BFH Beschluss v. - VII B 238/05

Verhältnismäßigkeit der Anordnung der eidesstattlichen Versicherung

Leitsatz

Das Finanzamt kann von einem Vollstreckungsschuldner die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung auch dann verlangen, wenn er seinem Antrag auf Prozesskostenhilfe bereits eine Vermögensaufstellung beigefügt hat. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH muss sich die Finanzbehörde nicht einmal mit einer freiwillig nach § 95 AO angebotenen Versicherung an Eides statt begnügen, statt nach § 284 AO vorzugehen. Auch können die mit der Eintragung in das Schuldnerverzeichnis verbundenen beruflichen Konsequenzen nicht als Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewertet werden. Denn der Gesetzgeber hat die Gefährdung der wirtschaftlichen und sozialen Existenz bei Abfassung des § 284 Abs. 3 AO gekannt und bewusst in Kauf genommen .

Gesetze: AO § 284, AO § 258, AO § 95

Instanzenzug: KV

Gründe

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war als Sozius einer Rechtsanwaltskanzlei selbstständig tätig, bis er im März 2001 seine Zulassung wegen Vermögensverfalls zurückgab und die Sozietät kündigte. Seither ist er erwerbslos.

Im Herbst 2001 forderte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) den Kläger gemäß § 284 der Abgabenordnung (AO 1977) wegen Abgabenrückständen in Höhe von fast 1 Mio. € auf, ein Vermögensverzeichnis beizubringen und die eidesstattliche Versicherung abzugeben. Einspruch und Klage, mit denen der Kläger im Wesentlichen einwand, durch die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung werde es ihm unmöglich gemacht, das Verbraucherinsolvenzverfahren einzuleiten, blieben erfolglos. Unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung führte das Finanzgericht (FG) aus, auch im Hinblick auf ein beabsichtigtes Verbraucherinsolvenzverfahren sei das FA nicht an der Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gehindert; der Kläger habe im Übrigen weder vorgetragen, dass das Verbraucherinsolvenzverfahren für ihn, der eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt habe, überhaupt zur Anwendung komme, noch dass er den erforderlichen Schuldenbereinigungsplan als Voraussetzung der Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens erstellt habe.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger die Unverhältnismäßigkeit der Anordnung der eidesstattlichen Versicherung geltend, da im Zeitpunkt des Urteils keine rechtfertigenden Umstände mehr für die Anordnung vorgelegen hätten. Mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) und der diesem Antrag beigefügten Vermögensaufstellung sei der Zweck der eidesstattlichen Versicherung erfüllt gewesen, ohne dass er deshalb berufsrechtliche Konsequenzen —nämlich ein Berufsverbot seitens der Berufskammer— zu erwarten hätte. Damit weiche das FG-Urteil von der Entscheidung des (BFH/NV 1994, 38) ab.

II. Die Beschwerde ist unzulässig. Der Kläger hat die behauptete Divergenz nicht in der nach § 115 Abs. 2 Nr. 2, § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebotenen Weise dargelegt.

Der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO umfasst die Divergenz des FG-Urteils von der Rechtsprechung des BFH. Zur Darlegung dieser Zulassungsvoraussetzung hat der Beschwerdeführer nicht nur die vermeintlichen Divergenzentscheidungen zu benennen, er muss die abstrakten Rechtssätze des finanzgerichtlichen Urteils und der Divergenzentscheidungen so genau bezeichnen, dass die Abweichung erkennbar wird (z.B. , BFH/NV 2002, 663, m.w.N.).

Der Kläger hat indes keinen dem FG-Urteil zugrunde liegenden, von der BFH-Rechtsprechung abweichenden abstrakten Rechtssatz bezeichnet. Die Frage, ob das FA ermessensfehlerfrei zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung aufgefordert hat, obwohl der Kläger mit dem Antrag auf PKH und der diesem beigefügten Vermögensaufstellung eine —wie er meint— dem Zweck der eidesstattlichen Versicherung vergleichbare, aber weniger belastende Erklärung abgegeben hat, ist keine Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung. Sie bezieht sich allein auf die Rechtsanwendung im Rechtsstreit des Klägers und berührt daher das Interesse der Allgemeinheit nicht.

Abgesehen davon liegt eine Abweichung des FG-Urteils zu der vom Kläger bezeichneten Entscheidung in BFH/NV 1994, 38 schon deshalb nicht vor, weil es an der Vergleichbarkeit der den Rechtsstreiten zugrunde liegenden Sachverhalte und der zu klärenden Rechtsfragen fehlt. In jenem Verfahren ging es um die einstweilige Anordnung eines Vollstreckungsaufschubs nach § 258 AO 1977 i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO. Die vom Kläger zitierten Ausführungen des BFH, wonach eine einstweilige Anordnung grundsätzlich nur dann in Betracht komme, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht sei, dienten der Beurteilung der Frage, ob ein „anderer” Anordnungsgrund i.S. des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO vorliegt. Zu den Voraussetzungen, unter denen das FA die eidesstattliche Versicherung verlangen darf, äußert sich der Beschluss indes nicht.

Eine Abweichung zur Rechtsprechung des BFH zu § 284 AO 1977 hat der Kläger nicht dargelegt, sie ist auch nicht ersichtlich. Nach ständiger Rechtsprechung muss sich die Finanzbehörde nicht einmal mit einer freiwillig nach § 95 AO 1977 angebotenen Versicherung an Eides statt begnügen, statt nach § 284 AO 1977 vorzugehen (vgl. Senatsbeschluss vom VII B 52/01, BFH/NV 2002, 1413). Umso weniger reichen die Angaben in einem PKH-Antrag aus, um sicherzustellen, dass der Vollstreckungsschuldner sämtliche Vermögenswerte korrekt angegeben hat.

Auch entspricht es der vom Bundesverfassungsgericht nicht beanstandeten Rechtsauffassung des Senats, dass das FG —unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung— die mit der Eintragung in das Schuldnerverzeichnis verbundenen beruflichen Konsequenzen nicht als Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewertet hat. Denn der Gesetzgeber hat die Gefährdung der wirtschaftlichen und sozialen Existenz bei Abfassung des § 284 Abs. 3 AO 1977 gekannt und bewusst in Kauf genommen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 2227 Nr. 12
KÖSDI 2007 S. 15419 Nr. 2
NWB-Eilnachricht Nr. 6/2007 S. 5
AAAAC-17008