BSG Urteil v. - B 13 RJ 4/05 R

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: SGB VI § 243 Abs 2; SGG § 103

Instanzenzug: Bayerisches

Gründe

I

Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf Witwenrente (Geschiedenenwitwenrente) hat.

Der bei der Beklagten rentenversicherte E. R. (Versicherter) ist am verstorben. Die am geschlossene Ehe der Klägerin mit dem Versicherten war durch Urteil des Landgerichts Aschaffenburg (LG) vom aus beiderseitigem Verschulden geschieden worden. Der Versicherte hatte sich in einem vor dem LG am geschlossenen Vergleich verpflichtet, für die Klägerin an Unterhalt monatlich DM 90,-- bis zu dem Zeitpunkt zu zahlen, zu dem ihr Sohn E. (geboren ) eingeschult wurde; für die Folgezeit hatte sie auf Unterhaltsansprüche verzichtet. Der Versicherte hatte auf Unterhaltsansprüche gegen die Klägerin für die Vergangenheit, die Gegenwart und Zukunft, auch für den Fall des Notbedarfs, verzichtet. Die zweite Ehefrau des Versicherten ist verstorben. Die Beigeladene ist die Witwe des Versicherten aus dritter Ehe (Eheschließung am ); beide lebten seit getrennt.

Der Versicherte bezog seit 1992 von der Beklagten Altersrente, ab September 1995 in Höhe von DM 2.458,79 netto, und eine Zusatzrente zuletzt in Höhe von DM 594,44 netto. Aufgrund eines vor dem Amtsgericht Aschaffenburg (AG) am geschlossenen Vergleichs war der Versicherte verpflichtet, der Beigeladenen ab monatlich einen Ehegattenunterhalt in Höhe von DM 900,-- für die Dauer des Getrenntlebens zu bezahlen. Aufgrund der Folgen eines Tumors im Kopf (Operation am ) bezog der Versicherte von der Pflegekasse ab Pflegegeld der Pflegestufe I in Höhe von DM 400,--/Monat und ab der Stufe II in Höhe von DM 800,--. Mit wurde die Zwangsvollstreckung aus dem Vergleich vom einstweilen eingestellt. Das AG ging davon aus, der Versicherte sei im Hinblick auf eine ganztags notwendige Pflegekraft, für die ein finanzieller Aufwand von DM 1.500,-- anzusetzen sei, nicht leistungsfähig. Die Beigeladene bezog ab August 1995 Leistungen der Sozialhilfe. An seinen jüngsten Sohn aus zweiter Ehe zahlte der Versicherte im Jahr 1995 monatlich DM 900,-- Unterhalt für dessen Studium; dieser bezog aus eigener Tätigkeit monatlich ca DM 1.000,-- netto, ferner eine Halbwaisenrente nach seiner Mutter in Höhe von ca DM 250,-- bis DM 300,--.

Die Klägerin bezog zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten eine Altersrente in Höhe von DM 606,20 sowie eine Betriebsrente in Höhe von DM 84,40 und laufende Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von DM 259,-- (jeweils monatlich). Am beantragte sie Hinterbliebenenrente nach dem Versicherten. Mit Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom lehnte die Beklagte dies ab, weil der Versicherte keine regelmäßigen Unterhaltsleistungen erbracht habe.

Mit Urteil vom hat das Sozialgericht Würzburg (SG) die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin (ab ) große Witwenrente für geschiedene Ehegatten zu zahlen. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der Anspruch der Klägerin richte sich nach § 243 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis geltenden Fassung. Die Ehe der Klägerin mit dem verstorbenen Versicherten sei vor dem in der Norm genannten Stichtag () geschieden, die Klägerin habe nicht wieder geheiratet und das 45. Lebensjahr vollendet. Zwar habe sie von dem Versicherten im letzten Jahr vor dessen Tode keinen Unterhalt im Sinne dieser Vorschriften erhalten, denn es sei lediglich eine einmalige Zahlung an die Klägerin nachgewiesen. Sie habe vor dem Tod des Versicherten auch keinen Anspruch auf Unterhalt aufgrund einer vertraglich übernommenen Zahlungsverpflichtung gehabt. Ein Anspruch der Klägerin auf Unterhalt bzw einen Unterhaltsbeitrag im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tod des Versicherten ergebe sich jedoch aus den maßgeblichen Vorschriften des Ehegesetzes (EheG) vom . Ob und in welchem Umfang eine Unterhaltsverpflichtung bestanden habe, richte sich nach dem im Scheidungsurteil ausgesprochenen Schuldspruch. Treffe beide Ehepartner ein Verschulden an der Scheidung und trage - wie hier - keiner die überwiegende Schuld, könne ein so genannter Unterhaltsbeitrag, der als Unterhaltsanspruch anzusehen sei, zugebilligt werden. Aus den Unterlagen des Sozialamts ergebe sich, dass die Klägerin nicht in der Lage gewesen sei, sich aus eigenen Einkünften und Vermögen oder aufgrund eines Unterhaltsanspruchs gegen Verwandte zu unterhalten. Dem Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag stehe auch nicht der vor dem LG zwischen dem Versicherten und der Klägerin geschlossene Vergleich vom entgegen. Hierin habe die Klägerin - im Gegensatz zum Versicherten - gerade nicht auf Unterhalt für den Fall des Notbedarfs verzichtet. Der Anspruch der Klägerin auf einen Beitrag zum Unterhalt habe im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten auch mit Rücksicht auf dessen Bedürfnisse und seine Vermögens- und Erwerbsverhältnisse der Billigkeit entsprochen. Hinsichtlich des Anspruchs auf Unterhalt sei in der Regel von einer Zeitspanne von einem Jahr auszugehen; diese könne jedoch - wie vorliegend - auch erheblich kürzer sein, wenn innerhalb des Jahres eine wesentliche Änderung in den wirtschaftlichen Verhältnissen eingetreten sei. Eine solche sei hier im Oktober 1995 erfolgt. Der Versicherte habe ab von der AOK Aschaffenburg - Pflegekasse - Pflegeleistungen nach Stufe II (monatlich DM 800,--) bezogen. In diesem Zeitraum habe die Klägerin über ein eigenes Einkommen in Höhe von DM 690,60 verfügt. Das wirtschaftliche Leistungsvermögen des Versicherten habe DM 3.053,23 betragen (eigene Altersrente in Höhe von DM 2.458,79 sowie Zusatzrente der B. V. in Höhe von DM 594,44). Abzusetzen seien davon ein Betrag von DM 10,-- für eine Lebensversicherung, außerdem ein Ehegattenunterhalt an die dritte Ehefrau in Höhe von DM 900,--, auf den die Beigeladene grundsätzlich noch Anspruch gehabt habe. Der womit die Zwangsvollstreckung aus dem Unterhaltsvergleich vom hinsichtlich der Unterhaltsverpflichtung in Höhe von DM 900,-- an die Beigeladene eingestellt worden sei, weil der Versicherte nach Auffassung des Gerichts nicht mehr leistungsfähig gewesen sei, ändere hieran nichts. Weiter sei von dem Einkommen des Versicherten ein Betrag in Höhe von DM 700,-- für Pflegeleistungen abzusetzen (pauschalierter Aufwand für Pflegeleistungen in Höhe von DM 1.500,-- gemäß dem Beschluss des AG, vermindert um das Pflegegeld der Pflegestufe II der Pflegekasse in Höhe von DM 800,--). Die Unterhaltsleistungen des Versicherten an den Sohn M. in Höhe von DM 900,-- seien hingegen nicht abzuziehen, weil dieser im maßgeblichen Zeitraum keinen Anspruch auf Unterhalt gegen den Versicherten gehabt habe. Aufgrund seiner finanziellen Verhältnisse sei der Sohn nicht unterhaltsberechtigt gewesen, denn er habe über einen Nettoverdienst von ca DM 1.000,-- verfügt sowie eine Halbwaisenrente der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte zwischen DM 250,-- und DM 300,-- monatlich bezogen. Somit ergäben sich anzusetzende Einnahmen des Versicherten in Höhe von DM 1.443,23. Ihm und der Klägerin hätten somit ein Gesamteinkommen von DM 2.133,83 zur Verfügung gestanden. Nach der hier anzuwendenden Differenzmethode sei von dem Einkommen des Versicherten in Höhe von DM 1.443,23 das Einkommen der Klägerin in Höhe von DM 690,-- abzusetzen; dies ergebe einen Betrag von DM 753,23. Die der Klägerin zustehende Quote von zwei Fünfteln als angemessener Bedarf führe zu einem Unterhaltsanspruch in Höhe von DM 300,--. Als Unterhaltsbeitrag nach § 60 EheG werde im Allgemeinen die Hälfte des angemessenen Unterhalts iS des § 58 EheG angesetzt; dies ergebe einen Unterhaltsbeitrag für die Klägerin in Höhe von DM 150,--. Dieser Unterhaltsbeitrag sei für die Klägerin auch von wirtschaftlicher Bedeutung gewesen. Er habe über 25 % des maßgeblichen Sozialhilfesatzes, dh einem Betrag von DM 127,25, gelegen.

Gegen dieses Urteil haben die Beklagte und die Beigeladene die vom LSG zugelassene Revision eingelegt.

Die Beklagte rügt eine Verletzung von § 243 Abs 2 SGB VI sowie einen Verstoß gegen § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Im Gegensatz zur Auffassung des LSG sei im Oktober 1995 keine wesentliche Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten. Maßgeblich dafür sei, ob eine wesentliche Änderung der Einkommensverhältnisse eines Familienmitgliedes vorliege. Dies sei hier nicht der Fall. Eine solche Einkommensänderung könne die Erhöhung des Pflegegeldes (Stufe II statt Stufe I) nicht darstellen, denn hierbei handele es sich nicht um Einkommen. Mit dem Pflegegeld solle vielmehr sichergestellt werden, dass die erforderliche Pflege in eigener Weise selbst sichergestellt werden könne. Im Übrigen könne es auch nicht angehen, dass durch Eintritt der schweren Erkrankung der Versicherte gegenüber der getrennt lebenden Ehefrau nicht mehr unterhaltsfähig sei, dafür dann aber seiner geschiedenen ersten Ehefrau gegenüber unterhaltsfähig werde. Letzter wirtschaftlicher Dauerzustand iS von § 243 Abs 2 SGB VI könne allerdings auch nicht der Zeitraum ab der Operation () sein, weil zu diesem Zeitpunkt noch keine Gewissheit bestanden habe, wie sich der Gesundheitszustand des Versicherten weiter entwickeln werde. Somit könne der letzte wirtschaftliche Dauerzustand nur mit der Einstufung in die Pflegestufe I beginnen. Zu diesem Zeitpunkt sei klar gewesen, dass der Versicherte pflegebedürftig sei und damit aufgrund eines erheblichen Mehraufwandes für die Pflege eine Änderung in den wirtschaftlichen Verhältnissen auf Dauer eingetreten sei. Der Versicherte habe in diesem Zeitpunkt einen Rentenanspruch in Höhe von DM 2.443,92 und einen Anspruch auf eine Zusatzrente in Höhe von DM 594,44 gehabt. Von dem Gesamteinkommen von DM 3.038,36 seien abzuziehen: DM 10,-- Lebensversicherungsbeitrag, DM 100,-- Bonussparen sowie die Unterhaltsleistungen an die getrennt lebende dritte Ehefrau in Höhe von DM 900,-- und die Unterhaltszahlung an den jüngsten Sohn in Höhe von DM 900,--. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts könne nicht ohne weitere Ermittlungen davon ausgegangen werden, dass dem Sohn kein Unterhaltsanspruch gegen den Vater zugestanden habe. Soweit man die Unterhaltszahlungen an den Sohn abziehe, sei dem Versicherten ein Einkommen in Höhe von DM 1.128,36 verblieben. Weder nach der Anrechnungsmethode noch nach der Differenzmethode noch nach der modifizierten Additionsmethode errechne sich damit ein nennenswerter Unterhaltsbeitrag iS des § 60 EheG, der mindestens 25 % des seinerzeit gültigen Sozialhilfesatzes übersteige. Auch wenn man die Pflegegeldzahlung in Höhe von DM 400,-- berücksichtige und die Unterhaltszahlungen an den Sohn außer Acht lasse, führe dies zu keinem anderen Ergebnis. Weder nach der Anrechnungs- noch nach der Differenzmethode errechne sich ein nennenswerter Unterhaltsanspruch. Doch selbst aufgrund der vom Gericht zu einem späteren Zeitpunkt angestellten Berechnung, nämlich ab Gewährung von Pflegegeld der Stufe II im Oktober 1995, ergebe sich aufgrund der Differenzmethode entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kein Unterhaltsanspruch in Höhe von mindestens 25 % des damals maßgeblichen Sozialhilfesatzes. Im Übrigen habe das LSG unzutreffend die Differenzmethode angewandt.

Die Beigeladene trägt vor, Mehrleistungen an Pflegegeld aufgrund Zuerkennung der höheren Pflegestufe seien bei der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Versicherten nicht zu berücksichtigen, weil gemäß der gesetzlichen Vermutung des § 1610a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) den zuerkannten Leistungen (Pflegegeld) gleichartige Aufwendungen bzw Mehraufwendungen gegenüberständen. Im Übrigen schließt sie sich der Revisionsbegründung der Beklagten an.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revisionen der Beklagten und Beigeladenen zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

II

Die Revisionen der Beklagten und Beigeladenen haben im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung Erfolg (§ 170 Abs 2 SGG). Auf der Grundlage der vom LSG festgestellten Tatsachen kann nicht entschieden werden, ob der Klägerin Geschiedenenwitwenrente zusteht oder nicht.

Vorliegend war § 243 Abs 2 SGB VI in der hier maßgeblichen, bis gültigen Fassung des Rentenreformgesetzes 1992 vom (BGBl I 2261) anzuwenden, denn die Klägerin hatte im Februar 1996 Antrag auf Hinterbliebenenrente gestellt (vgl § 300 Abs 2 SGB VI). Nach § 243 Abs 2 SGB VI besteht Anspruch auf große Witwenrente auch für eine geschiedene Ehefrau, 1) deren Ehe vor dem geschieden ist, 2) die nicht wieder geheiratet hat, 3) die im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten Unterhalt von diesem erhalten hat oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tode einen Anspruch hierauf hatte und 4) ... das 45. Lebensjahr vollendet hat ..., wenn der Versicherte die allgemeine Wartezeit erfüllt und nach dem gestorben ist.

Nach den unstreitigen Feststellungen des LSG hatte der Versicherte die Wartezeit erfüllt und ist am , dh nach dem in der Vorschrift genannten Stichtag, gestorben; außerdem war die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten vor dem geschieden, die Klägerin war nicht wieder verheiratet und hat das 45. Lebensjahr vollendet. Tatsächliche Unterhaltsleistungen (§ 243 Abs 2 Nr 3 erste Alternative SGB VI) an die Klägerin hat der Versicherte nach den nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des LSG, die für den erkennenden Senat bindend sind (§ 163 SGG), nicht erbracht. Ebenso wenig kann sich die Klägerin für den in Frage kommenden Zeitraum auf eine Unterhaltsvereinbarung berufen, in der sich der Versicherte zu Unterhaltsleistungen verpflichtet hätte; dies war nur für die Zeit bis zur Einschulung des Sohnes E. der Fall.

Es kann aber nicht abschließend entschieden werden, ob ein Anspruch der Klägerin auf Unterhalt im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tod des Versicherten (§ 243 Abs 2 Nr 3 zweite Alternative SGB VI) bestand. Insoweit kommt allein ein Unterhaltsbeitrag nach § 60 EheG in Betracht, der einen Unterhaltsanspruch in diesem Sinne darstellt (vgl BSG Großer Senat BSGE 48, 146 = SozR 2200 § 1265 Nr 41). Die Vorschriften des EheG sind zwar mit Ablauf des außer Kraft getreten (vgl Art 3 des Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts <1. EheRG> vom , BGBl I 1421). Hier sind aber die Vorschriften über die Scheidung der Ehe und die Folgen der Scheidung des EheG noch anwendbar, weil die Ehe vor dem In-Kraft-Treten des 1. EheRG am (vgl Art 12 Nr 3 Abs 2 des Gesetzes) durch Urteil vom geschieden worden ist. Nach § 60 EheG kann dem Ehegatten, der sich nicht selbst unterhalten kann, soweit beide Ehegatten Schuld an der Scheidung sind, aber keiner die überwiegende Schuld trägt, ein Beitrag zu seinem Unterhalt zugebilligt werden, wenn und soweit dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des anderen Ehegatten und der nach § 63 EheG unterhaltspflichtigen Verwandten des Bedürftigen der Billigkeit entspricht. Im Scheidungsurteil des wurde festgestellt, dass beide Ehepartner ein Verschulden an der Scheidung trifft und keiner die überwiegende Schuld trägt.

Dem hiernach grundsätzlich möglichen Anspruch der Klägerin auf einen Unterhaltsbeitrag steht jedenfalls kein Unterhaltsverzicht entgegen. In der am zwischen der Klägerin und dem Versicherten vor dem LG geschlossenen Unterhaltsvereinbarung hat sie keinen generellen Verzicht auf Unterhalt ausgesprochen. Zwar schließt ein Unterhaltsverzicht in der Regel auch den Verzicht auf einen "Notbedarf" ein (vgl Senatsurteil vom , SozR 3-2200 § 1265 Nr 12 S 77). Im vorliegenden Fall hat jedoch das LSG zu Recht auf den unterschiedlichen Wortlaut des Unterhaltsvergleichs, einerseits für den Versicherten, andererseits für die Klägerin abgestellt (vgl zur Überprüfungsbefugnis SozR aaO Nr 13 S 89 f). Der Versicherte hatte auf Unterhaltsansprüche gegen die Klägerin für die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, auch für den Fall des Notbedarfs, verzichtet. Er hatte sich ferner verpflichtet, für die Klägerin monatlich DM 90,-- Unterhalt bis zu dem Zeitpunkt zu zahlen, an dem das Kind E. (geboren ) eingeschult werde; für die Zeit danach hat die Klägerin auf Unterhalt verzichtet. Hieraus durfte das LSG schließen, dass die Klägerin für den Fall des Notbedarfs auf Unterhalt gegenüber dem Versicherten nicht verzichtet hatte.

Notbedarf bei der Klägerin liegt vor. Ein ggf bestehender Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen Verwandte, hier zB gegen die Tochter H. , hat (nach den Grundsätzen des Bundesgerichtshofs <BGH> vom , NJW 1983, 2379, 2380 f) in die Billigkeitserwägungen nach § 60 EheG einzufließen. Nach den Feststellungen des LSG war die Klägerin jedoch auch bei Berücksichtigung von Unterhaltsansprüchen gegen Verwandte sozialhilfebedürftig. Bei Sozialhilfebedürftigkeit (und soweit sich der Unterhaltsbetrag auf diesen notdürftigen/notwendigen Unterhalt beschränkt) - wie hier - bestehen keine Bedenken, einen Fall des Notbedarfs unabhängig von den ehelichen Lebensverhältnissen anzunehmen; auf einen "notwendigen Eigenbedarf" iS der Düsseldorfer Tabelle kommt es nicht an (vgl auch NJW 1981, 51).

Es kann allerdings nicht entschieden werden, ob der Versicherte in dem maßgeblichen Zeitraum der Klägerin gegenüber unterhaltsverpflichtet war. Es fehlen ausreichende Feststellungen des LSG zu seiner Leistungsfähigkeit. Ob ein Versicherter seiner geschiedenen Frau iS von § 243 Abs 2 Nr 3 SGB VI "zur Zeit seines Todes" Unterhalt zu leisten hatte, richtet sich, um Zufälligkeiten und kurzzeitige besondere Umstände des Einzelfalles zurückzudrängen, nach dem letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten (BSG SozR 3-2200 § 1265 Nr 1 mwN). Maßgeblich für dessen Bestimmung ist ohne Rücksicht auf seine Dauer grundsätzlich die Zeitspanne von der letzten wesentlichen Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Geschiedenen mit Dauerwirkung bis zum Tode des Versicherten. Eine bestimmte Zeitgrenze, bis zu der eine zum Tode führende Krankheit berücksichtigt oder unberücksichtigt bleiben muss, hat das Bundessozialgericht (BSG) nicht gezogen und auf die Umstände des Einzelfalles abgestellt. Demnach verbietet sich zwar eine starre, schematische, etwa auf ein Jahr fixierte, Handhabung (vgl BSG SozR 2200 § 1265 Nr 82; -, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Die zugrunde liegenden wirtschaftlichen Verhältnisse vor dem Tod des Versicherten müssen jedoch jeweils dauerhaft und stabil gewesen sein (BSG SozR 3-2600 § 243 Nr 9).

Die Rechtsprechung des BSG hat - um nicht Zufälligkeiten entscheiden zu lassen - problematisiert, ob der Zeitraum einer (zum Tode führenden) Krankheit zum letzten wirtschaftlichen Dauerzustand führen könne ( SozR 2200 § 1265 Nr 35 S 106; vom , aaO Nr 64 S 214; vom , aaO Nr 79 S 266). Ist dem Tode eine Krankheit vorausgegangen, kann uU als letzter wirtschaftlicher Dauerzustand die Zeit vor Beginn der "zum Tode führenden Krankheit" zugrunde gelegt werden; nach der Rechtsprechung des BSG ist dabei aber eine nur "verhältnismäßig kurze" Krankheitszeit unberücksichtigt zu lassen (BSG SozR 2200 § 1265 Nr 35 mwN).

Das LSG hat zwar nicht festgestellt, ob das Leiden auch zum Tode geführt hat, es hat aber zu Recht die Krankheit nicht außer Acht gelassen. Es hat insoweit festgestellt, dass der Versicherte an einem Tumor im Kopf litt und am operiert worden war. Weiter hat es festgestellt, dass er bereits ab April 1995 Pflegegeld der Stufe I und ab Pflegegeld der Stufe II bezog sowie, dass das (pauschaliert) Pflegeaufwendungen für den Versicherten bejaht hat. Als Rahmen für einen wirtschaftlichen Dauerzustand durch Krankheit hat das LSG den Zeitraum von (Dienstag, den 17.) Oktober 1995 (Bewilligung des Pflegegeldes der Stufe II) bis (Samstag, den 6.) Januar 1996 angenommen. Dies sind nur knapp zwölf Wochen. Trotz der Kürze des Zeitraums wäre dies nicht zu beanstanden. So hat das BSG bereits die Zeit einer zum Tode führenden Krankheit von knapp sieben Monaten als letzten wirtschaftlichen Dauerzustand gewertet ( SozR Nr 67 zu § 1265 RVO). Im vorliegenden Fall bestehen grundsätzlich keine Bedenken, den og Zeitraum ab Oktober 1995 zu wählen, wenn auch ("erst recht") in diesem ein relevanter Unterhaltsanspruch festgestellt werden kann. Diese Zeit wäre bei der Beurteilung des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes allerdings uU außer Betracht zu lassen, wenn nur wegen der zum Tode führenden Krankheit ein derartiger Anspruch bestanden hätte; dies ist jedoch nicht der Fall, weil das Pflegegeld auch der Stufe II, jedenfalls nach den Berechnungen des LSG, durch die Pflegekosten mehr als aufgezehrt wurde. Wenn jedoch umgekehrt nur wegen einer zum Tode führenden Krankheit kein derartiger Anspruch bestanden hätte, wäre es uU angezeigt, die Verhältnisse bereits ab März 1995 zugrunde zu legen. Hierfür besteht derzeit jedoch kein Anhalt.

Es kann vorliegend jedoch dahinstehen, ob als maßgeblicher Zeitraum auf denjenigen ab Oktober 1995 oder März 1995 abzustellen ist, denn das LSG hat in beiderlei Hinsicht keine ausreichenden Ermittlungen zur Leistungsfähigkeit des Versicherten angestellt. Insbesondere ist eine Entscheidung über einen Anspruch nach § 60 EheG unter Berücksichtigung des Selbstbehalts des Versicherten und der Aufwendungen für seine Krankheit nicht möglich.

Die Leistungsfähigkeit des Versicherten stellt sich nach den Feststellungen des LSG (ab September 2005) wie folgt dar: Er bezog Rentenleistungen in Höhe von DM 3.053,23 netto insgesamt (Altersrente DM 2.458,79 und Zusatzrente DM 594,44), abzüglich DM 10,-- Beitrag für eine Lebensversicherung; dies ergab insgesamt ein Einkommen von DM 3.043,23. Dass der Unterhaltsanspruch gegen die Beigeladene (dritte Ehefrau) im Rahmen des § 60 EheG in Höhe von DM 900,-- (mindernd) berücksichtigt wurde, ist grundsätzlich nicht zu beanstanden (vgl Kindermann in Göppinger/Wax, Unterhaltsrecht, 6. Aufl 1994, RdNr 1352); insoweit lag auch ein Titel vor, selbst wenn dessen Vollstreckung wegen der Krankheit des Versicherten einstweilen ausgesetzt war. Zu Recht hat das LSG die faktischen Zahlungen des Versicherten an dessen Sohn nicht berücksichtigt, weil dieser nach den Feststellungen des LSG mit einem eigenen Einkommen von ca DM 1.250,--/Monat als Student für sich selbst sorgen konnte. Die Rügen der Beklagten greifen insoweit nicht durch.

Die Höhe des (leistungsmindernden) Selbstbehalts des Versicherten kann nach den Feststellungen des LSG nicht endgültig festgelegt werden. Der "notwendige Eigenbedarf" betrug nach der für 1995 maßgeblichen Düsseldorfer Tabelle DM 1.150,-- (s NJW 1992, 1367, dort Anm 5 Alt 1). Diese Grenze gilt jedoch nicht für den Unterhaltsbeitrag nach § 60 EheG, auch wenn dies in der Tabelle (unter B II 1 b) so dargestellt wird (siehe Oberlandesgericht <OLG> Hamm vom - 3 UF 278/77, veröffentlicht bei Juris, sowie insbesondere NJW 1983, 2379, 2380 f). Der Versicherte hat nicht nur Anspruch auf Berücksichtigung des eigenen notwendigen, sondern jedenfalls auf Berücksichtigung des eigenen angemessenen Unterhalts (vgl § 63 Abs 1 Satz 2 EheG; zur Unterscheidung zwischen dem notwendigen und dem angemessenen Selbstbehalt nach neuem Recht - § 1603 Abs 1 und 2 BGB - vgl , NJW 2006, 1654, 1655 RdNr 16 ff). Danach wäre zumindest der "angemessene Eigenbedarf" (Düsseldorfer Tabelle Anm 5 Alt 2) in Höhe von DM 1.600,-- maßgebend (im Übrigen wären auch höhere Wohnkosten, als in den Tabellenwerten eingearbeitet, zusätzlich anzusetzen: OLG Hamburg FamRZ 1995, 1417).

Bereits hiernach wäre keine Leistungsfähigkeit des Versicherten mehr gegeben gewesen. Nach der og Berechnung wären von den monatlichen Einnahmen (DM 3.043,23) insgesamt DM 3.200,-- abzusetzen ("angemessener Unterhalt" von DM 1.600,--, Unterhaltsanspruch gegen die dritte Ehefrau von DM 900,-- sowie der vom LSG zugrunde gelegte Pflegebedarf in Höhe von DM 700,--). Die dieser Berechnung zugrunde liegenden Feststellungen sind jedoch nicht ausreichend bzw unzutreffend. Denn das LSG hat die Höhe des Pflegebedarfs nicht ausreichend festgestellt (weder für die Zeit ab Oktober 1995 noch für die Zeit davor).

Das LSG hat einen nicht durch das ab Oktober 1995 gewährte Pflegegeld der Stufe II in Höhe von DM 800,-- abgedeckten Eigenbedarf des Versicherten in Höhe von DM 700,--/Monat angenommen, indem es von Betreuungskosten in Höhe von insgesamt DM 1.500,-- ausgegangen ist. Es hat aber gerade nicht festgestellt, in welcher Höhe Betreuungskosten konkret entstanden sind, und damit nicht, dass (insbesondere auch für die Zeit ab Oktober 1995 bis Januar 1996) insoweit tatsächlich DM 1.500,--/Monat angefallen sind. Dies wird von der Klägerin zu Recht gerügt. Das Berufungsgericht hat hierzu lediglich festgestellt, dass das AG im August 1995 diese Kosten "angesetzt" habe. Insoweit besteht jedoch keine Bindungswirkung; vielmehr sind die Aufwendungen für den Pflegeaufwand konkret festzustellen. Gelingt dies nicht, kann ggf auch die Vermutung des § 1610a BGB eingreifen, auf die die Beigeladene hinweist.

Nach dem Stand der Akten sei hierzu auf Folgendes hingewiesen: Legte man die vom LSG nicht aufgegriffenen Feststellungen im erstinstanzlichen Verfahren zugrunde, wären Fremdpflegekosten nicht angefallen, weil die Tochter H. des Versicherten mit der Klägerin (aus erster Ehe) hiernach die Pflege unentgeltlich übernommen hatte; diese hat als Zeugin vor dem LSG ausgesagt, sie sei damit einverstanden gewesen, dass ihr Vater sogar das Pflegegeld nicht an sie weiterleite. Das SG hat dennoch den vom AG angenommenen Pflegeaufwand (unter Anrechnung des Pflegegeldes) zu Lasten seiner - des Versicherten - Leistungsfähigkeit berücksichtigt. Es hat sich insoweit zwar zu Recht auf Grundsätze der einschlägigen zivilgerichtlichen Rechtsprechung bezogen, nach der die in der Regel freiwilligen Zuwendungen Dritter nur dem Zuwendungsempfänger und nicht dem Unterhaltsberechtigten zugute kommen sollen (BGH NJW 1995, 1486, 1487 f; vgl ferner Strohal, Juris PR-FamR 18, 2005 Anm 1 unter B mwN). Diese Grundsätze schließen aber zum einen eine sonstige Vereinbarung nicht aus; zum anderen wurde insbesondere nicht geprüft, ob es nicht tatsächlich dem Willen der Tochter H. entsprochen hatte, ihre Mutter zu begünstigen.

Auf der anderen Seite ist jedoch ebenfalls fraglich, ob mit dem LSG von einem unveränderten Pflegeaufwand im Oktober 1995 gegenüber demjenigen im August desselben Jahres ausgegangen werden kann. Denn der Versicherte war zum Zeitpunkt des noch in Pflegestufe I eingestuft. Die Pflegekasse hatte ihn jedoch aufgrund einer ärztlichen Untersuchung ab Oktober 1995 in die Pflegestufe II, die eine erhöhte Pflegebedürftigkeit voraussetzt, eingestuft. Dies könnte einen erhöhten Pflegebedarf und - wäre von Entgeltlichkeit auszugehen - evtl höhere Pflegeaufwendungen nahe legen.

War nach alledem der Versicherte im letzten maßgeblichen wirtschaftlichen Dauerzustand unterhaltsfähig, bleibt zu prüfen, in welcher Höhe die Klägerin einen Unterhaltsbeitrag beanspruchen konnte. Insoweit kann es uU darauf ankommen, ob nach § 60 EheG jedenfalls der notwendige Unterhalt (= Sozialhilfebedarf) zu zahlen ist, ohne dass ein Billigkeitsabzug von 50 % zu berücksichtigen wäre (so FamRZ 1982, 934 f; aA E-LSG RA-106 unter Hinweis auf Wüstenberg/Koeniger in BGB-RGRK, 10./11. Aufl 1968, § 60 EheG Anm 19).

Auf die von LSG erörterte Problematik der Anwendung der Anrechnungs- oder der Differenzmethode kommt es vorliegend nicht an, weil es bei dem Anspruch der Klägerin um den notwendigen Unterhalt geht.

Somit kann der erkennende Senat nicht abschließend entscheiden, ob der Klägerin ein Unterhaltsanspruch zustand oder nicht. Das LSG wird die notwendigen Ermittlungen nachzuholen haben.

Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.

Fundstelle(n):
NAAAC-15077