auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden (§ 233 ZPO). In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass eine Partei die Rechtzeitigkeit ihrer Prozesshandlung behaupten und zugleich für den Fall, dass sie zur Beweisführung nicht in der Lage ist, hilfsweise Wiedereinsetzung beantragen kann (Beschluss vom - XII ZB 117/96 - NJW 1997, 1312, 1313; Beschluss vom - VII ZB 36/99 - NJW 2000, 2280; Urteil vom - IX ZR 251/99 - NJW 2000, 1872, 1873; Beschluss vom - I ZB 23/01 - NJW-RR 2002, 1070 f.). Ein solcher Antrag muss zwar grundsätzlich die Angabe der eine Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten (§ 236 Abs. 2 Satz 1, Halbs. 1 ZPO). Die Antragsfrist beginnt nach § 234 Abs. 2 ZPO aber erst mit dem Tage, an dem das Hindernis behoben ist. Davon kann hier erst dann ausgegangen werden, als dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten aufgrund der ihm am zugestellten Stellungnahme der Briefannahmestelle erstmals begründete Zweifel an der Richtigkeit der von seiner Angestellten geschilderten Sachdarstellung kommen mussten.

b) Nach diesen Maßstäben ist der vom Beklagten gestellte Wiedereinsetzungsantrag zulässig und begründet. Der Beklagte hatte bereits in seinem Wiedereinsetzungsgesuch vom durch Vorlage einer entsprechenden eidesstattlichen Versicherung der Rechtsanwaltsgehilfin R. geltend gemacht, nach Unterzeichnung der Berufungsschrift habe diese das Büro am gegen 17.45 Uhr verlassen und den Briefumschlag kurz nach 18.00 Uhr in den Nachbriefkasten eingeworfen. Mit Schriftsatz vom , bei Gericht eingegangen am selben Tage, hat er dieses Vorbringen wiederholt und dahin ergänzt, im vorliegenden Fall sei die Berufungsschrift wegen später Freigabe durch die Haftpflichtversicherung nicht mit der üblichen Gerichtspost eingereicht worden, sondern die Sekretärin seines Prozessbevollmächtigten habe sich bereit erklärt, den am Nachmittag des gefertigten Schriftsatz nach Dienstschluss in den Fristenbriefkasten einzuwerfen. Der Prozessbevollmächtigte könne sich auch selbst daran erinnern, dass sich seine Sekretärin zwischen 17.30 Uhr und 17.45 Uhr verabschiedet und das Büro mit dem Briefumschlag in der Hand verlassen habe. Dies hat er zusätzlich durch eine eigene eidesstattliche Versicherung des Rechtsanwalts sowie durch eine Vorlage des Telefax-Schreibens der Versicherung vom glaubhaft gemacht. Der Senat hat keine Bedenken, dem - soweit es sich um die dafür maßgebenden Geschehnisse vor 18.00 Uhr handelt - zu folgen. Dann aber lässt sich ein Schuldvorwurf gegen den Prozessbevollmächtigten des Beklagten, der seiner Fachangestellten lediglich einen einfachen und im Ausgangspunkt zudem überwachten Botendienst übertragen hat, schlechterdings nicht erheben. Ein Verschulden allein der Zeugin R. bei der Beförderung des Briefs oder bei dessen Einwurf in den Briefkasten wäre aber dem Beklagten nicht anzulasten (§ 85 Abs. 2 ZPO).

Infolgedessen ist das angefochtene Urteil aufzuheben, dem Beklagten Wiedereinsetzung zu erteilen und die Sache zur Entscheidung über die Begründetheit der Berufung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Fundstelle(n):
NJW 2007 S. 603 Nr. 9
SJ 2007 S. 46 Nr. 6
FAAAC-32444

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja