Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StGB § 211 Abs. 2; StGB § 212 Abs. 1; StGB § 212 Abs. 2
Instanzenzug:
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags (in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen) in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe ohne Erlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt; von dem Anklagevorwurf eines weiteren tatmehrheitlichen Mordversuchs hat es ihn freigesprochen. Das Urteil wird mit Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin angefochten, die jeweils mit der Sachrüge geführt werden. Sämtliche Revisionen bleiben erfolglos.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der zur Tatzeit 48-jährige Angeklagte stammt aus einfachsten, sozial wenig stabilen Verhältnissen und hat weder Lesen noch Schreiben gelernt. Aufgrund seiner simplen Charakterprägung und seiner geringen Intelligenz (IQ 75) war der Angeklagte auf feste äußerliche Strukturen (Arbeit, Familie) fixiert. In der Ehe mit seiner zweiten Frau S. , einem der beiden späteren Tatopfer, wurden sieben Kinder geboren. Das Familienleben gestaltete sich äußerst problematisch. Beide Ehepartner waren nicht in der Lage, den Kindern Liebe und Geborgenheit zu vermitteln. Der Angeklagte war häufig jähzornig und schlug sowohl seine Frau als auch seine Kinder grundlos. Schon mehrfach hatte S. - bis auf einmal nur kurzzeitig - die Familie verlassen. Zuletzt verschwand sie im Oktober 2003 spurlos und ließ den zu dieser Zeit arbeitslosen Angeklagten und die Kinder alleine.
Der Angeklagte bemühte sich zwar, sein Leben und das der Kinder so weit wie möglich in Ordnung zu halten, war aber bald von dieser Aufgabe überfordert. Im November 2003 versuchte er, sich das Leben zu nehmen. Er wurde mit Hilfe einer seiner Töchter und zweier Nachbarn, darunter das zweite spätere Tatopfer H. , gerettet. Nach dem Selbsttötungsversuch des Angeklagten gelang es, Kontakt zu S. herzustellen, die Ende 2003 wieder in die gemeinsame Ehewohnung einzog und erreichte, dass der Angeklagte sich ihr und den Kindern zunächst nicht mehr nähern durfte. Nahezu zeitgleich zog der Zeuge B. , ein langjähriger Freund der Familie, zur Ehefrau des Angeklagten in die gemeinsame Ehewohnung. Der Angeklagte war sehr enttäuscht, gekränkt und verbittert; er fühlte sich - nach über 20 Jahren Ehe - "wie ein Stück Schrott, das aussortiert wird". Er verharrte aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur in einem Teufelskreis von tiefer Gekränktheit und dem Gefühl, jeglichen Wert verloren zu haben. Problemlösungen konnte er in seiner geistigen Unbeweglichkeit und charakterlichen Beschränktheit nicht finden. Er empfand große Wut und Hass auf seine Ehefrau und ihren neuen Partner. Trotz Verbesserung der äußeren Verhältnisse und des Kontakts zu den Kindern in den Folgemonaten entwickelte er - gefangen in stetigen Rachegedanken - schließlich den Plan, seine Ehefrau, B. und eventuell sich selbst zu erschießen. Anfang 2005 beschaffte sich der Angeklagte eine Pistole samt dazugehöriger Munition, ohne im Besitz der hierfür erforderlichen Erlaubnis zu sein.
Am Tattag, dem , hatten die getrennt lebenden Eheleute einen Termin beim Jugendamt, zu dem der Angeklagte seine Pistole mitnahm. Obgleich die Besprechung für ihn objektiv eher günstig verlief, war der Angeklagte sehr angespannt; er wurde laut, beschimpfte seine Frau und warf ihr vor, dass sie alles tun würde, damit er nicht die Kinder bekomme. Nach dem Gespräch lehnte der Angeklagte das Angebot eines Beamten, ihn mit dem Auto mitzunehmen, mit dem unzutreffenden Einwand ab, er sei mit dem Fahrrad unterwegs. S. machte sich mit B. und H. - den sie als Nachbarn wie B. zum Schutz vor dem Angeklagten zu dem Termin mitgenommen hatte - zu Fuß auf den Heimweg. Der Angeklagte folgte ihnen. Die drei Personen wechselten verängstigt die Straßenseite. Der Angeklagte verfolgte sie weiter und beschimpfte sie unflätig. Hiervon ließen sich die drei allerdings nicht provozieren, sondern gingen stumm weiter. Dies wirkte auf den unverändert gewaltbereiten, rachsüchtigen und tief gekränkten Angeklagten wie eine Verhöhnung, weil er sich durch diese Vorgehensweise von der gesamten Gruppe ausgeschlossen fühlte. Er zog seine Waffe und lud sie laut vernehmlich durch, wobei er eine Patrone verlor; dies bemerkte B. , der jedoch, ohne zu reagieren, weiterlief. Auch als der Angeklagte zwei Warnschüsse abgab, reagierte die Gruppe nicht.
In dieser Situation entschloss sich der Angeklagte, der sich nicht ernst genommen fühlte, seine Waffe gezielt gegen die drei Menschen vor ihm einzusetzen. Hierfür waren Gefühle wie Wut, Hass, Rache, Enttäuschung und die tiefe Kränkung über die Trennung entscheidend, wobei keines der Gefühle besonders bestimmend war. Der Angeklagte erschoss zunächst H. , den er, als dieser sich gerade umdrehte, aus höchstens fünf Metern Entfernung mit einem Schuss tödlich in die Stirnmitte traf. Anschließend erschoss der Angeklagte seine Ehefrau, auf die er insgesamt vier Schüsse abgab, zuletzt einen tödlichen Kopfschuss aus einem Meter Entfernung auf das am Boden liegende Opfer. Währenddessen war B. weitergelaufen und hatte ein Auto angehalten. Obwohl die Munition des Angeklagten noch nicht aufgebraucht war und er auch in dieser Situation noch auf B. hätte schießen können, nahm er nunmehr von seinem Entschluss Abstand, alle drei Personen der Gruppe zu töten.
Zwei Stunden später stellte sich der Angeklagte, der einen gehetzten, wenig später zeitweise tief erschütterten Eindruck machte, der Polizei.
Das Landgericht hat die Tötung von H. und S. als tateinheitliches Delikt des Totschlags gewertet und die Annahme niedriger Beweggründe maßgeblich unter Hinweis auf die besondere Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten abgelehnt. Hinsichtlich des Zeugen B. hat das Landgericht einen freiwilligen Rücktritt vom Versuch des Totschlags angenommen.
II.
Die Revisionen bleiben erfolglos.
1. Die Revision des Angeklagten deckt keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil auf. Die Überzeugung des Schwurgerichts vom Tötungsvorsatz des Angeklagten bei dem Schuss auf H. unterliegt angesichts der zur Schussentfernung, zur Zielrichtung und zum weiteren Tatablauf rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ersichtlich keinen rechtlichen Bedenken.
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die Ablehnung von Mord aus niedrigen Beweggründen, die Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses und der Teilfreispruch wegen Annahme eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch der Tötung B. beanstandet werden, ist unbegründet.
a) Wie die Bundesanwaltschaft zutreffend ausgeführt hat, ist die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts betreffend B. ersichtlich rechtsfehlerfrei. Nach den nicht zu beanstandenden Urteilsfeststellungen nahm der Angeklagte insoweit aus freien Stücken, ohne an einer weiteren Tötungshandlung gehindert zu sein, von der Tatbegehung Abstand.
Die Annahme von Tateinheit ist auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen hinnehmbar (vgl. auch BGH NStZ 2006, 167, 169).
b) Die Revision der Staatsanwaltschaft wird von der Bundesanwaltschaft insoweit vertreten, als damit beanstandet wird, das Landgericht habe das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe zu Unrecht abgelehnt. Allein dieser Einwand bedarf näherer Erörterung, er greift indes ebenfalls nicht durch. Neben der Ablehnung anderer Mordmerkmale, deren Voraussetzungen nicht feststellbar waren (Heimtücke, Ermöglichung einer anderen Straftat), erweist sich auch die Verneinung niedriger Beweggründe letztlich nicht als rechtsfehlerhaft.
aa) Beweggründe sind im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat "niedrig" sind und - in deutlich weiter reichendem Maße als bei einem Totschlag - als verachtenswert erscheinen, hat aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse des Täters und seiner Persönlichkeit zu erfolgen (vgl. BGHSt 47, 128, 130 m.w.N.). Bei einer Tötung aus Wut, Ärger, Hass oder Rache kommt es darauf an, ob diese Antriebsregungen ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen (st. Rspr.; vgl. nur BGH aaO; BGH NJW 2006, 1008, 1011 m.w.N.).
Bei den hier zu treffenden Wertungen steht dem Tatrichter ein Beurteilungsspielraum zu, den das Revisionsgericht nicht durch eigene Erwägungen ausfüllen kann. Hat der Tatrichter die genannten Maßstäbe erkannt und den Sachverhalt vollständig gewürdigt, ist dies auch dann nicht zu beanstanden, wenn ein anderes Ergebnis möglich oder gar näher liegend gewesen wäre (vgl. , insoweit in BGHR StGB § 211 Abs. 1 Strafmilderung 7 nicht abgedruckt; BGH NStZ 2006, 284, 285; Altvater NStZ 2006, 86, 89).
In subjektiver Hinsicht muss hinzukommen, dass der Täter die Umstände, die die Niedrigkeit seiner Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung ins Bewusstsein aufgenommen hat und, soweit gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen in Betracht kommen, diese gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern kann. Dies ist nicht der Fall, wenn der Täter außerstande ist, sich von seinen gefühlsmäßigen und triebhaften Regungen freizumachen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 26 m.w.N.). Der genannte tatgerichtliche Beurteilungsspielraum gilt auch für die Bewertungen im Zusammenhang mit den subjektiven Anforderungen an das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe, die mit den objektiven Kriterien in engstem Zusammenhang stehen.
bb) Danach ist die Ablehnung niedriger Beweggründe aus revisionsgerichtlicher Sicht nicht zu beanstanden:
Das Schwurgericht hat sämtliche Umstände der Tat, der Persön-lichkeit des Angeklagten und seiner Lebensverhältnisse umfänglich dargestellt und gewürdigt. Ausführlich hat das Schwurgericht insbesondere die ins Auge springenden Besonderheiten in der Persönlichkeit des Angeklagten herausgestellt, der aufgrund seiner sehr niedrigen Intelligenz und seiner einfachen Persönlichkeitsstruktur, die ihm differenziertere, namentlich selbstkritische Erwägungen verschloss, die Trennung seiner Frau als besonders tiefe Kränkung empfunden hat, von der er sich persönlichkeitsbedingt nicht mehr freimachen konnte.
(1) Bei dem Tatopfer S. hat das Schwurgericht erkennbar bedacht, dass nicht jede Tötung, die geschieht, weil sich der Ehepartner vom Täter abwenden will oder abgewandt hat, zwangsläufig auf niedrigen Beweggründen beruht. Vielmehr können in einem solchen Fall - wie hier - tatauslösend und tatbestimmend auch Gefühle der Verzweiflung und der inneren Ausweglosigkeit sein, die eine Bewertung als "niedrig" im Sinne der Mordqualifikation namentlich dann fraglich erscheinen lassen können, wenn die Trennung von dem Tatopfer ausgegangen ist und der Täter durch die Tat sich dessen beraubt, was er eigentlich nicht verlieren will (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 32; BGH NStZ 2004, 34 m.w.N.).
Die Erwägungen des Schwurgerichts sind in diesem Zusammenhang - entgegen der Auffassung der Bundesanwaltschaft - auch nicht lückenhaft. Dass das Schwurgericht, wie die Bundesanwaltschaft meint, bei seiner Gesamtwürdigung nicht bedacht haben könnte, dass der Jähzorn und die Gewalttätigkeit des Angeklagten seine Ehefrau zur Trennung veranlasst haben, ist schon angesichts der mehrfachen Erwähnung dieser Umstände in den Urteilsgründen ausgeschlossen. Diesen Zusammenhang zu erkennen und selbstkritisch zu würdigen, war der Angeklagte aufgrund seiner Charakterprägung außer Stande. Dies könnte ihm namentlich deshalb auch nicht als schuldhafte Gedankenlosigkeit und Gleichgültigkeit angelastet werden, weil die Begleitumstände der Trennung wie die vorangegangener Trennungen nach den getroffenen Feststellungen schon objektiv zwar ein primäres, nicht indes ein alleiniges Verschulden des Angeklagten an der familiären Zerrüttung belegen.
(2) Bei dem Tatopfer H. hat das Schwurgericht nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entscheidend darauf abgestellt, dass die Motivation des Angeklagten zur Tötung aller drei von ihm Verfolgten auf diffusen Gefühlen der Wut, des Hasses, der Rache, der Enttäuschung und der tiefen Kränkung infolge der Trennung seiner Ehefrau und darauf beruhte, dass der Angeklagte alle drei als eine ihn ausschließende Gemeinschaft wahrgenommen hat, von der er sich zudem verhöhnt wähnte (vgl. UA S. 14). Nach den vom Schwurgericht als glaubhaft angesehenen spontanen Angaben des Angeklagten zu seinem Tatmotiv (UA S. 17) liegt es angesichts der beschriebenen Persönlichkeitsstruktur des jähzornigen Angeklagten zudem fern, dass er die ihn in diesem Moment bestimmenden gefühlsmäßigen Regungen gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern konnte. Der latente Tötungsplan des Angeklagten, der durch den Erwerb und das Mitführen der Tatwaffe und die gezielte Verfolgung der verhassten Opfer belegt wird, ändert angesichts seiner gravierenden, auch von fremd- und selbstzerstörerischen Elementen geprägten Persönlichkeitsdefekte die Beurteilung nicht maßgeblich.
Soweit die Bundesanwaltschaft demgegenüber die besondere Sinnlosigkeit der situativen Verärgerung des Angeklagten über die drei von ihm verfolgten Personen und das Fehlen eines vernünftigen Grundes für die Tötung von H. als Beleg für ein als niedrig zu bewertendes Tötungsmotiv herausstellt, trägt sie mit solchen letztlich normativen Erwägungen den in der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten angelegten Besonderheiten der Tatentstehung und Tatbegehung nicht ausreichend Rechnung, die das Schwurgericht ohne Erörterungsmängel oder Wertungsfehler vertretbar in den Mittelpunkt seiner Bewertung gestellt hat. Die unter maßgeblicher Berücksichtigung der beschränkten Sicht des Angeklagten vorgenommene Bewertung auch dieser Tat als von ihm empfundene Verzweiflungstat und nicht als Aktion aus schlechterdings nicht nachzuvollziehendem, nur noch verachtenswertem Hass liegt innerhalb der Grenzen des Beurteilungsspielraums des Tatgerichts, den das Revisionsgericht hinzunehmen hat, wenngleich eine andere Beurteilung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe bei der Tötung des H. , des früheren Lebensretters des Angeklagten, ebenfalls vertretbar gewesen wäre und namentlich angesichts einer gewissen Vorplanung der Tat sogar näher gelegen hätte.
c) Schließlich ist die Verhängung der Höchststrafe aus dem Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB bei gleichzeitiger Verwerfung einer Anwendung des § 212 Abs. 2 StGB aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
3. Die Revision der Nebenklägerin ist nur insoweit zulässig, als die Nebenklägerin die Nichtannahme eines Mordmerkmals bei der Tötung ihrer Mutter S. rügt (vgl. § 400 Abs. 1 StPO). In diesem Umfang bleibt die Revision aus den genannten Gründen in der Sache ohne Erfolg.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
RAAAC-15858
1Nachschlagewerk: nein