Leitsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: RVO § 551 Abs 1; SGB VII § 9 Abs 1; BK Nr 2108
Instanzenzug:
Gründe
I
Der Kläger begehrt von der beklagten Berufsgenossenschaft die Anerkennung seiner Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit (BK) und die Gewährung einer Verletztenrente.
Der im Jahre 1938 geborene Kläger war seit dem Jahre 1958 als Maler und seit dem Jahre 1968 bis zur Betriebsaufgabe im Jahre 1997 als selbstständiger Malermeister tätig und bei der Beklagten gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten versichert. Nach einer ersten Bandscheibenoperation im Bereich der Lendenwirbelkörper 4/5 im Jahre 1980 beantragte der Kläger wegen rezidivierender Lumboischialgien am die Feststellung einer BK. Die Beklagte lehnte die Anerkennung einer BK nach Nr 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) und die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab, weil der Kläger nur im geringen Umfang, nicht aber wenigstens während eines Drittels der täglichen Arbeitszeit lendenwirbelsäulenbelastende Tätigkeiten ausgeübt habe (Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom ).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom ). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom ) und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Voraussetzung für die Anerkennung einer BK Nr 2108 sei nach dem Übergangsrecht, dass der Versicherungsfall erst nach dem eingetreten sei. Bei BKen mit Unterlassungszwang müssten zum Eintritt des Versicherungsfalles alle gefährdenden Tätigkeiten aufgegeben worden sein. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe sei der Versicherungsfall beim Kläger nicht bereits mit dem Bandscheibenvorfall im Jahre 1980 eingetreten, aber auch nicht erst mit der Betriebsaufgabe im Jahre 1997. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass der Kläger aufgrund seiner gesundheitlichen Probleme im Jahre 1982 seinen Betrieb von damals etwa 15 Mitarbeitern schrittweise verkleinert habe und er selbst hauptsächlich mit Verputzarbeiten befasst gewesen sei. Die eigentlichen lendenwirbelsäulengefährdenden Tätigkeiten seien zumeist nicht vom Kläger, sondern seinen Mitarbeitern ausgeführt worden. Im Übrigen hat das LSG auf das Urteil des SG Bezug genommen, nach dessen Feststellungen der Kläger nach dem Stichtag zwar noch lendenwirbelsäulenbelastende Tätigkeiten, wie das Tragen von Säcken oder der Wanne mit Putz ausgeübt habe, nicht aber mit der als erforderlich angesehenen Regelmäßigkeit und Häufigkeit. Der Unterschied zu der Fallgestaltung im - B 2 U 34/99 R - SozR 3-5670 Anl 1 Nr 2108 Nr 2) ergebe sich daraus, dass der Versicherte dort auch noch nach dem Stichtag, wenngleich in geringerem Umfang weiterhin mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Häufigkeit Lastgewichten ausgesetzt gewesen sei. Vorliegend sei davon auszugehen, dass der Versicherungsfall schon vor dem eingetreten sei.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger inzident die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er macht geltend, er habe auch noch nach dem Stichtag lendenwirbelsäulengefährdend gearbeitet, wie sich aus der im Tatbestand des Urteils des LSG wiedergegebenen Stellungnahme des technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten ergebe. Nach dieser habe er in den Jahren 1969 bis 1997 zu 28,5 % seiner Arbeitszeit eine lendenwirbelsäulenbelastende Tätigkeit ausgeübt. Er habe auch noch nach dem Stichtag, wenn auch nicht mehr in dem Umfang wie früher, Lasten gehoben und getragen. Dies habe dann im Jahre 1997 zu einer Verschlimmerung seiner Erkrankung und der Betriebsaufgabe geführt. Von der im dem geforderten vollständigen Aufgabe der belastenden Tätigkeiten könne bei ihm vor dem Stichtag keine Rede sein. Das LSG hätte ausführen müssen, wieso es dem Urteil des SG gefolgt sei, und hätte sich mit der Stellungnahme des TAD auseinander setzen müssen, zumal auch nach den Angaben der vom SG gehörten Zeugen er bis zum Jahre 1997 lendenwirbelsäulenbelastende Tätigkeiten ausgeübt habe. Dass es nicht auf eine Grenze von einem Drittel der täglichen Arbeitszeit für die lendenwirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten ankomme, ergebe sich ebenfalls aus dem .
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom und des Sozialgerichts Darmstadt vom sowie den Bescheid der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Anerkennung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit nach Nr 2108 der Anlage der Berufskrankheiten-Verordnung Rentenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG>).
II
Die Revision des Klägers ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Die vom LSG festgestellten Tatsachen reichen für eine abschließende Entscheidung über die vom Kläger geltend gemachte Anerkennung einer BK Nr 2108 und eine darauf beruhende Rentengewährung nicht aus.
In Abhängigkeit vom Zeitpunkt der noch zu treffenden Tatsachenfeststellungen kommen als Rechtsgrundlage für die umstrittene BK entweder der bis zum geltende § 551 Reichsversicherungsordnung (RVO) oder für die Zeit danach der ihn aufgrund des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes vom (BGBl I 1254) ablösende § 9 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) in Betracht, die sich aber hinsichtlich der hier relevanten Regelungsinhalte nicht unterscheiden. Denn die umstrittene BK Nr 2108 ist durch Art 1 Nr 4 der Zweiten Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung (2. ÄndVO) vom (BGBl I 2343) eingeführt und mit derselben Umschreibung in die Anlage der bis heute geltenden BKV übernommen worden. Ihre Umschreibung lautet: "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können".
Für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als BK Nr 2108 müssen folgende Tatbestandsmerkmale gegeben sein: Als Einwirkung ein langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule; diese muss nach der in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung durch die Einwirkung verursacht worden sein und zum Unterlassen aller gefährdenden Tätigkeiten gezwungen haben, die auch tatsächlich aufgegeben worden sein müssen. Weitere Voraussetzung ist, dass der Versicherungsfall erst nach dem Stichtag eingetreten ist (Art 2 Abs 2 2. ÄndVO; heute: § 6 Abs 3 BKV).
Der Versicherungsfall einer BK ist eingetreten, wenn alle Tatbestandsmerkmale des § 551 Abs 1 RVO bzw des § 9 Abs 1 SGB VII iVm der betreffenden Nummer der Anlage der BKV erfüllt sind (BSG SozR 2200 § 551 Nr 35; BSG SozR 3-5670 Anl 1 Nr 2108 Nr 2). Der bei der hier umstrittenen BK Nr 2108 sowie weiteren in der BKV genannten BKen geforderte Unterlassungszwang setzt in der Regel voraus, dass die Tätigkeiten, die zu der Erkrankung geführt haben, aus arbeitsmedizinischen Gründen nicht mehr ausgeübt werden sollen und der Versicherte die schädigende Tätigkeit und solche Tätigkeiten, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich sein können, tatsächlich aufgegeben hat, wobei es auf das Motiv des Versicherten nicht ankommt (stRspr s BSG SozR 3-5670 Anl 1 Nr 2108 Nr 2 mwN). Eine bloße Verminderung der Gefährdung genügt nicht (BSG aaO; BSG SozR 5670 Anl 1 Nr 4301 Nr 2).
Das LSG hat sein die Berufung zurückweisendes und damit die Klageabweisung des SG bestätigendes Urteil darauf gestützt, dass der Versicherungsfall schon vor dem eingetreten sei, weil der Kläger die eigentlichen lendenwirbelsäulengefährdenden Arbeiten danach zumeist nicht mehr ausgeübt habe. Dieser rechtlichen Wertung kann der Senat vor dem Hintergrund seiner bisherigen, oben dargestellten Rechtsprechung und insbesondere des Urteils vom (BSG SozR 3-5670 Anl 1 Nr 2108 Nr 2) nicht folgen. Denn in diesem ist klar ausgeführt, dass das Unterlassen der gefährdenden Tätigkeiten die Aufgabe aller gefährdenden Tätigkeiten voraussetzt und eine bloße Verringerung nicht ausreicht. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG hat der Kläger aber vor dem Stichtag nicht alle gefährdenden Tätigkeiten aufgegeben, sondern war hauptsächlich mit Verputzarbeiten befasst. Wenn auch die eigentlichen lendenwirbelsäulengefährdenden Arbeiten zumeist nicht vom Kläger, sondern seinen Mitarbeitern ausgeführt worden sind, so hat er selbst nach den Feststellungen des LSG bis zum Jahre 1997 lendenwirbelsäulengefährdend zumindest in einem bestimmten Maße gearbeitet. Dies wird durch die Feststellungen des SG bestätigt, auf die das LSG ausdrücklich Bezug genommen hat und nach denen der Kläger nach dem Stichtag noch lendenwirbelsäulenbelastende Tätigkeiten wie das Tragen von Säcken oder der Wanne mit Putz ausgeübt hat.
Da in dem Urteil des LSG auch jegliche Feststellungen zu den übrigen Voraussetzungen einer BK, also insbesondere zu dem medizinischen Zusammenhang, die der Eintritt eines Versicherungsfalles außerdem erfordert, fehlen, ist dem Senat bei dem derzeitigen Stand des Verfahrens eine abschließende Entscheidung nicht möglich, so dass das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
YAAAC-15189