BGH Urteil v. - I ZR 234/03

Leitsatz

[1] Ein Unternehmen der Zigarettenindustrie handelt wettbewerbswidrig, wenn es Zigarillos in einer Anzeige bewirbt, ohne zugleich durch einen deutlich sichtbaren und leicht lesbaren Warnhinweis das Bewusstsein der Schädlichkeit des Rauchens wachzuhalten (Ergänzung zu BGHZ 124, 230 - Warnhinweis I).

Gesetze: UWG a.F. § 1; UWG § 3; UWG § 4 Nr. 1

Instanzenzug: LG Offenburg 5 O 16/03 KfH vom OLG Karlsruhe 4 U 99/03 vom

Tatbestand

Der Kläger ist der Dachverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände in Deutschland. Er ist in die Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen.

Die Beklagte stellt Tabakprodukte her und vertreibt diese. Sie wirbt in Zeitungsanzeigen für ihre optisch an Zigaretten angeglichenen und mit einem Filter versehenen Zigarillos "W. ", ohne dabei einen gesundheitsbezogenen Warnhinweis zu geben.

Nach Auffassung des Klägers ist die Werbung der Beklagten wettbewerbswidrig, weil sie nicht vor den Gesundheitsgefahren des Rauchens mit dem Hinweis "Die EG-Gesundheitsminister: Rauchen gefährdet die Gesundheit" warnt. Die Notwendigkeit eines solchen Hinweises ergebe sich aus den Werberichtlinien des Verbandes der Zigarettenindustrie in der Fassung vom . Diese Richtlinien seien auf Zigarillos der beworbenen Art, von denen ähnliche Gesundheitsgefahren wie von Zigaretten ausgingen, entsprechend anzuwenden. Außerdem sei es generell unlauter, Tabakerzeugnisse ohne einen entsprechenden Warnhinweis zu bewerben. Im Übrigen sei die streitgegenständliche Werbung irreführend, weil das Fehlen des Warnhinweises bei dem Verbraucher den unzutreffenden Eindruck erwecke, das Rauchen von Zigarillos sei nicht oder jedenfalls deutlich weniger gesundheitsgefährdend als das Rauchen von Zigaretten.

Der Kläger hat beantragt,

es der Beklagten unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs für Cigarillos (hier: W. ) in periodisch erscheinenden Druckwerken ohne den deutlich sichtbaren und leicht lesbaren Warnhinweis "Die EG-Gesundheitsminister: Rauchen gefährdet die Gesundheit" zu werben bzw. werben zu lassen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben (OLG Karlsruhe GRUR-RR 2004, 57).

Mit seiner (vom Berufungsgericht zugelassenen) Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Gründe

I. Das Berufungsgericht hat - wie auch schon das Landgericht - die Klage für unbegründet erachtet. Hierzu hat es ausgeführt:

Das vom Kläger erstrebte Verbot der von der Beklagten vorgenommenen Publikumswerbung ergebe sich weder aus § 22 LMBG (a.F.) noch aus den §§ 2, 3 Abs. 2 der Verordnung über die Kennzeichnung von Tabakerzeugnissen und über Höchstmengen von Teer im Zigarettenrauch vom (BGBl. I S. 2053 - TabKTHmV) noch auch aus § 7 der an die Stelle der TabKTHmV getretenen Tabakprodukt-Verordnung vom (BGBl. I S. 4434 - TabProdV). Auch europarechtlich bestehe keine Verpflichtung zu Warnhinweisen bei der Publikumswerbung für Tabakerzeugnisse. Die durch die Tabakprodukt-Verordnung umgesetzte Richtlinie 2001/37/EG verlange lediglich bestimmte Warnhinweise auf Verpackungen von Tabakerzeugnissen. Soweit Art. 3 der Richtlinie 2003/33/EG ein Verbot jeglicher Publikumswerbung für Tabakerzeugnisse in der Presse und in anderen gedruckten Veröffentlichungen vorsehe, sei sie noch nicht in das deutsche Recht umgesetzt worden. Die in den Richtlinien einzelner tabakverarbeitender Unternehmen enthaltene Selbstverpflichtung zur Verwendung von Warnhinweisen in der Anzeigen- und Plakatwerbung sei auf die Werbung für Zigaretten beschränkt und lasse sich, wie zwischen den Parteien unstreitig sei, nicht auf Zigarillos ausdehnen.

Das vom Kläger verfolgte Unterlassungsgebot habe auch in § 1 UWG (a.F.) keine Grundlage. Die vom erkennenden Senat in der Entscheidung "Warnhinweis I" (BGHZ 124, 230) angenommene sittliche Verpflichtung zur Verwendung von Warnhinweisen in der Publikumswerbung sei maßgeblich aus der ausdrücklich allein auf Zigaretten bezogenen Selbstverpflichtung der Tabakindustrie in der Werberichtlinie hergeleitet worden. Darüber hinaus hätten bezeichnenderweise weder die EU-Instanzen noch der deutsche Gesetzgeber bislang Veranlassung gesehen, überhaupt Warnhinweise bei der Werbung für Tabakerzeugnisse oder gar für Zigarillos zu fordern. Der Umstand, dass die bis zum umzusetzende Richtlinie 2003/33/EG in Zukunft zu einem uneingeschränkten Verbot von Publikumswerbung für Tabakerzeugnisse führen werde, beruhe auf allgemeinen sozialpolitischen Erwägungen. Er sei im Sinne der Senatsentscheidung "Warnhinweis I" auch nicht geeignet, das Bewusstsein der Gesundheitsgefährdung durch das Rauchen in der Bevölkerung wach zu halten. Der Annahme einer allgemeinen sittlichen Verpflichtung, bei der Werbung konkret für Zigarillos gesundheitsbezogene Warnhinweise zu verwenden, stehe die allgemeine Kenntnis von der Gesundheitsschädlichkeit des Rauchens sowie der Umstand entgegen, dass § 7 TabProdV jedenfalls auf den Umverpackungen für Zigarillos ohnehin Warnhinweise vorschreibe. Soweit ersichtlich werde daher auch nur die Werbung für Zigaretten, nicht dagegen die Werbung für sonstige Tabakwaren mit Warnhinweisen versehen.

Die streitgegenständliche Werbung der Beklagten sei auch nicht irreführend i.S. von § 3 UWG (a.F.). Beim Fehlen einer gesetzlichen oder vertraglichen Aufklärungspflicht könne eine Irreführung durch Schweigen nur dann angenommen werden, wenn die verschwiegene Tatsache geeignet sei, den Kaufentschluss eines Wettbewerbsadressaten zu beeinflussen. Davon aber könne angesichts der allgemeinen Kenntnis von der Gesundheitsgefährlichkeit des Rauchens nicht ausgegangen werden. Zudem enthalte die beanstandete Werbeanzeige keine Gleichstellung von Zigaretten und Zigarillos und rauchten Jugendliche in aller Regel keine Zigarillos.

II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Nach Erlass des Berufungsurteils ist das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom in Kraft getreten. Der in die Zukunft gerichtete Unterlassungsanspruch des Klägers, der auf Wiederholungsgefahr gestützt ist, kann daher nur bestehen, wenn das beanstandete Wettbewerbsverhalten der Beklagten zur Zeit seiner Begehung den Anspruch begründet hat und dieser auch auf der Grundlage der nunmehr geltenden Rechtslage noch gegeben ist (st. Rspr.; zuletzt , GRUR 2006, 426 Tz 13 = WRP 2006, 577 - Direktansprache am Arbeitsplatz II). Da die Wiederholungsgefahr materielle Voraussetzung des auf sie gestützten Unterlassungsanspruchs ist, dieser daher mit ihrem Entfallen erlischt und eine einmal entfallene Wiederholungsgefahr auch nicht wieder auflebt (vgl. BGHZ 130, 288, 292 - Kurze Verjährungsfrist; Bornkamm in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 24. Aufl., § 8 UWG Rdn. 1.45; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 8. Aufl., Kap. 8 Rdn. 49 m.w.N.), darf das beanstandete Wettbewerbsverhalten auch nicht zwischenzeitlich zulässig gewesen sein.

2. Danach stellt sich die Unterlassungsklage als begründet dar. Die Werbung der Beklagten war im Zeitpunkt ihres Erscheinens als wettbewerbswidrig anzusehen (zu nachstehend a)). An dieser Beurteilung hat auch das am in Kraft getretene neue UWG nichts geändert (zu nachstehend b)). Auch gegenwärtig besteht noch die Gefahr, dass die Beklagte entsprechende Verstöße begehen könnte (zu nachstehend c)). Diese sind auch geeignet, den Wettbewerb zum Nachteil der Verbraucher nicht nur unerheblich zu beeinflussen (zu nachstehend d)).

a) Der Senat hat unter der Geltung des § 1 UWG a.F. ausgesprochen, dass es angesichts der besonderen Bedeutung der menschlichen Gesundheit wettbewerbsrechtlich unlauter ist, Zigaretten zu bewerben und damit auch zum Rauchen aufzufordern, ohne zugleich durch einen Warnhinweis das Bewusstsein der Schädlichkeit des Rauchens wach zu halten (BGHZ 124, 230, 235 - Warnhinweis I). Zur Begründung hat er ausgeführt, dieser Lauterkeitsgedanke liege bereits den Regelungen des Art. 4 der Richtlinie des Rates vom (89/622/EWG, ABl. EG Nr. L 359, S. 1) und den zu ihrer Umsetzung erlassenen §§ 2 und 3 TabKTHmV zugrunde. Diese Vorschriften regelten zwar nur die Gestaltung von Zigarettenpackungen, seien aber Ausdruck der allgemeinen sittlichen Verpflichtung, beim Vertrieb von Zigaretten im Interesse des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung das Bewusstsein der Schädlichkeit des Rauchens wach zu halten. Der Senat hat dabei auch auf die Werberichtlinien des Verbands der Cigarettenindustrie aus dem Jahr 1980 hingewiesen, welche den Zigarettenherstellern Verpflichtungen auch für die Anzeigenwerbung auferlegten (BGHZ 124, 230, 235 - Warnhinweis I).

Der Senat hat - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - das wettbewerbsrechtlich begründete Gebot eines Warnhinweises nicht von dem Bestehen einer entsprechenden Richtlinie der Tabakwarenindustrie abhängig gemacht. Von einzelnen Marktteilnehmern vereinbarte oder bekundete Regeln zum Werbeverhalten haben keine das Werbeverbot selbständig tragende Bedeutung ( Tz 10 - Probeabonnement, m.w.N.). Sie können einen Anhalt bieten für die als redlich angesehenen Verkehrsgepflogenheiten (vgl. , GRUR 1991, 462, 463 - Wettbewerbsrichtlinie der Privatwirtschaft). Das Fehlen einer werbetechnischen "Selbstbindung" des Marktteilnehmers lässt aber keinen Rückschluss auf die Lauterkeit seines Verhaltens zu. Es ist deshalb unbeachtlich, dass die Werberichtlinien der tabakverarbeitenden Industrie bei der Anzeigenwerbung für Zigarillos keinen der Zigarettenwerbung entsprechenden Warnhinweis vorsehen. Dieser ist zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung angesichts der allerdings nicht identischen, aber jedenfalls im Ergebnis vergleichbaren Gesundheitsgefahren, die von Zigarillos ausgehen, geboten.

b) Die streitgegenständliche Werbung der Beklagten stellt sich auch unter der Geltung des am in Kraft getretenen neuen UWG als unlauter dar. Ihre Unzulässigkeit ergibt sich nunmehr aus §§ 3, 4 Nr. 1 UWG.

Nach § 4 Nr. 1 UWG sind Wettbewerbshandlungen unlauter, wenn sie geeignet sind, die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher oder sonstiger Marktteilnehmer durch Ausübung von Druck, in menschenverachtender Weise oder durch sonstigen unangemessenen unsachlichen Einfluss zu beeinträchtigen. Die Schwelle zur Unlauterkeit ist dann überschritten, wenn der Einfluss ein solches Ausmaß erreicht, dass er die freie Entscheidung des Verbrauchers zu beeinträchtigen vermag (BGHZ 164, 153 Tz 17 - Artenschutz; , GRUR 2006, 511 Tz 21 = WRP 2006, 582 - Umsatzsteuererstattungs-Modell). Beim Inverkehrbringen frei verkäuflicher Produkte, deren Ge- oder Verbrauch mit Risiken für die Sicherheit oder Gesundheit verbunden ist, ist dies insbesondere dann der Fall, wenn - wie in dem der Senatsentscheidung "Mild-Abkommen" (Urt. v. - I ZR 301/90, GRUR 1993, 756 = WRP 1993, 697) zugrunde liegenden Fall - die bestehenden Sicherheits- oder Gesundheitsrisiken verharmlost werden oder wenn - wie in dem der Senatsentscheidung "Fertiglesebrillen" (Urt. v. - I ZR 113/94, GRUR 1996, 793 = WRP 1996, 1027) zugrunde liegenden Fall - der unzutreffende Eindruck der gesundheitlichen Unbedenklichkeit des Produkts erweckt wird (vgl. Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 24. Aufl., § 4 UWG Rdn. 11.117). Dasselbe hat aber auch dann zu gelten, wenn - wie im Streitfall - ein Warnhinweis unterbleibt, der im Interesse des Gesundheitsschutzes der Verbraucher geboten ist, um das Bewusstsein der Schädlichkeit des Rauchens wach zu halten. Denn auch eine solche Werbung führt im Ergebnis dazu, dass bestehende Gesundheitsrisiken verharmlost werden und der Verbraucher dadurch zu einem Tabakkonsum verleitet werden kann, von dem er bei einem zugleich erfolgten Warnhinweis abgesehen hätte.

c) Die im Hinblick auf den von der Beklagten begangenen Wettbewerbsverstoß zu vermutende Gefahr seiner Wiederholung ist nicht dadurch in Fortfall gekommen, dass die Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2003/33/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring von Tabakerzeugnissen (ABl. EG Nr. L 152, S. 16), welche weitergehende Beschränkungen der Tabakwerbung vorsieht, mit dem abgelaufen ist und bei der Beurteilung der streitgegenständlichen Werbung mit zu berücksichtigen wäre (vgl. dazu bis C-403/01, Slg. 2004, I-8835 Tz 105 ff. = NJW 2004, 3547 - Pfeiffer). Von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr kann zwar dann auszugehen sein, wenn der Verstoß zu einem Zeitpunkt erfolgt ist, zu dem die Rechtslage zweifelhaft war, und die Zweifel durch eine Änderung des Gesetzes beseitigt worden sind, wonach die betreffende Verhaltensweise nunmehr eindeutig verboten ist (vgl. , GRUR 2002, 717, 719 = WRP 2002, 679 - Vertretung der Anwalts-GmbH). Eine solche Klärung der die Zulässigkeit der Tabakwerbung betreffenden Fragen durch den nationalen Gesetzgeber ist bislang aber noch nicht erfolgt. Auch hat die Beklagte nicht erklärt, dass sie ihr Werbeverhalten den Vorgaben der Richtlinie anpassen wolle.

d) Der von der Beklagten begangene Wettbewerbsverstoß ist, da insoweit die Gesundheit der Verbraucher auf dem Spiel steht, auch gemäß § 3 UWG erheblich (vgl. BGHZ 163, 265, 274 - Atemtest).

III. Nach allem war die Revision des Klägers begründet. Dementsprechend war seiner Klage unter Aufhebung des Berufungsurteils und Abänderung des Urteils des Landgerichts stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
NJW-RR 2007 S. 36 Nr. 1
VAAAC-16940

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja