BGH Urteil v. - IX ZR 152/04

Leitsatz

[1] Die Aufrechnung, die eine Konzerngesellschaft nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestützt auf eine Konzernverrechnungsklausel mit eigenen Forderungen gegenüber den Ansprüchen des Schuldners erklärt, die diesem gegen ein anderes Konzernunternehmen zustehen, ist unwirksam (Ergänzung zu BGHZ 160, 107).

Gesetze: InsO § 94; InsO § 96 Abs. 1 Nr. 1

Instanzenzug: LG Mainz 10 HKO 82/02 vom OLG Koblenz 2 U 376/03 vom

Tatbestand

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der V. GmbH, Düsseldorf (fortan: Schuldnerin). Die Schuldnerin lieferte im Juni/Juli 2000 an verschiedene Märkte der Beklagten Bücher aus. Die Lieferungen erfolgten auf der Grundlage des zwischen ihr und der M. I. AG (fortan MIAG) bestehenden Rahmenvertrages vom (fortan RV), der gemäß Nr. 15 RV schweizerischem Recht unterstand. Nach Nr. 2 RV sollten die Waren jeweils direkt durch die Anschlussunternehmen der MIAG, die aufgelistet waren und zu denen auch die Beklagte gehörte, bestellt und diesen unmittelbar berechnet werden. Ferner oblag der MIAG nach dieser Bestimmung "die Zentralregulierung einschließlich Inkasso". Gemäß Nr. 5 RV übernahm die MIAG für alle Lieferungen an die Anschlussunternehmen das Delkredere und verpflichtete sich, dafür einzustehen, dass diese Unternehmen ihre sich aus den Bestellungen ergebenden Verpflichtungen erfüllten. Für ihre Leistungen stand der MIAG nach Nr. 6 RV eine Vergütung von 1,5 % des jeweils zu zahlenden Rechnungsbetrages zu. Gemäß Nr. 8 RV konnte MIAG nach Fälligkeit offene Forderungen mit jeder Gegenforderung der Schuldnerin ohne Rücksicht auf die Gegenseitigkeit verrechnen.

Auf Eigenantrag der Schuldnerin wurde am das Insolvenzverfahren eröffnet. Danach erstellte die MIAG Abrechnungen für die von der Schuldnerin gelieferten Bücher, in denen sie die Kaufpreisforderungen der Schuldnerin mit ihren eigenen Vergütungsansprüchen nach Nr. 6 RV sowie mit Gegenforderungen eines weiteren Anschlussunternehmens, der M. verrechnete.

Der Kläger hat die Bezahlung von 29 Lieferungen (13.406,25 €) verlangt. Das Landgericht hat die in der Konzernverrechnungsklausel erteilte Aufrechnungsermächtigung in entsprechender Anwendung von § 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO für unwirksam erachtet und der Klage - unter Abweisung im Übrigen - bezüglich 26 Lieferungen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage lediglich hinsichtlich einer Lieferung für begründet erachtet. Mit der - zugelassenen - Revision verfolgt der Kläger den Kaufpreisanspruch für 24 Lieferungen weiter.

Gründe

Die zulässige Revision hat in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und - unter Berücksichtigung der in der Berufungsinstanz erklärten teilweisen Klagerücknahme - zur Wiederherstellung der landgerichtlichen Entscheidung.

I.

Das Berufungsgericht hat angenommen, die Klage sei lediglich hinsichtlich einer Lieferung begründet, im Übrigen sei die bezüglich 24 Lieferungen noch geltend gemachte Klageforderung durch wirksame Aufrechnung erloschen. Dafür könne allerdings nicht auf die Belastungsanzeigen abgestellt werden, die nach dem Vorbringen der Beklagten im September/Oktober 2000 der Schuldnerin zugeleitet worden seien. Auch wenn die Parteien übereinstimmend von einer Kontokorrentabrede ausgingen, habe die Beklagte nicht hinreichend konkret dargelegt, inwieweit eine antizipierte Verrechnungsabrede bestanden habe oder aus anderweitigen Absprachen und Umständen ein Erlöschen der Forderungen abgeleitet werden könne.

Die nach Insolvenzeröffnung erklärte Aufrechnung sei aber wirksam, weil sie auf die vor Insolvenzeröffnung getroffene Konzernverrechnungsabrede und die davor bestehende Aufrechnungslage zurückgehe. Diese Abrede stelle eine vorgreifliche vertragliche Erweiterung der gesetzlichen Aufrechnungslage dar und unterliege angesichts des klaren Gesetzeswortlauts von § 94 InsO dem Schutz dieser Bestimmung.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

1. Zu Recht ist allerdings das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Zulässigkeit und die Wirkung der geltend gemachten Aufrechnung nach deutschem Recht zu beurteilen ist und dass für die Frage einer wirksamen Aufrechnung nicht auf die - nach dem Vorbringen der Beklagten vor Stellung des Insolvenzantrages angefertigten und der Schuldnerin zugeleiteten - Belastungsanzeigen abgestellt werden kann.

a) Obwohl der zwischen der MIAG und der Schuldnerin zustande gekommene Rahmenvertrag nach Nr. 15 RV schweizerischem Recht unterliegt, ist die Frage der Wirksamkeit der erklärten Aufrechnung nach deutschem Recht zu beantworten. Die Wirksamkeit einer Aufrechnung richtet sich nach dem Schuldstatut der Hauptforderung, gegen die aufgerechnet wird (BGHZ 38, 254, 256; , NJW 1994, 1413, 1416, insoweit in BGHZ 124, 237 nicht abgedruckt). Bei der mit der Klage geltend gemachten Forderung handelt es sich, wie nachstehend noch näher auszuführen sein wird, um den unmittelbar gegen die Beklagte gerichteten Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises, der, wie das gesamte Kaufvertragsverhältnis, deutschem Recht unterworfen ist.

b) Aus dem Vorbringen der Beklagten lässt sich nicht hinreichend konkret ableiten, dass in der in Betracht kommenden Absprache eine wirksame antizipierte Verrechnungsabrede enthalten war. Bei den angeführten Belastungsanzeigen hat es sich zudem lediglich um einseitige Forderungsaufstellungen der M. gehandelt, die sich auf von ihr geltend gemachte Warenrückgaben bezogen. Die eigentliche Gegenüberstellung und Verrechnung mit den der Klageforderung zugrunde liegenden Kaufpreisforderungen der Schuldnerin ist dagegen erst mit den nach Insolvenzeröffnung angefertigten und als Inkassoabrechnungen bezeichneten Aufstellungen erfolgt. Wäre dies bereits zu einem früheren Zeitpunkt seitens der MIAG geschehen, hätte auch kein Anlass bestanden, diese Unterlagen zu erstellen. In Übereinstimmung hierzu hat die Beklagte selbst mit Schriftsatz vom vorgetragen, dass im Rahmen der Inkassoabrechnung mit der Gegenforderung aufgerechnet worden sei. Damit hat die MIAG erst zu diesem Zeitpunkt von ihrer nach der Konzernverrechnungsklausel gemäß Nr. 8 RV vorgesehenen Ermächtigung Gebrauch gemacht.

2. Nach Verkündung des Berufungsurteils hat der Senat entschieden, dass eine nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgegebene und auf eine Konzernverrechnungsklausel gestützte Aufrechnungserklärung mit Gegenforderungen anderer Konzerngesellschaften auch unter Geltung der Insolvenzordnung unwirksam ist (BGHZ 160, 107, 109 f im Anschluss an die zu § 55 Satz 1 Nr. 2 KO ergangene Rechtsprechung: BGHZ 81, 15; , WM 1991, 251, 252; Beschl. v. - IX ZR 147/95, ZIP 1996, 552).

§ 94 InsO bezweckt, wie sich aus der amtlichen Überschrift ergibt, dem Gläubiger eine bereits bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegebene Aufrechnungslage zu erhalten. Diese entsteht jedoch erst, wenn zwei Forderungen einander aufrechenbar gegenübertreten. Dies ist bei einer auf eine Konzernverrechnungsklausel gestützten Aufrechnung nicht der Fall, solange die Aufrechnung nicht erklärt worden ist (BGHZ 81, 15, 19 f; 160, 107, 110; OLG Köln ZInsO 2005, 658, 660; ebenso etwa Kübler/Prütting/Lüke, InsO § 94 Rn. 77; Häsemeyer, Insolvenzrecht 3. Aufl. Rn. 19.30; vgl. auch K.P. Berger, Der Aufrechnungsvertrag S. 313 f). Die Auffassung, aus § 94 InsO folge die Insolvenzfestigkeit von Konzernverrechnungsklauseln, steht zudem mit einem wesentlichen Grundanliegen der Insolvenzordnung nicht in Einklang. Denn die daraus folgende Ausweitung der Aufrechnungsmöglichkeiten führt zu einer Schmälerung der Insolvenzmasse und widerspricht damit dem erklärten Ziel der Insolvenzordnung, die Masse im Interesse der Gläubigergleichbehandlung zusammenzuhalten (vgl. BT-Drucks. 12/2443 S. 81, 108, 140 f; Lüke aaO). An dieser Rechtsprechung, die im Schrifttum auf ganz überwiegende Zustimmung gestoßen ist (Rendels EWiR 2004, 1041, 1042; Höpfner NZI 2004, 586, 587; Gundlach/Schmidt BGHReport 2004, 1588, 1589; Windel KTS 2004, 563, 565; v. Olshausen ZInsO 2004, 1229, 1231; K. Schmidt NZI 2005, 138, 140; Schwahn NJW 2005, 473, 475; HmbgK-InsO/Jacoby, § 96 Rn. 7) und die auch von der Revisionserwiderung nicht in Frage gestellt wird, hält der Senat fest.

3. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung finden diese Grundsätze auch auf die hier gegebene Fallgestaltung Anwendung.

a) Soweit die Revisionserwiderung davon ausgeht, einer Aufrechnung hätte es hinsichtlich der von der MIAG gemäß Nr. 6 RV beanspruchten Vergütung nicht bedurft, weil diese nach Nr. 6 Satz 2 RV "bei Inkasso/Regulierung der Rechnungen abgezogen" werde und demnach sich die Kaufpreisforderung automatisch mindere, kann ihr nicht gefolgt werden. Eine automatische Verrechnung findet nicht statt. Die Verrechnung ist kein gesetzlich vorgesehenes Rechtsinstitut, wenn sich nach der Gesetzeslage zwei selbständige Forderungen aufrechenbar gegenüber stehen. In diesen Fällen sind die vertraglichen oder gesetzlichen Regelungen zur Aufrechnung anwendbar (vgl. BGHZ 163, 274, 278).

b) Bezüglich der Vergütungsansprüche der MIAG kommt eine außerhalb der Konzernverrechnungsklausel Nr. 8 RV stehende unmittelbare Aufrechnung nicht in Betracht.

aa) Es handelt sich zwar um direkte Ansprüche der MIAG gegenüber der Schuldnerin. Im hier maßgeblichen Verhältnis von Kaufpreisforderungen der Schuldnerin gegenüber der Beklagten fehlt es dagegen am Erfordernis der Gegenseitigkeit im Sinne von § 387 BGB. Die Schuldnerin hätte zwar die MIAG aus der nach Nr. 5 RV bestehenden - bürgschaftsähnlichen (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 65. Aufl. Einf. v. § 765 Rn. 15) - Delkredere-Einstandsverpflichtung unmittelbar in Anspruch nehmen können. Davon hat sie aber abgesehen und stattdessen den daneben bestehenden Direktanspruch gegen die Beklagte als Käuferin geltend gemacht. Dies ergibt sich aus den vorliegenden Rechnungen, die jeweils an die Beklagte gerichtet sind. Auch die von der Beklagten vorgelegten Inkassoabrechnungen weisen keine gegen die MIAG gerichteten Zahlungsansprüche der Schuldnerin auf, sondern führen auch insoweit als Anspruchsgegner die SB-Warenhäuser, mithin die Beklagte, auf.

bb) Auch der Gesichtspunkt, dass die MIAG - bezogen auf den auf Nr. 6 RV gestützten Vergütungsanspruch - nicht auf Gegenforderungen anderer Konzerngesellschaften zurückgreift, sondern mit einem eigenen Anspruch die Aufrechnung gegenüber der Klageforderung erklärt, begründet nicht die Zulässigkeit der in Rede stehenden Aufrechnung. Zwar ist die Analogie zu § 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO für die hier gegebene Fallgestaltung ausgeschlossen, weil diese Vorschrift den Erwerb einer fremden Forderung voraussetzt. Ebenso wie die Aufrechnung auf Grund der Konzernverrechnungsklausel mit einer fremden Forderung dem Rechtsgedanken des § 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO zuwiderläuft, ist jedoch in der Aufrechnung mit einer eigenen Forderung gegen eine fremde Schuld ein Widerspruch zur Wertung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu sehen (v. Olshausen ZInsO 2004, 1229; Schwahn NJW 2005, 473, 474). In beiden Fällen wird die Aufrechnungslage unter Bezugnahme auf die Konzernverrechnungsklausel erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens hergestellt. Dies rechtfertigt eine Gleichbehandlung.

c) Der Bestand der Kaufpreisforderung wurde durch Leistungen der MIAG auf das Delkredere-Verhältnis nicht berührt. Der Bürge kann durch Aufrechnung mit einer eigenen Forderung nicht die Hauptschuld, sondern nur die Bürgschaftsschuld tilgen (BGHZ 24, 97, 98). Ein wirksames Erlöschen der Delkredere-Verpflichtung, mit der zugleich die Hauptforderung auf den aus dem Delkredere-Verhältnis Haftenden überginge, kommt aber nicht in Betracht. Die Vergütungsansprüche der MIAG wurden nach Nr. 6 RV, worauf die Revision zutreffend hingewiesen hat, erst bei Rechnungsregulierung fällig. Diese ist aber nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erst nach Insolvenzeröffnung erfolgt, so dass einer Aufrechnung insoweit § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO entgegenstünde (vgl. MünchKomm-InsO/Brandes, § 95 Rn. 5 f).

d) Die von der Revisionserwiderung aufgezeigten weiteren Umstände gebieten es gleichfalls nicht, die angeführten Senatsgrundsätze, nach denen Konzernverrechnungsklauseln keine Insolvenzbeständigkeit zukommt, bei der vorliegenden Fallgestaltung einzuschränken.

aa) Dies gilt insbesondere für die Bündelung der einzelnen Rechtsverhältnisse zwischen der Schuldnerin und den jeweiligen Anschlussunternehmen durch die der MIAG übertragene Zentralregulierung. Diese änderte nichts daran, dass die Hauptverträge allein zwischen der Schuldnerin und den verschiedenen Anschlussunternehmen zustande kamen. Die MIAG ist in diese Vertragsverhältnisse nicht eingetreten. Daher kann sie rechtlich nicht besser stehen als jedes andere Unternehmen, das sich auf eine Konzernverrechnungsklausel beruft. Auch eine allein aus der Zentralregulierung abgeleitete Vorzugsstellung widerspräche dem - durch die Vorschriften der §§ 95, 96 InsO geschützten - Interesse einer gleichmäßigen Befriedigung der Insolvenzgläubiger (vgl. BGHZ 160, 107, 110).

bb) Nicht gefolgt werden kann ferner der Ansicht der Revisionserwiderung, für die Käuferseite sei die Vereinbarung einer Konzernverrechnungsklausel die einzige Möglichkeit, etwaige Ansprüche wirksam abzusichern. Auch bei der hier gegebenen Fallgestaltung ist die Stellung allgemeiner Sicherheiten möglich, so dass ein gesondertes Sicherungsinteresse ausscheidet. Die Erwägung, dass der Schuldner in Fällen, in denen die Insolvenz absehbar ist, von der Zusendung von Rechnungen absehen und bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuwarten könnte, erscheint im Hinblick auf dessen finanzielle Bedürfnisse fernliegend. Hinzukommt, dass die fehlende Rechnungsstellung bei Kaufpreisansprüchen, gegen die hier eine Aufrechnung in Betracht zu ziehen ist, die Aufrechnungsmöglichkeit nicht entfallen lässt, weil für eine wirksame Aufrechnung nur die Erfüllbarkeit der Hauptforderung erforderlich ist (Palandt/Grüneberg, aaO, § 387 Rn. 12).

4. Danach sind die nach Insolvenzverfahrenseröffnung erklärten Aufrechnungen analog § 96 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 InsO unzulässig. Sie haben nicht zum Erlöschen der vom Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellten und von der Revision nicht angegriffenen Klageforderung in Höhe von 11.557,12 € geführt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BB 2006 S. 2040 Nr. 38
DB 2006 S. 2007 Nr. 37
DStZ 2006 S. 747 Nr. 21
NJW 2006 S. 3631 Nr. 50
StuB-Bilanzreport Nr. 3/2007 S. 122
WM 2006 S. 1782 Nr. 37
ZIP 2006 S. 1740 Nr. 37
PAAAC-15957

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja