Leitsatz
Stellt der Arbeitgeber nach der gesetzlichen Begründung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 9 Abs. 2 BPersVG beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf Feststellung, dass ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit nicht begründet worden ist, so ist dieses Begehren als Auflösungsantrag gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BPersVG auszulegen, wenn in der Antragsbegründung ausschließlich die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung geltend gemacht wird.
Gesetze: BPersVG § 9
Instanzenzug: VG Kassel VG 23 L 1771/04 vom VGH Kassel VGH 22 TL 2190/05 vom Fachpresse: nein BVerwGE: ja
Gründe
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch den Verwaltungsgerichtshof gemäß § 111 Abs. 3 HePersVG i.V.m. § 92a Satz 1 ArbGG hat keinen Erfolg.
1. Die Divergenzrüge gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 2, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG greift nicht durch. Der angefochtene Beschluss weicht nicht von dem in der Beschwerdebegründung zitierten Senatsbeschluss vom - BVerwG 6 P 25.85 - (BVerwGE 78, 223 = Buchholz 250 § 9 BPersVG Nr. 5) ab.
Nach dieser Entscheidung kann, sobald die Fiktion des § 9 Abs. 2 BPersVG wirksam geworden, das Arbeitsverhältnis des Jugendvertreters also begründet ist, der Feststellungsantrag nach § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BPersVG angesichts seiner Zielsetzung, das Zustandekommen der Weiterbeschäftigung zu verhindern, nicht mehr gestellt werden. Es kommt dann nur noch der - innerhalb von zwei Wochen zu stellende - Auflösungsantrag nach § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BPersVG in Betracht. Wird über einen Feststellungsantrag bis zur Begründung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtskräftig entschieden, so wandelt er sich seinem Gegenstand nach in einen Auflösungsantrag um, ohne dass es einer förmlichen Antragsänderung bedarf (a.a.O. S. 226 bzw. S. 7 f.).
Diese Entscheidung enthält keine Aussage dazu, ob und unter welchen Umständen ein erst nach Begründung des gesetzlichen Arbeitsverhältnisses gemäß § 9 Abs. 2 BPersVG gestellter Antrag, "festzustellen, dass ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit nicht begründet worden ist", als Auflösungsbegehren im Sinne von § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BPersVG auszulegen ist. Nur um Auslegung ging es aber dem Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Zusammenhang, wie er ausdrücklich dargelegt hat (Beschlussabdruck S. 8 oben und S. 9 oben). Eine Aussage des Inhalts, dass sich in solchen Fällen der Feststellungsantrag "in einen Auflösungsantrag wandelt", trifft der angefochtene Beschluss entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 1 dagegen nicht. Zwar lehnt sich die fragliche Passage auf Seiten 7 ff. im Wesentlichen an Ausführungen des Senats und des Bundesarbeitsgerichts zum Verhältnis von Feststellungs- und Auflösungsantrag an. Ausführungen eines Gerichts verlieren ihren Charakter als Auslegung einer Willenserklärung jedoch nicht deswegen, weil sie bei der Erforschung des wahren Willens des Erklärenden auf zwingende Vorgaben formellen oder materiellen Rechts Rücksicht nehmen. Abgesehen davon können die fraglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs nicht isoliert betrachtet, sondern müssen in Bezug gesetzt werden zur Antragsbegründung, welche im angefochtenen Beschluss ihrem wesentlichen Inhalt nach wiedergegeben wird (Beschlussabdruck S. 2 f.). Jedenfalls kann von der Herleitung einer gesetzlichen Fiktion im Wege richterlicher Rechtsfortbildung durch den Verwaltungsgerichtshof keine Rede sein.
2. Die Grundsatzrüge gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
a) Für die unter B I 1 der Beschwerdebegründung aufgeworfene Rechtsfrage gilt dies schon deswegen, weil sich dem angefochtenen Beschluss - wie dargelegt - eine Aussage zur "Wandelung" des Feststellungsantrages nicht entnehmen lässt. Eine Frage, die sich der Vorinstanz nicht gestellt hat, vermag einer Grundsatzrüge regelmäßig - und so auch hier - nicht zum Erfolg zu verhelfen.
b) Hinsichtlich der unter B I 2 der Beschwerdebegründung aufgeworfenen Rechtsfrage ist die Grundsatzrüge ebenfalls schon deswegen unbegründet, weil der angefochtene Beschluss keine Aussage des Inhalts enthält, dass ein nach Zustandekommen des gesetzlichen Arbeitsverhältnisses gestellter Feststellungsantrag "stets" als Auflösungsantrag auszulegen ist. Vielmehr bezieht sich die Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs auf den vorliegenden Antrag und seine Begründung.
Dem Beteiligten zu 1 ist allerdings zuzugeben, dass dieser Aussage eine generalisierende Tendenz innewohnt. Ersichtlich will der Verwaltungsgerichtshof den vorliegenden Antrag ebenso wie Feststellungsanträge in vergleichbaren Fällen als Auflösungsbegehren nach § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BPersVG gewertet wissen. Typischer Inhalt eines solchen Begehrens ist, dass der Antragsteller einerseits noch nach Eintritt der Fiktion des § 9 Abs. 2 BPersVG einen auf Nichtbegründung eines Arbeitsverhältnisses gerichteten Feststellungsantrag formuliert, andererseits aber in der Antragsbegründung die Voraussetzungen für die Begründung des Arbeitsverhältnisses nicht leugnet, sondern ausschließlich zur Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung vorträgt. Soweit die Grundsatzrüge auch diese Fragestellung umfasst, greift sie ebenfalls nicht durch. Denn die vom Verwaltungsgerichtshof für diese typische Konstellation vorgenommene Auslegung ist beim gegenwärtig erreichten Stand der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 9 BPersVG bzw. § 78a BetrVG offensichtlich zutreffend, sodass es der Klärung in einem Rechtsbeschwerdeverfahren nicht bedarf.
Der Verwaltungsgerichtshof hat hier unausgesprochen die auch für Prozesshandlungen vor den Verwaltungsgerichten gültige Regel des § 133 BGB zugrunde gelegt, wonach bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften ist. Demgemäß hat sich die Auslegung der Anträge im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren, von deren Wortlaut ausgehend, am Anlass des Streits der Beteiligten und an dem zu seiner Begründung Vorgetragenen auszurichten (vgl. BVerwG 6 P 8.89 - Buchholz 251.2 § 12 BlnPersVG Nr. 1 S. 2). Bei Anwendung dieser Maßstäbe auf die hier vorliegende Konstellation können keine ernsthaften Zweifel daran bestehen, dass das streitige Begehren als Auflösungsantrag gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BPersVG auszulegen ist.
Nach dem Sinn der gesetzlichen Regelung knüpfen beide Alternativen des § 9 Abs. 4 BPersVG an denselben Vorgang an, nämlich die Überleitung des Weiterbeschäftigungsberechtigten vom Berufsausbildungsverhältnis in das durch die gesetzliche Fiktion des § 9 Abs. 2 BPersVG begründete Arbeitsverhältnis, und zielen übereinstimmend darauf ab, den Arbeitgeber von der Erfüllung des Weiterbeschäftigungsanspruchs von vornherein, jedenfalls aber alsbald freizustellen, wenn ihm die Weiterbeschäftigung nicht zuzumuten ist (vgl. Beschluss vom a.a.O. S. 225 bzw. S. 7; ebenso zu § 78a BetrVG: - BAGE 63, 319 <325>).
Beide Antragsalternativen des § 9 Abs. 4 Satz 1 BPersVG unterscheiden sich demnach nur unter zeitlichen Aspekten. Solange das Berufsausbildungsverhältnis noch nicht beendet ist, steht dem Arbeitgeber der Feststellungsantrag nach § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BPersVG zu Gebote, welcher das Zustandekommen des Arbeitsverhältnisses verhindert, sofern die stattgebende gerichtliche Entscheidung noch vor Eintritt der Fiktion des § 9 Abs. 2 BPersVG in Rechtskraft erwächst. Nach der gesetzlichen Begründung des Arbeitsverhältnisses verbleibt dem Arbeitgeber nur noch der Auflösungsantrag gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BPersVG; die stattgebende gerichtliche Entscheidung löst mit dem Eintritt ihrer Rechtskraft das Arbeitsverhältnis mit dem Jugendvertreter auf (vgl. Beschlüsse vom - BVerwG 6 P 42.93 - Buchholz 251.5 § 65 HePersVG Nr. 1 und vom - BVerwG 6 PB 2.06 - Rn. 6 m.w.N.).
Die beschriebenen Zusammenhänge haben die bereits oben erwähnte Konsequenz, dass der vor Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses gestellte Feststellungsantrag mit diesem Ereignis und dem zeitgleichen Eintritt der Fiktion nach § 9 Abs. 2 BPersVG sich in den Auflösungsantrag umwandelt (vgl. BVerwG 6 P 11.03 - BVerwGE 119, 270 <272> = Buchholz 250 § 9 BPersVG Nr. 23 S. 24 m.w.N.). Selbst eine dem Feststellungsantrag im Ausspruch stattgebende gerichtliche Entscheidung, die erst nach Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses rechtskräftig wird, führt rechtsgestaltend die Auflösung des zwischenzeitlich nach § 9 Abs. 2 BPersVG begründeten Arbeitsverhältnisses mit Wirkung für die Zukunft herbei (vgl. Beschluss vom a.a.O. S. 227 bzw. S. 9; a.a.O. S. 330). Sogar in den Fällen, in denen ein rechtskräftiger stattgebender, dem Wortlaut von § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BPersVG entsprechender Beschluss noch nach Abschluss der Berufsausbildung ergangen ist, handelt es sich der Sache nach um einen rechtsgestaltenden Auflösungsbeschluss, der Grundlage einer Lohnnachzahlung für die Zeit zwischen Abschlussprüfung und Auflösung des gesetzlich begründeten Arbeitsverhältnisses sein kann (vgl. - AP Nr. 24 zu § 78a BetrVG 1972).
Angesichts der beschriebenen Zusammenhänge ist ein nach Begründung des gesetzlichen Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 2 BPersVG gestellter Antrag des Arbeitgebers auf Feststellung, dass ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit nicht begründet worden ist, der Auslegung als Auflösungsantrag nach § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BPersVG zugänglich. Als Feststellungsantrag im Sinne von § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BPersVG kann er sein Ziel zu diesem Zeitpunkt offensichtlich nicht mehr erreichen. Ein solcher Antrag ist als Auflösungsbegehren zu werten, wenn zu seiner Begründung ausschließlich die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung geltend gemacht wird, die Voraussetzungen für die gesetzliche Begründung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 2 BPersVG - namentlich Mitgliedschaft in der Jugend- und Auszubildendenvertretung während eines Ausbildungsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 BPersVG, Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses durch Bestehen der Abschlussprüfung, rechtzeitige Geltendmachung des Weiterbeschäftigungsverlanges - dagegen nicht in Abrede gestellt werden. Den Arbeitgeber in einem derartigen Fall am bloßen Wortlaut des Feststellungsantrages festzuhalten und diesen folgerichtig als unzulässig abzuweisen, wäre ein sachlich nicht zu rechtfertigender Formalismus.
Eine andere Sichtweise ergibt sich auch nicht, wenn auf den Empfängerhorizont des betroffenen Jugendvertreters und auf den mit der Regelung in § 9 Abs. 4 BPersVG verfolgten Schutzzweck abgestellt wird. Das Fristerfordernis in § 9 Abs. 4 Satz 1 BPersVG erfüllt eine Signalfunktion. Spätestens zwei Wochen nach Beendigung seines Ausbildungsverhältnisses soll der betroffene Jugendvertreter Sicherheit über die verantwortlich entschiedene Absicht seines Arbeitgebers haben. Hierdurch wird ihm die Möglichkeit gegeben, frühzeitig einen neuen Arbeitsplatz zu suchen (vgl. Beschluss vom 1. Dezember 2003 a.a.O. S. 277 bzw. S. 29). Beim Jugendvertreter können aber in einem Fall wie dem vorliegenden keine ernsthaften Zweifel darüber aufkommen, dass er um den Erhalt seines Arbeitsplatzes vor Gericht kämpfen muss, sodass es für ihn angesichts des Prozessrisikos nahe liegen wird, sich parallel zum laufenden Verfahren vorsorglich um einen alternativen Arbeitsplatz zu bemühen (vgl. BVerwG 6 P 21.94 - BVerwGE 102, 106 <111> = Buchholz 250 § 9 BPersVG Nr. 17 S. 33).
Eine abweichende Beurteilung kann geboten sein, wenn vom Arbeitgeber auch oder in erster Linie geltend gemacht wird, dass die Fiktion des § 9 Abs. 2 BPersVG nicht eingetreten ist. Ein derartiges Feststellungsbegehren, welches von dem Antrag nach § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BPersVG verschieden ist, ist ebenfalls im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren zu verfolgen (vgl. Beschluss vom a.a.O. S. 108 ff. bzw. S. 31 f.; anders zum Betriebsverfassungsrecht: a.a.O. S. 331 ff.; mit gegenteiliger Neigung nunmehr: Beschluss vom a.a.O. Bl. 1044). Anhaltspunkte für ein derartiges Begehren hat der Verwaltungsgerichtshof hier indes der Antragsbegründung zu Recht nicht entnommen.
Fundstelle(n):
QAAAC-15922