BGH Beschluss v. - XII ZR 214/04

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BGB § 543 Abs. 3; BGB § 546 a; BGB § 581 Abs. 2; BGB § 584 b; BGB § 1124 Abs. 2; ZPO § 139 Abs. 2; ZPO § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2; ZPO § 544 Abs. 7; GG Art. 103 Abs. 1

Instanzenzug: LG Berlin 25 O 539/02 vom KG Berlin 20 U 113/03 vom

Gründe

I.

Die Klägerin verlangt als Zwangsverwalterin eines Grundstücks von der Beklagten Pachtzins und Nutzungsentschädigung in Höhe von insgesamt 50.133,76 €.

Die Beklagte pachtete mit Vertrag vom von den Eigentümern ein Grundstück in Berlin. Der monatliche Pachtzins betrug 29.500 DM (15.083,11 €) zuzüglich MWSt. In § 6 des Pachtvertrages heißt es:

"§ 6 Abtretung

1. Der Pachtzins wird abgetreten an die D.bank AG in Höhe von zurzeit monatlich 29.500 DM ...

Der monatliche Pachtzins wird von der Pächterin unmittelbar an die D.bank AG als Zessionarin auf das Darlehenskonto ... überwiesen, bis zum jedoch nur ein Betrag von 25.000 DM. Nach dem erfolgt die Überweisung in Höhe von monatlich 29.500 DM.

..."

Die D.bank AG betreibt die Zwangsvollstreckung in das Grundstück. Mit wurde die Klägerin als Zwangsverwalterin bestellt. Die Zwangsverwalterin hat den Pachtvertrag mit Schreiben vom wegen Zahlungsverzugs der Beklagten unter Gewährung einer Räumungsfrist bis zum gekündigt. Die Beklagte hat das Grundstück am an die Klägerin herausgegeben. Die Klägerin verlangt von der Beklagten Pachtzins bzw. Nutzungsentschädigung für Mai in Höhe eines Restbetrages von 11.734,54 €, für Juni und Juli jeweils den vollen Pachtzins in Höhe von 17.496,41 € und für die Zeit vom 1. August bis einen Betrag von 3.386,40 €, insgesamt also 50.113,76 €. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klageforderung sei an die Bank abgetreten. Die Abtretung sei nicht nach § 1124 Abs. 2 BGB unwirksam geworden, da die Bank die Zwangsvollstreckung selbst betreibe. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin in vollem Umfang Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 33.461,76 € nebst Zinsen verurteilt und im Übrigen die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Abtretung an die Bank sei wirksam. Sie umfasse aber nur den Nettopachtzins, nicht aber die Nutzungsentschädigung und die vereinbarte MWSt. Diese beiden Posten stünden daher der Klägerin zu. Nutzungsentschädigung schulde die Beklagte ab (ein Tag nach Zugang der Kündigungserklärung) bis zum (Tag des Auszugs). Dies ergebe einen Betrag von insgesamt 30.797,44 € einschließlich MWSt (entsprechend 26.549,52 € netto zuzüglich 4.247,92 € MWSt). Außerdem stehe der Klägerin für die Monate Mai 2002 restliche MWSt in Höhe von 1.618,56 € und für die Zeit vom 1. Juni bis in Höhe von 1.045,76 €, insgesamt somit 2.664,32 € zu. Die Revision hat das Kammergericht nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten, mit der sie die Zulassung der Revision und die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils zu erreichen sucht.

II.

Das angefochtene Urteil ist nach § 544 Abs. 7 ZPO insoweit aufzuheben, als die Beklagte zur Zahlung der Netto-Nutzungsentschädigung in Höhe von 26.549,52 € verurteilt worden ist.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Nichtzulassungsbeschwerde ist in diesem Umfang begründet. Das Berufungsgericht hat, ohne vorher einen Hinweis zu geben, seine Entscheidung insoweit auf einen Gesichtspunkt gestützt, den beide Parteien und das Erstgericht anders beurteilt haben. Damit hat es nicht nur § 139 Abs. 2 ZPO, sondern auch den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör gemäß § 103 Abs. 1 GG verletzt. Ein Gericht verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG und das Gebot eines fairen Verfahrens, wenn es ohne vorherigen Hinweis auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerfG NJW 2003, 2524). Das ist hier, wie die Beklagte zu Recht rügt, der Fall.

1. Das Berufungsgericht geht allerdings zu Recht davon aus, dass die außerordentliche Kündigung im Schreiben der Klägerin vom das Pachtverhältnis sofort und nicht erst mit Ablauf der Räumungsfrist am beendet hat. Denn die Klägerin hat, wie sich aus der Klageschrift - entgegen der Behauptung der Nichtzulassungsbeschwerde - ergibt, das Pachtverhältnis gemäß § 581 Abs. 2, § 543 Abs. 3 BGB wegen Zahlungsverzugs der Beklagten außerordentlich fristlos gekündigt. Damit war mit Zugang der Kündigung das Pachtverhältnis sofort beendet. Die Einräumung einer Räumungsfrist ändert daran nichts.

Weiter hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen, dass die Beklagte für die Räumungsfrist vom 14. Juni bis Nutzungsentschädigung schuldet. Dies scheitert entgegen der Meinung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht daran, dass die Beklagte der Klägerin in diesem Zeitraum die Pachtsache nicht vorenthalten habe. Im Rahmen des Mietrechts ist bereits entschieden, dass zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Vorenthaltung nach § 546 a BGB der grundsätzliche Rückerlangungswille des Vermieters ausreicht. Davon ist bei Einräumung einer Räumungsfrist auszugehen. Die Entschädigungsforderung steht dem Vermieter daher auch für den Zeitraum zu, für den er eine Räumungsfrist gewährt hat ( - NJW 1983, 112). Für ein Pachtverhältnis gilt nichts anderes. Dies ist umso mehr der Fall, als § 546 a und § 584 b BGB im Hinblick auf die genannte Tatbestandsvoraussetzung denselben Wortlaut haben.

2. Die Beklagte rügt jedoch, dass das Berufungsgericht entgegen der übereinstimmenden Bewertung der Parteien und der Sichtweise des Landgerichts angenommen habe, dass die Ansprüche auf Nutzungsentschädigung nicht von der Abtretung umfasst seien, und insoweit auch keinen Hinweis erteilt habe. Hätte das Berufungsgericht einen Hinweis erteilt, hätte sie dargelegt, dass eine Vertragsauslegung, die sich am mutmaßlichen Willen der Parteien und an der Interessenlage orientiere, zwingend dazu führe, dass die Abtretung des Pachtzinses auch die an seine Stelle tretende Nutzungsentschädigung umfasse. Diese Rüge greift durch. Das Urteil des Berufungsgerichts stellt sich als Überraschungsentscheidung dar, was nicht nur gegen § 139 Abs. 2 ZPO, sondern zugleich gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstößt.

Der Verstoß ist auch entscheidungserheblich. Hiervon ist bereits dann auszugehen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht bei Berücksichtigung der Stellungnahmen der Parteien anders entschieden hätte (vgl. - NJW 2003, 3205 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Dies ist hier der Fall.

III.

Im Übrigen ist die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.

Soweit die Beklagte zur Zahlung der MWSt-Anteile in Höhe von 6.912,24 € verurteilt worden ist, liegt ein Zulassungsgrund nicht vor. Ein Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte ist nicht gerügt. Die Rechtssache hat insoweit auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen.

IV.

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass das Berufungsgericht unter Berücksichtigung der Stellungnahmen der Parteien insbesondere zu prüfen haben wird, ob unter dem Begriff Pachtzins in § 6 des Vertrages im Hinblick auf den Zweck der Abtretung und die Interessenlage nicht auch ein Entschädigungsanspruch nach § 584 b BGB zu verstehen ist (vgl. Wolf/Eckert/Ball Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts 9. Aufl. Rdn. 474; vgl. auch Senatsurteil BGHZ 140, 175). Gegebenenfalls werden auch die Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung heranzuziehen sein.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
KAAAC-16974

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein