Leitsatz
[1] Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden zur Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABl. EG Nr. L 167 vom 22.6.2001, S. 10, (Informationsgesellschafts-Richtlinie), folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. a) Ist von einer Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form auf sonstige Weise i.S. von Art. 4 Abs. 1 der Informationsgesellschafts-Richtlinie auszugehen, wenn Dritten der Gebrauch von Werkstücken urheberrechtlich geschützter Werke ermöglicht wird, ohne dass mit der Gebrauchsüberlassung eine Übertragung der tatsächlichen Verfügungsgewalt über die Werkstücke verbunden ist?
b) Liegt eine Verbreitung nach Art. 4 Abs. 1 der Informationsgesellschafts-Richtlinie auch vor, wenn Werkstücke urheberrechtlich geschützter Werke öffentlich gezeigt werden, ohne dass Dritten die Möglichkeit zur Benutzung der Werkstücke eingeräumt wird?
2. Bejahendenfalls:
Kann der Schutz der Warenverkehrsfreiheit der Ausübung des Verbreitungsrechts in den vorgenannten Fällen entgegenstehen, wenn die präsentierten Werkstücke in dem Mitgliedstaat, wo sie hergestellt und in Verkehr gebracht wurden, keinem urheberrechtlichen Schutz unterliegen?
Gesetze: Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft Art. 4 Abs. 1
Instanzenzug: LG Frankfurt 2/3 O 249/02 vom 24.10.2002 OLG Frankfurt 11 U 55/02 vom 11.11.2003
Gründe
I.
Die Klägerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach italienischem Recht, produziert Polstermöbel. Ihre Kollektion enthält Möbelstücke, die nach Entwürfen von Charles Edouard Jeanneret, genannt Le Corbusier, gefertigt sind. Dazu gehören die in dem Katalog "Le Corbusier (1997)" der Klägerin abgebildeten Sessel und Sofas der Reihen "LC 2" und "LC 3" sowie das Tischsystem "LC 10-P".
Die Beklagte, eine Kommanditgesellschaft, vertreibt bundesweit in Filialen Damen- und Herrenoberbekleidung. In ihrem Geschäft in F. hat sie mit Sesseln und Sofas der Modelle "LC 2" und "LC 3" und einem Couchtisch aus dem Tischsystem "LC 10-P" ausgestattete Ruhezonen für Kunden eingerichtet. Diese Möbel stammen nicht von der Klägerin, sondern aus der Produktion des Unternehmens d. in Bologna. In einem Schaufenster ihrer Niederlassung in D. hat die Beklagte einen Sessel des Modells "LC 2" zu Dekorationszwecken ausgestellt.
Die Klägerin hat behauptet, sie habe unter dem 16. November 1995 einen Lizenzvertrag über die Herstellung und den Vertrieb von Möbeln nach Le Corbusier-Entwürfen mit der Fondation Le Corbusier geschlossen, auf die die Rechte des verstorbenen Urhebers übergegangen seien. Dieser Vertrag sei von den Vertragsparteien nicht gekündigt worden und nach wie vor gültig.
Die Klägerin hat die Beklagte auf Unterlassung und Auskunftserteilung in Anspruch genommen und die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung der Beklagten begehrt.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung und den Auskunftsanspruch auf den Zeitraum nach Zugang der Abmahnung beschränkt und die Beklagte unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung verurteilt,
1. es zu unterlassen, in Italien erworbene Nachbildungen von Le Corbusier-Möbelmodellen, und zwar des Sessels LC 2, des dreisitzigen Sofas LC 2, des zweisitzigen Sofas LC 3, des dreisitzigen Sofas LC 3 und des Tischsystems LC 10-P, in ihren Verkaufsräumen und Schaufenstern, beispielsweise in ihrem Kaufhaus , F. , aufzustellen oder aufstellen zu lassen,
2. der Klägerin Auskunft über den Vertriebsweg der unter Ziffer 1 aufgeführten Möbel zu erteilen, insbesondere Angaben zu machen über die Menge und Preise der seit dem 27. November 2002 an sie ausgelieferten und von ihr bestellten Nachbildungen.
Zudem hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den Schaden zu ersetzen, der dieser seit dem 27. November 2002 durch das Aufstellen der unter Ziffer 1 genannten Nachbildungen entstanden ist oder noch entstehen wird.
Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.
Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung des Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABl. EG Nr. L 167 vom 22. Juni 2001, S. 10 = GRUR Int. 2001, 745 (Informationsgesellschafts-Richtlinie), ab. Vor einer Entscheidung über das Rechtsmittel ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 234 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 EG eine Vorabentscheidung zu den im Beschlusstenor gestellten Fragen einzuholen.
1. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Klägerin habe aufgrund des Lizenzvertrags vom 16. November 1995 neben einem "droit de fabriquer" ein "droit de vendre" erworben; mit diesem weltweit eingeräumten Recht habe die Klägerin ein dem in § 17 UrhG geregelten Verbreitungsrecht entsprechendes Recht erlangt. Nach der Beurteilung des Senats halten diese Ausführungen der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
Das Berufungsgericht ist weiter vom Fortbestehen des Lizenzvertrags vom 16. November 1995 zwischen den Vertragsparteien ausgegangen. Ob die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts diese Annahme rechtfertigen, kann offen bleiben. Zugunsten der Klägerin ist entsprechend der Annahme des Berufungsgerichts im jetzigen Verfahrensstadium von einem Fortbestand des Lizenzvertrags auszugehen.
2. Steht der Klägerin nach dem für das Revisionsverfahren zu unterstellenden Sachverhalt ein ausschließliches Recht zur Verbreitung i.S. von § 17 UrhG zu, kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits darauf an, ob die Beklagte mit dem Aufstellen der Möbel in ihren allgemein zugänglichen Verkaufsräumen sowie in Schaufenstern ihrer Verkaufsräume in Deutschland in das urheberrechtliche Verbreitungsrecht eingegriffen hat.
a) Nach Art. 4 Abs. 1 der Informationsgesellschafts-Richtlinie sehen die Mitgliedstaaten vor, dass Urhebern in Bezug auf das Original ihrer Werke oder auf Vervielfältigungsstücke davon das ausschließliche Recht zusteht, die Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise zu erlauben oder zu verbieten. Dieses Verbreitungsrecht des Urhebers wird im deutschen Recht durch § 15 Abs. 1 Nr. 2, § 17 UrhG umgesetzt. Nach diesen Vorschriften steht dem Urheber das ausschließliche Recht zu, das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit anzubieten oder in Verkehr zu bringen. Da es sich bei dem Verbreitungsrecht nach Art. 4 der Informationsgesellschafts-Richtlinie um harmonisiertes Recht handelt, ist die Bestimmung des § 17 UrhG richtlinienkonform auszulegen.
b) Ein Verbreiten i.S. von Art. 4 Abs. 1 der Informationsgesellschafts-Richtlinie liegt nach Ansicht des Senats regelmäßig vor, wenn das Original oder Vervielfältigungsstücke aus der internen Betriebssphäre durch Überlassung des Eigentums oder des Besitzes der Öffentlichkeit zugeführt werden. Dabei kann die Überlassung des Besitzes für einen nur vorübergehenden Zeitraum genügen (zur Verbreitung i.S. von § 17 UrhG: , GRUR 1972, 141 - Konzertveranstalter; Urt. v. 6.3.1986 - I ZR 208/83, GRUR 1986, 736 - Schallplattenvermietung).
c) Nicht als geklärt angesehen werden kann aber, ob von einer Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form auf sonstige Weise i.S. von Art. 4 Abs. 1 der Informationsgesellschafts-Richtlinie auch auszugehen ist, wenn urheberrechtlich geschützte Werkstücke ohne Übertragung des Eigentums oder des Besitzes und damit ohne Übertragung der tatsächlichen Verfügungsgewalt der Öffentlichkeit dadurch zugänglich gemacht werden, dass diese - wie im Streitfall - zur Benutzung zur Verfügung gestellt werden, indem sie in Verkaufsräumen aufgestellt werden.
In der deutschen Rechtsprechung und im Schrifttum ist dies teilweise bejaht worden. So ist bei einem Aufstellen von urheberrechtlich geschützten Möbeln in einer Hotelhalle ein Eingriff in das Verbreitungsrecht angenommen worden (KG GRUR 1996, 968, 970; Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 3. Aufl., § 17 UrhG Rdn. 12; Nordemann in Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 9. Aufl., § 17 UrhG Rdn. 4; a.A. Dreyer in HK-UrhR, § 17 UrhG Rdn. 15).
d) Der Senat neigt dazu, eine Verbreitung an die Öffentlichkeit auf sonstige Weise i.S. von Art. 4 Abs. 1 der Informationsgesellschafts-Richtlinie zu bejahen und ein Inverkehrbringen nach § 17 Abs. 1 UrhG anzunehmen, wenn urheberrechtlich geschützte Werkstücke der Öffentlichkeit zur Benutzung zur Verfügung gestellt werden, auch wenn dies nicht mit einer Verschaffung der tatsächlichen Verfügungsgewalt über die Werkstücke verbunden ist.
Art. 4 Abs. 1 der Informationsgesellschafts-Richtlinie betrifft nach seinem Wortlaut jede Verbreitung auf sonstige Weise. Darunter könnte auch eine Überlassung von Werkstücken ohne Übertragung der tatsächlichen Verfügungsgewalt gefasst werden.
Für eine entsprechende Auslegung des Art. 4 Abs. 1 sprechen die Erwägungsgründe. Danach muss von einem hohen Schutzniveau ausgegangen werden; rigorose und wirksame Regelungen zum Schutz des Urheberrechts sollen geschaffen werden, um die notwendigen Mittel für das kulturelle Schaffen in Europa zu garantieren (Erwägungsgründe Nr. 9 und 11 der Richtlinie). Die Reichweite des urheberrechtlichen Verbreitungsrechts sollte sich daher nicht nach bürgerlich-rechtlichen Besitzkategorien bestimmen und von der Übertragung der tatsächlichen Verfügungsgewalt abhängig sein, sondern auch die an die Öffentlichkeit gerichtete Zur-Verfügung-Stellung eines Werkstücks erfassen, welche dessen - auch nur vorübergehende - Nutzung durch Dritte erlaubt.
e) Im Streitfall hat die Beklagte nicht nur Möbelstücke dem Publikum in ihrer Niederlassung in F. zum Gebrauch überlassen, sondern auch einen urheberrechtlich geschützten Sessel in ihrer Niederlassung in D. im Schaufenster gezeigt. Nach Meinung des Senats bestehen eher Zweifel, ob auch dieses Verhalten der Beklagten die Voraussetzungen einer Verbreitung an die Öffentlichkeit auf sonstige Weise nach Art. 4 Abs. 1 der Informationsgesellschafts-Richtlinie erfüllt. Es erscheint dem Senat eher fern liegend, dass auch derjenige, der sich lediglich mit einem Werkstück in der Öffentlichkeit schmückt, in das Verbreitungsrecht des Urhebers eingreift.
3. Umfasst das Verbreitungsrecht auch eine Präsentation der urheberrechtlich geschützten Werkstücke in der Öffentlichkeit oder jedenfalls eine Überlassung dieser Werkstücke zum Gebrauch, ohne dass zugleich eine Übertragung der tatsächlichen Verfügungsgewalt damit verbunden ist, stellt sich die weitere Frage, ob die Erfordernisse des in Art. 28 und 30 EG verankerten Schutzes des freien Warenverkehrs die Ausübung des Verbreitungsrechts beschränken, wenn dies ansonsten zu einer Abschottung der nationalen Märkte führen könnte. Eine Abschottung der nationalen Märkte der Mitgliedstaaten könnte sich daraus ergeben, dass einem Gebrauchszweck dienende kunstgewerbliche Erzeugnisse als Werke der angewandten Kunst nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG in Deutschland urheberrechtlich geschützt sind, während sie in Italien rechtmäßig hergestellt und weiter verbreitet werden dürfen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
CAAAC-19547
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja