BSG Urteil v. - B 6 KA 1/06 R

Leitsatz

1. Gröbliche Pflichtverletzungen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung der Zulassungsgremien länger als fünf Jahre zurückliegen, können eine Zulassungsentziehung rechtfertigen, sofern sie besonders gravierend sind oder bis in die Gegenwart hinein fortwirken.

2. Die Tatsacheninstanzen müssen in Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit einer nicht sofort vollzogenen Zulassungsentziehung anhand von Tatsachen prüfen, ob das Verhalten des Vertrags(zahn)arztes während des gerichtlichen Verfahrens die Prognose eines künftig pflichtgemäßen Verhaltens zulässt. Verbleibende Zweifel hinsichtlich zukünftigen Wohlverhaltens gehen zu Lasten des (Zahn-)Arztes.

Gesetze: SGB V § 72 Abs 1 S 2; SGB V § 95 Abs 6; SGG § 136 Abs 1 Nr 6; GG Art 12 Abs 1

Instanzenzug: SG Saarbrücken S 2 KA 57/01 vom LSG Saarbrücken L 3 KA 5/01 vom

Gründe

I

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Zulassungsentziehung.

Die 57 Jahre alte Klägerin ist seit Juli 1985 als Kassen- bzw Vertragszahnärztin in S tätig. Die Prüfgremien für die Wirtschaftlichkeitsprüfung setzten gegen sie für die Quartale III/1985 bis IV/1997 - ausgenommen blieb lediglich das Quartal IV/1990 - fortlaufend Honorarkürzungen wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise im Gesamtumfang von 137.197,86 DM fest. Zudem ahndete die zu 1. beigeladene Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZÄV) im Oktober 1991 die fortgesetzt unwirtschaftliche Behandlungsweise der Klägerin disziplinarisch mit einer Geldbuße in Höhe von 5.000 DM. Aufgrund eines Anfang 1997 gemeinsam von der KZÄV und den zu 2. bis 8. beigeladenen Krankenkassen(-verbänden) gestellten und mit nach wie vor unwirtschaftlicher Behandlungsweise begründeten Antrags entzog der Zulassungsausschuss der Klägerin die Zulassung zur vertragszahnärztlichen Versorgung (Bescheid vom ). Nachdem das von der Klägerin eingeleitete Widerspruchsverfahren im Hinblick auf die Neubescheidung einiger Wirtschaftlichkeitsprüfungsmaßnahmen zeitweise geruht hatte (der neue Widerspruchsbescheid für die Quartale I/1989 bis IV/1992 vom bestätigte die Kürzungen bis einschließlich 1991, während sie für das Jahr 1992 von 5.668,47 DM auf 5.078,71 DM reduziert wurden), wies der beklagte Berufungsausschuss ihren Rechtsbehelf mit Beschluss vom zurück (Bescheid vom ).

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG), das nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin zeitweise geruht hatte, hat der Beklagte seine Entscheidung zusätzlich darauf gestützt, dass die Klägerin wegen Eingehungsbetrugs zum Nachteil zweier Zahntechnikerbetriebe im Zeitraum September 1992 bis März 1993 sowie erneut im September/Oktober 1995 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt worden war, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dadurch, dass die Klägerin von den Krankenkassen bezahlte Vergütungen für prothetische Leistungen und Eigenanteile der Versicherten zwar vereinnahmt, die entsprechenden Leistungen der Zahntechnikerbetriebe aber nicht bezahlt habe, sei das notwendige Vertrauen in ihre Lauterkeit bei der Teilnahme am vertragszahnärztlichen Versorgungssystem nachhaltig gestört. Dies rechtfertige bereits für sich allein die Zulassungsentziehung.

Das SG hat die Klage ohne Berücksichtigung dieser nachgeschobenen Umstände abgewiesen, da eine gröbliche Pflichtverletzung der Klägerin bereits aufgrund ihrer fortgesetzt unwirtschaftlichen Behandlungsweise erwiesen sei. Die Klägerin könne sich auch nicht auf Wohlverhalten berufen. Selbst wenn seit der letzten Honorarkürzung für die Quartale I bis III/1999 über 1.147,32 DM keine Prüfverfahren mehr durchgeführt worden seien, müssten auch ihre deutlich rückläufigen Fallzahlen berücksichtigt werden. Bei zuletzt durchschnittlich nur noch 97 Fällen pro Quartal im Jahr 2000 verstehe es sich von selbst, dass unwirtschaftliches Handeln nicht mehr festzustellen sei; ein selbst gesteuertes Wohlverhalten der Klägerin sei darin nicht zu sehen (Urteil vom 19. September 2001).

Das Landessozialgericht (LSG) hat die im April 2002 begründete Berufung der Klägerin unter Bezugnahme auf die Entscheidung des SG zurückgewiesen (Urteil vom ). Es hat ergänzend ua ausgeführt, dass auch die der strafgerichtlichen Verurteilung zugrunde liegenden, im angefochtenen Bescheid des Beklagten noch nicht berücksichtigten Tatsachen als gröbliche Pflichtverletzung anzusehen seien, welche die Zulassungsentziehung für sich alleine rechtfertigten. Neben der langjährigen Verletzung des Wirtschaftlichkeitsgebots stützten die Betrügereien der Klägerin zu Lasten der auch an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligten Zahntechniker ebenfalls die Prognose, dass die Klägerin auch künftig ihren vertragszahnärztlichen Pflichten nicht nachkommen werde. Aus Art und Umfang der Praxisführung der Klägerin ließen sich keine zu ihren Gunsten sprechenden Argumente herleiten, zumal im September 1999 über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei.

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 95 Abs 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sowie von Art 12 Abs 1 Grundgesetz (GG). Die vom LSG zur Rechtfertigung der Zulassungsentziehung herangezogenen Sachverhalte hätten zum Zeitpunkt seiner Entscheidung bereits mehr als neun Jahre in der Vergangenheit gelegen und könnten deshalb nicht mehr als gröbliche Pflichtverletzung bewertet werden. Zudem habe das LSG nicht berücksichtigt, dass sich der Sachverhalt für die nicht vollzogene Zulassungsentziehung bis zu seiner Entscheidung durch das Wohlverhalten der Klägerin in einer Weise geändert habe, die diese Maßnahme nicht mehr als angemessen erscheinen lasse. Auch wenn dem Wohlverhalten eines Zahnarztes während des Prozesses regelmäßig geringeres Gewicht zukomme als einem vorwerfbaren Verhalten in der Vergangenheit, sei spätestens fünf Jahre nach erfolgter Zulassungsentziehung die Bewährungszeit abgelaufen. Erst nach diesem Zeitraum eingetretene Umstände dürften zu Lasten der Klägerin nicht berücksichtigt werden. Ferner sei bedeutsam, dass die früheren Verstöße der Klägerin gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot und die Vorgänge, die zu ihrer strafgerichtlichen Verurteilung geführt hätten, ihre Ursache in erster Linie in deren Finanznot gehabt hätten. Nach Abschluss des Privatinsolvenzverfahrens, das Ende Oktober 2006 zu einer Restschuldbefreiung führen werde, könne die Klägerin neu beginnen, sodass entsprechende Verstöße nicht mehr zu besorgen seien. Der vom SG getroffenen Bewertung, ein selbst gesteuertes Wohlverhalten der Klägerin im Sinne einer nunmehr wirtschaftlichen Behandlungsweise sei schon wegen der geringen Fallzahlen ausgeschlossen, sei nicht zu folgen, da auch bei geringen Fallzahlen ein unwirtschaftliches Vorgehen möglich sei. Hinzu komme, dass das LSG sich zur Frage des Wohlverhaltens selbst überhaupt nicht geäußert und insoweit auch nicht auf das Urteil des SG verwiesen habe. Insgesamt sei die Zulassungsentziehung auch angesichts dessen, dass die Klägerin, die das 55. Lebensjahr überschritten habe und keine neue Zulassung mehr erlangen könne, sich seit Jahren wohl verhalte, nicht mehr verhältnismäßig.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts für das Saarland vom und des Sozialgerichts für das Saarland vom sowie den Bescheid des Beklagten vom aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen,

hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Er hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend. Das SG, dessen Erwägungen sich das Berufungsgericht auch insoweit durch Bezugnahme zu eigen gemacht habe, habe ein Wohlverhalten der Klägerin während des Entziehungsverfahrens im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Senats erörtert, aber zutreffend verneint. Dass die Klägerin ab dem Jahr 2000 nicht mehr von Kürzungsmaßnahmen in der Wirtschaftlichkeitsprüfung betroffen gewesen sei, beruhe darauf, dass sie es in intelligenter Weise verstehe, die Finanzmittel der gesetzlichen Krankenversicherung zu ihren Gunsten auszunutzen. Sie habe nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Quartal IV/1999 jede Praxistätigkeit eingestellt, da sie die Gewinne nicht mehr hätte selbst behalten können, sondern an die Gläubiger hätte abführen müssen. Allein die offenen Forderungen bei Insolvenzeröffnung in Höhe von ca 1,6 Mio DM belegten die Unfähigkeit der Klägerin, mit Finanzmitteln umzugehen. Es spreche viel für die Annahme, dass dies nach einer Restschuldbefreiung erneut so sein werde. Von einem selbst gesteuerten Wohlverhalten der Klägerin während des Entziehungsverfahrens könne keine Rede sein; eine lange Verfahrensdauer genüge hierfür nicht. Es begründe keine unverhältnismäßige Härte, dass die Klägerin die Altersgrenze von 55 Jahren überschritten habe und eine neue Zulassung nicht mehr erhalten könne. Dies stelle lediglich eine gesetzliche Zwangsläufigkeit dar, welche die Klägerin seit 15 Jahren habe bedenken können.

Sofern das LSG aber der Problematik des Wohlverhaltens nicht ausreichend Beachtung geschenkt habe, müsse ihm durch Zurückverweisung des Rechtsstreits Gelegenheit zu entsprechenden Tatsachenermittlungen und Bewertungen gegeben werden. Im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung seien neue Umstände gegebenenfalls auch zu Lasten der Klägerin zu berücksichtigen. Er - der Beklagte - werde neue Sachverhalte vortragen, die sich während der Dauer des Verfahrens vor dem LSG zugetragen hätten und weitere Störungen des Vertrauensverhältnisses belegten. So habe die Klägerin im Zeitraum zwischen Anfang Juni 2003 und Ende Juni 2004 in ihrer Praxis mehrere Assistenten oder Vertreter ohne Genehmigung oder Mitteilung an die KZÄV beschäftigt. Zudem habe sie im Zeitraum von Juli 2003 bis Mai 2004 Leistungen, die approbierten Zahnärzten vorbehalten seien - zB Anfertigung von Abdrucken, Einschleifen des Bisses und Eingliederung des fertigen Zahnersatzes -, bei mehreren Patienten durch einen Zahntechniker durchführen lassen, aber als eigene Leistungen abgerechnet. Bei diesem Zahntechniker habe die Klägerin erneut Außenstände in Höhe von ca 30.000 €. Aus diesem Grund führe die Staatsanwaltschaft ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin durch; zudem habe das Finanzamt gegen sie ein Steuerstrafverfahren eingeleitet und einen dinglichen Arrest in Höhe eines Betrags von 57.000 € vollzogen. Damit sei es der Klägerin im Verlauf des Entziehungsverfahrens nicht einmal gelungen, nicht negativ in Erscheinung zu treten; die weiteren gröblichen Verstöße gegen vertragszahnärztliche Pflichten rechtfertigten für sich eine erneute Zulassungsentziehung.

Die Beigeladenen zu 1., 2. und 8. schließen sich den Ausführungen des Beklagten an, die Beigeladene zu 1. auch dessen Antrag. Die weiteren Beigeladenen haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

II

Die Revision der Klägerin hat im Sinne einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht Erfolg (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Über die Rechtmäßigkeit der Zulassungsentziehung kann erst nach weiterer Sachaufklärung zur Frage eines eventuellen Wohlverhaltens der Klägerin während des Entziehungsverfahrens entschieden werden.

Rechtsgrundlage der angefochtenen Zulassungsentziehung ist § 95 Abs 6 iVm § 72 Abs 1 Satz 2 SGB V. Danach ist einer Vertragszahnärztin die Zulassung ua zu entziehen, wenn sie ihre vertragszahnärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Eine Pflichtverletzung ist gröblich, wenn sie so schwer wiegt, dass ihretwegen die Entziehung zur Sicherung der vertragszahnärztlichen Versorgung notwendig ist. Davon ist auszugehen, wenn aufgrund der Pflichtverletzungen das Vertrauen der vertragszahnärztlichen Institutionen in die ordnungsgemäße Behandlung der Versicherten und in die Rechtmäßigkeit des Abrechnungsverhaltens der Vertragszahnärztin so gestört ist, dass ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit der Vertragszahnärztin nicht mehr zugemutet werden kann (stRspr, zusammenfassend BSGE 93, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 9, jeweils RdNr 10, mwN). Nach diesen Maßstäben können nachhaltige Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot eine Zulassungsentziehung rechtfertigen. Dasselbe gilt für wiederholt unkorrekte Abrechnungen gegenüber der KZÄV oder gegenüber anderen Beteiligten wie etwa Zahntechnikern, die gleichfalls in das vertragszahnärztliche System zur Erbringung von (Sach-)Leistungen gegenüber den Versicherten einbezogen sind (vgl BSG aaO). Aber auch Verfehlungen außerhalb der eigentlichen vertragszahnärztlichen Tätigkeit - beispielsweise die versuchte Vergewaltigung einer Praxishelferin ( - juris), grob beleidigende und diffamierende Äußerungen gegenüber Mitarbeitern der K(Z)ÄV (BSGE 93, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 9, jeweils RdNr 20 ff) oder auch Betrug und Urkundenfälschung zu Lasten der K(Z)ÄV durch unberechtigte Abzweigung von Geldern von deren Konten (vgl ) - können eine Zulassungsentziehung rechtfertigen.

In zeitlicher Hinsicht sind bei der gerichtlichen Überprüfung einer angefochtenen Zulassungsentziehung alle Pflichtverletzungen durch den betroffenen (Zahn-)Arzt zu berücksichtigen, die vor der Entscheidung des Berufungsausschusses stattgefunden haben. Dies gilt auch dann, wenn solche Sachverhalte in der Entscheidung des Berufungsausschusses nicht verwertet wurden - etwa weil sie ihm zum Zeitpunkt seiner Entscheidung noch nicht bekannt waren (vgl BSGE 93, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 9, jeweils RdNr 16). Eine ausdrückliche "Verjährungsfrist", die die Zulassungsgremien daran hindern würde, bereits länger zurückliegende gröbliche Pflichtverletzungen zur Begründung einer Zulassungsentziehung heranzuziehen, enthält die gesetzliche Regelung nicht. Der bei solch einem schweren Eingriff in die Berufswahlfreiheit stets zu beachtende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl BVerfG <Kammer>, NJW 2005, 3057, 3058; ebenso BVerfG <Kammer>, Beschluss vom - 1 BvR 276/05 -, BRAK-Mitteilungen 2005, 275, 276; s auch BSGE 73, 234, 237 f = SozR 3-2500 § 95 Nr 4 S 13) gebietet es aber, zum Zeitpunkt der Entscheidung der Zulassungsgremien bereits länger als die übliche Bewährungszeit von fünf Jahren (s hierzu BSG MedR 1987, 254) zurückliegende Pflichtverletzungen nur dann noch zur Grundlage einer Zulassungsentziehung zu machen, wenn sie besonders gravierend sind (zB Fälle systematischen Fehlverhaltens im Behandlungs- oder Abrechnungsbereich) oder aus anderen Gründen - etwa bei fortgesetzter Unwirtschaftlichkeit - bis in die Gegenwart hinein fortwirken.

Auf dieser Grundlage ist es nicht zu beanstanden, wenn der Beklagte und das LSG eine gröbliche Pflichtverletzung der Klägerin darin gesehen haben, dass diese seit Beginn ihrer Tätigkeit als Vertragszahnärztin im Juli 1985 über 12 Jahre hinweg praktisch in jedem Quartal gegen das Gebot der Wirtschaftlichkeit verstoßen hatte und deshalb Honorarkürzungsmaßnahmen sowie einer disziplinarischen Geldbuße unterworfen worden war. Gegen die entsprechenden Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin im Revisionsverfahren durch ihren hier allein postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten (§ 166 Abs 1 SGG) keine Rügen vorgebracht; der Senat hat deshalb bei seiner Beurteilung von diesen Tatsachen auszugehen (§ 163 SGG). Diese über einen sehr langen Zeitraum bis kurz vor der Entscheidung des Beklagten fortgesetzte und auch nach der Disziplinarmaßnahme im Jahr 1991 nicht abgestellte unwirtschaftliche Behandlungsweise rechtfertigt bereits für sich die Zulassungsentziehung. Darüber hinaus beinhalten aber auch die von der Klägerin in den Jahren 1992/93 und erneut im Jahr 1995 im Zusammenhang mit der Erbringung und Abrechnung vertragszahnärztlicher Leistungen gegenüber Zahntechnikern begangenen Eingehungsbetrügereien gröbliche, eine Zulassungsentziehung tragende Pflichtverletzungen. Jedenfalls die im September/Oktober 1995 - also innerhalb des Zeitraums von fünf Jahren vor der angefochtenen Entscheidung des Beklagten im Juni 1999 - begangenen Betrugsfälle sind bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Zulassungsentziehung mit zu berücksichtigen, nachdem sich der Beklagte nach deren Kenntnis im sozialgerichtlichen Verfahren zur Untermauerung seiner Entscheidung auch hierauf berufen hat. Unter diesen Umständen bedarf es keiner Entscheidung mehr, ob auch noch die in den Jahren 1992/93 von der Klägerin verwirklichten Straftaten zu Lasten von Zahntechnikern zur Rechtfertigung der im Jahr 1999 in zweiter Verwaltungsinstanz bestätigten Zulassungsentziehung unter dem Gesichtspunkt herangezogen werden können, dass sie eine erhebliche, mit Freiheitsstrafe geahndete Verfehlung innerhalb des vertragszahnärztlichen Abrechnungssystems betrafen. Somit waren die Voraussetzungen für eine Zulassungsentziehung zu dem für die Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten (vgl BSGE 93, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 9, jeweils RdNr 14 ff) gegeben.

Dennoch kann das Urteil des LSG, das diese Entscheidung mehr als fünfeinhalb Jahre später bestätigt hat, jedenfalls in der vorliegenden Form keinen Bestand haben. Diesem Urteil können keine ausreichenden Feststelllungen zu der für jede gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit einer nicht vollzogenen Zulassungsentziehung essentiellen Frage entnommen werden, ob der betroffene (Zahn-)Arzt während des Rechtsstreits die durch seine gröblichen Pflichtverletzungen verlorene Eignung zur weiteren Teilnahme an der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung infolge eines Wohlverhaltens möglicherweise wiedererlangt hat. Der Senat hat in seiner Rechtsprechung mehrfach betont, dass bei nicht im Wege des Sofortvollzugs tatsächlich umgesetzten Zulassungsentziehungen - insbesondere wegen der Bedeutung dieser Maßnahme für das Grundrecht des (Zahn-)Arztes auf Berufswahlfreiheit gemäß Art 12 Abs 1 GG - zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit stets auch zu prüfen ist, ob sich die Sachlage während des Prozesses zu Gunsten des (Zahn-)Arztes in einer Weise geändert hat, die eine Entziehung der Zulassung nicht mehr als angemessen erscheinen lässt (BSGE 73, 234, 237 f = SozR 3-2500 § 95 Nr 4 S 13 f; BSG MedR 1997, 86, 87 <auch zur Nichtberücksichtigung der Zugangsaltersgrenze von 55 Jahren bei Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Zulassungsentziehung>; Senatsbeschluss vom - B 6 KA 69/98 B - juris; BSGE 93, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 9, jeweils RdNr 15; in diesem Sinne auch BVerfG <Kammer> NJW 2005, 3057, 3058). Eine solche aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderliche sorgfältige Prüfung (so ausdrücklich BVerfG <Kammer>, aaO) enthält das Urteil des LSG nicht, obgleich im Hinblick auf die Dauer des Berufungsverfahrens von mehr als drei Jahren, währenddessen die Klägerin weiterhin an der vertragszahnärztlichen Versorgung teilnahm, besondere Veranlassung hierzu bestand.

Die Ausführungen des LSG beschränken sich zur Frage eines eventuellen Wohlverhaltens der Klägerin während des Rechtsstreits um die Zulassungsentziehung darauf, im Tatbestand seiner Entscheidung die entsprechenden Darlegungen des SG zu referieren; weitere tatsächliche Feststellungen insbesondere zu Art und Umfang der Praxisführung der Klägerin während des länger dauernden Berufungsverfahrens fehlen völlig. In den Entscheidungsgründen verweist das Berufungsgericht hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen einer Zulassungsentziehung einschließlich der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf das Urteil des SG; seine ergänzenden Erwägungen berühren die Problematik eines Wohlverhaltens speziell während des Berufungsverfahrens nicht. Aus den Urteilsgründen wird somit nicht ersichtlich, dass das LSG mit der erforderlichen Sorgfalt geprüft hat, ob das Verhalten der Klägerin im Zeitraum nach der Entscheidung des Beklagten die Sachlage so zu ihren Gunsten verändert hat, dass die Entziehung ihrer Zulassung nicht mehr als angemessen erscheint. Auch wenn für das Berufungsgericht offenkundig gewesen sein sollte, dass von einem Wohlverhalten der Klägerin nicht die Rede sein kann, hätte es sich zumindest für den Zeitraum, der die Dauer des Berufungsverfahrens betraf, selbst dazu qualifiziert äußern müssen (vgl § 136 Abs 1 Nr 6 SGG und hierzu näher Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 136 SGG RdNr 7 f). Es ist zudem zweifelhaft, ob für die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens die vom Berufungsgericht in Bezug genommene Erwägung des SG, bei im Durchschnitt lediglich 97 Fällen pro Quartal verstehe es sich von selbst, dass bei der Klägerin Unwirtschaftlichkeit nicht mehr festzustellen sei, tatsächlich tragfähig ist. Denn die Problematik anbieterinduzierter Nachfrage zahnmedizinischer Leistungen stellt sich gerade bei Praxen mit geringerer Patientenzahl je (Zahn-)Arzt (vgl BSGE 80, 9, 13 f = SozR 3-2500 § 98 Nr 4 S 12; BSGE 82, 41, 45 = SozR 3-2500 § 103 Nr 2 S 14). Entscheidend ist aber, dass das LSG sich zur Art und Weise der Praxisführung der Klägerin während des länger andauernden Berufungsverfahrens überhaupt nicht geäußert hat.

Das Berufungsgericht muss als letzte Tatsacheninstanz nunmehr die erforderlichen Feststellungen zu den Umständen nachholen, die aufgrund der Praxistätigkeit der Klägerin während des sozialgerichtlichen Verfahrens für und gegen deren künftig ordnungsgemäßes, die Grundprinzipien der vertragszahnärztlichen Versorgung achtendes Verhalten sprechen. Anschließend wird es die von ihm zusammengetragenen Gesichtspunkte zur Prognose des künftigen Verhaltens der Klägerin als Vertragszahnärztin wertend gewichten müssen (vgl hierzu Kleine-Cosack, NJW 2004, 2473, 2477). Dem Revisionsgericht sind solche tatsächlichen Feststellungen zum Wohlverhalten, deren Gewichtung im Einzelfall sich zudem rechtsgrundsätzlicher Festlegungen weitgehend entzieht, verwehrt (§ 163 SGG). Das LSG wird dabei zu beachten haben, dass eine an sich aufgrund gröblicher Pflichtverletzungen in der Vergangenheit indizierte Ungeeignetheit des Vertrags(zahn)arztes, die eine Zulassungsentziehung rechtfertigt, nur dann infolge veränderter Umstände während des sozialgerichtlichen Verfahrens relativiert werden kann, wenn die Prognose künftig ordnungsgemäßen Verhaltens des betreffenden (Zahn-)Arztes zweifelsfrei zur Überzeugung des Gerichts feststeht (vgl BVerfG <Kammer> NJW 2005, 3057, 3058 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Anwaltssenats des BGH; ebenso BSG MedR 1997, 86, 88). Das bedeutet, dass jeder durch Tatsachen belegte ernstliche Zweifel daran, dass bei dem betroffenen Vertrags(zahn)arzt wirklich eine nachhaltige Verhaltensänderung eingetreten ist, die eine positive Prognose rechtfertigt, dazu führt, dass ein rechtlich relevantes "Wohlverhalten" nicht vorliegt. Aus diesem Grunde scheidet die Bewertung nur der zu Gunsten des (Zahn-)Arztes sprechenden Tatsachen ebenso aus wie die von der Klägerin geforderte Berücksichtigung lediglich eines Zeitraums von fünf Jahren nach Ausspruch der Zulassungsentziehung im Rahmen der Prognose. Denn würde ein (Zahn-)Arzt im Verlauf eines - aus welchen Gründen auch immer - länger als fünf Jahre dauernden sozialgerichtlichen Verfahrens sich zunächst zwar einige Jahre ordnungsgemäß verhalten, aber noch vor Abschluss des Rechtsstreits um die Rechtmäßigkeit der Zulassungsentziehung erneut relevante Pflichtverletzungen begehen, wäre hierdurch die Annahme einer positiven Prognose für die Zukunft widerlegt.

Das LSG wird bei seiner erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

Fundstelle(n):
UAAAC-31266