Leitsatz
[1] Der Zutritt zu einer Wohnung, um die Gasversorgung zu sperren, stellt keine Durchsuchung i.S. von Art. 13 Abs. 2 GG, §§ 758, 758a ZPO dar. Dem Richtervorbehalt zum Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) ist in einem solchen Fall dadurch genügt, dass dem Schuldner in einer von einem Richter erlassenen Entscheidung aufgegeben wurde, dem Gläubiger den Zutritt zu seiner Wohnung zu gestatten und die Einstellung der Gasversorgung zu dulden.
Gesetze: GG Art. 13; ZPO § 758; ZPO § 758a; ZPO § 892
Instanzenzug: AG Oranienburg 8 M 2362/05 vom LG Neuruppin 5 T 279/05 vom
Gründe
I. Die Gläubigerin betreibt die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil des Amtsgerichts Oranienburg vom . Mit ihm wurde der Schuldnerin aufgegeben, den mit einem Ausweis versehenen Beauftragten der Gläubigerin Zutritt zu ihrer Wohnung zu gestatten und die Einstellung der Gasversorgung durch Sperrung des Gaszählers zu dulden. Nachdem sie die Schuldnerin zu der Duldung erfolglos angehalten hatte, erteilte die Gläubigerin dem zuständigen Gerichtsvollzieher den Auftrag, an der Zwangsvollstreckung mitzuwirken, um zu erwartenden Widerstand der Schuldnerin zu überwinden. Der Gerichtsvollzieher lehnte die Übernahme des Auftrags mit der Begründung ab, der zu vollstreckende Anspruch enthalte eine Duldungsverpflichtung, deren Durchsetzung durch einen Dritten und mit Hilfe des Gerichtsvollziehers einer Ermächtigung durch das Prozessgericht bedürfe. Die Erinnerung der Gläubigerin gegen die Weigerung des Gerichtsvollziehers hat das Amtsgericht zurückgewiesen. Die gegen diese Entscheidung gerichtete sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist ohne Erfolg geblieben.
Mit ihrer (vom Beschwerdegericht zugelassenen) Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihr Antragsbegehren weiter. Die Schuldnerin ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht vertreten gewesen.
II. Der Einzelrichter des Landgerichts hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Der den Schuldner verpflichtende Titel, dem Gläubiger Zutritt zu seiner Wohnung zu gewähren und die Sperrung eines darin befindlichen Zählers zu dulden, enthalte nicht ohne Weiteres auch die nach dem Gesetz erforderliche richterliche Durchsuchungsanordnung. Er enthalte keine Aussage zu der Situation, die eintrete, wenn der Schuldner gegen die Vornahme der aufgrund des Schuldtitels zu duldenden Handlung Widerstand leiste und der Anspruch daher nach § 890 ZPO durch das Verhängen von Ordnungsgeld oder Ordnungshaft oder nach § 892 ZPO durch das gewaltsame Öffnen der Wohnungstür durch den hinzuzuziehenden Gerichtsvollzieher vollstreckt werden müsse. Ein solches Vorgehen des Gerichtsvollziehers erfordere ungeachtet dessen, dass die Unterbrechung der Gasversorgung keine Durchsuchung im engeren Sinne sei, nur dann keine richterliche Anordnung nach § 758a Abs. 1 Satz 1 ZPO, wenn deren Einholung den Erfolg gefährdete. Es mache keinen Unterschied, ob eine Wohnungstür zum Zwecke der Durchsuchung i.S. der §§ 758, 758a ZPO oder zum Zwecke des Sperrens eines Gaszählers gewaltsam geöffnet werden müsse. Nach § 758a Abs. 2 ZPO sei eine richterliche Anordnung i.S. des § 758a Abs. 1 Satz 1 ZPO nur bei solchen Titeln entbehrlich, die auf die Räumung oder Herausgabe von Räumen oder auf die Vollstreckung eines Haftbefehls nach § 901 ZPO gerichtet seien. Bei Duldungsanordnungen sei dagegen ebenso wie bei Herausgabevollstreckungen nach § 883 ZPO und bei Vollstreckungen nach § 892a ZPO eine richterliche Anordnung erforderlich. Es sei auch nicht ersichtlich, dass bereits das Prozessgericht eine Anordnung nach § 758a Abs. 1 Satz 1 ZPO habe treffen wollen. Der Wortlaut des Titels enthalte keine solche Anordnung. Umstände, die es dem Prozessgericht ermöglicht hätten, ein Rechtsschutzbedürfnis der Gläubigerin für eine "vorsorgliche Durchsuchungserlaubnis" anzunehmen, seien nicht vorgetragen. Die von der Gläubigerin im Erkenntnisverfahren etwa vorgetragene mangelnde Bereitschaft der Schuldnerin, die Unterbrechung des Gasanschlusses zu dulden, hätte, sofern mit dem Versäumnisurteil zugleich eine richterliche Anordnung nach § 758a Abs. 1 Satz 1 ZPO hätte erteilt werden sollen, ausdrücklich in das Urteil aufgenommen werden müssen.
III. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Umstand, dass der Einzelrichter des Landgerichts entgegen § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO anstelle des Kollegiums entschieden und damit gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verstoßen hat, steht dem nicht entgegen (vgl. BGHZ 154, 200, 201 f.).
In der Sache führt die Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters zur Aufhebung (vgl. BGHZ 154, 200, 202 f.) und, da die Sache nach den vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen zur Endentscheidung reif ist, zur Anweisung an den Gerichtsvollzieher, seine Mitwirkung bei der Vollstreckung nicht mit der Begründung zu verweigern, diese erfordere eine in dem zu vollstreckenden Urteil nicht enthaltene Ermächtigung zum Betreten der Wohnung der Schuldnerin (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO).
1. Der von der Gläubigerin erteilte Vollstreckungsauftrag war nicht auf die Vornahme einer Durchsuchung i.S. der Art. 13 Abs. 2 GG, §§ 758, 758a ZPO gerichtet. Die in dieser Hinsicht geltenden Grundsätze und Beschränkungen finden daher im Streitfall keine Anwendung.
a) Wie der Gesamtzusammenhang der in Art. 13 Abs. 1, 2 und 7 GG enthaltenen Regelungen ergibt, stellt nicht jeder Eingriff in die durch Art. 13 Abs. 1 GG grundsätzlich gewährleistete Unverletzlichkeit der Wohnung eine Durchsuchung in dem vorstehend bezeichneten Sinne dar. Eine Durchsuchung liegt vielmehr nur dann vor, wenn ein Betreten der ziel- und zweckgerichteten Suche nach Personen oder Sachen oder zur Ermittlung eines nicht bereits offenkundigen Sachverhalts, d.h. dem Aufspüren dessen dient, was der Wohnungsinhaber von sich aus nicht herausgeben oder offen legen will (BVerfGE 51, 97, 106 f.; 75, 318, 327; BVerfG NJW 2000, 943, 944).
b) Im Streitfall ist die danach durch Art. 13 Abs. 2 GG und - auf der Ebene des einfachen Rechts - durch §§ 758, 758a ZPO besonders gesicherte Geheimsphäre des Schuldners nicht betroffen. Der Schuldnerin wurde mit dem Versäumnisurteil vom aufgegeben, der Gläubigerin Zutritt zu ihrer Wohnung zu gestatten und die Einstellung der Gasversorgung durch Sperrung des Gaszählers zu dulden. Zur Durchführung dieser Maßnahme bedarf es keines Ausspähens und nicht der Ermittlung nicht offenkundiger Tatsachen. Hat der Schuldner nach dem Titel dem Gläubiger Zutritt zur Wohnung zu gewähren und in ihr bestimmte vorgegebene Handlungen zu dulden, geht es nicht um eine Durchsuchung (Musielak/Lackmann, ZPO, 4. Aufl., § 758a Rdn. 2; MünchKomm.ZPO/Heßler, 2. Aufl., § 758a Rdn. 47; vgl. auch Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 758a Rdn. 5; a.A. OLG Köln NJW-RR 1988, 832; LG Kaiserslautern DGVZ 1981, 87; Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 758a Rdn. 6; Behr, DGVZ 1980, 49, 58; Brackhahn, DGVZ 1992, 145 ff.). Der Streitfall ist mit dem Fall vergleichbar, dass ein Gericht den von ihm beauftragten Sachverständigen zum Betreten einer Wohnung ermächtigt. Auch in einem solchen Fall liegt keine Durchsuchung i.S. des Art. 13 Abs. 2 GG vor (vgl. BVerfGE 75, 318, 327).
2. Die von der Gläubigerin beantragte Vollstreckungsmaßnahme ist daher unter den Voraussetzungen zulässig, die bei Eingriffen in die Unverletzlichkeit der Wohnung gelten, die keine Durchsuchungen darstellen. Da im Streitfall keiner der Fälle des Art. 13 Abs. 7 GG vorliegt, in denen ein solcher Eingriff ohne richterliche Entscheidung zulässig ist, bedurfte es auch im Streitfall einer richterlichen Ermächtigung. Eine solche war aber bereits in dem zugunsten der Gläubigerin ergangenen Versäumnisurteil enthalten. Die Schuldnerin war danach verpflichtet, der Gläubigerin Zutritt zu ihrer Wohnung zu gestatten und die Einstellung der Gasversorgung zu dulden. Einer weitergehenden, speziellen richterlichen Anordnung, wie sie bei Durchsuchungen im Hinblick auf die dort betroffene Geheimsphäre erforderlich ist, bedurfte es im Hinblick auf das bereits titulierte Zutrittsrecht der Gläubigerin zu der Wohnung der Schuldnerin nicht (Musielak/Lackmann aaO § 758a Rdn. 2; MünchKomm.ZPO/Heßler aaO § 758a Rdn. 47; im Ergebnis ebenso OLG Köln NJW-RR 1988, 832; LG Braunschweig DGVZ 1988, 140, 141 f.; LG Berlin DGVZ 1991, 155, 156 = DGVZ 1992, 91, 92; AG Heidelberg DGVZ 1986, 189, 190; AG Berlin-Charlottenburg DGVZ 1997, 190; Stein/Jonas/Brehm aaO § 892 Rdn. 2; MünchKomm.ZPO/Schilken aaO § 892 Rdn. 3; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl., § 892 Rdn. 3; Schuschke in Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 3. Aufl., § 892 Rdn. 2; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, 11. Aufl., § 26 IV 3 a, S. 455; Flatow, jurisPR-MietR 8/2006 Anm. 6; a.A. LG Kaiserslautern DGVZ 1981, 87; Zöller/Stöber aaO § 758a Rdn. 6; Behr, DGVZ 1980, 49, 58; Brackhahn, DGVZ 1992, 145 ff.).
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 788 Abs. 1 Satz 1 ZPO (vgl. Zöller/Stöber aaO § 892 Rdn. 1; MünchKomm.ZPO/Schilken aaO § 892 Rdn. 3 f.).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2006 S. 3352 Nr. 46
WM 2006 S. 2146 Nr. 45
NAAAC-17595
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja