BFH Beschluss v. - V B 65/04

Zum Begriff des Versicherungsvertreters in § 4 Nr. 11 UStG

Leitsatz

Eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 erste Alternative FGO) ist erforderlich, wenn über bisher ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden ist, insbesondere wenn der Streitfall im allgemeinen Interesse Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen. Es muss sich um eine klärungsbedürftige, entscheidungserhebliche und klärbare Rechtsfrage handeln, deren Klärung in einem künftigen Revisionsverfahren zu erwarten ist. Klärungsbedürftig ist eine Rechtssache u. a. dann nicht, wenn sie durch die Rechtsprechung des BFH entschieden ist. Dasselbe gilt, wenn die Frage durch eine den BFH bindende Entscheidung des EuGH geklärt ist. Der Begriff des Versicherungsvertreters ist durch das geklärt. Entscheidend ist, ob die in Frage stehenden Tätigkeiten denen eines Versicherungsvertreters „entsprechen”. Die Anerkennung der Eigenschaft eines Versicherungsvertreters erfordert dabei eine Prüfung des Inhalts der in Rede stehenden Tätigkeit. Die Anerkennung als Versicherungsvertreter setzt voraus, dass der Steuerpflichtige zugleich zum Versicherer und zum Versicherten in Beziehung steht. Durch die Rechtsprechung des EuGH ist auch geklärt, dass es sich bei den Tatbestandsmerkmalen der Steuerbefreiungen um autonome Begriffe des Gemeinschaftsrechts handelt, die eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems vermeiden sollen und bei denen der Gesamtzusammenhang des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems zu beachten ist.

Gesetze: UStG § 4 Nr. 11

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war im Streitjahr 2001 Organträger der X-GmbH (GmbH). Der Zweck der GmbH war die „Abwicklung von Kraftfahrzeugschäden und von Schäden in der allgemeinen Haftpflicht- und Sachversicherung nebst Unternehmensberatung in allen Fragen der Schadensregulierung, insbesondere die Wahrung wirtschaftlicher Interessen in- und ausländischer Versicherer sowie deren Vertretung”.

Die GmbH schloss hat mit inländischen Versicherern sog. Dienstleistungs- und/oder Funktionsausgliederungsverträge. Auf deren Anforderung und nach deren Weisung übernahm sie die Schadensregulierung. Aufgabe der GmbH war aufgrund der mit den Versicherern geschlossenen Verträge u.a.:

- Entgegennahme von Schadensmeldungen durch Kunden, Anspruchsteller oder Makler im Rahmen bestehender Versicherungsverträge zwischen den Versicherern und den Versicherungsnehmern,

- Entgegennahme und Bearbeitung von Anspruchsteller- und Kundenfragen,

- Beurteilung von Deckung und Haftung,

- Regulierung der berechtigten Ansprüche,

- Abwehr unberechtigter Ansprüche,

- Begutachtung und Regulierung von Schäden vor Ort,

- Einleitung von Regressen,

- Beauftragung von weiteren Dienstleistern,

- Dokumentation der erbrachten Dienstleistungen.

Die Tätigkeit der GmbH erstreckte sich auf alle Sparten der Versicherung (allgemeine Haftpflicht-, Kraftfahrt-, Hausrat-, Feuer-, Wohngebäude-Versicherung). Sie richtete mit eigenen Mitarbeitern eine separate Telefonnummer für Schadensmeldungen und Service für den jeweiligen Versicherer ein. Dabei meldeten sich die Mitarbeiter der GmbH ausschließlich unter dem Namen des jeweiligen Versicherers. Weder der Anspruchsteller noch der Versicherungsnehmer noch der Makler erhielten Kenntnis von der Existenz der GmbH und ihrer Beauftragung durch den betreffenden Versicherer. Nach außen hin trat stets nur der Versicherer auf, von der die GmbH ihren Auftrag erhalten hatte und mit der Vertragsbeziehungen bestanden. Die Schadenszahlungen wurden ausschließlich von den Versicherern vorgenommen. Da die Schadensfälle ausschließlich im Namen des jeweiligen Versicherers abgewickelt wurden, war die GmbH für gerichtliche Streitigkeiten weder aktiv noch passiv legitimiert.

Die GmbH trat nie als öffentlich bestellter Sachverständiger nach außen hin auf. Sachverständige wurden entweder vom Geschädigten selbst oder von der GmbH im Namen des Versicherers beauftragt. Die Sachverständigen rechneten jeweils direkt mit ihrem Auftraggeber ab, d.h. in der Regel mit dem betreffenden Versicherer.

Im Anschluss an eine beim Kläger durchgeführte Umsatzsteuersonderprüfung erließ das FA einen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für Mai 2001, in dem es die von der GmbH ausgeführten Leistungen beim Kläger der Umsatzsteuer unterwarf.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Im Klageverfahren erging der Umsatzsteuerjahresbescheid 2001.

Zur Begründung der Klageabweisung führte das Finanzgericht (FG) im Wesentlichen aus, die von der GmbH ausgeführten Leistungen seien nicht nach § 4 Nr. 11 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) von der Umsatzsteuer befreit. Der Begriff des Versicherungsvertreters sei im handelsrechtlichen Sinn auszulegen. Die GmbH sei aber weder Bausparkassenvertreter noch Versicherungsvertreter noch Versicherungsmakler i.S. der §§ 92, 93 des Handelsgesetzbuches (HGB). Eine Steuerbefreiung scheide auch schon deshalb aus, weil die GmbH keine Erlaubnis zum Betreiben des Versicherungsgeschäfts nach § 5 Abs. 1 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) besitze. Die GmbH erfülle auch deshalb nicht die an einen „Vertreter” zu stellenden Voraussetzungen, weil sie nach außen nicht als solcher in Erscheinung getreten sei. Die Tätigkeit der GmbH sei auch weder nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. f noch nach Art. 13 Teil B Buchst. a der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) von der Steuer befreit.

Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger geltend, die Rechtssache diene der Fortbildung des Rechts i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alternative der Finanzgerichtsordnung (FGO). Eine richtlinienkonforme Auslegung des Begriffes des Versicherungsvertreters erlaube keinen Rückgriff auf das deutsche HGB.

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Nichtzulassung kann mit der Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Ob ein Zulassungsgrund vorliegt, ist nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung zu beurteilen (BFH-Beschlüsse vom IV B 56/99, BFH/NV 2000, 552; vom IV B 219/01, BFH/NV 2003, 1408).

Eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alternative FGO) ist erforderlich, wenn über bisher ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden ist, insbesondere wenn der Streitfall im allgemeinen Interesse Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen (, BFH/NV 2002, 217). Es muss sich um eine klärungsbedürftige, entscheidungserhebliche und klärbare Rechtsfrage handeln, deren Klärung in einem künftigen Revisionsverfahren zu erwarten ist (, BFH/NV 2005, 698). Klärungsbedürftig ist eine Rechtssache u.a. dann nicht, wenn sie durch die Rechtsprechung des BFH entschieden ist (, BFH/NV 2001, 600). Dasselbe gilt, wenn die Frage durch eine den BFH bindende Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) geklärt ist.

a) So ist es hier. Gemäß § 4 Nr. 11 UStG sind steuerfrei die Umsätze aus der Tätigkeit als Bausparkassenvertreter, Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler. Die Bestimmung setzt Art. 13 Teil B Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG um. Danach befreien die Mitgliedstaaten die Versicherungs- und Rückversicherungsumsätze einschließlich der dazugehörigen Dienstleistungen, die von Versicherungsmaklern und -vertretern erbracht werden.

Der Begriff des Versicherungsvertreters ist durch das , Arthur Anderson (Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 2005, 201) geklärt. Entscheidend ist, ob die in Frage stehenden Tätigkeiten denen eines Versicherungsvertreters „entsprechen” (EuGH, a.a.O., Rdnr. 27). Die Anerkennung der Eigenschaft eines Versicherungsvertreters erfordert dabei eine Prüfung des Inhalts der in Rede stehenden Tätigkeit. Die Anerkennung als Versicherungsvertreter setzt voraus, dass der Steuerpflichtige zugleich zum Versicherer und zum Versicherten in Beziehung steht (EuGH, a.a.O., Rdnr. 33). Außerdem kommt eine Anerkennung als Versicherungsvertreter nicht in Betracht, wenn wesentliche Aspekte der Versicherungsvermittlungstätigkeit, wie Kunden zu suchen und diese mit dem Versicherer zusammenzubringen, fehlen. Das gilt selbst dann, wenn im Übrigen auch Dienstleistungen erbracht werden, die zum wesentlichen Inhalt der Tätigkeiten eines Versicherungsunternehmens beitragen (EuGH, a.a.O., Rdnr. 36). Damit steht das Urteil des FG im Ergebnis im Einklang, weil die GmbH wesentliche Aspekte der Versicherungsvermittlungstätigkeit wie die Kundensuche und deren Zusammenbringen mit dem Versicherer nicht erfüllt. Die GmbH steht auch mit den Versicherten nicht in Beziehung, weil sie nach außen gar nicht selbst rechtlich in Erscheinung tritt.

b) Durch die Rechtsprechung des EuGH ist auch geklärt, dass es sich bei den Tatbestandsmerkmalen der Steuerbefreiungen um autonome Begriffe des Gemeinschaftsrechts handelt, die eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems vermeiden sollen und bei denen der Gesamtzusammenhang des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems zu beachten ist (EuGH, a.a.O., Rdnr. 25). Diese autonomen gemeinschaftsrechtlichen Begriffe können die Mitgliedstaaten nicht verändern, d.h. es kommt für die Auslegung von Tatbestandsmerkmalen in gemeinschaftsrechtlichen Befreiungsvorschriften grundsätzlich nicht auf nationale gesetzliche Vorschriften, also auch nicht auf die des deutschen HGB, an.

Das Urteil des FG ist insoweit zwar von anderen Grundsätzen ausgegangen. Das führt aber gleichwohl nicht zur Zulassung der Revision, weil die abweichende Beurteilung des FG nicht entscheidungserheblich war. Das FG hat die Klage auch mit der Begründung abgewiesen, der Kläger erfülle nicht die vom EuGH im Urteil C-8/01 geforderten Voraussetzungen der in Art. 13 Teil B Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG bezeichneten Tätigkeit. Diese Begründung trägt das Urteil.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 114 Nr. 1
NWB-Eilnachricht Nr. 6/2007 S. 16
IAAAC-28416