Leitsatz
Ein bereits unter Geltung der RVO entstandener Anspruch auf Altersruhegeld entfällt nicht nachträglich aufgrund des mit dem SGB 6 eingeführten Antragserfordernisses (Anschluss an = SozR 3-2600 § 99 Nr 5).
Gesetze: RVO § 1248 Abs 5; RVO § 1290 Abs 1 S 1; AVG § 25 Abs 5; AVG § 67 Abs 1 S 1; SGB VI § 35; SGB VI § 99 Abs 1; SGB VI § 300 Abs 3 F: ; SGB VI § 300 Abs 4 S 1; SGB I § 45; SGB X § 44 Abs 1; SGB X § 44 Abs 4; SozSichAbk USA Art 14 Abs 1 F: ; SozSichAbkDVbg USA Art 7 F: ; SozSichAbkZusAbk2 USA
Instanzenzug: SG Hamburg S 9 RJ 69/01 vom LSG Hamburg L 1 RJ 93/02 vom
Gründe
I
Streitig ist der Beginn des Anspruchs auf Altersrente.
Die am in Schlesien geborene Klägerin hat in Deutschland Versicherungszeiten von 1938 bis 1948 zurückgelegt. Im Jahre 1949 wanderte sie in die USA aus, deren Staatsangehörigkeit sie erwarb. Auf ihren im Januar 2000 bei der Landesversicherungsanstalt Hamburg gestellten Rentenantrag gewährte diese ihr ab Regelaltersrente (RAR) in Höhe von zunächst DM 160,52 pro Monat; wegen Inanspruchnahme der Rente erst 129 Kalendermonate nach Vollendung des 65. Lebensjahres erhöhte sich der Zugangsfaktor von 1,0 auf 1,645 (Bescheid vom ). Mit ihrem Widerspruch begehrte die Klägerin einen früheren Rentenbeginn. Sie machte geltend, ihr vermutlich 1989 gestellter Antrag auf Rente in der US-amerikanischen Sozialversicherung sei auch als Antrag auf eine deutsche Rente zu werten. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg, weil aus den übersandten Bescheinigungen des amerikanischen Sozialversicherungsträgers nicht hervorgegangen sei, dass die Klägerin bei der Antragstellung in Amerika auch deutsche Zeiten geltend gemacht habe (Widerspruchsbescheid vom ).
Das Sozialgericht Hamburg (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom ). Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht Hamburg (LSG) das Urteil des SG geändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin "Altersrente" bereits ab zu gewähren, im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom ). Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Wegen Vollendung des 65. Lebensjahres unter Geltung der Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei ihr Anspruch noch nach deren Voraussetzungen zu beurteilen. Zwar habe die Klägerin zur Zeit der Geltung der RVO keinen Rentenantrag gestellt, weil ihr in den USA gestellter Rentenantrag mangels Angabe deutscher Versicherungszeiten nicht als Antrag nach deutschem Rentenrecht gelte. Nach den Vorschriften der RVO sei jedoch der Beginn des Altersruhegeldes (ARG) nicht von der Stellung eines Antrags abhängig. Insoweit schließe sich der Berufungssenat der Rechtsprechung des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) an (Bezug auf SozR 3-2600 § 99 Nr 5). Der ab geltende § 99 Abs 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) mit seinen Rechtsfolgen in Bezug auf den Zeitpunkt der Antragstellung sei nicht anwendbar, wenn das Recht auf Altersrente - wie hier - bereits vor Inkrafttreten der Vorschriften des SGB VI entstanden sei. Somit sei unerheblich, dass die Klägerin bei der Beklagten erst im Januar 2000 einen Antrag auf Rente gestellt habe. Hinsichtlich des Zeitraums ab Vollendung des 65. Lebensjahres (1989) bis Dezember 1995 sei der Anspruch auf ARG jedoch verjährt. Die Beklagte habe sich in der mündlichen Berufungsverhandlung auf die Verjährung berufen und damit die Einrede rechtzeitig erhoben. Ermessenserwägungen habe sie nicht anzustellen brauchen, denn es seien keine Gesichtspunkte vorgetragen oder sonst ersichtlich, die gegen die Erhebung der Einrede sprechen könnten. Insoweit habe die Beklagte nach der ihr bekannten Datenlage auch nicht erkennen können, dass die Klägerin ab dem 65. Lebensjahr einen Anspruch auf Altersrente gehabt habe; ihr sei deswegen ein Beratungsfehler nicht vorzuwerfen. Ob die Rente ab trotz der unzutreffenden Anwendung des SGB VI in richtiger Höhe gewährt worden sei, sei nicht Gegenstand des Verfahrens.
Das LSG hat die Revision zugelassen. Die Beklagte hat Revision eingelegt, die Klägerin Anschlussrevision.
Die Beklagte rügt eine Verletzung des § 99 Abs 1 iVm § 300 Abs 1 SGB VI. Bei Erstfeststellung einer Rente sei gemäß § 300 Abs 1 SGB VI grundsätzlich neues Recht anzuwenden. Somit sei § 99 Abs 1 SGB VI anwendbar. Da die Klägerin ihren Rentenantrag erst im Januar 2000 gestellt habe - also mehr als drei Monate nach der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für die Leistung -, sei die Rente somit frühestens ab dem Ersten des Antragsmonats - also ab - zu zahlen. Der Auffassung des 4. Senats des BSG, wonach der Antrag auch im Erstfeststellungsverfahren keine Tatbestandsvoraussetzung sei, wenn die übrigen Voraussetzungen für die Rente noch unter Geltung der RVO vorgelegen hätten, könne nicht gefolgt werden. Zutreffend sei vielmehr die Auffassung des erkennenden Senats, wonach bei einer Gesetzesänderung das neue Recht (hier das SGB VI) immer dann heranzuziehen sei, wenn nach dem eine rentenrechtliche Entscheidung zu treffen sei, wie das hier der Fall sei (Bezug auf SozR 3-2600 § 300 Nr 5, 12; SozR 3-2600 § 311 Nr 3). Hinsichtlich der Zurückweisung der Berufung der Klägerin für die Zeit vor dem wegen Verjährung des Anspruchs sei das Urteil des LSG zutreffend.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom sowie die Anschlussrevision zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen sowie - im Wege der Anschlussrevision - unter Änderung der entgegenstehenden Urteile und Bescheide die Beklagte zu verurteilen, ihr Altersruhegeld bereits ab zu gewähren.
Zur Begründung der Anschlussrevision rügt sie eine Verletzung der Verjährungsvorschrift des § 45 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I). Das LSG sei insoweit anscheinend von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgegangen. Diese Auffassung verkenne die Bedeutung der regelmäßig zwingenden gesetzlichen Begründungspflicht des § 35 Abs 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Vielmehr würden im vorliegenden Fall konkrete Umstände die Erhebung der Einrede als bedenklich erscheinen lassen, nämlich die Tatsache, dass sie bereits im April 1949 in die USA ausgewandert sei und keine Kenntnisse von den Ansprüchen aus der deutschen Rentenversicherung gehabt habe. Bei Vorliegen solcher Umstände auf die Begründung der Verjährungseinrede zu verzichten, stelle einen Gesetzesverstoß dar. Im Gegenteil sei vielmehr angebracht, eine Ermessensreduzierung auf Null zu ihren Gunsten anzunehmen. Aufgrund der geschilderten Umstände einer Auswanderung in die USA vor 50 Jahren sei es glaubhaft, dass sie von einem möglichen Anspruch auf ARG gegen die Beklagte zunächst nichts gewusst, vielmehr davon erst nach Vollendung des 65. Lebensjahrs erfahren habe, so dass diese Unkenntnis die Ursache für die verspätete Antragstellung (erst im Januar 2000) gewesen sei. Es erscheine daher grob unbillig, ihren bereits 1989 entstandenen Anspruch auf ARG mit der Verjährungseinrede teilweise abzuwehren.
II
Trotz des Ausbleibens der Klägerin konnte der Senat in der Sache entscheiden, weil diese in der Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.
Die Revision der Beklagten ist zurückzuweisen (A); auf die Anschlussrevision der Klägerin ist die Beklagte im Sinne eines Bescheidungsurteils zu verpflichten, der Klägerin einen neuen Bescheid unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen (B).
A. Streitgegenstand der Revision der Beklagten ist allein der Anspruch der Klägerin auf Altersrente für die Zeit vom bis , weil die Beklagte nur insoweit verurteilt worden ist.
Insoweit ist das Berufungsurteil nicht zu beanstanden. Der auf Gewährung von "Altersrente" lautende Urteilstenor ist unter Berücksichtigung der Entscheidungsgründe dahin auszulegen, dass die Beklagte verurteilt worden ist, der Klägerin ARG zu gewähren. Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass sich der Anspruch der Klägerin auf Rente nach Vollendung des 65. Lebensjahrs noch nach den Vorschriften der RVO richtet. ARG erhielten nach § 1248 Abs 5 RVO in der vom bis geltenden Fassung ua Versicherte, die das 65. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit nach Abs 7 Satz 3 erfüllt hatten. Ein Antrag war insoweit - anders als für vorzeitige Altersruhegelder (§ 1248 Abs 1 bis 3 RVO) - nicht Leistungsvoraussetzung. Die Wartezeit war nach Abs 7 Satz 3 der Vorschrift erfüllt, wenn eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt war. Die Klägerin hatte am das 65. Lebensjahr vollendet und in diesem Zeitpunkt (mit 70 Pflichtbeiträgen) die Wartezeit erfüllt.
Der Beginn der Rente (ARG) richtete sich nach § 1290 RVO in der vom bis geltenden Fassung. Nach Abs 1 Satz 1 der Vorschrift war die Rente vorbehaltlich hier nicht vorliegender Ausnahmen vom Ablauf des Monats an zu gewähren, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt waren. Da die Klägerin im März 1989 das 65. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit erfüllt hatte, ist ihr Anspruch auf ARG zum entstanden und fällig geworden (§ 40 Abs 1, § 41 SGB I).
Ein Anspruch auf ARG war, wie dargestellt, bei Erfüllung der Voraussetzungen nach dem Angestelltenversicherungsgesetz bzw der RVO bereits kraft Gesetzes entstanden, ohne dass es hierfür oder für die Fälligkeit der Einzelansprüche auf einen Antrag oder eine Verwaltungsentscheidung ankam; sein Bestand ist durch das Inkrafttreten des SGB VI nicht berührt worden (vgl SozR 3-2600 § 99 Nr 5). Notwendig für die Entstehung des Zahlungsanspruchs ist nur, dass er überhaupt geltend gemacht wird, was hier geschehen ist.
Soweit das SGB VI im Vergleich zur bisherigen Rechtslage vor seinem Inkrafttreten am ua für die Altersrente eine maßgebliche Rechtsänderung bewirkt hat, indem durch § 99 SGB VI das Antragsprinzip eingeführt wurde, betrifft dies den bereits entstandenen Anspruch der Klägerin nicht. Zwar regelt § 300 Abs 1 SGB VI, dass "Vorschriften dieses Gesetzbuchs von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden (sind), wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat." Dieser Grundsatz wird jedoch durch die hierzu geltende Spezialvorschrift des § 300 Abs 4 Satz 1 SGB VI eingeschränkt (vgl auch BSG SozR 3-2600 § 99 Nr 5 S 17). Nach dieser Bestimmung entfällt ein Anspruch auf Leistung, der am bestand, nicht allein deshalb, weil die Vorschriften, auf denen er beruht, durch Vorschriften dieses Gesetzbuches ersetzt worden sind. Nach dem Gesetzeswortlaut setzt diese Vorschrift ausdrücklich keine aktuelle Leistung voraus, sondern bezieht sich auf den entstandenen Anspruch als solchen (... Anspruch auf Leistung, der <nicht "die"> am bestand). Auch die Gesetzesbegründung zu Abs 1 der Vorschrift weist darauf hin, dass in den Ausnahmen (gemeint: § 300 Abs 2 ff SGB VI) zu dem Grundsatz (gemeint: § 300 Abs 1 SGB VI) sichergestellt werde, "dass Versicherte ihren Anspruch nicht allein wegen des neuen Rechts verlieren" (vgl BT-Drucks 11/4124 S 206 <zu § 291 Abs 1>). In der Gesetzesbegründung zu Abs 4 der Vorschrift wird zwar betont, dessen Regelung stelle klar, dass allein die Ersetzung des bisherigen Rechts durch das - weitgehend identische - neue Rentenrecht nicht zum Wegfall bereits laufender Leistungen führe (vgl BT-Drucks aaO zu Abs 4); hierdurch kann jedoch der weitergehende Gesetzeswortlaut nicht eingeschränkt werden. Dass sonstige bereits entstandene Ansprüche ohne Leistung deshalb ausgeschlossen sein sollten, ist den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen. Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, hätte er aber im Gesetzestext ohne weiteres statt auf "Ansprüche" allein auf die "Leistung" abstellen können.
Eine solche Auslegung (wie hier auch J. Schmitt in Wannagat, SGB, § 300 SGB VI RdNr 38 iVm RdNr 15, Stand 1995; Diel in Hauck/Noftz, SGB VI, § 300 RdNr 55, Stand 2002; Lilge in Gesamtkomm, § 300 SGB VI Anm 13, Stand 2002) vermeidet auch verfassungsrechtliche Einwände gegen Eingriffe in eigentumsrechtlich geschützte Rechte (vgl BSG SozR 3-2600 § 99 Nr 5). Soweit nach dem Recht der RVO kraft Gesetzes bereits vor dem mit Vollendung des 65. Lebensjahrs entstandene Ansprüche rückwirkend zum Erlöschen gebracht würden, würde dies eine echte Rückwirkung (vgl Urteil des erkennenden Senats vom - B 13 RJ 46/03 R - BSGE 93, 15 RdNr 40 = zur Veröffentlichung in SozR 4-5050 § 22b Nr 3 vorgesehen, mwN) darstellen. Dies wäre mit dem in Art 20 Abs 3 des Grundgesetzes verankerten Rechtsstaatsprinzip nicht zu vereinbaren, weil die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer solchen Rückwirkung offenkundig nicht vorlägen. Es fehlen auch jedwede Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber des SGB VI eine derartige Rückwirkung beabsichtigt haben könnte. In den Inkrafttretensvorschriften des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetzes 1992) vom (BGBl I 2261, 2394) ist - im Gegensatz zu sonstigen dort geregelten Ausnahmetatbeständen - insoweit gerade keine ausdrückliche Rückwirkung vorgesehen (vgl Art 85 Abs 2 ff des Gesetzes).
Dass ein nach den Vorschriften der RVO bereits entstandener Rentenanspruch durch das Inkrafttreten des SGB VI nicht nachträglich erlischt, steht auch nicht im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des 5. und des erkennenden Senats. Diese geht vielmehr - nach Aufgabe früherer entgegenstehender Rechtsprechung, auf die sich die Revision jedoch noch beruft - davon aus, dass auch im Rahmen des Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X das alte Recht der RVO weiterhin anzuwenden ist, wenn dem Berechtigten unter seiner Geltung rechtswidrig Leistungen vorenthalten wurden (s Anfragebeschluss des 5. Senats des ; Antwortbeschluss des erkennenden Senats vom - B 13 RJ 3/99 S; Urteil des 5. Senats vom , BSGE 85, 151 = SozR 3-2600 § 300 Nr 15; Urteil des erkennenden Senats vom , BSGE 90, 136 = SozR 3-2600 § 300 Nr 18). Dem hat der Gesetzgeber durch Änderung des § 300 Abs 3 SGB VI am durch Art 1 Nr 52 Buchst a) des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom (BGBl I 1827, 1834, 1845) Rechnung getragen. Wenn aber altes Recht auch im Rahmen eines Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X anwendbar bleibt, dann muss dies erst recht für den Fall gelten, dass die fraglichen Ansprüche noch nicht einmal vor Inkrafttreten des SGB VI durch bindenden Bescheid abgelehnt wurden.
Zu Recht ist das LSG davon ausgegangen, dass dem Anspruch der Klägerin für die Zeit ab die im Berufungsverfahren von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung nicht entgegensteht, weil Ansprüche auf Sozialleistungen erst in vier Jahren nach der Fälligkeit bzw nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie entstanden sind, verjähren (§ 45 SGB I). Bei Geltendmachung des Rentenanspruchs im Januar 2000 konnte dieser somit für die davor liegenden vier Jahre unabhängig von der Rechtmäßigkeit der Einrede noch nicht verjährt sein.
Klarstellend sei schließlich darauf hingewiesen, dass die Verurteilung der Beklagten durch das LSG hinsichtlich des Zeitraums ab notwendigerweise bedeutet, dass die Nachzahlung der Rente an die Klägerin für diesen Zeitraum mit der Überzahlung aufgrund des von der Beklagten für die spätere Inanspruchnahme der RAR berücksichtigten erhöhten Zugangsfaktors (§ 77 Abs 1, Abs 2 Nr 2 Buchst b SGB VI) zu verrechnen ist.
B. Die Anschlussrevision der Klägerin (§ 202 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG> iVm § 554 der Zivilprozessordnung) ist zulässig und teilweise (im Sinne eines Bescheidungsurteils) begründet, weil die Beklagte hinsichtlich der Berufung auf die Verjährung das erforderliche Ermessen nicht ausgeübt hat.
Hinsichtlich des Anspruchs der Klägerin auf ARG für die Zeit vom bis steht der Beklagten die Verjährungseinrede zu. Sie war insoweit zur Neubescheidung zu verurteilen, weil sie kein Ermessen ausgeübt hat.
Gemäß § 45 Abs 1 SGB I verjähren Ansprüche auf Sozialleistungen in vier Jahren nach der Fälligkeit bzw nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind. Dabei verjährt nicht das Recht auf Rente überhaupt, sondern der einzelne auf eine zurückliegende Zeit entfallende Leistungsanspruch (vgl BSGE 34, 1, 11; BSG SozR Nr 4 zu § 29 RVO). Wie bereits dargelegt, ist der Anspruch der Klägerin auf ARG bereits am entstanden. Der Beginn der Verjährung war nicht von der Kenntnis der Klägerin vom Bestehen ihres Anspruchs abhängig.
Ein vorheriger Antrag der Klägerin, vor seiner Geltendmachung im Januar 2000, der die Verjährung unterbrochen haben könnte, ist nicht ersichtlich. Als solcher kommt der in den USA gestellte Antrag auf die amerikanische Rente nicht in Betracht. Dieser kann deshalb nicht gemäß Art 14 Abs 1 des deutsch-amerikanischen Sozialversicherungsabkommens (Abk USA SozSich) vom (BGBl II 1976, 1358) idF des Zusatzabkommens vom (BGBl II 1988, 83) und des Zweiten Zusatzabkommens vom , BGBl II 1996, 302) auch als Antrag nach deutschem Recht gelten, weil die Klägerin in diesem Antrag keine deutschen Versicherungszeiten angegeben hat und somit nicht zu erkennen war, dass sie auch Versicherungszeiten nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates geltend machen wollte, wie dies Art 7 der Durchführungsvereinbarung vom (BGBl II 1979, 567) idF der Zusatzvereinbarung vom (BGBl II 1988, 86) und der Zweiten Zusatzvereinbarung vom (BGBl II 1996, 306) zum Abk USA SozSich voraussetzt.
Die Verjährungsregelung wird insbesondere nicht durch die Ausschlussfrist des § 44 Abs 4 SGB X verdrängt; aus § 44 Abs 4 SGB X ist kein allgemeiner Rechtsgrundsatz abzuleiten, dass auch im Falle der Verjährung keine rückwirkende Gewährung von Leistungen für über vier Jahre zurückliegende Zeiträume möglich ist (vgl BSGE 79, 177 = SozR 3-1200 § 45 Nr 6).
Die Rechtmäßigkeit der Beschränkung der Gewährung des ARG auf die Zeit ab hängt somit davon ab, ob die Beklagte nach § 45 SGB I die Einrede der Verjährung, die sie in der mündlichen Berufungsverhandlung geltend gemacht hat, fehlerfrei erhoben hat. Eine Berufung auf die Verjährungseinrede war nicht von vornherein ausgeschlossen (vgl dazu BSGE 79, 177 = SozR 3-1200 § 45 Nr 6).
Die demnach grundsätzlich zulässige Erhebung der Verjährungseinrede durch die Beklagte setzt regelmäßig die Ausübung von Ermessen voraus (stRspr, vgl BSG SozR 3-1200 § 45 Nr 2 mwN). Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG hat die Beklagte ein solches nicht ausgeübt.
Soweit die Beklagte vorträgt, bei Erhebung der Einrede der Verjährung nicht in einem Bescheid, sondern in der mündlichen Verhandlung vor Gericht seien keine Ausführungen zum Ermessen erforderlich, übersieht sie zum einen, dass sie im vorliegenden Fall von vornherein gar kein Ermessen ausgeübt hat, so dass es nicht lediglich an dessen näherer Begründung fehlt. Zum anderen müssen nach der Rechtsprechung des BSG selbst in einem solchen Fall zur Begründung der Ermessensentscheidung rechtzeitig die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe sowie die Gesichtspunkte mitgeteilt werden, von denen die Beklagte bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist - § 35 Abs 1 Satz 2 und 3 SGB X (BSGE 74, 267, 270 = SozR 3-1200 § 45 Nr 4).
Eine Fallgestaltung, in der es einer Ermessensausübung ausnahmsweise nicht bedarf, weil das Ermessen auf Null reduziert ist, liegt nicht vor. Dies wäre nach der Rechtsprechung des BSG der Fall, wenn die Gesamtheit der Umstände das Absehen von der Verjährungseinrede geböte (BSGE 79, 177 = SozR 3-1200 § 45 Nr 6). Hiervon ist das LSG anscheinend ausgegangen. Denn es hat ausgeführt, es seien keine Gesichtspunkte vorgetragen oder sonst ersichtlich, die gegen die Erhebung der Einrede sprechen könnten; insoweit habe die Beklagte nach der ihr bekannten Datenlage auch nicht erkennen können, dass die Klägerin ab dem 65. Lebensjahr einen Anspruch auf Altersrente gehabt habe, so dass ihr ein Beratungsfehler nicht vorzuwerfen sei. Hieraus lässt sich indes - wie die Klägerin zutreffend rügt - nicht herleiten, dass das Ermessen der Beklagten auf Null reduziert war, dh dass die Beklagte sich zwingend auf die Einrede der Verjährung berufen musste. Allein aus dem Umstand, dass der Beklagten keine Pflichtverletzung vorzuwerfen ist, folgt nicht die Pflicht zur Erhebung der Einrede der Verjährung. Auch anderweitig sind vom Berufungsgericht keine Anhaltspunkte festgestellt, die zu einer Ermessensreduzierung zu Ungunsten der Klägerin auf Null führen könnten.
Auf der Grundlage der Feststellungen des LSG ist aber auch - anders als die Klägerin meint - kein Fall ersichtlich, dass umgekehrt das Ermessen der Beklagten zu Gunsten der Klägerin auf Null reduziert wäre, dh sich die Beklagte in keinem Fall auf die Verjährungseinrede berufen dürfte. Nicht allein ausreichend ist die Auswanderung der Klägerin in die USA und gegebenenfalls ihre Unkenntnis über Rentenansprüche.
Weil die Beklagte ein erforderliches Ermessen - wie hier - nicht ausgeübt hat, musste ein Bescheidungsurteil (vgl § 131 Abs 3 SGG; hierzu BSGE 3, 180, 191) ergehen. Die Beklagte wird Ermessenserwägungen anzustellen haben. Auf welche Umstände des Einzelfalls die Beklagte ihr Ermessen abstellen will, steht ihr grundsätzlich frei (vgl zu § 45 SGB X BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 2 S 15; Nr 5 S 21). Der erkennende Senat hat allerdings bereits darauf hingewiesen (vgl BSGE 79, 177, 183 = SozR 3-1200 § 45 Nr 6), dass - wenn keine besonderen Umstände vorliegen - der Versicherungsträger regelmäßig ohne Rechtsfehler die Verjährungseinrede erheben kann.
Soweit die Klägerin über die Verurteilung der Beklagten zur Bescheidung hinaus eine Verurteilung zur Leistung verlangt, war die Anschlussrevision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
OAAAC-15081