BFH Urteil v. - I R 9/05

Folgen der Aufhebung eines Feststellungsbescheids

Leitsatz

Sieht das Gesetz eine gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vor, so können Existenz, Art und Höhe dieser Besteuerungsgrundlagen nur im Rahmen des Feststellungsverfahrens geprüft werden. Eine eigenständige Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen im Rahmen eines dem Feststellungsverfahren nachgeschalteten Verfahrens scheidet in solchen Fällen aus. Bei der alleinigen Maßgeblichkeit des Feststellungsverfahrens bleibt es grundsätzlich auch dann, wenn ein Feststellungsbescheid nicht erlassen oder ein erlassener Feststellungsbescheid später aufgehoben wird. Die Aufhebung eines solchen Bescheids kann zwar dazu führen, dass der zunächst dort geregelte Sachverhaltskomplex aus der Bindungswirkung des Feststellungsverfahrens entlassen wird und nunmehr unmittelbar im Folgebescheid zu beurteilen ist. Diese Rechtsfolge tritt aber nur dann ein, wenn der Feststellungsbescheid deshalb aufgehoben wird, weil es eines solchen Bescheids im konkreten Fall nicht bedarf. Eine solche Gestaltung liegt jedoch nicht vor, wenn ein Feststellungsbescheid nur im Hinblick auf den Ablauf der Feststellungsfrist aufgehoben wird. In diesem Fall muss die in einem Einkommensteuerbescheid vorgenommene Auswertung des aufgehobenen (Gewinn-)Feststellungsbescheids rückgängig gemacht werden. Ein Antrag auf Anpassung eines Einkommensteuerbescheids (Folgebescheids) an die Aufhebung eines Gewinnfeststellungsbescheids (Grundlagenbescheids) hemmt die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer nach Maßgabe des § 171 Abs. 3 AO.

Gesetze: AO § 171, AO § 175, AO § 177, AO § 182

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) verpflichtet ist, Einkommensteuerbescheide zu Gunsten des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) zu ändern.

Der Kläger war in den Streitjahren (1978 bis 1981) als stiller Gesellschafter an dem Unternehmen einer GmbH & Co. KG (nachfolgend: KG) beteiligt. Er und seine inzwischen verstorbene Ehefrau erklärten in ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre, die jeweils im Folgejahr abgegeben wurden, Verluste aus diesen Beteiligungen sowie für die Jahre 1978 und 1981 negative Einkünfte i.S. des § 2 des Auslandsinvestitionsgesetzes (AIG). Das FA erließ jeweils Steuerbescheide, in denen es insoweit den Erklärungen folgte.

Das für die Besteuerung der KG zuständige Finanzamt (FA B) ließ die für die KG eingereichten Feststellungserklärungen, die ebenfalls jeweils im Folgejahr dort eingingen, zunächst unbearbeitet. Erstmals am erließ es einen an die stille Gesellschaft in der KG gerichteten „Nichtfeststellungsbescheid”, in dem es davon ausging, dass die von der KG geltend gemachten Verluste mangels Gewinnerzielungsabsicht keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb und die stillen Gesellschafter keine Mitunternehmer seien. Ferner erließ das FA B am einen an die —damals schon im Handelsregister gelöschte— KG gerichteten Feststellungsbescheid, in dem es die Einkünfte der —im Bescheid nicht näher bezeichneten— stillen Gesellschafter mit 0 DM feststellte.

Am erließ das FA B einen weiteren Feststellungsbescheid, in dem es die Einkünfte der KG für die Streitjahre (erstmalig) auf 0 DM feststellte. In einer Anlage zu diesem Bescheid war als einer der Beteiligten, denen weiterhin kein Gewinnanteil zugerechnet wurde, u.a. der Kläger aufgeführt. Zugleich hob das FA B in der Anlage zum Bescheid die im Jahr 1989 ergangenen Bescheide auf. In einem daraufhin eingeleiteten, u.a. vom Kläger geführten Klageverfahren hob das Finanzgericht (FG) Berlin den Feststellungsbescheid vom mit der Begründung auf, dass der Bescheid nach Ablauf der Feststellungsfrist erlassen worden sei. Das Urteil wurde rechtskräftig.

Nachdem das FA über das Ergehen des „Nichtfeststellungsbescheids” vom unterrichtet worden war, änderte es im September 1990 die Einkommensteuerbescheide des Klägers für die Streitjahre. In den Änderungsbescheiden wurden die zuvor angesetzten Einkünfte aus der Beteiligung an der KG nicht mehr berücksichtigt. Der Kläger legte gegen die Änderungsbescheide für 1978 bis 1980 zunächst Einsprüche ein. Nachdem das FA ihn auf § 351 Abs. 2 und § 175 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) hingewiesen hatte, nahm er seine Rechtsbehelfe jedoch zurück; den Bescheid für 1981 focht er nicht an.

Im Anschluss an den Erlass des die KG betreffenden Feststellungsbescheids vom erließ das FA keine erneuten Einkommensteuerbescheide. Vielmehr vermerkte der Bearbeiter, dass „bereits 0,- DM erfasst” und dass die Aufhebung des „Nichtfeststellungsbescheid(s)” vom sowie der Erlass des Bescheids vom für die Einkommensteuer des Klägers „ohne steuerliche Wirkung” seien.

Mit Schreiben vom teilte der Kläger dem FA mit, dass er seine Einsprüche gegen die Einkommensteuerbescheide aufrechterhalte und dass nach Aufhebung des „Nichtfeststellungsbescheids” die im September 1990 durchgeführten Änderungen jener Bescheide rückgängig zu machen seien. Gegen die Feststellungsbescheide vom habe er Einspruch erhoben; diese Bescheide seien wegen Verjährung aufzuheben. Ohne wirksame Grundlagenbescheide sei aber die Änderung der ursprünglichen Einkommensteuerbescheide nicht zulässig gewesen, weshalb die Verluste aus der Beteiligung wieder anerkannt werden müssten. Das FA lehnte mit Schreiben vom eine Änderung der Einkommensteuerbescheide ab und ließ auch in nachfolgenden Bescheiden, in denen die Steuerfestsetzungen aus anderen Gründen geändert wurden, die hier streitigen Verluste unberücksichtigt.

Mit Schreiben vom wies der Kläger das FA darauf hin, dass nach der Entscheidung des FG Berlin „die ursprünglichen Verlustzuweisungen…ihre Rechtsgültigkeit haben”. An Stelle der (nach Aufhebung einer Aussetzung der Vollziehung) angeforderten Nachzahlung müsse es zu einer Erstattung kommen. Im Anschluss an weiteren Schriftverkehr begehrte er mit Schreiben vom die „Aufhebung aller nichtigen Steuerfestsetzungen” und die Berücksichtigung der bei den Einkommensteuer-Veranlagungen ursprünglich anerkannten Verluste. Schließlich beantragte der Kläger mit Schreiben vom eine Aufhebung der Einkommensteuerbescheide aus den Jahren 1990 und 1991, die auf der Grundlage der vom FG Berlin aufgehobenen Feststellungsbescheide für die KG ergangen waren. Diesen Antrag lehnte das FA ab. Auf die dagegen gerichtete Sprungklage erließ das FG Münster ein Urteil (vom 10 K 553/03 E), nach dessen Tenor die zuletzt ergangenen Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre abgeändert wurden und dem FA die Berechnung der sich hieraus ergebenden Steuerbeträge aufgegeben wurde. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 504 abgedruckt.

Mit seiner Revision rügt das FA eine Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zu einem hiervon abweichenden Urteilsausspruch (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Dieser geht dahin, dass das FA verpflichtet wird, die gegenüber dem Kläger erlassenen Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre entsprechend dem Antrag des Klägers zu ändern. Mit seinem weitergehenden Antrag hat das FA keinen Erfolg.

1. Das FG hat durch das angefochtene Urteil „die Einkommensteuerbescheide für 1978 bis 1981…abgeändert”. Es hat mithin ein Gestaltungsurteil erlassen. Ein solches lässt § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO jedoch nur auf eine Anfechtungsklage hin zu. Im Streitfall geht es um eine Verpflichtungsklage, weshalb hier eine Entscheidung zu Gunsten des Klägers nur dahin gehen kann, dass das FA zum Erlass des vom Kläger angestrebten Verwaltungsakts verpflichtet wird.

a) Der Kläger begehrt eine Änderung der ihm gegenüber für die Streitjahre erlassenen Einkommensteuerbescheide. Er stützt dieses Begehren darauf, dass die Bescheide im Hinblick auf die Einkünfte aus der Beteiligung an der KG auf einem Grundlagenbescheid (Feststellungsbescheid vom ) beruhen, der inzwischen aufgehoben wurde. Er erstrebt mithin eine Korrektur der Einkommensteuerbescheide nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977. Eine solche ist im gerichtlichen Verfahren durch eine Verpflichtungsklage zu verfolgen (von Beckerath in Beermann/ Gosch, AO/FGO, § 40 FGO Rz. 117; von Groll in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 40 Rz. 47, m.w.N.).

b) Im Streitfall hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem FG beantragt, unter Aufhebung eines vom FA erlassenen Ablehnungsbescheids „die zuletzt ergangenen Einkommensteuerbescheide…zu ändern” und die erklärten negativen Einkünfte aus der Beteiligung an der KG „zu berücksichtigen”. Dieser Antrag ist nicht eindeutig als Verpflichtungsantrag formuliert. Er kann aber in diesem Sinne ausgelegt oder zumindest dahin umgedeutet werden. Ein solches Vorgehen entspricht zum einen dem Gebot einer rechtsschutzgewährenden Interpretation verfahrensrechtlicher Erklärungen (vgl. dazu Senatsurteil vom I R 10/05, BFH/NV 2006, 750, 752, m.w.N.). Es scheitert zum anderen nicht an dem Grundsatz, dass ein seinem Wortlaut nach klarer und eindeutiger Antrag jedenfalls dann nicht abweichend von diesem Wortlaut verstanden werden kann, wenn er von einer rechtskundigen Person stammt. Denn der hier in Rede stehende Antrag ist nicht in diesem Sinne „klar und eindeutig” auf eine Anfechtungsklage gerichtet. Er verweist vielmehr auf einen voraufgegangenen ablehnenden Bescheid des FA, und ein solcher ist für Gestaltungen kennzeichnend, in denen gerichtlicher Rechtsschutz im Wege der Verpflichtungsklage gesucht wird. Damit enthält der im Klageverfahren gestellte Antrag zumindest einen Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger in dieser Weise vorgehen wollte. Das rechtfertigt es, sein Begehren im Sinne einer Verpflichtungsklage zu deuten.

2. In der Sache hat das FG das Begehren des Klägers zu Recht für begründet erachtet. Der Kläger hat einen Anspruch auf eine antragsgemäße Änderung der ihm gegenüber ergangenen Einkommensteuerbescheide.

a) Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein für ihn bindender Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO 1977) erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Der vom FA B erlassene Feststellungsbescheid vom war, was keiner näheren Erörterung bedarf, im Verhältnis zu den hier interessierenden Einkommensteuerbescheiden Grundlagenbescheid i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977. Nach seiner Aufhebung durch das FG Berlin müssen deshalb jene Bescheide entsprechend geändert werden.

b) Das bedeutet, dass die Festsetzung der Einkommensteuer an die Aufhebung des Feststellungsbescheids anzupassen ist. Dazu müssen diejenigen Wirkungen, die der Feststellungsbescheid im Hinblick auf die Festsetzung der Einkommensteuer ausgelöst hat, rückgängig gemacht werden. Die Einkünfte des Klägers aus seiner Beteiligung an der KG sind mithin in derjenigen Höhe anzusetzen, in der sie vor Ergehen des Feststellungsbescheids angesetzt waren.

c) Der Streitfall weist allerdings die Besonderheit auf, dass im Anschluss an den Erlass des Feststellungsbescheids vom die Einkommensteuerbescheide nicht geändert worden sind. Das beruht darauf, dass diesem Feststellungsbescheid zwei andere Bescheide („Nichtfeststellungsbescheid” gegenüber der stillen Gesellschaft vom und Feststellungsbescheid gegenüber der ) vorausgegangen waren, die das FA als Grundlagenbescheide für einen Ansatz der Beteiligungseinkünfte mit 0 DM angesehen und in diesem Sinne umgesetzt hat. Daraus folgt indessen nicht, dass es nunmehr im Rahmen der Festsetzung der Einkommensteuer bei diesem Ansatz bleiben müsste.

aa) Das FA hatte auf die im Jahr 1989 ergangenen Bescheide hin eine Änderung der zuvor bestehenden Einkommensteuerfestsetzungen auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 gestützt. In der Folge hat es nach den Feststellungen des FG jene Bescheide aufgehoben. Sowohl der „Nichtfeststellungsbescheid” als auch der ursprünglich gegenüber der KG ergangene Feststellungsbescheid sind deshalb —zumindest aus heutiger Sicht— nicht (mehr) wirksam. Die durch sie ausgelösten Änderungen der Einkommensteuerbescheide hätten im Anschluss an ihre Aufhebung, wenn nicht zeitgleich der Feststellungsbescheid vom erlassen worden wäre, gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 rückgängig gemacht werden müssen. Diese Änderungen müssen deshalb, wenn es um die Auswirkungen des letztgenannten Bescheids auf die Einkommensbesteuerung des Klägers geht, in die Betrachtung einbezogen werden. Sie sind daher im Anschluss an die Aufhebung jenes Bescheids ebenfalls rückgängig zu machen.

bb) Diese Rechtsfolge ergibt sich ungeachtet dessen, dass die Aufhebung des „Nichtfeststellungsbescheids” vom und des Feststellungsbescheids vom in einer Anlage zu dem später ergangenen Feststellungsbescheid ausgesprochen wurde. Dieser Umstand führt insbesondere nicht dazu, dass die Aufhebung des Feststellungsbescheids durch das FG Berlin die früheren Bescheide erneut in Kraft gesetzt hat. Denn bei der Aufhebung der zuvor ergangenen Bescheide handelt es sich, auch wenn sie äußerlich mit dem Erlass des Feststellungsbescheids vom verbunden wurde, rechtlich um einen selbständigen Verwaltungsakt. Dass das FG Berlin diesen Verwaltungsakt ebenfalls aufgehoben hat, geht aus seinem Urteil nicht hervor; das FG Berlin hatte zudem für eine solche Maßnahme keine Veranlassung, da es sowohl den „Nichtfeststellungsbescheid” als auch den Feststellungsbescheid vom als unwirksam angesehen hat. Daher greift der Grundsatz, dass die Aufhebung eines Aufhebungsbescheids den ursprünglich aufgehobenen Bescheid erneut in Kraft setzt (, BFHE 208, 37, BStBl II 2006, 346), im Streitfall nicht ein. Vielmehr hat das FG zu Recht angenommen, dass die im Jahr 1989 erlassenen Bescheide durch die Aufhebung des Feststellungsbescheids vom nicht wieder aufgelebt sind.

cc) Der Streitfall bietet keine Veranlassung, die Frage nach der ursprünglichen Wirksamkeit des „Nichtfeststellungsbescheids” vom und des Feststellungsbescheids vom zu erörtern. Zwar wäre, wenn diese Frage zu verneinen wäre, im Anschluss an den Erlass der genannten Bescheide eine Änderung der Einkommensteuerbescheide nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 nicht zulässig gewesen. Das hätte der Kläger unmittelbar im Wege der Anfechtung der geänderten Einkommensteuerbescheide geltend machen können. Jedoch darf dem Kläger kein Nachteil daraus erwachsen, dass er seinerzeit —der Rechtsansicht des FA folgend— von der Existenz wirksamer Grundlagenbescheide ausgegangen ist und Rechtsbehelfe gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide im Hinblick auf § 351 Abs. 2 AO 1977 nicht eingelegt bzw. zurückgenommen hat. Vielmehr muss insoweit der Gedanke Platz greifen, dass die Grenze zwischen Nichtigkeit und (schlichter) Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts oft schwierig zu bestimmen ist und dass eine in diesem Punkt unrichtige Beurteilung nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen gehen darf (, BFHE 145, 7, 11, BStBl II 1986, 42, 44; vom IV R 62/83, BFH/NV 1987, 19, 20; von Groll in Gräber, a.a.O., § 41 Rz. 22, m.w.N.). Deshalb hätte selbst dann, wenn man —in Übereinstimmung mit dem FG Berlin— die Bescheide aus November 1989 für von Anfang an unwirksam hielte, deren spätere förmliche Aufhebung die Rechtsfolge des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 ausgelöst. Angesichts dessen muss die Aufhebung des Feststellungsbescheids vom unabhängig von der Wirksamkeit der ihm vorausgegangenen Bescheide nunmehr dazu führen, dass im Hinblick auf die Beteiligung des Klägers an der KG die ursprünglich berücksichtigten negativen Einkünfte angesetzt werden.

d) Die Anpassung der Einkommensteuerbescheide an die Aufhebung des Feststellungsbescheids kann nicht im Hinblick auf § 177 Abs. 2 AO 1977 unterbleiben. Nach dieser Vorschrift sind zwar, wenn ein Steuerbescheid zugunsten des Steuerpflichtigen geändert wird, in früheren Steuerbescheiden unterlaufene materielle Fehler zu berichtigen; das gilt auch bei einer Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 (, BFHE 167, 1, BStBl II 1992, 504). Im Streitfall liegt aber kein „materieller Fehler” in diesem Sinne vor.

aa) Nach § 177 Abs. 3 AO 1977 sind materielle Fehler i.S. des Abs. 2 der Vorschrift alle Fehler, die zur Festsetzung einer Steuer führen, die von der kraft Gesetzes entstandenen Steuer abweicht. Die „kraft Gesetzes entstandene” Steuer ist im Streitfall diejenige, die sich unter Berücksichtigung sowohl der nicht gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen als auch der Beteiligungseinkünfte des Klägers ergibt.

bb) In welcher Höhe nach den maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften Einkünfte des Klägers aus seiner Beteiligung an der KG entstanden sind, lässt sich nicht aus einem Feststellungsbescheid ableiten, da ein solcher nach der Aufhebung des Bescheids vom nicht mehr besteht. Das führt aber nicht dazu, dass das FA jene Einkünfte nunmehr in eigener Zuständigkeit überprüfen dürfte (a.A. , EFG 2005, 1907). Ebenso führt es nicht dazu, dass nunmehr im Rahmen der Einkommensbesteuerung des Klägers von der Annahme auszugehen wäre, der Kläger habe in den Streitjahren keine Beteiligungseinkünfte oder solche in Höhe von Null erzielt (a.A. , EFG 2006, 388). Vielmehr sind jene Einkünfte mangels wirksamer abweichender Feststellung in der Höhe als „entstanden” anzusehen, in der sie in den ursprünglich erlassenen Einkommensteuerbescheiden angesetzt waren. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

aaa) Sieht das Gesetz eine gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vor, so können Existenz, Art und Höhe dieser Besteuerungsgrundlagen nur im Rahmen des Feststellungsverfahrens geprüft werden. Das folgt aus der gesetzlich angeordneten Bindungswirkung des Feststellungsbescheids (§ 182 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Eine eigenständige Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen im Rahmen eines dem Feststellungsverfahren nachgeschalteten Verfahrens scheidet in solchen Fällen aus.

Bei der alleinigen Maßgeblichkeit des Feststellungsverfahrens bleibt es grundsätzlich auch dann, wenn ein Feststellungsbescheid nicht erlassen oder ein erlassener Feststellungsbescheid später aufgehoben wird. Die Aufhebung eines solchen Bescheids kann zwar dazu führen, dass der zunächst dort geregelte Sachverhaltskomplex aus der Bindungswirkung des Feststellungsverfahrens entlassen wird und nunmehr unmittelbar im Folgebescheid zu beurteilen ist (, BFH/NV 1995, 858, m.w.N.). Diese Rechtsfolge tritt aber nur dann ein, wenn der Feststellungsbescheid deshalb aufgehoben wird, weil es eines solchen Bescheids im konkreten Fall nicht bedarf. Eine solche Gestaltung liegt im Streitfall nicht vor, da das FG Berlin den Feststellungsbescheid des FA B erklärtermaßen nur im Hinblick auf den Ablauf der Feststellungsfrist aufgehoben hat. Schließlich bestimmt zwar § 155 Abs. 2 AO 1977, dass eine in einem Grundlagenbescheid zu treffende Entscheidung im Folgebescheid vorweggenommen werden darf; diese Norm setzt aber voraus, dass der Folgebescheid erkennbar eine einstweilige Regelung trifft, die dem noch zu erlassenden Grundlagenbescheid vorgreift (, BFH/NV 2005, 1235; Rüsken in Klein, AO, 8. Aufl., § 155 Rz. 39 f., m.w.N.). Daran fehlt es hier schon deshalb, weil ein Feststellungsbescheid unstreitig wegen des Ablaufs der Feststellungsfrist nicht mehr ergehen darf und wird. Angesichts dessen ist der Ansicht des FA, die Höhe der Beteiligungseinkünfte des Klägers könne im Streitfall unmittelbar im Rahmen der Veranlagung des Klägers zur Einkommensteuer geprüft werden, nicht zu folgen.

bbb) Ebenso können jene Einkünfte nicht im Hinblick darauf, dass es an ihrer gesonderten Feststellung fehlt, nunmehr als nicht vorhanden angesehen oder mit Null angesetzt werden. Denn eine solche Handhabung hätte zur Folge, dass der Kläger allein deshalb steuerliche Nachteile erleiden würde, weil das FA B die später als rechtswidrig aufgehobenen Feststellungsbescheide erlassen hat: Bevor jene Bescheide ergingen, wäre eine Änderung der Einkommensteuerbescheide nicht zulässig gewesen, da insoweit einschlägige Änderungsvorschriften nicht erkennbar sind und zudem die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer hinsichtlich aller Streitjahre abgelaufen war. Ohne den Erlass der Feststellungsbescheide wäre es mithin bei dem Ansatz der negativen Einkünfte geblieben. Dann kann es aber nicht zum Nachteil des Klägers allein deshalb anders sein, weil die betreffenden Einkünfte nach Ablauf der Feststellungsfrist gesondert festgestellt wurden. Das gilt umso mehr, als der Kläger die einstweilige Umsetzung zumindest des Feststellungsbescheids vom nicht durch eine Anfechtung der entsprechenden Einkommensteuerbescheide verhindern konnte (§ 351 Abs. 2 AO 1977). Diesem Zusammenhang ist bei der Anwendung des § 177 AO 1977 dadurch Rechnung zu tragen, dass als „entstandene Steuer” diejenige angesehen wird, die sich bei einem Ansatz der ursprünglich in den Einkommensteuerbescheiden berücksichtigten Beteiligungseinkünfte ergibt.

e) Schließlich hält das FA die vom Kläger begehrte Änderung der Bescheide deshalb für unzulässig, weil die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer der Streitjahre abgelaufen sei. Dem ist ebenfalls nicht beizupflichten.

Richtig ist allerdings, dass nach Ablauf der Festsetzungsfrist eine Steuerfestsetzung nicht mehr geändert werden darf (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Richtig ist ferner, dass die im Streitfall maßgeblichen Festsetzungsfristen nur dann nicht abgelaufen sind, wenn ihr Ablauf nach den in § 171 AO 1977 enthaltenen Regelungen gehemmt wurde. Davon gehen die Beteiligten übereinstimmend aus, weshalb der Senat auf weitere Ausführungen zu diesen Fragen verzichtet.

Im Streitfall ist die hiernach erforderliche Ablaufhemmung indessen eingetreten. Sie ergibt sich aus § 171 Abs. 3 i.V.m. Abs. 10 AO 1977.

aa) Die Einkünfte des Klägers mussten, soweit sie aus seiner Beteiligung an der KG resultierten, gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 gesondert festgestellt werden. Dies ist durch den die KG betreffenden Feststellungsbescheid vom geschehen, durch den dem Kläger für alle Streitjahre Einkünfte in Höhe von 0 DM zugerechnet wurden. Dieser Bescheid war im Verhältnis zu den Einkommensteuerbescheiden des Klägers Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10 AO 1977. Das ist ebenfalls zwischen den Beteiligten unstreitig.

bb) Nach § 171 Abs. 10 AO 1977 endet, soweit für die Festsetzung der Steuer ein Grundlagenbescheid maßgeblich ist, die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheids. Diese Regelung gilt nicht nur dann, wenn ein Grundlagenbescheid erstmals erlassen wird, sondern auch bei einer Änderung oder Aufhebung eines Grundlagenbescheids. Sie ermöglicht in allen diesen Fällen eine Anpassung des von dem Grundlagenbescheid abhängigen Bescheids (Folgebescheid) innerhalb der gesetzlich bestimmten Zweijahresfrist. Daraus folgt für den Streitfall, dass die Aufhebung des Feststellungsbescheids durch das FG Berlin den Ablauf der Festsetzungsfrist für die Einkommensteuerbescheide des Klägers insoweit gehemmt hat, als diese bis zum Ablauf von zwei Jahren nach der Bekanntgabe der Entscheidung des FG Berlin an die neue Rechtslage (Aufhebung des Grundlagenbescheids) angepasst werden durften.

cc) Das FG hat nicht festgestellt, wann das Urteil des FG Berlin dem Kläger bekannt gegeben wurde. Aus seinem Urteil ergibt sich jedoch, dass die Bekanntgabe vor dem erfolgt sein muss, da der Kläger in seinem an das FA gerichteten Schreiben von diesem Tag auf die Entscheidung hingewiesen hat. Die sich aus § 171 Abs. 10 AO 1977 ergebende Anpassungsfrist war mithin bei Ergehen der erstinstanzlichen Entscheidung im vorliegenden Verfahren verstrichen. Das ist jedoch unschädlich, da der Ablauf der Festsetzungsfrist nunmehr gemäß § 171 Abs. 3 AO 1977 gehemmt wurde.

aaa) Nach dieser Vorschrift läuft eine Festsetzungsfrist, soweit vor ihrem Ablauf ein Antrag auf Steuerfestsetzung oder auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung gestellt wird, nicht vor der unanfechtbaren Entscheidung über diesen Antrag ab. Einen solchen Antrag hat der Kläger vor Ablauf der in § 171 Abs. 10 AO 1977 bestimmten Zweijahresfrist gestellt. Dazu kann offen bleiben, ob der Ansicht des FG zu folgen ist, dass schon das Schreiben des Klägers vom als Antrag auf Änderung der Einkommensteuerbescheide anzusehen sei. Jedenfalls hat der Kläger mit seinem Schreiben vom , in dem er eine „Aufhebung aller nichtigen Steuerfestsetzungen” und Berücksichtigung der ursprünglich anerkannten Verluste begehrt hat, mit hinreichender Deutlichkeit eine solche Änderung beantragt. Da dieses Schreiben vor Ablauf von zwei Jahren nach der Entscheidung des FG Berlin beim FA einging, führte es dazu, dass die Frist für die Anpassung der Einkommensteuerbescheide an die Aufhebung des Grundlagenbescheids gemäß § 171 Abs. 3 AO 1977 gehemmt wurde.

bbb) Der Senat folgt nicht der vom FA —in Übereinstimmung mit Teilen des Schrifttums (z.B. Rüsken in Klein, a.a.O., § 171 Rz. 11; evtl. auch Cöster in Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, § 171 Rz. 27)— vertretenen Ansicht, dass ein Antrag auf Anpassung eines Folgebescheids an einen Grundlagenbescheid (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977) nicht geeignet sei, die Rechtsfolge des § 171 Abs. 3 AO 1977 auszulösen. Für eine solche Einschränkung bieten weder Wortlaut und Systematik des Gesetzes noch die Rechtsprechung des BFH eine Grundlage.

aaaa) Der Gesetzeswortlaut ist in diesem Punkt umfassend. § 171 Abs. 3 AO 1977 spricht von einem „Antrag” und enthält als einzige Einschränkung diejenige, dass der Antrag außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens gestellt sein muss. Insbesondere lässt er nicht erkennen, dass die Vorschrift nur Anträge auf Maßnahmen erfassen soll, welche die Behörde nicht von Amts wegen vornehmen muss. Deshalb ist zu Recht anerkannt, dass zum Beispiel auf § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 oder auf § 174 Abs. 3 AO 1977 gestützte Änderungsanträge dem Regelungsbereich des § 171 Abs. 3 AO 1977 unterfallen (Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 171 AO Tz. 11; Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 171 AO Rz. 16; Cöster in Pahlke/ Koenig, a.a.O., § 171 Rz. 26). Auch jene Vorschriften erlegen der Behörde indessen eine Pflicht zur Änderung auf (zu § 174 Abs. 3 AO 1977 vgl. , BFHE 159, 418, 420, BStBl II 1990, 458, 459, m.w.N.), so dass dieser Gesichtspunkt es nicht rechtfertigt, § 171 Abs. 3 AO 1977 im Zusammenhang mit Anträgen auf Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 nicht anzuwenden.

bbbb) Ebenso lässt sich eine solche Handhabung nicht auf die Erwägung stützen, dass die Frist für eine Anpassung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 in § 171 Abs. 10 AO 1977 abschließend geregelt sei und dass diese Regelung nicht durch eine zusätzliche Anwendung des § 171 Abs. 3 AO 1977 ausgehebelt werden dürfe. Denn § 171 Abs. 10 AO 1977 einerseits und § 171 Abs. 3 AO 1977 andererseits verfolgen unterschiedliche Zielsetzungen; die erstgenannte Vorschrift dient dazu, der Behörde ausreichend Zeit zur Umsetzung eines Grundlagenbescheids in Folgebescheide einzuräumen (, BFHE 208, 410, 413, BStBl II 2005, 242, 243), während die letztere vor allem den Rechtsschutz des Bürgers verbessert: Sie stellt sicher, dass der Erfolg eines einmal gestellten Antrags nicht von der Arbeitsweise und –geschwindigkeit der Behörde abhängt; eine antragsgemäße Entscheidung soll nach dem Willen des Gesetzgebers nicht allein daran scheitern, dass die Behörde die Prüfung des Antrags nicht innerhalb der nach anderen Vorschriften zu bestimmenden Festsetzungsfrist abschließt. Vor diesem Hintergrund wäre es nicht sachgerecht, § 171 Abs. 10 AO 1977 gleichsam einen Vorrang vor § 171 Abs. 3 AO 1977 einzuräumen. Vielmehr zeigt gerade der Streitfall, dass die von § 171 Abs. 3 AO 1977 bekämpfte Gefahr auch dann besteht, wenn der gestellte Antrag auf eine Anpassung von Folgebescheiden an Grundlagenbescheide gerichtet ist.

cccc) Zu einem abweichenden Ergebnis führt schließlich nicht der Umstand, dass nach der Rechtsprechung des BFH die Abgabe einer Steuererklärung nicht als Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO 1977 gewertet werden kann (, BFHE 165, 445, BStBl II 1992, 124; vom V R 42/95, BFHE 179, 480, 483, BStBl II 1996, 338, 340; vom V R 136/93, BFH/NV 1996, 1, m.w.N.). Denn zum einen unterscheidet sich die dort beurteilte Gestaltung von der hier interessierenden dadurch, dass eine Steuererklärung kein Ausdruck des Willens ist, besteuert zu werden; vielmehr kommt der Erklärende mit ihr nur seiner gesetzlich vorgegebenen Mitwirkungspflicht nach. Zum anderen würde, wenn eine Steuererklärung als „Antrag” i.S. des § 171 Abs. 3 AO 1977 angesehen würde, dies möglicherweise zu einer Bevorzugung des pflichtwidrig handelnden gegenüber dem gesetzestreuen Bürger führen (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 165, 445, 448, BStBl II 1992, 124, 126). Beide Überlegungen greifen im Zusammenhang mit Anträgen auf Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 nicht durch, weshalb sich die genannte Rechtsprechung nicht auf diesen Bereich übertragen lässt. Vielmehr müssen solche Anträge ebenso wie diejenigen, die auf andere gesetzliche Änderungsnormen gestützt sind, § 171 Abs. 3 AO 1977 unterfallen.

3. Im Ergebnis war hiernach die vom Kläger erhobene Verpflichtungsklage begründet. Dem ist in der Weise Rechnung zu tragen, dass das vom FG erlassene Gestaltungsurteil aufgehoben und das FA zu einer antragsgemäßen Änderung der derzeit geltenden Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre verpflichtet wird.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 2019 Nr. 11
NWB-Eilnachricht Nr. 6/2007 S. 4
AAAAC-16477