Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: SGB V § 34 Abs 1 Satz 7; SGB V § 34 Abs 1 Satz 8
Instanzenzug:
Gründe
I
Die Beteiligten streiten über die Versorgung mit Caverject wegen erektiler Dysfunktion.
Der 1965 geborene, bei der beklagten Betriebskrankenkasse versicherte Kläger leidet an einer erektilen Dysfunktion auf somatischer Grundlage. Die Beklagte gewährte ihm deshalb seit Oktober 2000 eine Schwellkörper-Autoinjektions-Therapie mit Caverject (sog SKAT) im Kostenerstattungswege. Anlässlich der letzten Kostenerstattung für das Jahr 2003 lehnte die Beklagte für die Zukunft die weitere Kostenübernahme ab, da die Neufassung von § 34 Abs 1 Satz 7 und 8 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) idF durch Art 1 Nr 22 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz <GMG> vom , BGBl I 2190) dieses Arzneimittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gestrichen habe. Zugleich hob sie vorsorglich den Bescheid vom , mit dem dem Kläger eine Kostenzusage erteilt worden war, nach § 48 Abs 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) mit Wirkung für die Zukunft auf (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ).
Klage (Urteil vom ) und Berufung des Klägers, mit der er die Übernahme der Kosten für seine Behandlung mit dem Medikament "Caverject" im Jahre 2004 in Höhe von 515,25 € und Versorgung mit diesem Mittel für die Zukunft begehrte, sind ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat ausgeführt, § 34 Abs 1 Satz 7, 8 und 9 SGB V in Verbindung mit den Arzneimittel-Richtlinien (AMRL) schließe den Anspruch des Klägers auf Versorgung mit Caverject wegen der somatisch begründeten erektilen Dysfunktion aus (Urteil vom ).
Mit seiner Revision rügt der Kläger sinngemäß die Verletzung des § 34 Abs 1 Satz 7 und 8 SGB V und trägt vor, die Regelung habe lediglich Arzneimittel aus der Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausschließen sollen, die letztlich dem Ausgleich einer Willensschwäche der betroffenen Personen dienten. Für die Behandlung seiner somatischen Fehlfunktion könne die Rechtsnorm dagegen nicht herangezogen werden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom und das Urteil des Sozialgerichts Köln vom zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom zu verurteilen, die Kosten für die Behandlung des Klägers mit dem Medikament Caverject 20 über den hinaus zu übernehmen,
hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
II
Die zulässige Revision, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) entscheidet, ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts zurückgewiesen, denn der Kläger hat - soweit dies im Streit steht - keinen Anspruch auf die Behandlung seiner erektilen Dysfunktion mit Caverject ab dem Jahr 2004 und keinen Kostenerstattungsanspruch für diese Behandlung. Das folgt aus gesetzlichem und untergesetzlichem Recht ohne Widerspruch zum Grundgesetz (GG).
1. Es bedarf keiner Entscheidung, ob das Begehren des Klägers dahin auszulegen ist, dass es nur für die Vergangenheit auf die Erstattung der selbst aufgewandten Kosten für Caverject gerichtet ist, für die Zukunft aber in erster Linie auf die Gewährung des Arzneimittels als Sachleistung, oder ob der Kläger entsprechend der wörtlichen Fassung seines Antrags auch für die Zukunft Kostenerstattung begehrt. Der einzig in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch (§ 13 Abs 3 Satz 1 SGB V in der seit geltenden Fassung von Art 5 Nr 7 Buchst b Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - vom , BGBl I 1046) reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl zB BSGE 79, 125, 126 f = SozR 3-2500 § 13 Nr 11 S 51 f mwN; BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1 jeweils RdNr 10 Visudyne(r); zuletzt Senatsurteil vom - B 1 KR 12/05 R - zur Veröffentlichung vorgesehen, RdNr 14). Daran fehlt es. Deshalb konnte die Beklagte auch vorsorglich den Bescheid vom mit Wirkung für die Zukunft aufheben, um einen hieraus abzuleitenden etwaigen Rechtsschein wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse zu beseitigen (§ 48 Abs 1 Satz 1 SGB X).
2. Nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 1. Fall SGB V). Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V ausgeschlossen sind (§ 31 Abs 1 Satz 1 SGB V). Nach § 34 Abs 1 Satz 7 SGB V sind von der Versorgung Arzneimittel ausgeschlossen, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht. Ausgeschlossen sind insbesondere Arzneimittel, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, der Anreizung sowie Steigerung der sexuellen Potenz, zur Raucherentwöhnung, zur Abmagerung oder zur Zügelung des Appetits, zur Regulierung des Körpergewichts oder zur Verbesserung des Haarwuchses dienen (§ 34 Abs 1 Satz 8 SGB V). Das nähere regeln die Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 (§ 34 Abs 1 Satz 9 SGB V). Die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (im Folgenden: Bundesausschuss) über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (AMRL) wiederholen unter Buchst F 18.2 den Text des § 34 Abs 1 Satz 8 SGB V (AMRL idF vom , BAnz Nr 77 vom ). Nach F 18.3 AMRL sind die nach Nr 18.2 ausgeschlossenen Fertigarzneimittel in einer Übersicht als Anl 8 der AMRL zusammengestellt. In dieser Übersicht ist das Fertigarzneimittel Caverject (Wirkstoffe G 04 BE 01 Alprostadil) aufgeführt.
Nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Regelungssystem und -zweck unterliegt keinem Zweifel, dass Caverject als Arzneimittel, das nach den nicht angegriffenen und damit für den Senat bindenden (§ 163 SGG), sich aus dem Gesamtzusammenhang ergebenden Feststellungen des LSG überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion dient, von der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen ist. Mit der Regelung in § 34 Abs 1 Satz 7 bis 9 SGB V wollte der Gesetzgeber klarstellen, dass die betreffenden Arzneimittel, die bereits vor Inkrafttreten des GMG nach den AMRL des Bundesausschusses von der Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen waren, nicht Gegenstand des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung sind (vgl BT-Drucks 15/1525, Begründung zum Entwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen eines GMG, S 86). Klarstellungsbedürfnis bestand, weil nach der auch vom Gesetzgeber zitierten (vgl BT-Drucks 15/1525, S 87) Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bis zum Inkrafttreten des GMG davon auszugehen war, dass grundsätzlich die Behandlung der ua auf somatischer Grundlage beruhenden erektilen Dysfunktion mit SKAT trotz der abweichenden Regelung in den AMRL zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehörte (vgl BSGE 85, 36 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11 - SKAT; BSGE 94, 302 = SozR 4-2500 § 34 Nr 2 - Viagra(r)). Danach hatte der Bundesausschuss durch den Ausschluss von Arzneimitteln zur Behandlung der erektilen Dysfunktion seinen ihm im Bereich des Wirtschaftlichkeitsgebotes zustehenden Beurteilungsspielraum oder seinen Kompetenzrahmen überschritten (vgl im Einzelnen Senat BSGE 94, 302 = SozR 4-2500 § 34 Nr 2 RdNr 15 ff mwN - Viagra(r)). Demgegenüber zielte Art 1 Nr 22 GMG mit der Einfügung der Sätze 7 bis 9 in § 34 Abs 1 SGB V darauf ab, sämtliche Arzneimittel, die überwiegend der Behandlung der erektilen Dysfunktion dienen, von der Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung auszuschließen (vgl Senat BSGE 94, 302 = SozR 4-2500 § 34 Nr 2 RdNr 24 - Viagra(r)).
3. Die dagegen erhobenen Einwendungen des Klägers greifen nicht durch: Der gezielte gesetzliche Ausschluss von Arzneimitteln wie Caverject zur Behandlung der erektilen Dysfunktion aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung lässt keinen Raum dafür, § 34 Abs 1 Satz 7 bis 9 SGB V teleologisch auf Fälle zu reduzieren, in denen Arzneimittel bei entsprechender Anspannung aller Willenskräfte nicht erforderlich sind. Gerade weil der Gesetzgeber den umfassenden Ausschluss der aufgeführten Arzneimittel sicherstellen wollte, hat er dies detailliert im Gesetz geregelt. Gemeinsam ist der Gruppe der danach ausgeschlossenen Arzneimittel, dass bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht (§ 34 Abs 1 Satz 7 SGB V). Auch aus der gegenüber Viagra abweichenden Applikationsform von SKAT (vgl dazu BSGE 85, 36 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11 - SKAT) kann der Kläger für sich nichts herleiten. Allenfalls stellte sich insoweit bis zur Neuregelung durch das GMG die Frage, ob unter Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts (vgl § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V) und der Pflicht der Krankenkassen und Leistungserbringer, durch geeignete Maßnahmen auf eine humane Krankenbehandlung ihrer Versicherten hinzuwirken (§ 70 Abs 2 SGB V), SKAT gegenüber etwa der Behandlungsalternative Viagra ausgeschlossen war (vgl insoweit näher Senat BSGE 94, 302 = SozR 4-2500 § 34 Nr 2 RdNr 21 mwN - Viagra(r)).
4. Nach der Rechtsprechung des Senats verstößt der Leistungsausschluss gemäß § 34 Abs 1 Satz 7 bis 9 SGB V nicht gegen Art 2 Abs 1 und 2 GG (vgl Senat BSGE 94, 302 = SozR 4-2500 § 34 Nr 2 RdNr 25 - Viagra(r)). Aus diesen Bestimmungen des GG folgt zwar eine objektiv-rechtliche Pflicht des Staates, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu schützen (vgl BVerfGE 85, 191, 212; 88, 203, 251; 90, 145, 195). Darüber hinaus ist verfassungsrechtlich grundsätzlich jedoch nur geboten, eine medizinische Versorgung für alle Bürger bereit zu halten. Dabei hat der Gesetzgeber aber einen so weiten Gestaltungsspielraum, dass sich originäre Leistungsansprüche aus Art 2 Abs 2 Satz 1 GG regelmäßig nicht ableiten lassen. Aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten (vgl BVerfGE 89, 120, 130) folgt jedenfalls kein grundrechtlicher Anspruch gegen seine Krankenkasse auf Bereitstellung oder Finanzierung bestimmter Gesundheitsleistungen (stRspr, vgl Bundesverfassungsgericht <BVerfG> - Kammer - NJW 1998, 1775 und NJW 1997, 3085; zur Grundrechtsrelevanz eines möglichen Systemversagens vgl BVerfG - Kammer - Beschluss vom - 1 BvR 131/04 - NZS 2004, 527 RdNr 8 f; jüngst BVerfG - 3. Kammer des 1. Senats - Beschluss vom - 1 BvR 817/06 - mwN). Der Gesetzgeber verletzt seinen Gestaltungsspielraum auch im Hinblick auf das Sozialstaatsgebot nicht, wenn er angesichts der beschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung Leistungen aus dem Leistungskatalog herausnimmt, die - wie hier - in erster Linie einer Steigerung der Lebensqualität jenseits lebensbedrohlicher Zustände dienen (vgl Senat BSGE 94, 302 = SozR 4-2500 § 34 Nr 2 RdNr 25 - Viagra(r)). Daran hat sich auch durch den , NZS 2006, 84 = NJW 2006, 891 = MedR 2006, 164) nichts Grundsätzliches geändert. Dort wurde lediglich der Leistungsausschluss neuer Behandlungsmethoden im Fall regelmäßig tödlicher oder lebensbedrohlicher Krankheiten beim Fehlen anerkannter Therapien in der gesetzlichen Krankenversicherung verfassungsrechtlich beanstandet (vgl auch ). Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats führen - im Einklang damit - selbst schwere Erkrankungen nicht zur Leistungsausweitung durch grundrechtsorientierte Auslegung, wenn keine notstandsähnliche Extremsituation zu Grunde liegt, die mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung auf eine Stufe gestellt werden kann (vgl dazu Senat, Urteil vom - B 1 KR 12/04 R - zur Veröffentlichung vorgesehen, mwN). Einen solchen Grad der Betroffenheit erreicht der Kläger mit der streitbefangenen Behandlung der erektilen Dysfunktion indes nicht.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
UAAAC-15883