Leitsatz
[1] Geistlicher im Sinne von § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO ist auch ein Laie, der keine kirchliche Weihe erhalten hat, aber im Auftrag der Kirche hauptamtlich als Anstaltsseelsorger einer Justizvollzugsanstalt selbständig Aufgaben wahrnimmt, die zum unmittelbaren Bereich seelsorgerischer Tätigkeit gehören.
Gesetze: StPO § 53 Abs. 1 Nr. 1
Instanzenzug:
Gründe
I.
In einem vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf anhängigen Strafverfahren wird gegen den Angeklagten Y. A. und die Mitangeklagten K. sowie I. A. wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in bzw. der Unterstützung der ausländischen terroristischen Vereinigung Al Qaeda und anderer Delikte verhandelt. Den Angeklagten wird vorgeworfen, in großem Umfang Betrugstaten zum Nachteil deutscher Lebensversicherungsgesellschaften begangen zu haben, um hohe Versicherungssummen zu erhalten und diese - zumindest teilweise - der Al Qaeda zur Finanzierung des "Heiligen Krieges" zufließen zu lassen. Zu diesem Zweck soll der Angeklagte Y. A. zahlreiche Versicherungsverträge auf sein Leben abgeschlossen bzw. deren Abschluss beantragt und seinen Bruder - den Mitangeklagten I. A. - im Falle seines Todes als Begünstigten eingesetzt haben. Dabei sollen die Angeklagten geplant haben, einen tödlichen Unfall des Angeklagten Y. A. vorzutäuschen, wozu es aufgrund der Verhaftungen der Angeklagten K. und Y. A. am und der anschließenden Untersuchungshaft nicht mehr gekommen sei.
Nach Erhebung der Anklage übergab die Verteidigerin des Angeklagten Y. A. dem Oberlandesgericht Düsseldorf 22 unfrankierte, jeweils auf den datierte Briefe an verschiedene Versicherungsgesellschaften, in denen als neuer Bezugsberechtigter ein Tumorforschungszentrum bestimmt ist. Sie erklärte dazu, ihr Mandant habe die Briefe wegen seiner Verhaftung nicht mehr abschicken können. Die durchgeführten Ermittlungen ergaben den dringenden Verdacht, dass der Angeklagte Y. A. die Briefe erst nach seiner Verhaftung in der Justizvollzugsanstalt mit Hilfe Dritter gefertigt und rückdatiert haben könnte, um sich zu entlasten. Dieser Verdacht gründet unter anderem darauf, dass überwiegend die Adressen der Versicherungsgesellschaften in den Briefen nicht denen entsprechen, die dem Angeklagten aus dem Abschluss der Lebensversicherungsverträge bekannt waren; vielmehr handelt es sich um Anschriften, welche die Versicherungsgesellschaften jeweils auf ihren Internet-Homepages als Kontaktadressen angeben.
In der Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf wurde dazu der Beschwerdeführer, der in seiner Funktion als Anstaltsseelsorger in der Justizvollzugsanstalt W. mehrfach Kontakt mit dem Angeklagten Y. A. hatte, als Zeuge vernommen. Bei seiner Vernehmung beantwortete er die Frage des Vorsitzenden, ob er für den Angeklagten Y. A. im Internet Adressen von Versicherungen recherchiert habe, unter Berufung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht als Seelsorger (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO) nicht. Daraufhin hat das Oberlandesgericht gegen ihn ein Ordnungsgeld von 750 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, für je 50 € einen Tag Ordnungshaft festgesetzt. Da sich der Beschwerdeführer weiterhin weigerte, die Frage des Vorsitzenden zu beantworten, hat das gegen ihn Haft zur Erzwingung des Zeugnisses, jedoch nicht über die Zeit der Beendigung des Verfahrens in dem Rechtszug und nicht über die Zeit von sechs Monaten hinaus angeordnet. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Zeuge mit seiner Beschwerde.
II.
Die zulässige Beschwerde des Zeugen ist unbegründet.
Das Oberlandesgericht hat gegen ihn rechtsfehlerfrei Haft angeordnet, um sein Zeugnis zu erzwingen (§ 70 Abs. 1 und 2 StPO). Ein Recht zur Verweigerung des Zeugnisses gemäß §§ 53, 53 a StPO steht dem Beschwerdeführer bei der gegebenen Sachlage nicht zu. Die Anordnung der Beugehaft ist auch nicht unverhältnismäßig.
1. Gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO ist ein Geistlicher zur Verweigerung des Zeugnisses über das berechtigt, was ihm in seiner Eigenschaft als Seelsorger anvertraut oder bekanntgeworden ist. Einem Geistlichen stehen gemäß § 53 a Abs. 1 StPO seine Gehilfen und die Personen gleich, die zur Vorbereitung auf den Beruf an der berufsmäßigen Tätigkeit teilnehmen, wobei regelmäßig der Geistliche über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechtes entscheidet. Wie sich schon aus dem Gesetzeswortlaut ergibt, erstreckt sich das Recht zur Zeugnisverweigerung nicht auf Tatsachen, von denen der Geistliche zwar bei Gelegenheit der Ausübung der Seelsorge erfahren hat, nicht aber in seiner Eigenschaft als Seelsorger. Deshalb ist ein Zeugnisverweigerungsrecht nicht anzuerkennen, soweit es sich um eine karitative, fürsorgerische, erzieherische oder verwaltende Tätigkeit des Geistlichen handelt oder ein Straftäter diesen nur als Verbindungsmann einschaltet, etwa um den Taterfolg zu erreichen oder zu sichern oder die Strafverfolgung zu vereiteln. Ob im Einzelfall Seelsorge gegeben war, ist objektiv zu beurteilen. In Grenz- und Zweifelsfällen ist die Gewissensentscheidung des Geistlichen maßgebend (vgl. BGHSt 37, 138, 140; Dahs in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 53 Rdn. 24 ff.; Senge in KK 5. Aufl. § 53 Rdn. 12; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 53 Rdn. 12). Auf Verlangen des Gerichts ist der Verweigerungsgrund glaubhaft zu machen (§ 56 StPO).
2. Nach diesen Maßstäben hat der Beschwerdeführer das Zeugnis ohne gesetzlichen Grund verweigert.
a) Er hat über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts eigenverantwortlich zu entscheiden und kann sich nicht darauf berufen, dass sein Dienstvorgesetzter, der Landesdekan für die JVA-Seelsorge, die Entscheidung für ihn zu treffen hat. Denn in seiner Funktion als Gemeindereferent in der Seelsorge an der Justizvollzugsanstalt W. , die ihm nach dem Studium an einer katholischen Fachhochschule vom Erzbischof in Köln übertragen wurde, ist er selbst Geistlicher im Sinne des § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO und nicht nur Berufshelfer (§ 53 a Abs. 1 StPO) seines Dienstvorgesetzten.
Ausschlaggebend dafür ist, dass der Zeuge im Rahmen seiner hauptamtlichen Tätigkeit als Anstaltsseelsorger im Auftrag der katholischen Kirche selbständig Aufgaben wahrnimmt, die zum unmittelbaren Bereich seelsorgerischer Tätigkeit gehören. Wie sich aus dem Inhalt der Ernennungsurkunde ergibt und was sich auch sonst verstünde, ist er in der konkreten Ausübung der Seelsorge nicht an Weisungen des vorgesetzten Landesdekans gebunden. Vielmehr hat er mit diesem lediglich die konkreten Einsatzfelder abzustimmen. Dementsprechend führt er die Gespräche mit den Gefangenen auch allein in Abwesenheit des ihm vorgesetzten Priesters. Für die Einordnung des Beschwerdeführers als Geistlicher im Sinne des § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO ist es unerheblich, dass er Laie ist und keine kirchliche Weihe als Priester oder zumindest als Diakon erhalten hat (so aber Rogall in SK-StPO 28. Lfg. § 53 Rdn. 68; Bernsmann KuR 2004, 153, 158). Entscheidend ist vielmehr, dass ihm Aufgaben der Seelsorge zur selbständigen Wahrnehmung übertragen sind und in diesem Bereich zwischen ihm und dem betreuten Gefangenen ein auf ihn bezogenes eigenständiges Vertrauensverhältnis begründet wird (vgl. Meyer-Goßner, aaO Rdn. 12; Ling, GA 2001, 325 ff., 332; Hanack in LK 11. Aufl. § 139 Rdn. 8). Die hauptamtlich in der Gefangenenseelsorge selbständig tätigen Laien erfüllen ihre Aufgabe tatsächlich stellvertretend für geweihte Kleriker und sind gegebenenfalls denselben schwierigen seelsorgerischen Situationen ausgesetzt wie diese; ihre Verantwortung auf diesem Gebiet ist mit der eines katholischen Klerikers oder eines ordinierten evangelischen Pfarrers vergleichbar.
b) Das Zeugnisverweigerungsrecht des Beschwerdeführers nach § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO erstreckt sich nicht auf die Frage, deren Beantwortung er verweigert.
Bei den Recherchen im Internet nach Adressen von Versicherungsgesellschaften handelt es sich um eine Tätigkeit des Zeugen selbst. Die Frage nach solchen Recherchen betrifft nicht Tatsachen, die ihm in seiner Eigenschaft als Seelsorger vom Angeklagten Y. A. anvertraut worden oder bekanntgeworden sein konnten. Eine Beantwortung würde - bei objektiver Beurteilung - auch keine Rückschlüsse auf einen Umstand zulassen, von dem er im Zusammenhang mit seinem seelsorgerischen Dienst Kenntnis erlangt hat. Allerdings läge, wenn der Zeuge die Frage nach solchen Recherchen durch ihn für den Angeklagten Y. A. bejahen würde, die Annahme nahe, dass diese Tätigkeit Gegenstand eines Gesprächs zwischen ihm und dem Angeklagten oder zumindest einer entsprechenden Bitte des Angeklagten an ihn gewesen war. Auch mit diesem Inhalt der Gespräche geht es aber nicht um Tatsachen, die dem Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden oder bekanntgeworden sind. Denn Seelsorge im Sinne des § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO ist nur eine von religiösen Motiven und Zielsetzungen getragene Zuwendung, die der Fürsorge für das seelische Wohl des Beistandssuchenden, der Hilfe im Leben oder Glauben benötigt, dient (vgl. Rogall, aaO Rdn. 66). Zu ihr gehören nicht Gespräche, Erkenntnisse oder Tätigkeiten des Geistlichen auf dem Gebiet des täglichen Lebens bei Gelegenheit der Ausübung von Seelsorge ohne Bezug zum seelischen Bereich.
Es ist fernliegend und erscheint ausgeschlossen, dass die Recherchen, zu denen der Zeuge die Aussage verweigert, im Zusammenhang mit Seelsorge im weitesten Sinne stehen können. Der Beschwerdeführer hat nicht einmal den Versuch unternommen, einen solchen möglichen Zusammenhang plausibel zu machen. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass die Frage ausschließlich den nichtseelsorgerischen Bereich berührt. Die vom Beschwerdeführer vertretene Meinung, die Gespräche eines Geistlichen könnten nicht in seelsorgerische und nichtseelsorgerische Teile getrennt werden, wenn dieser in seiner Eigenschaft als Seelsorger einem Dritten gegenüber getreten sei, läuft schlicht dem Gesetz zuwider, dem - nach seinem Wortlaut sowie seinem Sinn und Zweck, das im Zusammenhang mit Seelsorge entstandene Vertrauensverhältnis zu schützen - die Möglichkeit einer solchen Unterscheidung eindeutig zugrunde liegt.
c) Das Oberlandesgericht hat bei der Anordnung der Beugehaft sein Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unter Berücksichtigung des Freiheitsgrundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG (vgl. BVerfG NJW 1999, 779 f.; 2000, 3775 f.; Meyer-Goßner, aaO § 70 Rdn. 13) beachtet.
Die Vorwürfe gegen die Angeklagten wiegen schwer. Diese müssen im Falle einer Verurteilung mit hohen Freiheitsstrafen rechnen. Das Oberlandesgericht hat in dem angefochtenen Beschluss nachvollziehbar dargelegt, dass auf die Vernehmung des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) nicht verzichtet werden kann. Seine aus der bisherigen Verhandlung gewonnene Einschätzung, die Klärung der Frage, ob der Zeuge Adressen von Versicherungsgesellschaften recherchiert habe, sei angesichts der Einlassung des Angeklagten Y. A. für die Schuldfrage, jedenfalls aber für die Strafzumessung von zentraler Bedeutung, ist - da sie kein Randgeschehen betrifft - zumindest vertretbar. Eine darüber hinausgehende Überprüfung des angefochtenen Beschlusses und eine eigenständige Bewertung der bisherigen Ergebnisse der Beweisaufnahme sind dem Senat im Beschwerdeverfahren schon mangels Einblick in deren Verlauf nicht möglich. Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren bisherigen Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob die Aussage, die erzwungen werden soll, nach den Umständen des Falles für den Schuld- oder Strafausspruch so bedeutsam ist, dass auf den Zeugen durch Beugehaft eingewirkt und insoweit in sein Freiheitsgrundrecht eingegriffen werden muss.
3. Ein der Anordnung der Beugehaft entgegenstehendes Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 Abs. 1 StPO im Hinblick auf die Gefahr, selbst wegen Strafvereitelung oder einer anderen Straftat verfolgt zu werden, nimmt der Beschwerdeführer bisher für sich nicht in Anspruch und kann nicht unterstellt werden.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2007 S. 307 Nr. 5
GAAAC-32033
1Nachschlagewerk: ja