BGH Urteil v. - XI ZR 242/05

Leitsatz

[1] Wird der Erwerb einer werthaltigen Eigentumswohnung durch ein Darlehen finanziert, so besteht der Schutzzweck der Widerrufsbelehrung nach dem Haustürwiderrufsgesetz auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom (WM 2005, 2086, 2089 - Crailsheimer Volksbank) nicht darin, den über sein Widerrufsrecht nicht belehrten Darlehensnehmer mit Hilfe des Schadensersatzrechts so zu stellen, als wenn das Darlehen sofort widerrufen und eine Eigenfinanzierung vorgenommen worden wäre.

Gesetze: BGB § 249 Hd

Instanzenzug: LG Berlin 4 O 341/03 vom KG Berlin 23 U 47/04 vom

Tatbestand

Die Kläger nehmen die beklagte Bank auf Rückzahlung von Leistungen in Anspruch, die sie aufgrund eines Darlehensvertrages erbracht haben. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Kläger, ein damals 43-jähriger Beamter und seine damals 38-jährige Ehefrau, erwarben mit notariellem Kaufvertrag vom die von ihnen bewohnte Eigentumswohnung in der R. Straße in B. zum Preis vom 250.000 DM. Zur Finanzierung des Kaufpreises stellten sie am auf Vermittlung eines Mitarbeiters der ... Bausparkasse bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung eines Annuitätendarlehens über 190.000 DM zum Zinssatz von 6,65% p.a. fest bis Ende Februar 2007 bei 1% Tilgung. Ausweislich der Selbstauskunft der Kläger verfügten sie über Barmittel von 8.750 DM und ein Bausparguthaben von 31.000 DM. Die Beklagte nahm das Vertragsangebot am ohne Erteilung einer Widerrufsbelehrung nach dem Haustürwiderrufsgesetz an und zahlte den nach Abzug von Bereitstellungszinsen sowie Bearbeitungs- und Schätzkosten verbleibenden Darlehensbetrag über 188.459,17 DM vereinbarungsgemäß an den Notar der Kaufvertragsparteien aus. Das Darlehen wurde durch eine Grundschuld von 190.000 DM an der Eigentumswohnung gesichert.

Am widerriefen die Kläger ihre Darlehensvertragserklärung nach dem Haustürwiderrufsgesetz. Die Kläger behaupten: Sie hätten die erworbene Immobilie ursprünglich mit Hilfe eines Bauspardarlehens finanzieren wollen und deshalb den Mitarbeiter der ... Bausparkasse in ihre Wohnung bestellt. Bei dieser Gelegenheit habe er für sie völlig unerwartet eine Finanzierung durch die Beklagte als Finanzpartnerin der Bausparkasse vorgeschlagen und sie, die Kläger, unter Ausnutzung der Haustürsituation zum Abschluss des Darlehensvertrages bewogen.

Das Landgericht hat die auf Rückzahlung der von den Klägern geleisteten Zins- und Tilgungsraten in Höhe von insgesamt 41.212,87 € zuzüglich Zinsen Zug um Zug gegen Zahlung des Restdarlehens über 96.357,61 € nebst 4% Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist erfolglos geblieben. Mit der - vom erkennenden Senat - zugelassenen Revision verfolgen sie ihren Klageantrag weiter.

Gründe

Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Den Klägern stehe kein Rückzahlungsanspruch nach dem Haustürwiderrufsgesetz zu. Ein Widerrufsrecht sei jedenfalls deshalb nicht entstanden, weil die Beklagte sich eine etwaige Haustürsituation nicht zurechnen lassen müsse. Die Entscheidung dieser Frage richte sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nach den zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung entwickelten Grundsätzen. Eine entsprechende Anwendung der in § 123 Abs. 1 BGB festgelegten Zuordnungsregeln setze voraus, dass der Verhandlungsführer entweder ein Angestellter, Mitarbeiter bzw. Beauftragter des Erklärungsempfängers sei oder nach außen als dessen Vertrauensperson gehandelt habe. Dies sei hier nicht der Fall.

Ebenso komme eine Zurechnung der Haustürsituation nach § 123 Abs. 2 BGB (analog) nicht in Betracht. Das Verhalten des "Dritten" im Sinne dieser Vorschrift müsse sich der Erklärungsempfänger erst dann zurechnen lassen, wenn er dessen auf die Haustürsituation bezogenes Handeln bei Vertragsschluss gekannt habe oder habe kennen müssen. Für eine fahrlässige Unkenntnis des Erklärungsempfängers genüge zwar, dass ihn die Umstände des Falles veranlassen mussten, sich zu erkundigen, auf welchen Umständen die ihm übermittelte Willenserklärung beruhe. Die bloße Kenntnis der Beklagten, dass der Kreditantrag von einem Mitarbeiter einer Bausparkasse vermittelt worden sei, der möglicherweise gelegentlich auch Hausbesuche durchführe, genüge insoweit aber nicht.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat die unterstellte Haustürsituation der Beklagten zu Unrecht nicht zugerechnet.

Allerdings hat der Bundesgerichtshof bisher in ständiger Rechtsprechung, der das Berufungsgericht gefolgt ist, angenommen, dass ein Darlehensvertrag nicht schon dann nach dem Haustürwiderrufsgesetz wirksam widerrufen werden kann, wenn der Vermittler einer finanzierten Kapitalanlage den Abschluss des Kreditvertrages in einer Haustürsituation angebahnt hat. Vielmehr wurde der kreditgebenden Bank die Haustürsituation - in Übereinstimmung mit den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 10/2876, S. 11) und der ganz herrschenden Ansicht in der Literatur (siehe z.B. MünchKommBGB/Ulmer, 4. Aufl. § 312 Rdn. 30 m.w.Nachw.) - außerhalb des Anwendungsbereichs des § 278 BGB nur dann zugerechnet, wenn die für die Zurechnung der arglistigen Täuschung gemäß § 123 Abs. 2 BGB notwendigen Voraussetzungen erfüllt sind. War der Verhandlungsführer als "Dritter" im Sinne dieser Vorschrift anzusehen, so war sein auf die Haustürsituation bezogenes Handeln der Bank daher nur dann zuzurechnen, wenn sie dieses bei Vertragsschluss kannte oder hätte erkennen müssen (siehe z.B. BGHZ 159, 280, 285 f.; , WM 2003, 61, 63, vom - XI ZR 162/00, ZIP 2003, 1741, 1743 und vom - XI ZR 460/02, WM 2004, 521, 523).

Wie der erkennende Senat bereits in seinem erst nach der angefochtenen Entscheidung ergangenen Urteil vom (XI ZR 255/04, WM 2006, 674, 675; siehe ferner , WM 2006, 1003, 1008, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen, und vom - XI ZR 224/05, Umdruck S. 7 f.; ebenso schon , WM 2006, 220, 221 f.) dargelegt hat, hält er an dieser Rechtsprechung nicht weiter fest. Mit dem Haustürwiderrufsgesetz hat der Gesetzgeber die Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (ABl. L 372, S. 31; "Haustürgeschäfterichtlinie") in nationales Recht umgesetzt. Nach der bindenden Auslegung des europäischen Rechts durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in seinem erst nach der angefochtenen Entscheidung ergangenen Urteil vom (WM 2005, 2086 ff. - Crailsheimer Volksbank) muss sich die kreditgebende Bank die Haustürsituation bereits dann zurechnen lassen, wenn sie bei Abschluss des Darlehensvertrages objektiv vorgelegen hat. Eine solche richtlinienkonforme Auslegung lässt das nationale Recht zu. Zwar wollte der Gesetzgeber (vgl. BT-Drucks. aaO) - worauf auch das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat - den durch die Haustürsituation in seiner Willensbildung beeinträchtigten Verbraucher grundsätzlich nicht weiter schützen als einen Vertragspartner, der durch eine arglistige Täuschung zum Vertragsschluss bewogen wurde. Diese Absicht hat aber im Wortlaut des § 1 HWiG keinen Niederschlag gefunden. Es handelt sich nicht einmal um eine Interpretation des Gesetzestextes, sondern um einen Diskussionsbeitrag zu einer Frage, die im Gesetz nicht beantwortet worden ist, sondern der Rechtsprechung und der Lehre überlassen bleiben sollte (siehe Senatsurteil vom , aaO S. 675). Eine etwaige Haustürsituation ist der Beklagten infolgedessen nach rein objektiven Kriterien zuzurechnen.

III.

Das angefochtene Urteil war danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur Feststellung, ob der Kreditantrag der Kläger auf einer Haustürsituation beruht, zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Für den Fall, dass die Beweisaufnahme ergeben sollte, dass die Kläger zur Abgabe ihrer Darlehensvertragserklärung durch mündliche Verhandlungen in ihrer Wohnung bestimmt worden sind, wird unter Berücksichtigung der Ausführungen der Kläger in der Revisionsinstanz auf Folgendes hingewiesen:

Wie die Kläger in ihrem Klageantrag zutreffend berücksichtigt haben, steht ihnen im Falle eines wirksamen Widerrufs des Darlehensvertrags ein Anspruch auf Rückgewähr der von ihnen erbrachten Zins- und Tilgungsraten nur Zug um Zug gegen Rückzahlung des gesamten Nettokreditbetrages von 188.459,17 DM, d.h. 96.357,64 € (nicht: 96.357,61 € wie beantragt) zu (§ 3 Abs. 1, § 4 HWiG). Daneben haben die Kläger Anspruch auf marktübliche Verzinsung der von ihnen gezahlten, der Beklagten zur Nutzung zur Verfügung stehenden Raten (BGHZ 152, 331, 336; Senatsurteil vom - XI ZR 162/00, ZIP 2003, 1741, 1744). Dabei kann, da es sich hier um einen Realkredit handelt, entgegen der Ansicht der Kläger nicht ohne weiteres von einem Zinssatz von 5% über dem Diskontsatz der deutschen Bundesbank ausgegangen werden (, WM 1992, 566, 567 und vom - XI ZR 79/97, WM 1998, 1325, 1326 f.). Für den den Klägern überlassenen Nettokreditbetrag kann die Beklagte ihrerseits marktübliche Zinsen beanspruchen (BGHZ 152, 331, 338; , WM 2003, 64, 66 und vom - XI ZR 162/00, ZIP 2003, 1741, 1744), nicht lediglich durchgängig 4% wie im Antrag der Kläger vorgesehen.

Ein Schadensersatzanspruch, der von dem gestellten Klageantrag im Übrigen allenfalls zu einem kleinen Teil umfasst wird, steht den Klägern wegen der unterbliebenen Widerrufsbelehrung entgegen der Ansicht der Revision auch unter Berücksichtigung der Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom (WM 2005, 2079 ff. - Schulte und WM 2005, 2086 ff. - Crailsheimer Volksbank) nicht zu. Die unterbliebene Widerrufsbelehrung ist für den mehrere Wochen früher abgeschlossenen finanzierten Wohnungskaufvertrag nicht, wie erforderlich (Senatsurteil vom - XI ZR 6/04, WM 2006, 1194, 1199, für BGHZ vorgesehen), kausal geworden.

Darüber hinaus ist den Klägern durch den Erwerb der werthaltigen Eigentumswohnung kein Vermögensschaden im Sinne des § 249 BGB entstanden. Entgegen der Ansicht der Revision besteht ein Schadensersatzanspruch der Kläger auch dann nicht, wenn sie den Kaufpreis für die Eigentumswohnung mit Eigenmitteln hätten finanzieren können und davon angeblich durch die unterbliebene Widerrufsbelehrung abgehalten worden sind. Wie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in seiner Entscheidung vom (aaO S. 2086, 2089) in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats ausdrücklich klargestellt hat, ist die Pflicht des Darlehensnehmers, den Nettokreditbetrag zuzüglich marktüblicher Zinsen nach Widerruf der Darlehensvertragserklärung zurückzuzahlen, mit der Haustürgeschäfterichtlinie vereinbar. Diese Verpflichtung gehört nach dem Schutzzweck der Widerrufsbelehrung danach nicht zu den Risiken, vor denen die Widerrufsbelehrung schützen soll.

Fundstelle(n):
BB 2006 S. 2661 Nr. 49
NJW 2007 S. 364 Nr. 6
RIW 2007 S. 141 Nr. 2
WM 2006 S. 2303 Nr. 49
ZIP 2006 S. 2210 Nr. 48
JAAAC-29311

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja