BFH Urteil v. - VII R 41/05

Tarifierung von Kunststoffschläuchen; Erkennbarkeit der Zubehöreigenschaft für medizinische Apparate

Gesetze: KN Pos. 3917

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Beklagte und Revisionsklägerin (Oberfinanzdirektion —OFD—) erteilte der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) unter dem eine verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) für Schläuche aus Polyester, spiralartig verstärkt, mit weichen Verbindungsstücken, die in Anästhesie-, Beatmungs- und Atemtherapiegeräten eingesetzt werden, mit der sie die Ware in die Unterpos. 3917 39 99 der Kombinierten Nomenklatur —KN— (in der hier maßgeblichen Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2031/2001 der Kommission vom Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 279/1) einreihte.

Der hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage, mit der die Klägerin die Einreihung der Ware in die Unterpos. 9019 20 00 KN als Zubehör für Beatmungsapparate zum Wiederbeleben und Apparate für die Atmungstherapie begehrt, gab das Finanzgericht (FG) statt. Das FG urteilte, dass Waren des Kap. 90 KN nicht zum Kap. 39 KN gehörten; die streitgegenständlichen Schläuche würden aber von Kap. 90 KN erfasst. Sie hätten keine allgemeine Verwendungsmöglichkeit gemäß Anmerkung 1 f zu Kap. 90 KN, sondern seien i.S. der Anmerkung 2 b zu Kap. 90 KN erkennbar Zubehör für Beatmungsapparate und Atmungstherapieapparate der Unterpos. 9019 20 00 KN.

Mit der Revision hält die OFD an der mit der angefochtenen vZTA vorgenommenen Einreihung fest. Zutreffend sei zwar, dass die Schläuche keine allgemeine Verwendungsmöglichkeit gemäß Anmerkung 1 f zu Kap. 90 KN hätten, sie seien jedoch nicht erkennbar für bestimmte Maschinen, Apparate oder Geräte des Kap. 90 KN bestimmt, sondern könnten auch für andere Zwecke Verwendung finden. Sollte neben der zutreffenden Unterpos. 3917 39 99 KN auch die Einreihung als Zubehör für Waren des Kap. 90 KN möglich sein, ginge nach der Allgemeinen Vorschrift für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur (AV) 3 a die Einreihung in die Pos. 3917 KN vor, da diese die genauere Warenbezeichnung enthalte.

Die OFD beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt die Ansicht des FG, dass die Schläuche erkennbar Zubehör für Beatmungsgeräte seien. An das Material, aus dem die Schläuche gefertigt seien, würden höchste Anforderungen gestellt. Die Verbindungen müssten so gestaltet sein, dass sie sich lösten, sobald der Druck im Patienten oder im Beatmungsgerät auf ein gefährliches Maß steige. Bei der Einfuhr seien die Schläuche deutlich als Beatmungsschläuche gekennzeichnet, in Plastikfolie eingeschlagen und in speziell beschichteten Kartons verpackt. Sie seien außerdem hinsichtlich Durchmesser, Druckwiderstand, biologischer Sicherheit, Länge und Hygienevorschriften genormt, woraus sich deutlich ergebe, dass die Schläuche nur für die Beatmung eingesetzt werden könnten.

II. Die Revision der OFD ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung durch das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung FGO).

Die Verpflichtung der OFD, die von der Klägerin begehrte vZTA zu erteilen, wird durch die tatsächlichen Feststellungen des FG nicht getragen.

1. Das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren ist allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen der KN und in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (vgl. AV 1 und 6). Dazu gibt es nach dem Übereinkommen zum Harmonisierten System Erläuterungen und Einreihungsavise (Tarifavise), die ebenso wie die Erläuterungen zur KN ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen darstellen (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften —EuGH— vom Rs. C-276/00, EuGHE 2002, I-1389 Rz. 21 f.; vom Rs. C-379/02, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 2004, 409; Senatsurteil vom VII R 33/03, BFH/NV 2004, 849, jeweils m.w.N.). Auf den sich aus den objektiven Merkmalen und Eigenschaften ergebenden Verwendungszweck einer Ware darf nur dann abgestellt werden, wenn im Wortlaut der Bestimmungen oder in den Erläuterungen dazu ausdrücklich auf dieses Kriterium Bezug genommen wird (vgl. Senatsurteil vom VII R 42/98, BFHE 190, 501, m.w.N.).

a) Im Streitfall hat zwar das FG im Tatbestand des angefochtenen Urteils keine tatsächlichen Feststellungen zur Beschaffenheit der Ware im Einzelnen getroffen, auf die sich die Einreihung stützen ließe. Der vom FG sinngemäß in Bezug genommenen vZTA vom , deren Warenbeschreibung offenbar von keiner Seite als unzutreffend angesehen wird, sowie den Entscheidungsgründen lässt sich jedoch entnehmen, dass es sich bei der streitigen Ware um mit weichen Verbindungsstücken versehene Schläuche aus Polyester handelt, die in Anästhesie-, Beatmungs- und Atemtherapiegeräten eingesetzt werden, also um Hohlprodukte, die dem Leiten von Gasen dienen und die mithin nach der Anmerkung 8 zu Kap. 39 KN als Schläuche i.S. der Pos. 3917 KN gelten.

Anders als das FG offenbar meint, steht der Umstand, dass im Wortlaut der Pos. 3917 KN Schläuche und Verbindungsstücke nebeneinander aufgeführt sind, nicht der Einreihung von Schläuchen in diese Position entgegen, die —wie im Streitfall— mit Verbindungsstücken versehen sind. Vielmehr wird innerhalb der Pos. 3917 KN an mehreren Stellen zwischen Schläuchen mit Verbindungsstücken und ohne solche unterschieden (vgl. z.B. Unterpos. 3917 21 91, 3917 31 10, 3917 32, 3917 33 KN).

Da nach der Warenbeschreibung in der vom FG sinngemäß in Bezug genommenen vZTA vom die streitigen Kunststoffschläuche spiralartig verstärkt sind, kommt die Einreihung in die Unterpos. 3917 39 99 KN in Betracht.

b) Anders als das FG meint, sind die streitigen Kunststoffschläuche nicht gemäß der Anmerkung 2 r zu Kap. 39 KN aus diesem Kapitel ausgewiesen, da es sich nicht um Waren des Kap. 90 KN handelt. Kunststoffschläuche dieser Art sind nicht im Kap. 90 KN aufgeführt.

Im Ergebnis zutreffend hat das FG erkannt, dass die von der Klägerin begehrte Einreihung der streitigen Kunststoffschläuche in das Kap. 90 KN nicht bereits deshalb ausscheidet, weil es sich um Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit gemäß der Anmerkung 1 f zu Kap. 90 KN handelt. Dies kann indes entgegen der Ansicht des FG nicht aus dem Umstand folgen, dass die Beteiligten über diesen Punkt Einigkeiten erzielt haben, da es insoweit nicht um Tatsachen geht, über deren Vorliegen sich die Beteiligten verständigen können. Die Kunststoffschläuche sind aber den in Anmerkung 2 zu Abschnitt XV aufgeführten Waren nicht gleichartig.

Es kann allerdings nach den vom FG getroffenen Feststellungen auch nicht angenommen werden, dass es sich bei den Schläuchen um Zubehör für bestimmte Maschinen, Apparate, Geräte oder Instrumente handelt, die nach der Anmerkung 2 b zu Kap. 90 KN der jeweiligen Position dieser Maschinen, Apparate, Geräte oder Instrumente zuzuweisen sind. Nach der genannten Anmerkung muss es erkennbar sein, dass es sich um ein ausschließlich oder hauptsächlich für eine bestimmte Maschine, einen bestimmten Apparat oder ein bestimmtes Gerät oder Instrument oder um ein für mehrere Maschinen, Apparate, Geräte oder Instrumente der gleichen Position bestimmtes Zubehör handelt. Das FG hat jedoch keine Feststellungen getroffen, welche es rechtfertigen, die Zubehöreigenschaft der streitigen Schläuche i.S. der Anmerkung 2 b zu Kap. 90 KN zu bejahen.

Mit der Anmerkung 2 b zu Kap. 90 KN wird nicht —wie das FG offenbar meint— auf den Verwendungszweck abgestellt, den der Zollbeteiligte seiner Ware beimisst oder für den er sie bestimmt hat; vielmehr ist auch insoweit die objektive Beschaffenheit der Ware aufgrund der an ihr feststellbaren Merkmale und Eigenschaften maßgeblich, die im Zeitpunkt der Zollabfertigung die ausschließliche bzw. hauptsächliche Bestimmung der Ware als Zubehörteil für eine bestimmte Maschine etc. des Kap. 90 KN erkennbar machen muss (Senatsurteil vom VII R 91/97, BFH/NV 1999, 234). Deshalb ist auch nicht der Ansicht des FG zu folgen, dass insoweit eine wertende Betrachtungsweise aus der Sicht eines mit einer gewissen Sachkunde ausgestatteten Betrachters anzustellen sei, denn die Beschaffenheitsmerkmale der Ware, die deren Zubehörcharakter begründen, müssen nach dem genannten Senatsurteil bei der Zollabfertigung, mithin für die Beamten der abfertigenden Zollstelle, erkennbar sein, weshalb keine besondere, sondern lediglich eine durchschnittliche Sachkunde für die Erkennbarkeit der Zubehöreigenschaft vorauszusetzen ist. Eine Zubehöreigenschaft für eine bestimmte Maschine etc. des Kap. 90 KN bzw. für bestimmte Maschinen etc. der gleichen Position des Kap. 90 KN, die erst aufgrund einer sachverständigen Beschau der zu tarifierenden Ware deutlich wird, erfüllt die Voraussetzungen der Anmerkung 2 b zu Kap. 90 KN nicht. Zwar müssen im Zeitpunkt der Zollabfertigung die objektiven Beschaffenheitsmerkmale und Eigenschaften von Waren, wie sie im Wortlaut der Positionen der KN und den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind, nicht in jedem Fall offensichtlich sein (vgl. , EuGHE 1996, I-6543). Anders verhält es sich jedoch, wenn —wie mit der Anmerkung 2 b zu Kap. 90 KN— ausdrücklich vorgeschrieben ist, dass eine bestimmte Wareneigenschaft —hier die Zubehöreigenschaft— „zu erkennen” sein muss, denn diese besondere Tarifierungsvoraussetzung hätte keine Funktion, wenn die Zubehöreigenschaft —wie bei jedem anderen Beschaffenheitsmerkmal— ggf. auch durch eine spätere sachverständige Warenbeschau festgestellt werden könnte. Sinn und Zweck dieser Vorschrift, eine klare und vor allem einheitliche Zuordnung von Teilen und anderem Zubehör zur Position der jeweiligen Maschine etc. des Kap. 90 KN zu ermöglichen, indem die Teile- bzw. Zubehöreigenschaft eindeutig sein und eine Verwendungsmöglichkeit für andere Zwecke ausscheiden muss, verbieten es, insoweit auch eine „Erkennbarkeit” aufgrund sachverständiger Begutachtung, also eine für den durchschnittlichen Betrachter gerade nicht vorhandenen Erkennbarkeit, ausreichen zu lassen. Eine zutreffende einheitliche Tarifierung dieser Waren bereits im Zeitpunkt der Zollabfertigung wäre sonst nicht gewährleistet.

2. Ausgehend von diesen rechtlichen Erwägungen wird die Entscheidung des FG, dass hinsichtlich der streitigen Kunststoffschläuche ihre Zubehöreigenschaft für Beatmungsgeräte der Unterpos. 9019 20 00 erkennbar sei, durch die tatsächlichen Feststellungen des FG nicht getragen. Das FG hat keine erkennbaren Beschaffenheitsmerkmale der Schläuche festgestellt, die sie als Zubehör von Beatmungsgeräten ausweisen, sondern hat seiner Entscheidung lediglich den Vortrag der Klägerin zugrunde gelegt, wonach die Kunststoffschläuche sinnvoll lediglich in Beatmungsgeräten eingesetzt werden können. Dies ist jedoch zur Feststellung der Voraussetzungen der Anmerkung 2 b zu Kap. 90 KN nicht ausreichend.

Dass die Schläuche für den Einsatz in medizinischen Geräten einer speziellen Zulassung bedürfen und hinsichtlich ihrer Druck- und Dehnungseigenschaften besonderen gesetzlichen Anforderungen für Medizinprodukte genügen müssen, sieht man ihnen nicht an; besondere Materialzusammensetzungen, die der Ware eine besondere Qualität verleihen, sind nach dem Wortlaut der Anmerkung 2 b zu Kap. 90 KN nicht entscheidungserheblich (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 1999, 234). Ebenso wenig gibt der Umstand, dass die Schläuche in bestimmten Standardlängen eingeführt werden oder dass sie bestimmten deutschen oder europäischen Normen für medizinisches Gerät entsprechen müssen, Aufschluss über ihre Zubehöreigenschaft für Beatmungsgeräte (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 1999, 234). Zwar wird der Umstand, dass die Schläuche besondere medizintechnische Qualitätsanforderungen erfüllen müssen und deshalb einen vergleichsweise hohen Preis haben dürften, es wirtschaftlich nicht sinnvoll erscheinen lassen, sie für andere Zwecke, welche derartige Anforderungen nicht stellen, zu verwenden; für die nach der Anmerkung 2 b zu Kap. 90 KN erkennbare Zubehöreigenschaft kommt es hierauf jedoch nicht an (vgl. Senatsbeschluss vom VII B 189/01, BFH/NV 2002, 1187).

Schließlich mag es zutreffen, dass —wie das FG dem klägerischen Vortrag entnommen und offenbar als eigene Feststellung übernommen hat— die an den Schläuchen befindlichen Verbindungsstücke hinsichtlich ihrer Qualität und ihres Zuschnitts auf Beatmungsgeräte abgestimmt sind. Nicht ersichtlich ist jedoch, dass die Schläuche wegen dieser Verbindungsstücke ein Beschaffenheitsmerkmal aufweisen, welches sie im Zeitpunkt der Zollabfertigung als Zubehör für Beatmungsgeräte „erkennbar” und zugleich deutlich macht, dass Schläuche mit solchen Verbindungsstücken nicht auch andere Verwendungen finden können. Abgesehen davon, dass das Verbindungsstück eines Schlauches mit Hilfe eines Adapters in vielen Fällen auch für Anschlüsse von abweichender Größe passend gemacht werden kann, hat das FG auch nicht erläutert, worauf es seine Erkenntnis stützt, dass Schläuche mit solchen Verbindungsstücken, mit denen die streitigen Waren versehen sind, eine andere Verwendung als den Einsatz in Beatmungsgeräten nicht finden können; entsprechende Feststellungen des FG, die eine solche Schlussfolgerung rechtfertigen können (z.B. dass Anschlüsse von Beatmungsgeräten spezielle Abmessungen haben, die sich nirgendwo sonst finden lassen), fehlen. Dass —anders als das FG meint— auch mit Verbindungsstücken versehene Schläuche für eine Einreihung in die Pos. 3917 KN in Betracht kommen, ist bereits ausgeführt worden.

Da es nach den getroffenen Feststellungen nicht nur an der erkennbaren Zubehöreigenschaft für eine bestimmte Maschine etc. des Kap. 90 KN bzw. für bestimmte Maschinen etc. der gleichen Position des Kap. 90 KN fehlt, sondern überhaupt an der erkennbaren Zubehöreigenschaft für Waren des Kap. 90 KN, sind auch die Voraussetzungen für eine Einreihung gemäß der Anmerkung 2 c zu Kap. 90 KN nicht erfüllt.

Aufgrund seiner nicht zutreffenden Auffassung, dass allein die an den Schläuchen vorhandenen Verbindungsstücke sowie der klägerische Vortrag zum ausschließlichen Einsatz der Schläuche in Beatmungsgeräten ausreichend seien, um die streitige Zubehöreigenschaft zu bejahen, hat das FG tatsächliche Feststellungen bezüglich objektiver Beschaffenheitsmerkmale der Ware, welche ggf. ihre Zubehöreigenschaft erkennbar machen, nicht getroffen. Diese Feststellungen werden im zweiten Rechtsgang nachzuholen sein. Sollte hiernach die Zubehöreigenschaft nicht erkennbar im Sinne der dargelegten rechtlichen Erwägungen sein, erwiese sich die angefochtene vZTA als rechtmäßig und wäre die Klage abzuweisen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 289 Nr. 2
KAAAC-31842