Leitsatz
[1] Zur Anwendbarkeit von § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO bei einer Urteilsabsprache, die eine "Punktstrafe" zum Gegenstand hatte.
Gesetze: StGB § 46 Abs. 1 Satz 1; StGB § 46 Abs. 2 Satz 1; StPO § 261; StPO § 354 Abs. 1a Satz 1
Instanzenzug:
Gründe
(zu 2.):
Der Angeklagte gehörte einer Bande an, die in erheblichem Umfang mit großen, aus den Niederlanden eingeschmuggelten Rauschgiftmengen Handel getrieben hat. Die abgeurteilten Taten beziehen sich auf insgesamt mehr als 25 kg Marihuana sowie in geringerem Umfang auch auf Kokain. Deshalb wurde er zu acht Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, wobei das Strafmaß auf einer verfahrensbeendenden Absprache beruht.
I.
Dem liegt, so die Revision, folgender Verfahrensgang zu Grunde: Nach mehrtägiger Beweisaufnahme hatte das Gericht erstmals im Verfahren die Möglichkeit einer verfahrensbeendenden Absprache angesprochen. Bei einem danach außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gespräch lagen "die Vorstellungen über das mögliche Strafmaß ... zunächst erheblich auseinander". Der "Vorschlag" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren kam seitens des Gerichts. In der Hauptverhandlung wurde der Inhalt dieses Gesprächs bekannt gegeben; ausweislich der Niederschrift der Hauptverhandlung bezeichnete das Gericht die genannte Strafe als "angemessen", was unter Abwägung für und gegen den Angeklagten sprechender Umstände näher begründet wurde. Anschließend fand nur noch in sehr geringem Umfang Beweisaufnahme statt. Letztlich waren alle Verfahrensbeteiligten mit dem Vorschlag des Gerichts einverstanden. In seinen Schlussausführungen stellte der Verteidiger des Angeklagten keinen konkreten Antrag zur Strafhöhe.
Mit seiner auf den Strafausspruch beschränkten Revision macht der Angeklagte geltend, das Gericht habe sich bereits vor der Urteilsberatung auf eine exakte Strafhöhe ("Punktstrafe") festgelegt.
II.
1. Ob der geschilderte Protokollinhalt den Revisionsvortrag, das Gericht habe sich schon vor der Urteilsberatung letztlich unwiderruflich auf eine bestimmte Strafe festgelegt, zwingend belegt, mag dahinstehen. Immerhin könnte der Umstand, dass der Verteidiger in seinen Schlussausführungen keinen konkreten Antrag zur Strafhöhe gestellt hat, dahin deuten, dass er die Strafe in das seiner Ansicht nach noch bestehende Ermessen des Gerichts stellen wollte. Der Senat sieht jedoch von an sich möglichen freibeweislichen Ermittlungen (vgl. BGH NStZ 1999, 571, 572) ab. Er geht, ebenso wie die Generalbundesanwältin, vom Vorbringen der Revision aus: Die Staatsanwaltschaft hat in ihrer Revisionsgegenerklärung (§ 347 Abs. 1 Satz 2 StPO) dem Vorbringen der Revision nicht widersprochen, und auch das Gericht hat sich zu keiner dienstlichen Erklärung veranlasst gesehen (vgl. BGH StV 2000, 652, 653; StraFo 2003, 379, 380).
2. Revision und Generalbundesanwältin legen zutreffend dar, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hier § 261 StPO ebenso verletzt ist wie § 46 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StGB. Das Gericht kann zwar bei verfahrensbeendenden Absprachen eine Strafobergrenze nennen, es darf sich aber nicht auf eine exakte Strafhöhe ("Punktstrafe") festlegen (BGHSt 50, 40, 51 <Großer Senat>; 43, 195, 206 f.; NStZ 1999, 571, 572; ebenso KG NStZ-RR 2004, 175, 178); in der Regel wird auch nicht völlig auszuschließen sein, dass der Strafausspruch auf einer solchen schon vor den Schlussvorträgen der Verfahrensbeteiligten (§ 258 StPO) und der nachfolgenden Urteilsberatung (§ 260 Abs. 1 StPO) vorgenommenen Selbstbindung des Gerichts beruht (vgl. BGHSt 43, 195, 211). Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn, wie hier, der Absprache eine längere Beweisaufnahme voranging und, wie hier ebenfalls, ihr Ergebnis mit abwägenden Erwägungen näher begründet wurde. Schließlich ändert sich auch nicht dadurch etwas, dass hier die Strafzumessungserwägungen des Urteils, die im Kern der Begründung des gerichtlichen Vorschlags entsprechen, so auch die Revision "für sich allein gesehen ... wohl nicht beanstandet werden" können (vgl. BGHSt 43, 195, 211; KG aaO).
3. Gleichwohl hat der Strafausspruch Bestand (§ 349 Abs. 2 StPO), da der Senat, entsprechend dem Antrag der Generalbundesanwältin, die Strafe trotz des aufgezeigten Mangels für angemessen hält, § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO.
a) Die Revision macht demgegenüber geltend, hier stünden schon grundsätzliche Erwägungen einer Anwendbarkeit von § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO entgegen.
(1) So meint sie, wenn der Tatrichter "das ihm obliegende abschließende Beurteilungsermessen nicht ausgeübt" habe, sei "es grundsätzlich erforderlich, die Sache an ihn zur Nachholung der rechtlich gebotenen Entscheidung zurückzugeben".
Einen derartigen Rechtsgrundsatz gibt es nicht. Der Anwendung von § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO steht nicht entgegen, dass nicht festgestellt werden kann, dass der Tatrichter ohne den Fehler auf dieselbe Strafe erkannt hätte (vgl. BTDrucks. 15/3482 S. 21 f.; BGH NJW 2005, 913, 914; m.w.N.). Dementsprechend kommt es nicht darauf an, ob hier die Strafkammer, hätte sie ihr "abschließendes Beurteilungsermessen" ausgeübt, zu demselben oder zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Deshalb ist es auch nicht erforderlich, die Sache zur Nachholung dieses Ermessens an den Tatrichter zurückzuverweisen.
(2) In ihrer Erwiderung auf den Antrag der Generalbundesanwältin (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) führt die Revision aus, obwohl die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen (BGHSt 50, 40) "Gegenstand intensivster rechtlicher Diskussion (war,) ... verhält sich die ... Strafkammer ..., als habe es den Beschluss des Großen Senats (und die vorangegangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ...) überhaupt nicht gegeben. Unter solchen Umständen verbietet sich die ,alles verzeihende' Anwendung von § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO."
Der Senat kann dem nicht folgen.
Einen Rechtssatz, dass § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO nicht anwendbar wäre, wenn der Tatrichter revisionsgerichtliche Rechtsprechung außer Betracht gelassen hat, gibt es nicht. Daran ändert sich auch nicht dadurch etwas, dass diese Rechtsprechung (ebenso wie ihre zu erwartende Übernahme in eine künftige gesetzliche Regelung, wie die Revision im Einzelnen dargelegt hat) in der Fachöffentlichkeit breit diskutiert wird.
Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof wiederholt und in unterschiedlichen Zusammenhängen ausgesprochen, dass das Revisionsgericht den Tatrichter nicht zu "sanktionieren" (BGH StV 2004, 196) oder zu "maßregeln" (BGH NStZ-RR 2006, 112, 114 f.) hat. Dies gilt auch hier. Dementsprechend kann es für die Anwendbarkeit von § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO auch nicht darauf ankommen, ob der dem Tatrichter bei der Rechtsfolgenbestimmung unterlaufene Rechtsfehler "verzeihlich" erscheint oder nicht.
b) Auch sonst steht einer Entscheidung gemäß § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO nichts entgegen. Die im Urteil mitgeteilten Strafzumessungsumstände sind nicht lückenhaft oder unklar und ermöglichen dem Revisionsgericht die Prüfung und Beantwortung der Frage, ob die Rechtsfolge angemessen ist (vgl. Senge in FS für Hans Dahs 2005, 475, 486). Ebenso wenig ist erkennbar, dass es hier im Einzelfall besonders auf den persönlichen Eindruck vom Angeklagten ankäme (vgl. ; BGH NJW 2005, 1813, 1814). Schließlich gibt es auch keine Anhaltspunkte für erst nach der Hauptverhandlung eingetretene und dementsprechend bisher nicht berücksichtigte Entwicklungen oder Ereignisse, die ein neuer Tatrichter nahe liegend feststellen und zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigen würde (vgl. BGH StV 2005, 426).
c) Unter Abwägung aller für die Strafzumessung bedeutender Urteilsfeststellungen und unter Berücksichtigung des gesamten hierauf bezogenen Vorbringens der Verfahrensbeteiligten hält der Senat aus den von der Generalbundesanwältin zutreffend im Einzelnen dargelegten Gründen sowohl die von der Strafkammer verhängten Einzelstrafen als auch die daraus von ihr gebildete Gesamtstrafe für angemessen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2006 S. 3362 Nr. 46
wistra 2007 S. 32 Nr. 1
IAAAC-17523
1BGHR: ja